Auflösung des Palästina-Kongresses 2024 in Berlin war rechtswidrig

Das Verbot und die Auflösung des Berliner Palästina-Kongresses im April 2024 waren illegal. Das geht aus dem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom 26. November dieses Jahres hervor. Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für den Berliner Senat und die Berliner Polizei, die das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit mit Füßen traten.

Der Volltext des Urteils liegt zwar noch nicht vor, doch die Pressemitteilung des Gerichts ist eindeutig: Das polizeiliche Vorgehen war „rechtswidrig“ und „jedenfalls unverhältnismäßig“. Verstöße gegen Auflagen habe es auf dem Kongress ebenso wenig gegeben wie „strafbare Äußerungsdelikte“. Das Urteil schließt an frühere gerichtliche Entscheidungen an, die Einreise- und Betätigungsverbote für Redner, die auf dem Kongress sprechen sollten, als rechtswidrig verurteilten.

Die Berliner Polizei unterbricht den Palästinakongress während der Videobotschaft von Salman Abu Sitta [Photo by palaestinakongress / instagram]

Was war passiert: Im April 2024 war in Berlin ein „Palästina-Kongress“ gegen Israels Vorgehen im Gaza-Streifen geplant, auf dem prominente Menschenrechtsaktivisten und Politiker sprechen sollten. Unter dem Motto „Wir klagen an“ sollte auch die deutsche Verantwortung beim israelischen Genozid thematisiert werden.

Als Organisatoren traten die antizionistische jüdische Organisation „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“ sowie mehrere linke Parteien auf, darunter die paneuropäische Partei DiEM25 des früheren griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, der auch als Redner vorgesehen war. Die Jüdische Stimme hatte für die Durchführung des Kongresses ihr Konto bei der öffentlich-rechtlichen Sparkasse Berlin zur Verfügung gestellt.

Von Anfang an veranstalteten Landes- und Bundesregierung, Politik und Medien eine geradezu hysterische Hetz- und Verleumdungskampagne gegen die Veranstaltung. Organe der Springerpresse und der Berliner Tagesspiegel, SPD, Union und AfD überboten sich mit Warnungen vor „Israelhassern“, „Antisemiten“ und „Extremisten“. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegener verlangte ein „konsequentes Durchgreifen“ und nannte die Veranstaltung „unerträglich“.

Behörden und Institutionen des Bundes und des Landes Berlin zogen alle Register der Repression und Willkür.

So wurde das Bankkonto der Jüdischen Stimme, auf dem Spenden für den Kongress gesammelt wurden, gesperrt. Es gab „Sicherheitswarnungen“ gegen das Café MadaMe, wo ein Spendenabend für den Palästina-Kongress stattfinden sollte. Er wurde schließlich unter Druck abgesagt.

Das Bundesinnenministerium verhängte ein Betätigungsverbot gegen den ehemaligen griechischen Finanzminister Varoufakis, das auch ein Einreise- und Online-Zuschaltungsverbot umfasste. Das Ministerium sprach später von einem „nur“ auf Einreise beschränkten Verbot.

Dem Mediziner und Rektor der Universität Glasgow, Dr. Ghassan Abu Sittah, erteilte die Bundespolizei ebenfalls kurzfristig ein Einreiseverbot. Er wurde bei der Ankunft am Berliner Flughafen festgehalten, drei Stunden lang verhört und dann in ein Flugzeug zurück nach London gesetzt. Ihm wurde auch untersagt, seinen Redebeitrag online zu halten.

Ghassan Abu Sittah hatte während des Krieges mehrere Wochen lang mit den Ärzten ohne Grenzen in Gaza-Krankenhäusern gearbeitet und unter anderem vor dem Internationalen Gerichtshof, wo Deutschland wegen Beihilfe zum Genozid angeklagt ist, darüber ausgesagt. Er wollte auf dem Kongress über seine erschütternden Erlebnisse in Gaza berichten.

Da der Kongress eine Versammlung in geschlossenen Räumen und nicht unter freiem Himmel war, musste er nicht einmal behördlich angemeldet werden. Dennoch suchten die Veranstalter frühzeitig den Kontakt zur Polizei und akzeptierten alle behördlichen Auflagen und Beschränkungen.

Die Polizei rückte gleichwohl mit einem Großaufgebot an, stürmte nach wenigen Minuten die Veranstaltung und erklärte sie für ihre gesamte geplante Dauer von drei Tagen für verboten und aufgelöst. Gegen Demonstranten, die gegen das Verbot protestierten, ging die Polizei mit Schlägen, Festnahmen und dem Einsatz von Pfefferspray vor. Bundes- und Landesregierung begrüßten und rechtfertigten das brutale und autoritäre Vorgehen.

Seitdem sind die behördlichen Maßnahmen meist erfolgreich gerichtlich angefochten worden. Das erreichte mit dem Urteil gegen das Verbot des Kongresses seinen Höhepunkt.

Schon die Zeugenvernehmung hatte gezeigt, dass das Kongressverbot der Polizei willkürlich war. Verantwortlich für den Gesamteinsatz war Stephan Katte, der Direktor der Polizei Berlin. Er war als Zeuge geladen und wurde ausführlich von Vertretern des Veranstalters, der Jüdischen Stimme, befragt.

Dabei bestätigte Katte, dass es während des Kongresses zu keinen verbotsrelevanten Verstößen gegen die im Vorfeld erlassenen Auflagen gekommen war. Er gab an, nicht zu wissen, ob den Veranstaltern das unmittelbar vor dem Kongress gegen den Historiker Salman Abu Sitta ausgesprochene Betätigungsverbot bekannt war. Dennoch war die Video-Grußbotschaft von Abu Sitta der Grund, warum Katte das Kappen der Stromversorgung für das Gebäude veranlasste. Etwas Strafbares hatte Abu Sitta nicht gesagt.

Wie die taz berichtete, machte der Polizeidirektor während der Befragung vor Gericht keinen Hehl aus seiner politischen Ablehnung der Inhalte des Kongresses. Dass jemand wie Abu Sitta sprechen sollte, zeige doch, „wessen Geistes Kind“ die Or­ga­ni­sa­to­ren seien. Die „Stimmungslage im Saal“ sei „sehr emotional und aufgeladen“ gewesen. Die Polizei habe in solchen Fällen konsequent einzuschreiten. „Sonst haben wir irgendwann 5000 Menschen auf der Straße, die das Existenzrecht Israels leugnen“, so Katte.

Da der leitende Polizeibeamte derart offen für politische Willkür und präventive Unterdrückung unliebsamer Meinungen eintrat, kam das Gericht nicht umhin, das Totalverbot des Kongresses für unverhältnismäßig und rechtswidrig zu erklären.

Bereits zuvor hatten mehrere Gerichte eindeutige Urteile über die behördlichen Maßnahmen gefällt:

Das Verwaltungsgericht Potsdam erklärte am 14./15. Mai 2024 die Einreiseverweigerung für den Rektor der Universität Glasgow, Ghassan Abu-Sittah, und dessen schengenweite Eintragung für rechtswidrig. Es rügte u.a., die Bundespolizei habe ihre Ermessensspielräume fehlerhaft genutzt, es fehlten konkrete Tatsachen, dass von Abu-Sittahs Teilnahme eine unmittelbare Gefahr ausgegangen wäre, und der Eingriff in die Freizügigkeit und mittelbar in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sei nicht verhältnismäßig.

International wurde Abu-Sittahs Abschiebung – mit Verweis auf seine Rolle als Zeuge vor dem Internationalen Strafgerichtshof – als Versuch gewertet, einen „wichtigen Zeugen für mutmaßliche Kriegsverbrechen“ mundtot zu machen.

Das Kammergericht Berlin bestätigte im Juni 2024 in der Berufung, dass die Sperrung und Auflösung des Bankkontos des Vereins Jüdische Stimme durch die Berliner Sparkasse (eine Anstalt des öffentlichen Rechts) rechtswidrig waren. Das Landgericht Berlin hatte dem Verein Recht gegeben, und das Kammergericht bestätigte später, die Sparkasse unterliege aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Prägung besonderen Gleichbehandlungs- und Willkürverboten. Eine Kontokündigung allein wegen politischer Standpunkte, die im Rahmen der Meinungsfreiheit geäußert werden, sei nicht zulässig.

Das Verwaltungsgericht Berlin erklärte am 14. Juli 2025 auch das politische Betätigungsverbot gegen Ghassan Abu-Sittah für rechtswidrig. Die Ausländerbehörde habe keine hinreichend konkrete Gefahr dargelegt, sondern im Wesentlichen vergangene Äußerungen Abu-Sittahs ohne Kontext ausgewertet. Die Behörde habe weder seine Rolle als Arzt im Kriegsgebiet noch als Zeuge vor dem Internationalen Strafgerichtshof ernsthaft in die Abwägung einbezogen, zudem habe sie Meinungsfreiheit (Art. 5 Grundgesetz) und Versammlungsfreiheit (Art. 8 Grundgesetz) nicht angemessen gewürdigt.

Das Oberverwaltungsgericht lehnte am 6. November 2025 den Antrag des Landes Berlin auf Zulassung der Berufung ab, damit wurde das Verwaltungsgerichts-Urteil rechtskräftig.

Sowohl beim Vorgehen gegen die Organisatoren und Redner als auch gegen den Kongress ist nun also umfassend gerichtlich bestätigt, dass es sich um rechtswidrige Willkür gegen zulässige politische Meinungsäußerungen handelte.

Kurz vor dem Berliner Urteil gegen das Verbot des Palästina-Kongresses hob zudem das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster am 21. November 2025 eine Auflage der Düsseldorfer Polizei auf, nach der auf einer Demonstration das Existenzrecht Israels überhaupt nicht in Frage gestellt werden durfte. Die Richter erklärten, das Bestreiten des Existenzrechts sei für sich genommen kein Straftatbestand und eine „kritische Auseinandersetzung mit der Staatsgründung Israels“ falle grundsätzlich unter die Meinungsfreiheit.

Es wäre jedoch falsch, nun auf eine Kurskorrektur und weniger Repressalien zu hoffen. Währenddessen haben deutsche Behörden auch in anderen Fällen deutlich gemacht, dass es sie nicht interessiert, ob ihr repressives Vorgehen gegen Recht und Gesetz verstößt.

Im Fall der #Berlin4 wollte die Berliner Landesregierung im Frühjahr 2025 vier nicht vorbestrafte pro-palästinensische Aktivisten aus Irland, Polen und den USA wegen Teilnahme an Protesten ausweisen, obwohl auf Ebene der zuständigen Fachbeamten gewarnt worden war, dass dies rechtlich nicht haltbar sein würde. Nach gerichtlichen Eilanträgen wurden alle Ausweisungsbescheide ausgesetzt, die Hauptverfahren laufen noch.

Während Gerichte staatliche Willkürmaßnahmen gegen pro-palästinensische Proteste für rechtswidrig erklärt haben, hat Bundeskanzler Friedrich Merz angekündigt, Anfang Dezember Israels Premier Benjamin Netanjahu zu besuchen. Gegen Netanjahu besteht nach wie vor ein gültiger Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs, den auch Deutschland offiziell anerkennt, wegen schwerster Kriegsverbrechen.

Loading