Das Schweigen des DGB zu seinem Staatsbesuch in Israel

Ende Oktober fuhr eine 40-köpfige Delegation des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) nach Israel, um sich in Tel Aviv mit der Histadrut zu treffen. Der Anlass war die 50-jährige Zusammenarbeit beider Gewerkschaftsverbände. Vor Arbeitern in Deutschland hat der DGB die Reise sorgfältig verschwiegen.

Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi und der Histadrut-Vorsitzende Arnon Bar-David beim Fritz-Naphtali-Forum in Tel Aviv, 29. Oktober 2025 [Photo by Histadrut]

Die Delegation des DGB nahm unter Führung seiner Vorsitzenden Yasmin Fahimi (SPD) gemeinsam mit der Histadrut-Führung an der ersten Konferenz des „Fritz-Naphtali-Forums“ teil, die am 29. und 30. Oktober im Hotel Dan Panorama in Tel Aviv stattfand und offiziell den „Arbeitsbeziehungen in Krisenzeiten“ gewidmet war. An die Konferenz schloss sich abends eine Feier zum 50-jährigen Bestehen der Partnerschaft an. Am zweiten Tag besuchte die Delegation die Gedenkstätte Re’im, wo am 7. Oktober 2023 das Nova-Festival überfallen worden war.

Über den gesamten Besuch hat die deutsche Öffentlichkeit, geschweige denn die Arbeiterklasse, vom DGB kein Sterbenswörtchen erfahren. Es gab keine Presseerklärungen, keine Diskussion darüber, auch keine Erwähnung in den Nachrichten. Auch liefen alle Anfragen dieser Autorin bei den Presseabteilungen des DGB und der Einzelgewerkschaften ins Leere. „Ich weiß nichts über diesen Besuch“, schrieb die Pressesprecherin des Verdi-Landesbezirks Hessen – eine von vielen Angefragten, und die einzige, die überhaupt antwortete.

Dabei hatte der Besuch einen durchaus offiziellen Charakter. Daran nahmen nicht nur Funktionäre des DGB und seiner Einzelgewerkschaften, sondern auch Regierungsvertreter und der deutsche Botschafter teil. Laut der Publikation Global Histadrut waren unter den Teilnehmern die deutsche Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Kerstin Griese (SPD), Martin Schulz, Präsident der Friedrich-Ebert-Stiftung, ehemaliger SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat, sowie Steffen Seibert, seit August 2022 deutscher Botschafter in Israel. Seibert war davor erst lange Jahre ZDF-Fernsehjournalist und dann elf Jahre lang Regierungssprecher und Leiter des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung in Berlin gewesen.

Der Besuch hatte einen definitiven Zweck: Er fand in einer Situation statt, in der der Staat Israel nach über zwei Jahren der Verfolgung, des Aushungerns und des Massenmordes an den Palästinensern weltweit verachtet wird und als Pariastaat dasteht. Der Genozid geht bis heute weiter – nicht nur im Gaza, auch im Westjordanland, wo brutale Überfälle, Vertreibungen und Morde an der Tagesordnung sind. Nach wie vor verfolgt die Netanjahu-Regierung das Ziel einer „Endlösung der Palästinenserfrage“.

In dieser Situation stellte sich der DGB klar auf die Seite der zionistischen Histadrut und gegen die palästinensischen Gewerkschaften, die dringend zu Boykottaktionen gegen den Genozid aufgerufen hatten. Auch gegen alle Arbeiter, die – unterstützt von israelischen Arbeitenden und von Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt – weltweit Streiks und Boykottaktionen gegen Israel organisieren.

An die anwesenden Histadrut-Führer gewandt sagte Fahimi: „In den vergangenen zwei Jahren haben es Ihnen die internationalen Gewerkschaften nicht leicht gemacht. Doch für uns sind Sie eine Schwestergewerkschaft, und es war immer klar, dass wir Ihnen unsere Unterstützung anbieten würden.“

Die DGB-Chefin hielt neben Histadrut-Chef Arnon Bar-David in Tel Aviv das zweite Hauptreferat, und sie sprach auch am Abend beim Bankett. Die Zeitung Davar, die ein Bild von dem Handschlag der zwei Gewerkschaftsführer publizierte, zitierte Fahimi mit den Worten:

Ihr von der Histadrut seid unsere Kollegen und Kolleginnen. … Ihr seid weder die Regierung noch der Staat. Deshalb war es für uns im DGB immer selbstverständlich, euch die Hand zu reichen, und das wird auch in den nächsten 50 Jahren so bleiben.

Die Erklärung ist entlarvend, und sie macht klar, weshalb der DGB es vorzieht, über seinen Auftritt in Israel Stillschweigen zu bewahren.

Denn in Wirklichkeit ist die Histadrut keineswegs bloß ein Gewerkschaftsdachverband. Sie ist in Israel eine staatliche Institution, ein Pfeiler der zionistischen Herrschaft. Die 1920 gegründete Histadrut trug wesentlich zur Gründung Israels bei. Von ihr stammte sowohl die Gründungsideologie des Staates Israel, der Labour- oder Arbeiterzionismus, als auch der erste Staatspräsident, der damalige Histadrut-Vorsitzende David Ben-Gurion. Lange Zeit kontrollierte sie den Dienstleistungssektor, den Wohnungsbau, die Schulen, Krankenkassen und Versicherungen, zahlreiche medizinische Einrichtungen und die Staatsbank.

Was Histadrut und die zionistischen Führer in Palästina anstrebten, war kein demokratisches, egalitäres Gemeinwesen, sondern eine Staatsgründung auf besetztem Land, durch Vertreibung und Krieg. So wurde aus der zionistischen Utopie einer Zuflucht für verfolgte Juden aus Nazideutschland ein Polizeistaat, der im Bürgerkrieg und Krieg gegen die Palästinenser und die arabischen Nachbarstaaten auch selbst zu faschistischen Methoden griff.

Für die wirtschaftlichen Probleme im Innern gab es keine Lösung, und heute grassiert in dem Land, das (zu Unrecht) als „die einzige Demokratie des Nahen Ostens“ gepriesen wird, eine bittere soziale Ungleichheit. Etwa 20 Familien besitzen die Hälfte des israelischen Aktienmarktes und ein Viertel aller Unternehmen. Nach einem OECD–Bericht weist Israel die nach den USA zweithöchste soziale Ungleichheit aller Staaten auf; es hat die dritthöchste Armutsquote nach Bulgarien und Costa Rica, und mehr als 27 Prozent der Bevölkerung und mehr als ein Drittel aller Kinder sind arm.

Die Histadrut hat kein Programm, um die Arbeiterklasse dagegen zu mobilisieren. Wie der DGB stützt auch sie sich auf Nationalismus und Klassenkollaboration. So ist es kein Wunder, dass die Histadrut – wie auch der DGB – unter Mitgliederschwund leidet. Waren in den 1970er Jahren mit 1,8 Millionen Menschen noch bis zu 85 Prozent der Erwerbstätigen Israels in der Histadrut organisiert, sind es heute angeblich noch 800.000, viele nur noch auf dem Papier. Araber und Migranten sind von der Mitgliedschaft ausgeschlossen, und palästinensische Israelis sind nur Mitglieder zweiter Klasse.

Die Histadrut ist in erster Linie dem Staat Israel verpflichtet. In der jüngeren Vergangenheit hat sie sich bei den Streiks gegen die Justizreform immer sorgfältig mit Netanjahu abgesprochen, um die Unruhen zu jedem Zeitpunkt unter bürokratischer Kontrolle zu halten.

Wie die Labour Party (früher Mapai, heute Avoda/Demokraten) ist auch die Histadrut seit jeher eng mit der israelischen Armee IDF verbunden. Es gab eine Zeit, in der sie sogar mit den extremsten Zionisten um Wladimir Zeev Jabotinsky verbunden war. An entscheidenden Wendepunkten des Palästina-Israel-Konflikts haben sich ihre Methoden immer denen der Likud und aller Hardliner angepasst, und sie hat eng mit ihnen zusammengearbeitet.

So auch im jüngsten Krieg und Genozid im Gazastreifen. Die Histadrut hat den Völkermord unterstützt und die Aufrufe des Palästinensischen Allgemeinen Gewerkschaftsbunds in Gaza zu internationalen Solidaritätsaktionen ignoriert. Sie spaltet jüdische und arabische Arbeiter und tut alles, um den Widerstand gegen die mörderische Politik zu untergraben.

Arnon Bar-David, der Histadrut-Präsident, dessen Hand Yasmin Fahimi in Tel Aviv begeistert schüttelte, war früher ein IDF-Kommandant. Er hat am 23. November 2023 persönlich in den Werkshallen von Elbit Systems eine Rakete signiert, die für den Einsatz im Gazastreifen vorgesehen war. Er soll sie mit der zynischen Aufschrift: „Es lebe das Volk Israel! Grüße von der Histadrut und Israels Arbeitern“ versehen haben.

Kein Wunder, dass der DGB seine Wallfahrt nach Israel vor der Arbeiterklasse in Deutschland geheim zu halten versucht. Dabei arbeitet er nicht erst seit gestern eng mit Zionisten zusammen. Der DGB hat die Histadrut seit Jahrzehnten unterstützt und feierte dies im April dieses Jahres mit einem gemeinsamen Festakt in Berlin.

Besonders seit Ausbruch des offenen Genozids im Gaza hat der DGB sich an die Seite der Histadrut und Israels gestellt. Wenige Tage nach dem 7. Oktober drückte er in einer Erklärung seine „tief empfundene Solidarität mit Israel in Anbetracht der brutalen Anschläge der Hamas“ aus. Wie die WSWS damals schrieb:

Die rechtsextreme Netanjahu-Regierung könnte ihren brutalen Völkermord an den Palästinensern nicht durchführen ohne die Unterstützung der Bundesregierung, und die Bundesregierung könnte diese Unterstützung nicht aufrechterhalten ohne die enge Zusammenarbeit mit dem DGB und den Führungen aller Einzelgewerkschaften. So sind die Gewerkschaften direkt an den schlimmsten Kriegsverbrechen beteiligt.

Der DGB steht unverbrüchlich an der Seite der zionistischen Histadrut, und das ist kein Zufall. Es entspricht seiner Übereinstimmung mit der Politik der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft.

Während die deutschen Eliten die gesamte Gesellschaft auf Krieg, Aufrüstung und Kriegswirtschaft umstellen, haben sich auch die deutschen Gewerkschaften verwandelt. Hatten sie früher im Rahmen der „Sozialpartnerschaft“ soziale Kompromisse ausgehandelt, sind sie heute aktiv am Sozialabbau und den Massenentlassungen beteiligt. Keine Werkschließung, kein Entlassungsplan, keine Vereinbarung über Lohnsenkung ohne die Unterschrift eines Betriebsrats der IG Metall, von Verdi oder einer andern DGB-Gewerkschaft!

Allerdings haben zwei Jahre Genozid im Gaza die Arbeiterklasse verändert. Mehr und mehr versteht sie die größere Dimension: Eine herrschende Klasse, die einen derart brutalen Völkermord unterstützt, wird in ihrem Profitinteresse auch über die „eigene“ Arbeiterklasse hinwegtrampeln. Um eine unwillige Bevölkerung in den Krieg zu treiben, ist sie auch bereit, den Faschismus wieder zum Leben zu erwecken.

Der Kampf gegen Sozialkahlschlag ist mit dem Kampf gegen Krieg verbunden. Und der erste Schritt für Arbeitende in Deutschland muss der Bruch mit dem DGB und seinen Einzelgewerkschaften sein.

Die World Socialist Web Site und die Vierte Internationale, die seit Jahrzehnten, seit der Gründung Israels im Jahr 1948, für die Einheit der palästinensischen und israelischen Arbeiter kämpft, haben zur Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse aufgerufen, um den Völkermord in Gaza zu stoppen. Wir rufen Arbeiterinnen und Arbeiter in allen Betrieben auf, sich in Aktionskomitees zusammenzuschließen, die vom DGB unabhängig sind. Nur so können sie auch ihre eigenen Interessen, ihre Arbeitsplätze und ihr Leben verteidigen.

Der DGB und seine Gewerkschaften stehen auf der anderen Seite. Dies hat der Besuch der 40-köpfigen Delegation in Israel einmal mehr deutlich gezeigt.

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