Zehntausende protestieren in Gießen gegen die AfD

Viele Gießener Häuser trugen Transparente gegen Faschismus [Photo: WSWS]

Mehrere zehntausend Jugendliche aus ganz Hessen und darüber hinaus protestierten am 29. November in Gießen gegen die Neugründung einer AfD-Jugendorganisation.

Treibende Kraft der Proteste war ein Bündnis „Widersetzen“, bestehend vor allem aus den „Schülis gegen Rechts“, „Studis gegen Rechts“, „Azubis gegen Rechts“ und anderen Gruppen. Gegen die AfD hatten sie am Freitag, 28. November, und in den Wochen davor schon bundesweit zum Schulstreik aufgerufen.

Denn in Gießen gründete die AfD diesen Samstag, von den Staatsorganen geschützt und abgeschirmt, unter der Bezeichnung „Generation Deutschland“ ihre Neuversion einer Hitlerjugend.

Aus der AfD-Versammlung in den Gießener Messehallen berichteten selbst Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schockiert, die Neugründung sei „offensichtlich gesichert rechtsextrem“. So sei die Forderung nach „millionenfacher Remigration“ frenetisch bejubelt worden. Der Delegierte Alexander Eichwald, der mit einer Rede an die „Volksgenossen“ im ungebrochenen Hitler-Stil, mit rollendem „R“, auftrat, erhielt bei den Vorstadswahlen mehr als zwölf Prozent der Stimmen.

Zita, Leo, Felix und Jule aus Darmstadt [Photo: WSWS]

„Wir können das nicht zulassen, dass die rechtsextreme, faschistische Politik sich im öffentlichen Raum immer mehr ausbreitet“, sagten Zita, Leo, Felix und Jule aus Darmstadt der World Socialist Web Site. „Das muss auch gestoppt werden, wenn es im Gewand der CDU oder anderer etablierter Parteien daherkommt.“ Die vier stimmten zu, dass man den Kapitalismus abschaffen muss, und dass keine der etablierten Parteien dies anstrebt, auch nicht die Linke.

An diesem Tag war die Gießener Innenstadt voller Jugendlicher, sowohl Schüler wie junger Arbeiter, die aus ganz Hessen und darüber hinaus per PKW, Bahn und in rund 200 Bussen angereist waren.

Ali aus Wetzlar, der zusammen mit seinem Bruder Ismail nach Gießen gekommen war, sagte der WSWS, vor zehn Jahren habe er noch gehofft, dass sich die politische Lage ständig verbessern werde. Aber heute sei schon an Trump in den USA zu sehen, „wie brutal das alles jetzt zugeht“. Beide berichteten, dass viele ihrer Bekannten in Wetzlar gerade vor kurzem von dem Stahlwerk Buderus entlassen worden waren. „Seit einigen Jahren merkst du einfach, dass es immer mehr in die rechte Richtung geht.“

Polizeisperre an der Konrad-Adenauer-Brücke [Photo: WSWS]

Die Protestierenden waren mit massiver Polizeigewalt konfrontiert: Rund 6.000 Polizisten mit Wasserwerfern, Drohnen und Helikoptern, Hunde- und Reiterstaffel waren vor Ort. Gegen die Blockaden ging die Polizei mit Schlagstöcken und Pfefferspray vor, um den AfD-Tag zum Erfolg zu machen.

Die Entscheidung, in Gießen eine AfD-Neugründung durchzuführen, war eine bewusste Provokation. Denn Gießen hat eine lange antifaschistische Tradition. In der Arbeiterstadt und dem Nachbarort Wetzlar, Sitz der Buderus-Stahlwerke, sind traditionell SPD, Grüne und Gewerkschaften stark; in den letzten Jahren (vor allem seit dem Nazi-Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübke) gab es hier zahlreiche Großkundgebungen gegen die AfD.

So musste jedenfalls mit Protesten gerechnet werden. Das hatte sich das hessische Innenministerium zunutze gemacht, um an diesem Tag ein Großmanöver der Polizei durchzuführen. Die Messehallen waren komplett und weiträumig abgesperrt, und Polizei eskortierte die AfD-Teilnehmer teilweise über das Gelände der Stadtwerke in Richtung des Versammlungsorts.

Die Innenstadt war für Autos gesperrt, und die meisten Läden hatten geschlossen. Viele Häuser trugen Transparente gegen Faschismus.

Auf dem Berliner Platz hatten sich SPD, Linke, FDP, DGB, Verdi und Jusos mit Organisationen wie AWO, Omas gegen rechts und Amnesty International versammelt, um ein sogenanntes „Demokratiefest“ mit Glühwein und Musik zu feiern.

Hier war die Heuchelei mit Händen zu greifen. Weil die etablierten Parteien alle mit der AfD zusammenarbeiten und ihr politisch den Weg bereiten, hatten ihre Sprecher effektiv nichts zu sagen. Die Reden strotzten von Worthülsen wie „Gießen bleibt bunt und stark“, „Wir lassen uns die Buntheit nicht nehmen“, und: „Wie toll, dass so viele gekommen sind“ (wobei auf dem Berliner Platz nur ein paar hundert Menschen waren).

Das „Demokratiefest“ der Parteien am Berliner Platz [Photo: WSWS]

Der Zynismus war atemberaubend. Der Gießener Oberbürgermeister Frank Tilo Becher (SPD), der sich auf der Bühne als Antifaschist darstellte, hatte gemeinsam mit dem CDU-Innenministerium den Polizeieinsatz für diesen Tag strategisch geplant. Dieser Einsatz für die AfD-Versammlung, so wurde behauptet, sei aus „demokratischer Verpflichtung“ notwendig. Dabei war es ein wirklich faschistischer Haufen, der sich in Gießen versammelte.

Nur zum Vergleich: Bei den Protesten gegen den Genozid an den Palästinensern in Gaza war von einer derartigen „demokratischen Verpflichtung“ nie die Rede. Sie wurden reihenweise verboten und brutal polizeilich attackiert.

Im Gespräch mit der WSWS verliehen viele ihrer Wut Ausdruck und machten klar, dass die offizielle fPropaganda zunehmend auf Misstrauen stößt.

Jacqueline, eine Gießenerin, sagte: „Man muss sich doch nur die EU-Politik an der europäischen Außengrenze anschauen. Das allgemeine europäische Asylgesetz ist vor zwei Jahren im Europaparlament von den Grünen und der SPD verabschiedet worden. Das sind die Gesetze, die die CDU jetzt auf nationaler Ebene durchsetzt. Das ist reine AfD-Politik, von Grünen, SPD und CDU umgesetzt.“

Gruppe aus Gießen: Ilja rechts, Jacqueline in der Mitte mit Schirm [Photo: WSWS]

Ilja von „Schülis gegen Rechts“ berichtete über das Auftreten der Polizei gegen die Jugendlichen. „Die Polizei versucht gezielt, uns einzuschüchtern. An allen Brücken sind Polizeifahrzeuge mit Räumgerät aufgefahren, um uns klarzumachen, dass sie bereit sind, gegen uns vorzugehen.“ Wie er sagte, hatten die Schüler zu einem großen Schulstreik am Freitag aufgerufen. „Daraufhin hat das Schulamt kurzfristig an diesen Tag die Präsenzpflicht aufgehoben und angekündigt, dass keine Busse fahren würden. Trotzdem kamen noch 800 zu unserem Protest.“

Von den etablierten Parteien, die versuchten, den Protest zu vereinnahmen, gab es außer reaktionären Rufen nach dem bürgerlichen Staat praktisch keine politischen Stellungnahmen zur Frage, wie der Faschismus wirklich gestoppt werden kann. Allein die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und ihre Jugendorganisation IYSSE vertraten eine klare, durchdachte Perspektive. In der Erklärung „Der Kampf gegen die AfD erfordert einen Kampf gegen den Kapitalismus“, die zum Wochenende auch auf der WSWS erschien, heißt es:

[D]ie AfD wird immer offener ins politische Establishment eingebunden, und erhebliche Teile ihres Programms – wie die Hatz gegen Flüchtlinge und die horrende Aufrüstung – werden von sämtlichen Bundestagsparteien in die Tat umgesetzt. (…) Ein ernsthafter Kampf gegen die faschistische Gefahr erfordert ein klares Verständnis der Ursachen dieses Rechtsrucks: des eskalierenden Militarismus und der tiefen Krise des Kapitalismus. Er erfordert eine sozialistische Perspektive, die die Grundlage von Krieg und Faschismus beseitigt: das kapitalistische System.

Die Erklärung fand eine starke Resonanz, und viele Jugendliche stimmten zu, dass die etablierten Parteien, einschließlich der Linken, in ihrer Politik immer weiter nach rechts gehen. So war der Protest in Gießen Ausdruck einer neuen Bewegung gegen Krieg, Faschismus und Sozialkahlschlag, die sich europaweit entwickelt und mit einer klaren sozialistischen Perspektive und Führung bewaffnet werden muss.

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