Am Donnerstag traten die Beschäftigten des öffentlichen Sektors in Griechenland in einen eintägigen Streik, um gegen ein arbeiterfeindliches Gesetz der rechten Regierung unter Nea Dimokratia (ND) zu protestieren. Es ermöglicht längere Arbeitszeiten von bis zu 13 Stunden am Tag sowie eine Verschärfung der Disziplinarmaßnahmen gegen Mitarbeiter im öffentlichen Dienst.
Das neue Disziplinarrecht wurde am Donnerstag im Parlament mit den Stimmen der Regierungspartei verabschiedet, während sich draußen auf dem Syntagma-Platz Hunderte Angestellte und Arbeiter versammelten. Auch in der zweitgrößten Stadt Thessaloniki fand eine Kundgebung statt.
Die herrschende Klasse bereitet sich mit den Gesetzesänderungen auf einen stürmischen Herbst vor – nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa. Von Berlin und Paris bis Athen führen alle Regierungen einen Generalangriff auf die sozialen und politischen Rechte der Arbeiter durch, um die gigantische militärische Aufrüstung zu finanzieren. In Frankreich stehen im September Massenproteste gegen den Sparhaushalt an.
In Griechenland findet der jüngste Streik vor dem Hintergrund einer tiefen sozialen und politischen Krise statt, die sich seit Beginn der Spardiktate immer weiter verschärft hat und einen Siedepunkt erreicht. Die Wut griechischer Arbeiter und Studenten über die hohen Lebenshaltungskosten, niedrigen Löhne und langen Arbeitstage kocht.
Mit dem eintägigen Streik am Donnerstag versuchen die Gewerkschaftsführungen einer größeren Protestbewegung vorzubeugen. Die Erinnerung an die jüngsten Massendemonstrationen im März, die eine Aufklärung des Tempi-Zugunglücks forderten und zum Teil einen spontanen Charakter annahmen, sind noch frisch. Erst im April hatten Arbeiter in einem eintägigen Generalstreik höhere Löhne gefordert.
Zu dem Streik hat der Gewerkschaftsverband des öffentlichen Sektors ADEDY aufgerufen. Unter anderem die Gewerkschaften der Krankenhausärzte, der Lehrer, der kommunalen Verwaltung und der Justiz nahmen daran teil.
Ursprünglich wollten auch die griechischen Fluglotsen vier Stunden die Arbeit niederlegen. Doch ein Gericht in Athen erklärte den Streik für rechtswidrig, woraufhin die Fluglotsen-Gewerkschaft ihre Streikankündigung zurücknahm. Ähnliche Streikverbote wurden in den letzten Jahren mehrmals verhängt, um die Opposition zu unterdrücken.
Bezeichnenderweise hat der GSEE, der zweite große Gewerkschaftsverband Griechenlands, der den privaten Sektor vertritt, lediglich eine zahnlose Kritik am Arbeitsgesetz veröffentlicht, seine Mitglieder aber weder zum Streik noch zu anderen Protestaktionen aufgerufen. Offensichtlich sind die Gewerkschaftsspitzen mitten in der Sommersaison darauf bedacht, die Profite der Tourismusbranche nicht zu gefährden – und sei es nur durch einen harmlosen Eintagesprotest.
Das neue Arbeitsgesetz umfasst mehrere Änderungen, die darauf ausgerichtet sind, die kapitalistische Ausbeutung weiter zu verschärfen und rechtlich zu zementieren:
- Einführung eines 13-Stunden-Tags: Das Gesetz ermöglicht eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf bis zu 13 Stunden. Zusätzlich zur Regelarbeitszeit von 40 Wochenstunden dürfen bis zu acht Überstunden pro Woche gemacht werden.
- Einführung der Vier-Tage-Woche, bei der die 40 Wochenstunden auf vier Tage mit jeweils zehn Stunden verteilt werden. Im vergangenen Jahr wurde bereits eine Sechs-Tage-Woche für bestimmte Wirtschaftszweige legalisiert.
- Eine kurzfristige Einstellung von Saisonarbeitskräften und Aushilfen soll über eine Smartphone-App ermöglicht werden.
- Die Verschärfung des Disziplinarrechts für öffentliche Bedienstete zielt darauf ab, politische Opposition zu kriminalisieren.
Das Arbeitsministerium begründet die Maßnahmen mit den typischen Floskeln vom „Bürokratieabbau“, der Bekämpfung des „Fachkräftemangels“ und der „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarkts – alles Begriffe, die nur notdürftig verschleiern, dass es um eine systematische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Aushöhlung des Arbeitsrechts im Interesse der Konzerne geht. Der Achtstundentag, der im Zuge der Sparpolitik der letzten Jahren ohnehin schon weitgehend untergraben wurde, wird nun auch offiziell abgeschafft.
Die Wut der Demonstranten richtet sich besonders gegen die Verschärfung des Disziplinarrechts. Es markiert einen enormen Angriff auf die demokratischen Freiheiten und Rechte der Beschäftigten. Wer sich gegen die langen Arbeitstage, niedrigen Löhne und katastrophalen Arbeitsbedingungen zur Wehr setzt, soll mit Repressalien zum Schweigen gebracht werden.
Im neuen Disziplinarrecht werden strengere Strafen eingeführt, darunter Entlassung, Gehaltskürzungen, Rückstufung sowie Bußgelder bis zu 100.000 Euro. Die Verfahren zur Disziplinarverfolgung sollen stark beschleunigt werden. In neu geschaffenen Disziplinarräten für den öffentlichen Dienst werden nicht mehr wie bisher Arbeitnehmervertreter und Justizmitarbeiter eingebunden sein.
Was vor allem Lehrer besorgt: Künftig soll es als Disziplinarvergehen gewertet werden, wenn sie sich weigern, an einer Leistungsbeurteilung teilzunehmen. Die Regierung hat ein Evaluierungssystem an den Schulen eingeführt, um Lehrer durch regelmäßige Bewertungen zu kontrollieren und unter Druck zu setzen. 2021 löste dieser Schritt Massenproteste unter Lehrern und Schülern aus. Bildungsministerin war damals Niki Kerameos – die jetzige Arbeitsministerin, die für das drakonische Arbeitsgesetz verantwortlich ist.
Im Kern sind die verschärften Disziplinarstrafen darauf ausgerichtet, Arbeiter und Angestellte einzuschüchtern, sie politisch auf Linie zu bringen und diejenigen, die sich an gewerkschaftlichen und linken Aktivitäten beteiligen, zu kriminalisieren.
Wenn Griechenland als erstes Land der Europäischen Union einen 13-Stunden-Tag einführt, dann legalisiert es die bereits bestehenden Verhältnisse: Die meisten Arbeiter müssen schon jetzt zwei Jobs oder mehr annehmen, um über die Runden zu kommen. Der Achtstundentag existiert längst nur noch auf dem Papier.
Kerameos hat die Einführung des 13-Stunden-Tags zynisch mit den Worten gerechtfertigt: „Erstens ist es eine Möglichkeit, keine Verpflichtung. Zweitens muss der Mitarbeiter zustimmen. Drittens brauchen Sie so als Angestellter keinen zweiten Job.“ Ein griechischer Arbeiter, der in einem Vollzeitjob nur 700 Euro verdient, „darf“ dann künftig 13-Stundentage arbeiten, statt sich einen zweiten Job zu suchen. Von „Freiwilligkeit“ kann hier natürlich keine Rede sein, denn die Not des Überlebens zwingt die Arbeiter zu überlangen Arbeitszeiten.
Der 13-Stunden-Tag in Griechenland wäre das Einfallstor für ähnliche Gesetzesänderungen in ganz Europa. In Deutschland hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in diesem Mai bereits gefordert, „wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) lieferte sogleich das statistische Futter: „Dabei gibt eine IW-Auswertung auf Basis von OECD-Daten dem Kanzler recht: Demnach arbeitete ein Deutscher im Erwerbsalter – also zwischen 15 und 64 Jahren – 2023 im Schnitt 1.036 Stunden. Ein Grieche kommt durchschnittlich auf 1.172 Stunden, ein Pole auf 1.304 Stunden.“
Gerade in Griechenland und Polen, die hier als Vorbilder herangezogen werden, hat die deutsche herrschende Klasse unter dem Schirm der Europäischen Union in den letzten Jahren eine soziale Katastrophe angerichtet und Arbeiterrechte mit Füßen getreten. Dasselbe will sie im eigenen Land umsetzen.
Die soziale Not zeigt sich im Sommer besonders deutlich: Während viele Griechen im Tourismusgewerbe arbeiten, konnte sich fast die Hälfte aller Griechen über 16 Jahre (46 Prozent) im vergangenen Jahr 2024 nicht einmal einen einwöchigen Urlaub leisten. Damit liegt Griechenland in der Statistik der EU auf dem zweitletzten Platz vor Rumänien. Hauptgrund sind die hohen Preise, steigenden Wohnkosten und stagnierenden Löhne.
Gleichzeitig werden immer mehr Arbeiter Opfer der brutalen Ausbeutungsbedingungen. Arbeitshetze, Deregulierung und mangelnde Sicherheit am Arbeitsplatz führen in Griechenland – ähnlich wie etwa in den USA und Italien – häufig zu tödlichen Arbeitsunfällen. Das eigentliche Ausmaß spiegelt sich in der offiziellen Statistik nicht wider. So sind laut aktuellen Angaben des Griechischen Statistikamts 51 Menschen im Jahr 2023 bei einem Arbeitsunfall gestorben. Doch die Dunkelziffer ist viel höher, da nur etwa 30 bis 40 Prozent der Arbeitsunfälle erfasst werden. Der Verband der Gewerkschaften technischer Unternehmen Griechenlands (OSETEE) zählte 179 tödliche Arbeitsunfälle im Jahr 2023 und etwa 150 im vergangenen Jahr – dreimal soviel wie das Statistikamt.
Die Gewerkschaftsführer der ADEDY, die den Streik am Donnerstag organisiert haben, wollen in Wirklichkeit keinen wirksamen Widerstand gegen die Regierung mobilisieren, sondern im Gegenteil sicherstellen, dass ein solcher Widerstand nicht außerhalb ihrer Kontrolle entsteht. Sie sind selbst über Jahrzehnte hinweg mitverantwortlich für die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen, indem sie unzählige Proteste isoliert und in kleinem Rahmen gehalten haben.
Zudem gehören sie zur selben politischen Sippschaft und sozialen Schicht wie die Regierenden. Der derzeitige Vorsitzende von ADEDY, Apostolos Mousios, ist ein langjähriger Funktionär der rechten Gewerkschaftsfraktion DAKE, die der Regierungspartei Nea Dimokratia nahesteht. Sein Vorgänger war führendes ND-Mitglied.
Die nominellen Oppositionsparteien Syriza, die sozialdemokratische Pasok und die stalinistische KKE, die im Parlament gegen das Disziplinarrecht gestimmt haben, verteidigen ebenso wie die Gewerkschaften das kapitalistische System. Im Fall von Syriza und Pasok haben sie jahrelang brutale Sparmaßnahmen im Auftrag der EU umgesetzt.
Die Verteidigung der sozialen Errungenschaften stellt Arbeiter in Griechenland unweigerlich vor die Aufgabe, eigene Kampforgane unabhängig von den prokapitalistischen Gewerkschaften und Parteien aufzubauen: Aktionskomitees, die in der Internationalen Arbeiterallianz IWA-RFC international vernetzt sind, von den Beschäftigten selbst kontrolliert werden und einen echten Generalstreik vorbereiten – keine einzelnen Pseudo-Streiks, wie sie bisher von den Gewerkschaften als Begleitmusik zur Umsetzung der Sparmaßnahmen organisiert wurden.
Gleichzeitig können die Sozialangriffe nur im Kampf für eine sozialistische Perspektive gegen die Kriegspolitik zurückgeschlagen werden. Die Regierung in Athen hat ein enormes militärisches Aufrüstungsprogramm angekündigt und spielt eine wichtige Rolle im Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland. Mit Verteidigungsausgaben von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukt gehört Griechenland schon jetzt zu den Nato-Ländern mit dem größten Militärhaushalt.
Bis zum Jahr 2036 sollen 25 Milliarden Euro in die Aufrüstung investiert werden. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sprach im April von der „drastischsten Transformation“ in der Geschichte der Armee. Geplant ist unter anderem ein neues Luftverteidigungssystem namens „Schild des Achilles“ nach dem Vorbild des Iron Dome in Israel.
Die arbeitende Bevölkerung muss einschreiten und im Bündnis mit ihren europäischen Kollegen den Kriegswahnsinn und die damit verbundenen Angriffe stoppen. Das erfordert eine unabhängige sozialistische Perspektive und den Aufbau des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Griechenland und ganz Europa als neue revolutionäre Führung der Arbeiterklasse.
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