Frankreichs Regierungs- und Schuldenkrise wächst – Mélenchon leugnet Krise des Kapitalismus

Angesichts der erbitterten Auseinandersetzungen in der französischen Nationalversammlung wird die Regierung am Montag voraussichtlich stürzen. In ganz Europa fordert die herrschende Klasse brutale Sozialkürzungen, um die rasant steigenden Militärausgaben und Staatsschulden zu finanzieren. Doch im französischen Parlament herrschen keine klaren Mehrheitsverhältnisse, und keine Oppositionspartei wagt es, die Austeritätspolitik von Präsident Emmanuel Macrons unpopulärer Minderheitsregierung zu unterstützen. In den bürgerlichen Medien wird offen die Befürchtung geäußert, Frankreich sei unregierbar.

Diese Krise der Herrschaft, deren Wurzeln im Versagen des Kapitalismus liegt, entlarvt Jean-Luc Mélenchon, dessen Partei Unbeugsames Frankreich (LFI) die Neue Volksfront (NFP) anführt. Es bahnt sich ein unlösbarer Klassenkonflikt an. Angesichts des Nato-Kriegs in der Ukraine gegen Russland und des Völkermords in Gaza plant die kapitalistische Oligarchie, die Sozialausgaben drastisch zu kürzen und die Arbeiter in die Armut zu stürzen, um hunderte Milliarden Euro in die Kriegsmaschinerie und die Banken umzuleiten. Diese Politik wird von den Arbeitern in ganz Europa abgelehnt.

Mélenchon macht jedoch nur zwei Männer für die gesamte Krise verantwortlich: Macron und Premierminister François Bayrou. Er behauptet, sie würden aus verräterischer Absicht und purer Bosheit eine Krise erfinden, und alles in Frankreich ließe sich lösen, wenn die Nationalversammlung es nur schaffen würde, sie abzusetzen. In seiner Rede auf der Sommerschule der LFI erklärte Mélenchon:

Warum sind sie Verräter? Weil keine Finanzkrise in Sicht ist. Das ist nicht wahr, aber wenn der Präsident oder der Premierminister immer wieder behaupten, es gäbe eine Krise, schafft man letztlich eine Katastrophenstimmung. Und genau das tun sie. Warum? Um die Finanzmärkte in die französische Politik intervenieren zu lassen, wie zuvor in Griechenland, in Italien und überall sonst. Das bedeutet, die Ratingagenturen ändern das Kreditrating, die Zinsen steigen, und man wird erstickt. Aber wir sind tausend Kilometer von einer solchen Situation entfernt. ...
Unser Ziel ist, dass [Macron] abtritt und vorgezogene Präsidentschaftswahlen stattfinden. Alles andere würde die Agonie des Systems nur verlängern. Das französische Volk hat ein Recht zu entscheiden, denn es wird eine große Frage hinsichtlich seiner Identität, seiner Organisation und des von ihm gewählten Kurs gestellt.

Mélenchons Behauptung, es gäbe keine Finanzkrise, ist falsch. Frankreichs Schulden betragen 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die kollektive Staatsverschuldung der Eurozone liegt bei 91 Prozent ihres BIP. Frankreich verliert jedes Jahr hunderte Milliarden Euro, während die herrschende Klasse das Land ruiniert – sie häuft Billionen Euro an Vermögen an und fordert weitere Dutzende Milliarden für die Vorbereitung eines „Krieges hoher Intensität“.

Während sich die Konflikte zwischen den Weltmächten verschärfen und die Banken eine Krise der globalen Anleihemärkte befürchten, besteht die reale Gefahr, dass es zu spekulativen Angriffen auf französische Staatsanleihen kommt, die Frankreich in den Bankrott treiben, wie es 2009 mit Griechenland passiert ist. Diese Möglichkeit ist nicht „tausend Kilometern entfernt“, sondern wird im politischen Establishment aktiv diskutiert.

Ein Kreditstreik der Finanzmärkte, ähnlich der „Geldmauer“, die Spekulanten gegen die französische Volksfrontregierung von 1936 bis 1938 errichteten und die Einführung von Sozialreformen verhinderten, würde die Arbeiterklasse vor revolutionäre Aufgaben stellen. Sie müsste die Vermögen der kapitalistischen Oligarchie enteignen, um soziale Bedürfnisse zu finanzieren und eine Arbeiterregierung zu bilden, um der Oligarchie die Macht zu entreißen und die Eskalation des Kriegs zu beenden.

Doch Mélenchon schweigt zum Scheitern des Kapitalismus, zum Kampf gegen imperialistischen Krieg und zur Notwendigkeit der Enteignung der Oligarchie.

Er flirtet zwar mit dem Eingeständnis, dass Frankreich vor einer revolutionären Krise steht, schlägt aber nur Reformen innerhalb der bestehenden Ordnung vor. So erklärt er: „Die jetzige Lage erinnert etwas an 1788“, womit er die Haushaltskrise der französischen Feudalmonarchie meint, die die Revolution von 1789 auslöste. Er verweist auf die Debatte zwischen den beiden Finanzministern von König Ludwig XVI., Jacques Necker und Charles-Alexandre Calonne, und argumentiert, es bestehe heute erneut die Wahl zwischen Freihandel oder staatlicher Intervention auf der Grundlage der bestehenden Gesellschaftsordnung:

Im Jahr 1788 und Anfang 1789 fand eine unglaubliche Debatte zwischen Turgot [Anm.: eigentlich Charles-Alexandre Calonne, ein Anhänger von Jacques Turgot, der 1781 gestorben war] und Necker statt. Ich werde nicht die ganze Geschichte erzählen, aber Turgot war für die freie Marktwirtschaft, Necker für staatliche Interventionen, die Abweichungen in der Geschichte zulassen. Das sollte euch an jemanden erinnern. Und zuletzt hat Ludwig, der hübsch, aber nicht sehr klug war, erst Necker ernannt, dann Turgot, und dann wieder Necker, und schließlich hat niemand gewusst, was passiert... Wir müssen uns entscheiden. Wird Freihandel oder ökologische Planung die Perspektive für soziales und ökologisches Wachstum liefern?

Mélenchons eigenes Beispiel spricht gegen ihn. Wenn unsere Lage der von 1788 entspricht, dann besteht eine unlösbare sozioökonomische Krise, die sich nicht durch den Austausch einiger Funktionäre an der Spitze lösen lässt. Die Wahl besteht heute nicht zwischen „Staatsinterventionisten“ und „Verfechtern des freien Markts“, genauso wie es im Jahr 1788 nicht um die Wahl zwischen Necker und Calonne ging. In der revolutionären Krise, die 1789 ausbrach, erwies sich die Wahl als Wahl zwischen Ludwig XVI. und den Jakobinern, die den revolutionären Sturz des Feudalismus und der Monarchie anführten.

Mélenchon pocht jedoch seit langem darauf, dass keine revolutionäre Führung aufgebaut werden sollte und keine sozialistische Revolution auf der Tagesordnung steht. Er fordert seit über einem Jahrzehnt eine „Bürgerrevolution“, die sich ausschließlich innerhalb der nationalen Grenzen Frankreichs abspielen soll. „Das Volk“ – und nicht die Arbeiterklasse – soll daran beteiligt sein, und sie soll ausschließlich über die Wahlurne stattfinden. So erklärte er bei der Sommerschule der LFI:

Die Kunst der Politik als Kunst der Leistung, die Kunst des strategischen Kampfs als Wissenschaft der Bewegung besteht darin, Dingen zur Kristallisation zu verhelfen. Deshalb glauben wir nicht, dass wir eine revolutionäre Führung sind. Wir haben uns ein Ziel gesetzt, indem wir analysiert haben, wie Bürgerrevolutionen aufgebaut sind, und da wir alle ihre Stadien verstanden haben, sagen wir, unsere Rolle besteht darin, beim Erreichen jeder Phase zu helfen und zur nächsten überzugehen.

Diese vage, pompöse Rhetorik – die keine Stellung nimmt zu den imperialistischen Nato-Kriegen, wie der Völkermord in Gaza beendet werden kann oder der Frage, was die Arbeiter nach Mélenchons Vorstellung tun sollen – ist eine politische Falle.

Wenn die herrschende Elite Macron absetzt, um die LFI an die Macht zu bringen, wird Mélenchon letzten Endes vor den Banken kapitulieren. Daran besteht kein Zweifel. Tatsächlich gibt es bereits lange Erfahrungen damit. In Griechenland führte die Wut über das Austeritätsdiktat der EU zum Wahlsieg von Syriza im Jahr 2015, einem Partner der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) in Mélenchons NFP. Doch angesichts der Spekulationen gegen die griechische Staatsverschuldung verriet Syriza ihre Wahlversprechen und zwang den griechischen Arbeitern neue Einsparungen in Milliardenhöhe auf.

Mélenchons Vergangenheit, vor allem seine Rolle in der Parti Socialiste (PS) während der Präsidentschaft von François Mitterand von 1981 bis 1995, muss als Warnung verstanden werden. Seine politische Laufbahn begann in Pierre Lamberts Organisation communiste internationaliste (OCI), die 1971 mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI), der Führung der trotzkistischen Weltbewegung, gebrochen hatte, um sich auf der Grundlage einer nationalen Perspektive mit der PS zu verbünden. Sie unterstützte das Bündnis aus PS und KPF, das eine „Volksregierung“ und linke Reformen nach dem Vorbild der Volksfront von 1936 versprach.

Mitterand wurde 1981 angesichts einer Welle der Begeisterung in der Bevölkerung gewählt, leitete aber 1982 einen „Austeritäts-Kurswechsel“ ein, da das französische Außenhandels- und Haushaltsdefizit stieg. Damit begannen vier Jahrzehnte sozialer Angriffe auf die Arbeiterklasse. Mélenchons Aufruf zu einer „Bürgerrevolution“ und einer Neuen Volksfront mit den Überresten von PS und KPF dienen nach 45 Jahren nur der Verteidigung derselben antitrotzkistischen Orientierung, um die Arbeiterklasse an den Kapitalismus zu binden – mitten in seiner tödlichen Krise.

Die Parti de l’égalité socialiste (PES), die französische Sektion des IKVI, erklärt, dass sich eine objektiv revolutionäre Krise anbahnt, die einen Kampf der Arbeiterklasse für die sozialistische Revolution erfordert. Die PES ruft zur Bildung von Aktionskomitees in Frankreich und ganz Europa auf, um die Kämpfe der Arbeiter vom Diktat der Gewerkschaftsbürokratien zu befreien und den notwendigen internationalen Kampf gegen imperialistischen Krieg, Völkermord und die kapitalistische Oligarchie zu koordinieren. Dem Versagen des kapitalistischen Europas setzt sie die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegen.

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