Delegation des türkischen Parlaments trifft sich mit inhaftiertem PKK-Chef Öcalan

Am Montag besuchten Mitglieder der „Nationalen Kommission für Solidarität, Brüderlichkeit und Demokratie“ des türkischen Parlaments den auf der Insel Imrali inhaftierten Anführer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan. Der Besuch fand im Rahmen von Verhandlungen zwischen dem türkischen Staat und der PKK statt.

Zu der Delegation gehörten u.a. Hüseyin Yayman, stellvertretender Vorsitzender der regierenden islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP), Feti Yıldız, stellvertretender Vorsitzender der faschistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) und Gülistan Kılıç Koçyiğit, stellvertretender Vorsitzender der kurdisch-nationalistischen Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker (DEM). Laut einem Bericht von BBC Turkish sprachen sich in einer Umfrage 85 Prozent für Verhandlungen mit der PKK aus, aber für einen Besuch bei Öcalan nur 25 Prozent.

Das Gefängnis auf der Insel Imrali, in dem Abdullah Öcalan inhaftiert ist, 27. Februar 2020

Zuvor hatte der türkische Staat durch seinen Geheimdienst oder die DEM mit Öcalan und der PKK verhandelt. Dies war das erste offizielle Treffen von parlamentarischen Vertretern der AKP und der MHP mit Öcalan. Nach einem Aufruf Öcalans hatte die PKK Anfang Mai einen Parteitag einberufen und ihre Auflösung sowie die Einstellung des bewaffneten Kampfes beschlossen. Ende Oktober gab sie ihre Entscheidung bekannt, ihre bewaffneten Kräfte aus der Türkei abzuziehen.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan unterstützte den Besuch bei Öcalan und erklärte am Montag: „Wir betrachten die jüngste Entscheidung der Kommission als Schritt, der den Weg für einen Prozess ebnet und dazu beiträgt, und der die Eliminierung des Terrorismus beschleunigt.“

Wie bei früheren Treffen mit Öcalan wurde das Protokoll des Treffens nicht veröffentlicht. Wie die World Socialist Web Site von Anfang an erklärt hat, geht es bei diesem Prozess, der mit Geheimdiplomatie geführt wird, darum, die Wahrheit vor der Bevölkerung zu verbergen. Es ist ein Versuch der türkischen und kurdischen bürgerlich-nationalistischen Führungen, eine Einigung zu erzielen, die mit den Bestrebungen des US-Imperialismus übereinstimmt, den Nahen Osten neu zu ordnen.

Aus der 51-köpfigen Parlaments-Kommission stimmten 32 Mitglieder für den Besuch bei Öcalan. Neben der AKP, der MHP und der DEM stimmten auch Kommissionsmitglieder der stalinistischen Parteien wie der EMEP und der TİP dafür. Die kemalistische Republikanische Volkspartei (CHP), die nach der AKP die meisten Mitglieder in der Kommission hat, beteiligte sich nicht an der Abstimmung und schickte keinen Vertreter. Stattdessen schlug sie eine Videokonferenz mit Öcalan vor. Die CHP, die in den Kommunalwahlen 2024 landesweit die meisten Stimmen erhalten hatte, wird von der Regierung immer stärker in die Enge getrieben und juristisch verfolgt.

Der Ko-Vorsitzende der DEM, Tuncer Bakırhan, erklärte zur Entscheidung der CHP, keine Mitglieder für den Besuch bei Öcalan zu schicken: „Wir befinden uns in einem Prozess, in dem wir über die Demokratie in der Türkei diskutieren. Leider versuchen einige Parteien, Widerstand gegen die Regierung in Widerstand gegen die Lösung des Problems zu verwandeln. Die CHP muss die kurdische Frage korrekt verstehen.“

Die DEM unterstützte in den Präsidentschaftswahlen 2023 den Kandidaten der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, gegen Erdoğan und bildete in den Kommunalwahlen 2024 lokale Bündnisse mit der CHP, die als „urbaner Konsens“ bezeichnet wurden.

Die Behauptung der DEM und ihrer Verbündeten TIP und EMEP, Verhandlungen und Druck auf die Erdoğan-Regierung könnten angesichts des Kriegs im Nahen Osten Frieden und Demokratie bringen, ist eine antimarxistische Täuschung. Der Nahostkrieg ist eine entscheidende Front eines sich anbahnenden globalen imperialistischen Kriegs. Dazu schrieb Wladimir Lenin im März 1916, während des Ersten Weltkriegs, in seinem „Friedensprogramm“:

Unser „Friedensprogramm“ muss schließlich darin bestehen, klarzumachen, dass die imperialistischen Mächte und die imperialistische Bourgeoisie keinen demokratischen Frieden bieten können. Man muss ihn suchen und erstreben, aber nicht in der Vergangenheit, in der reaktionären Utopie eines nichtimperialistischen Kapitalismus oder eines Bundes gleichberechtigter Nationen unter dem Kapitalismus, sondern in der Zukunft, in der sozialistischen Revolution des Proletariats (...)

Wer aber den Völkern einen „demokratischen“ Frieden verheißt, ohne gleichzeitig die sozialistische Revolution zu propagieren, wer den Kampf für diese Revolution, den Kampf schon während des Krieges, ablehnt, der betrügt das Proletariat.

Wie Leo Trotzki, der gemeinsam mit Lenin die Oktoberrevolution von 1917 anführte und 1938 die Vierte Internationale gründete, in seiner Theorie der permanenten Revolution erklärt hat, ist die Bourgeoisie im Zeitalter des Imperialismus in Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung wie der Türkei inhärent unfähig, ein demokratisches Regime zu errichten. Diese Aufgabe fällt der Arbeiterklasse zu, die alle unterdrückten Massen hinter einem internationalen sozialistischen Programm vereinen muss. Die autoritären Regime, die sich heute von den USA über die Türkei bis in den Rest der Welt ausbreiten, belegen, dass es innerhalb der herrschenden Klasse keine Fraktion gibt, die die Demokratie verteidigt.

Die Verhandlungen zwischen Ankara und der PKK sind nicht aus dem Widerstand gegen die fast 35 Jahre andauernde imperialistische Aggression, mit der die USA die Herrschaft über den Nahen Osten erlangen wollen, hervorgegangen, sondern sie sind Teil dieser Aggression. Die türkischen und kurdischen bürgerlich-nationalistischen Führungen, die den Einmarsch in den Irak im Jahr 2003 und den Krieg zum Regimewechsel in Syrien ab 2011 unterstützt haben, versuchen ihre reaktionären Interessen im Zuge der Neuaufteilung des Nahen Ostens zu vereinen. Dieser Prozess hat seit Israels Völkermord in Gaza ab 2023 an Dynamik gewonnen.

Als letztes Jahr erstmals die Möglichkeit von Verhandlungen ins Spiel gebracht wurde, erklärte Erdoğan: „Während die Landkarten mit Blut neu gezeichnet werden, während die Kriege Israels von Gaza bis zum Libanon sich unseren Grenzen nähern, versuchen wir, unsere innere Front zu stärken. Wir wollen, dass 85 Millionen von uns unter dem gemeinsamen Nenner Türkei zusammenkommen.“ In diesem Kontext versucht die Regierung in Ankara, angesichts zunehmender Konkurrenz durch Israel, die von der PKK geführte kurdische Bewegung nach 40 Jahren Feindschaft in einen Verbündeten zu verwandeln, um mit der entscheidenden Hilfe Öcalans ihre Position zu stärken.

Bahçeli, der zuvor die Hinrichtung des seit 1999 inhaftierten politischen Gefangenen Öcalan gefordert hatte, ermutigte die Mitglieder der Kommission, ihn zu besuchen. Am 11. November erklärte er, er würde Öcalan notfalls selbst besuchen.

Einen Tag vor Bahçelis Erklärung, am 10. November, hatte sich US-Präsident Donald Trump mit Ahmed al-Scharaa, dem Anführer des syrischen Regimes unter dem al-Qaida-Ableger Hayat Tahrir al-Sham (HTS), im Weißen Haus getroffen. Dieses Treffen war Teil der Bestrebungen der USA, das syrische Regime zur Marionette in der Achse gegen den Iran zu machen. Syrien steht außerdem kurz vor einem Sicherheitsabkommen mit Israel, mit dem es faktisch verbündet ist. Washington versucht, sowohl die Türkei und Israel als auch Ankara und die kurdische Bewegung auf einer Achse gegen den Iran zu vereinen und damit den Einfluss Russlands und Chinas im Nahen Osten zu eliminieren.

Ankara hat einen gewissen Einfluss auf das syrische HTŞ -Regime und versucht, durch Öcalan die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die Schwesterorganisation der PKK in Syrien, Damaskus unterzuordnen. Der Befehlshaber der SDF, Mazlum Abdi, erklärte gegenüber der türkischen Nachrichtenagentur Mesopotamia Agency über das Treffen zwischen Trump und al-Scharaa: „Die Fragen von Nord- und Ostsyrien und der SDF wurden mit Trump diskutiert. Genauer gesagt, hat Trump gefragt und eine Antwort erhalten. Sie war positiv (...) Auch der türkische Außenminister Hakan Fidan war anwesend. Mit ihm wurde es ebenfalls diskutiert. Soweit wir wissen, wollte Präsident Trump die Sache ohne Krieg und durch Dialog lösen. Das haben sie akzeptiert.“

Sowohl die türkische als auch die kurdische bürgerlich-nationalistische Führung, die beide pro-imperialistisch sind, erwarten, dass die Bevölkerung glaubt, der Faschist Trump, die treibende Kraft hinter dem Völkermord in Gaza, sei nach Palästina nun der Vorkämpfer für einen umfassenden Frieden in Kurdistan. Dieser Prozess, in dem sich der Islamist Erdoğan mit dem Faschisten Bahçeli, dem Dschihadisten al-Scharaa und mit Öcalan verbündet, der sich selbst als „demokratischen Sozialisten“ bezeichnet, und sie alle dem Faschisten im Weißen Haus unterordnet, kann nur zu noch größeren Katastrophen für die Arbeiter und unterdrückten Völker des Nahen Ostens führen.

Zudem finden die Verhandlungen unter Bedingungen statt, in denen die in der Türkei ohnehin eingeschränkten demokratischen Rechte schweren Angriffen ausgesetzt sind. Von Millionen Menschen gewählte Bürgermeister sind inhaftiert und durch Treuhänder ersetzt worden, und Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden missachtet.

Der ehemalige Vorsitzende der HDP (Vorläuferpartei der DEM), Selahattin Demirtaş, sitzt nach einer ungerechten und willkürlichen Verhaftung weiterhin im Gefängnis, genauso wie Tausende von kurdischen und linken politischen Gefangenen. Kurdische Reden im Parlament werden nicht einmal in die Protokolle aufgenommen.

Ein besonders deutlicher Beweis für die staatliche Missachtung demokratischer Rechte des kurdischen Volks war der Versuch einer Anweisung der Generalstaatsanwaltschaft im September an die Sosyalist Eşitlik Partisi – Dördüncü Enternasyona, die Sozialistische Gleichheitspartei in der Türkei, ihre Forderungen nach Schulbildung in der Muttersprache und dem offiziellen Status der kurdischen Sprache aus ihrem Parteiprogramm zu streichen.

Selbst die politischen Tendenzen, die an diesen Verhandlungen beteiligt sind, geben mittlerweile offen zu, dass sie reaktionären Zielen dienen. Der Kolumnist Yusuf Karadaş von der Zeitung Evrensel, die auf einer Linie mit der EMEP liegt und die Verhandlungen unterstützt, schrieb am Montag: „Das Palastregime [Erdoğans], das zusammen mit dem US-Imperialismus expansionistische Ambitionen in der Region verfolgt und sein repressives Regime innerhalb des Landes stärken will, hat keinen Plan für Frieden in der Region oder Demokratie im Land.“

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