Leo Trotzkis Platz in der Geschichte
Wir veröffentlichen hier einen Ausschnitt aus einem Vortrag, der zum 60. Jahrestag der Ermordung Trotzkis gehalten wurde. Der vollständige Text befindet sich in David Norths Buch „Verteidigung Leo Trotzkis“.
Leo Trotzki (1879–1940) war neben Wladimir Iljitsch Lenin der größte Revolutionär des 20. Jahrhunderts. Trotzki und Lenin führten die Bolschewistische Partei und die Arbeiterklasse in der Oktoberrevolution von 1917, die den ersten Arbeiterstaat in der Geschichte der Menschheit errichtete. 1923 gründete Trotzki die Linke Opposition gegen das Anwachsen einer nationalistischen, von Josef Stalin geführten Bürokratie, die die Macht in der Sowjetunion an sich zog. Nachdem die Nazis in Deutschland, begünstigt durch die verheerende und von Trotzki scharf kritisierte Politik der Komintern, im Jahr 1933 an die Macht kamen, rief Trotzki zur Gründung der Vierten Internationale auf. Diese sollte den Kampf für den Marxismus gegen die stalinistische Degeneration der Sowjetunion und der Dritten Internationale voranbringen.
Zwei Jahre nach der Gründung der Vierten Internationale im Jahr 1938 wurde Trotzki von dem stalinistischen Agenten Ramon Mercader in Coyoacán, Mexiko ermordet. Dieses Verbrechen war der bewussteste Versuch des Stalinismus sowie des Weltimperialismus, die Führung der internationalen Arbeiterklasse inmitten des Gemetzels des Zweiten Weltkriegs zu enthaupten.
Die von Trotzki gegründete Vierte Internationale wird heute vom Internationalen Komitee (IKVI) angeführt, das die World Socialist Web Site veröffentlicht. Das IKVI verteidigt das Programm und die Prinzipien des authentischen Trotzkismus seit 1953.
In dieser 1938 aufgezeichneten Rede spricht Leo Trotzki zur Gründung der Socialist Workers Party, der amerikanischen Sektion der Vierten Internationale, und zum zehnten Jahrestag der Gründung der trotzkistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten, deren Geschichte mit der Gründung der Communist League of America 1928 beginnt.
Wir veröffentlichen hier einen Ausschnitt aus einem Vortrag, der zum 60. Jahrestag der Ermordung Trotzkis gehalten wurde. Der vollständige Text befindet sich in David Norths Buch „Verteidigung Leo Trotzkis“.
Diesen Vortrag über die Trotzki-Biographie von Robert Service hat David North, der Vorsitzende der Internationalen Redaktion der WSWS, am 5. Mai an der Universität von Oxford gehalten
Die folgende Rede hielt David North am 13. Dezember 2009 im Friends Meeting House in London. North ist Chefredakteur der World Socialist Web Site und Vorsitzender der Socialist Equality Party in den Vereinigten Staaten.
Leo Trotzki (1879–1940) gehört zu den größten und am meisten umstrittenen Persönlichkeiten in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Während seines Lebens war er das Ziel einer bösartigen Kampagne von Lügen und Verleumdungen durch das stalinistische Regime in der Sowjetunion, die in der Ermordung des verbannten revolutionären Führers ihren Höhepunkt fand. 70 Jahre nach dem Mord an Trotzki finden längst ausgeräumte stalinistische Verzerrungen und Fälschungen der historischen Tatsachen ihren Weg in die akademische Literatur dieser Tage. In dieser umfassenden Analyse und Widerlegung von drei kürzlich veröffentlichten Biografien Leo Trotzkis durch die bekannten britischen Historiker Robert Service, Ian Thatcher und Geoffrey Swain wirft David North beunruhigende Fragen über den Zustand der zeitgenössischen historischen Wissenschaft auf.
Die Perspektive, auf die sich die Bolschewistische Partei bei ihrer Machtübernahme im Oktober 1917 stützte, beruhte auf der Theorie der Permanenten Revolution, die Trotzki elf Jahre zuvor entwickelt hatte. Dazu hatte Trotzki die Niederlage der Russischen Revolution von 1905 einer gründlichen marxistischen Analyse unterzogen.
Die Theorie der Permanenten Revolution besteht auf der unabhängigen und politisch führenden Rolle der Arbeiterklasse. Dies sei notwendig, um die demokratischen Aufgaben zu erfüllen, die von einer Revolution in Ländern gestellt werden, die von einer verspäteten kapitalistischen Entwicklung geprägt sind und vom Imperialismus unterdrückt werden. Zu diesen Aufgaben gehören etwa die nationale Einigung sowie die Befreiung von Unterdrückung durch Kolonialherrschaft, Großgrundbesitz oder Kastensysteme. Darüber hinaus besteht die Theorie der Permanenten Revolution darauf, dass diese Aufgaben historisch untrennbar mit dem Kampf für den internationalen Sozialismus verbunden sind.
Die wesentlichen theoretischen Fragen, die in der Auseinandersetzung um diese zwei einander entgegengesetzten Perspektiven aufkamen, wurden bereits in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre geklärt, als Trotzki seinen Kampf gegen die stalinistische Bürokratie führte. Doch sie tauchten auch in späteren Kämpfen innerhalb der Vierten Internationale selbst immer wieder auf und spielten darin eine wichtige Rolle.
Die Veröffentlichung des Buchs Witnesses to Permanent Revolution: The Documentary Record ist ein bedeutendes Ereignis im Studium der theoretischen Grundlagen der Oktoberrevolution von 1917. Die Dokumente, die von Historikern Richard B. Day und Daniel Gaido auf 677 Seiten zusammengestellt, übersetzt und mit einer Einleitung versehen wurden, bieten eine umfassende Übersicht über die Kontroversen und Polemiken, aus denen die Theorie der Permanenten Revolution hervorging.
Im Oktober 1917, inmitten der Massenschlächterei des ersten Weltkriegs, stürzte die russische Arbeiterklasse, angeführt von der Bolschewistischen Partei mit Wladimir Lenin und Leon Trotzki an ihrer Spitze, die kapitalistische Provisorische Regierung von Alexander Kerenski und etablierten den ersten Arbeiterstaat in der Menschheitsgeschichte. Noch weniger als neun Monate zuvor wurde Russland noch von einer monarchistischen Dynastie regiert, an deren Spitze Zar Nikolaus II. stand. Die Revolution war der Anfang vom Ende des imperialistischen Kriegs.
Die russische Revolution markierte ein neues Stadium der Weltgeschichte. Der Sturz der Provisorischen Regierung bewies, dass eine Alternative zum Kapitalismus kein utopischer Traum, sondern eine reale Möglichkeit darstellte, die nur durch den bewussten politischen Kampf der Arbeiterklasse etabliert werden konnte.
Im Oktober 1923 gründeten Trotzki und seine Anhänger die linke Opposition, um die Kommunistische Partei und die Komintern im Sinne des sozialistischen Internationalismus zu reformieren. Auf diesem Weg wollten sie die aufkommende konservative, nationalistische Bürokratie, angeführt von Josef Stalin, zu bekämpfen.
Der Konflikt, der sich zwischen Stalin und Trotzki entwickelte, entsprang der Unvereinbarkeit ihrer politischen Programme. Die Konsolidierung von Stalins Macht und der bürokratischen Diktatur, die er verkörperte, war nicht unvermeidlich. Sie sind auf die Bedingungen in einem ökonomisch rückständigen und isolierten Arbeiterstaat zurückzuführen. Die Isolation beruhte auf der Verzögerung einer internationalen und europäischen Revolution.
In seiner Kritik des Stalinismus entwickelte Trotzki eine Theorie der sozialistischen Weltrevolution, die unvergleichlich weitsichtiger war als die pragmatischen, nationalistischen Manöver der stalinistischen Bürokraten.
Seit ihrer Gründung 1923 wurde die internationale Linke Opposition von dem Ziel geleitet, die russische Kommunistische Partei und die Kommunistische Internationale zu reformieren. Doch die Machtergreifung der Nazis in Deutschland 1933, ermöglicht durch Stalins verheerende Politik, erforderte eine Neubewertung dieses Vorgehens.
In den Monaten nach Hitlers Sieg wartete Trotzki auf eine Kritik der Politik Stalins innerhalb einer der Parteien der Komintern. Am 7. April 1933 befürwortete die Komintern ausdrücklich die Politik der deutschen Kommunistischen Partei. Trotzki kam zu dem Schluss, dass ein neuer Kurs notwendig war. In einer Erklärung am 15. Juli 1933 rief er zum Bruch mit der Komintern und der Neugründung einer Internationale auf. Diesem Kampf widmete er den Rest eines Lebens.
Die Unterzeichnung des Stalin-Hitler Pakts im August 1939 und der anschließende Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führten zu einer politischen Krise innerhalb der amerikanischen Socialist Workers Party (SWP). Eine politische Fraktion, angeführt von Max Shachtman, James Burnham und Martin Abern, argumentierte, die Sowjetunion könne nicht mehr als Arbeiterstaat bezeichnet werden. Aus dieser veränderten Einschätzung des Klassencharakters der Sowjetunion – Burnham nannte sie jetzt „bürokratisch-kollektivistisch“ – folgerten sie, dass die Vierte Internationale im Kriegsfall nicht zur Verteidigung der Sowjetunion aufrufen solle.
Trotzki erwiderte, dass die Charakterisierung des stalinistischen Regimes als „bürokratisch-kollektivistisch“ – eine neue und bisher unbekannte Form der Ausbeutung, die im Marxismus nicht vorhergesehen war – weitreichende politische und historische Konsequenzen hätte. Die Auseinandersetzung drehte sich um die Frage, ob die Arbeiterklasse eine revolutionäre Klasse sei. Der Kampf innerhalb der SWP – zu dem Trotzki in den letzten Monaten seines Lebens mehrere, darunter seine brillantesten und weitsichtigsten, Schriften beitrug – erreichte seinen Höhepunkt in ihrer Spaltung im April 1940.
Es gibt politische und theoretische Auseinandersetzungen, die auch nach Jahrzehnten noch brennend aktuell sind. Die bekannteste ist ohne Zweifel die Bernstein-Debatte, die Ende des 19. Jahrhunderts die deutsche und internationale Sozialdemokratie erschütterte und schließlich zur Spaltung zwischen sozialdemokratischer und kommunistischer Bewegung führte. Ähnlich bedeutsam, wenn auch weniger bekannt, ist die Auseinandersetzung, die in dem vorliegenden Band dokumentiert wird. Sie fand 1939 innerhalb der Socialist Workers Party, der amerikanischen trotzkistischen Bewegung statt. Leo Trotzki, der damals im mexikanischen Exil lebte und kurze Zeit später von einem stalinistischen Agenten ermordet wurde, nahm intensiven Anteil daran. Verteidigung des Marxismus enthält die Artikel und Briefe, die Trotzki zur damaligen Debatte beitrug.
Vor allem die Frage nach dem Charakter der Sowjetunion verleiht dieser Auseinandersetzung bis heute brennende Aktualität. War die Sowjetunion trotz der Verbrechen der stalinistischen Führung ein Arbeiterstaat? Gab es daran etwas zu verteidigen? Oder handelte es sich nur um eine andere Form der „totalitären Herrschaft“, vergleichbar mit dem Nationalsozialismus?
Die Historischen Grundlagen der Sozialistischen Gleichheitspartei wurden am 23. Mai 2010 von einem Bundesparteitag der Partei (damals noch PSG) nach ausführlicher Diskussion einstimmig verabschiedet. Das Dokument kann im PDF-Format heruntergeladen oder als Buch bestellt werden.
Trozkis Ermordung zählt zu den politisch bewusstesten Morden des 20. Jahrhunderts und hatte weitreichende Konsequenzen für die internationale Arbeiterklasse und die sozialistische Weltbewegung. Dennoch waren die Umstände der Ermordung an Trotzki für Jahrzehnte in Geheimhaltung gehüllt. Der massive Umfang der stalinistischen Verschwörung gegen Trotzki wurde sorgfältig vertuscht.
1975 eröffnete das Internationale Komitee der Vierten Internationale die erste systematische Ermittlung des Mordes durch die trotzkistische Bewegung. Diese Ermittlung, bekannt als Sicherheit und die Vierte Internationale, führte zur Aufdeckung eines Netzwerkes von GPU-Agenten innerhalb der Vierten Internationale, die den Erfolg des Attentats gegen Trotzki sicherstellten.