Die grauenhaften Nachrichten aus Gaza-Stadt, wo auf das Bombardieren und Aushungern jetzt die militärische Zerstörung folgt, haben auf der ganzen Welt Millionen Menschen auf die Beine gebracht. In Frankfurt am Main hat die Demonstration „United 4 Gaza“ am Samstag bis zu viermal so viele Teilnehmer wie angemeldet mobilisiert.
Die Schätzungen schwanken zwischen 15.000 und 20.000 Teilnehmern (angemeldet waren 5.000): Das war zweifellos die bisher größte Palästina-Demonstration seit Oktober 2023 in dieser Stadt.
Schon bei der Auftaktkundgebung war der Hafenpark vor der Europäischen Zentralbank von Menschen überflutet. Die Teilnehmer, darunter viele Familien mit Kindern, kamen nicht nur aus dem Rhein-Main-Gebiet; sehr viele waren auch aus Mannheim, Mainz, Stuttgart oder Nordrhein-Westfalen angereist. Jugendliche von „Students 4 Palestine“ aus 35 Universitäten hatten sich solidarisiert. Diese führten als Ordner die anschließende Demonstration durch die Innenstadt, die erst spätabends am Rossmarkt endete und sehr laut war mit Sprechchören wie: „Deutschland finanziert – Israel bombardiert“ oder: „We are thousands, we are millions – we all are Palestinians.“
Am Mikrofon berichteten Redner aus erster Hand aus Gaza-Stadt. Sie schilderten die jüngsten gezielten Morde an Medizinern und Journalisten und die Auswirkungen der Hungerkatastrophe auf die palästinensische Bevölkerung. Nebst einem Arzt sprach ein palästinensischer Einwohner Hessens, der fast seine ganze Familie im Gaza–Genozid verloren hat. Er sagte: „Das ist kein Konflikt, kein Krieg – das ist systematische Vernichtung. Die sogenannte ekelhafte Staatsräson bedeutet, dass Deutschland nicht einmal 100 Jahre nach dem Holocaust jetzt aufseiten Israels denselben Völkermord wieder betreibt.“
Die Stimmung war einhellig für den sofortigen Stopp des Genozids, der deutschen Waffenlieferungen und der Verfolgung derjenigen, die dagegen protestieren. Teilnehmer trugen Pappschilder, auch T-Shirts und umgehängte Plakate mit Aufschriften wie: „Deutschland, du hast nichts gelernt! Damals Täter, heute Sponsor“ – „Schluss mit der ‚Drecksarbeit‘! Nein zur Staatsräson“ –„Israel hungert 2 Millionen Menschen aus“ – „18.500 Children killed“ – „Nichts rechtfertigt Kriegsverbrechen“ – „Boycott Israel Apartheid“ – „Make Israel Palestine again“ – „Nie wieder? Von wegen!“ – oder einfach: „Free Palestine!“ Viele jüdische Teilnehmer waren zugegen, und ein Arbeiter hatte auf sein Plakat geschrieben: „Genozid is not kosher“.
Eine Frauengruppe aus Ingelheim am Rhein war mit einem großen Plakat: „We are not free until everyone is free!“ gekommen. Sie gaben der allgemeinen Stimmung für Gleichheit und Gerechtigkeit Ausdruck, als eine von ihnen sagte: „Gerecht ist es erst, wenn jeder auf der Welt in Freiheit leben kann!“ Zwei Arbeiter, die aus Mannheim zur Demonstration gekommen waren, betonten gegenüber der WSWS, dass es ihnen am wichtigsten sei, jeden Krieg und die Gewalt zu stoppen: „Massenmord bringt keinen Frieden!“
Eine Gruppe war aus Bielefeld (NRW) angereist, wo Jamal den Verein „Solidarität für Palästina“ gegründet hat. Theresa sagte: „Wo soll man da anfangen? Der Mord an den Palästinensern muss sofort aufhören und die Besatzung muss aufhören! Öffnet die Grenzen des Gazastreifens! Denn die Gaza-Bewohner sind ja eingesperrt. Sie können nicht einmal Reisepässe besorgen. Sie haben kein Recht auf ein normales Leben, auf Essen, Schule, Medikamente …“
Auf die Frage, was ihrer Meinung nach zu tun sei, forderte sie als erstes eine Waffenruhe und wies darauf hin, dass sich dem ja Israel aktuell verweigert. Wichtig sei auch, dass Netanjahu endlich vor Gericht gestellt und verurteilt werde, wie auch all seine Hintermänner. In dem kurzen Gespräch äußerte sie, dass sie einen internationalen Arbeiterboykott in jeden Fall begrüßen würde.
Zwei Freunde, Darios und Ludevic, erklärten ihre Teilnahme so: „Was da in Gaza passiert, ist ein Völkermord!“ Eigentlich müssten alle dagegen auf die Straße gehen. Ludevic betonte, dass „die Politik Deutschlands nicht nachvollziehbar“ sei. „Selbst jetzt, wo sogar Länder wie Frankreich – dessen Präsidenten Macron wir auch nicht unterstützen können – offiziell bereit ist, Palästina zu akzeptieren, weigert sich die deutsche Regierung, dasselbe zu tun.“ Eine Arbeiterin aus Mainz sagte einfach: „Ich will, dass dieses Töten und Aushungern ein Ende hat, und dass endlich Frieden ist!“
Die Kundgebung und Großdemonstration war ein weiteres eindrucksvolles Beispiel für die tiefe Kluft, die sich zwischen der breiten arbeitenden Bevölkerung und den staatlichen Behörden, den Politikern und den Medien auftut. Die Medien zögerten mit der Berichterstattung und taten alles, um die Demonstration als „islamistisch geprägt“ und „antisemitisch“ schlecht zu machen. Beispielsweise verbreitete die F.A.Z. die üble Schlagzeile: „Hippe Influencer als Vertreter der Kalifatsbewegung“, und behauptete in ihrem Artikel, professionelle Islamisten hätten die Bewegung „okkupiert“ und „die hehre Absicht gutgläubiger Teilnehmer konterkariert“.
Der Magistrat und die Stadtregierung taten im Vorfeld der Demonstration alles in ihrer Macht Stehende, um diese zu verbieten. Die Organisatoren mussten erst zwei weitere Instanzen, das Frankfurter Verwaltungsgericht und den Hessischen Verwaltungsgerichtshof, durchlaufen, welche bestätigten, dass das Verbot „nicht im Ansatz gerechtfertigt“ war. Treibende Kräfte hinter dem Verbot waren im Frankfurter Magistrat die CDU- und FDP-Fraktion sowie die Jüdische Gemeinde, denen sich auch die Römerfraktionen von Volt und den Grünen angeschlossen hatten.
Erst spät entschloss sich die Linkspartei im Römer, die Demo zu unterstützen, und fand es „[a]ngesichts der katastrophalen Situation für die Menschen in Gaza“ als „geboten, auch in Deutschland ein Zeichen zu setzen“, wie der Kreisverbandsvorsitzende Tobias Blank schrieb. Wer dagegen heftig gegen die Demonstration Sturm lief, war Jutta Ditfurth (Ökolinx-ELF). Sie kritisierte schon die Auftaktkundgebung vor der Europäischen Zentralbank mit der absurden Behauptung, dies knüpfe „an antisemitische Assoziationsräume von Jüdinnen und Juden mit dem Kapital an“.
Ein riesiges Polizeiaufgebot begleitete die Demonstration und behinderte sie auf Schritt und Tritt. So mussten die Teilnehmer stundenlang warten, bis sie loslaufen durften, und aus der Menge heraus wurden einzelne Teilnehmer wegen unbotmäßiger Plakate herausgezogen. Ein Sprecher wurde sogar wegen „verbotener Äußerungen“ festgenommen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Hysterie, mit der diese Kräfte sich gegen die Demonstration und Kundgebung stellen, zeigt die Furcht, die das Bürgertum und seine politischen Lakaien vor dem anwachsenden Widerstand ergreift. Dagegen bewies die Demonstration vom Samstag eindrücklich das große Potential und die Kampfbereitschaft gegen Krieg und Faschismus, die in der Arbeiterklasse und Jugend besteht.
Um diese allerdings wirksam werden zu lassen, braucht es eine klare und weiterführende Perspektive – und diese fehlt bisher völlig. Auf die Frage, wie der Genozid gestoppt werden könne, lauteten die Antworten hauptsächlich: „Wir lassen uns den Mund nicht verbieten, wir werden weiterhin laut sein.“ Ein Plakat hatte die Aufschrift: „Was du tun kannst? Hinsehen! Zuhören! Laut sein!“ Doch diese Proteste und Appelle richten sich an immer dieselben Regierungspolitiker und imperialistischen Mächte, die den Gaza-Genozid organisieren und aktiv unterstützen.
Aber die kapitalistischen herrschenden Eliten sind durch Proteste nicht umzustimmen. Sie führen den Genozid als Bestandteil eines eskalierenden globalen Kriegs, der ihren imperialistischen Interessen dient. Mit dem Völkermord in Gaza demonstrieren sie, dass sie bereit sind, ohne alle Hemmungen ungezügelte Gewalt anzuwenden. Wer diese Barbarei stoppen will, darf sich deshalb nicht länger an die kapitalistischen Regierungen, sondern muss sich an die internationale Arbeiterklasse wenden.
In ihrem Aufruf, „Arbeiter aller Länder: Stoppt die imperialistisch-zionistische Auslöschung der Palästinenser in Gaza!“ erklärt die World Socialist Web Site, was dafür nötig ist:
Die dringende Aufgabe der Arbeiterklasse in den imperialistischen Zentren besteht darin, ihre immense gesellschaftliche Macht zu mobilisieren, um den Völkermord in Gaza und die dafür verantwortliche Kriegsmaschinerie zu stoppen. Arbeiter in der Fertigungsindustrie, im Transportwesen und anderen Schlüsselbranchen müssen sich gegen die Gewerkschaftsbürokratie organisieren, um für folgende Forderungen zu kämpfen:
● Sofortiger Stopp aller Waffenlieferungen an Israel.
● Boykott aller Handels- und sonstigen wirtschaftlichen Aktivitäten mit Israel.
● Amerikanische, europäische und andere Unternehmen, die Israel bei der Durchführung des Völkermords unterstützen, müssen angeklagt und strafrechtlich verfolgt werden.
● Verhaftung israelischer Staatsführer wegen Kriegsverbrechen.
● Schluss mit der Unterdrückung der Opposition gegen den Völkermord in Gaza.
● Sofortiger und ungehinderter Zugang für Hilfslieferungen nach Gaza über alle verfügbaren Grenzübergänge.