Perspektive

Das „1619 Project“ revisited: Eine rückblickende Bewertung vor dem Hintergrund von Trumps Angriff auf die Demokratie

Bewaffnete Soldaten der Nationalgarde von West Virginia am Lincoln Memorial in der US-Hauptstadt Washington, 26. August 2025 [AP Photo/Rod Lamkey, Jr.]

Vor rund sechs Jahren, am 14. August 2019, fiel der Startschuss für das „1619 Project“ der New York Times. Dieses Projekt ist ein umfassender, multimedialer Angriff auf die Geschichte der Amerikanische Revolution und des Bürgerkriegs – die beiden Revolutionen, die Republik und Demokratie in den USA geprägt haben.

Nicht im Jahr 1776 habe die „wahre Gründung” der Vereinigten Staaten stattgefunden, behauptete die Initiatorin des Projekts, Nikole Hannah-Jones. Diese Gründung sei vielmehr auf das Jahr 1619 zu datieren, aus dem die ersten Belege für die Ankunft versklavter Afrikaner im kolonialen Virginia stammten. Der Rest der amerikanischen Geschichte, so die beharrliche Botschaft des Projekts, sei vom langen Dunkel des Rassismus geprägt gewesen, das sich nur gelegentlich etwas lichtete durch die Bemühungen schwarzer Amerikaner, die „allein“ zur Rettung der Demokratie gekämpft hätten.

Bei der Vorstellung dieses Projekts verkündete die New York Times, dass sie sich zum Ziel gesetzt hat, die Art und Weise, wie die Amerikanische Revolution und der Bürgerkrieg in den Schulen vermittelt werden, entscheidend zu verändern. Die Aufsätze, die zum Auftakt des Projekts am 14. August in der Zeitung veröffentlicht worden waren, wurden anschließend zu Zehntausenden nachgedruckt und an Schulen im ganzen Land verteilt. Von nun an sollten die amerikanische Revolution und der Bürgerkrieg als beschämende Kapitel in der Geschichte des amerikanischen Rassismus verstanden werden. Ihren Anführern – von Washington bis Lincoln – sollte ihr unverdienter Ruf als Helden der Demokratie für immer genommen werden.

Die World Socialist Web Site erkannte das „1619 Project“ sofort als Geschichtsfälschung und veröffentlichte am 3. September 2019 eine systematische Kritk. Es folgte eine Reihe von Interviews mit führenden Historikern, darunter James McPherson, Gordon Wood, Victoria Bynum, James Oakes, Dolores Janiewski, Adolph Reed Jr., Richard Carwardine und Clayborne Carson. Diese Artikel und Interviews wurden hunderttausendfach gelesen und erregten Aufmerksamkeit in nationalen und internationalen Medien.

Am 4. Juli 2020 organisierte die WSWS ein Webinar mit Wood, Carwardine, Oakes, Bynum und Carson. Der Diskussion folgte ein internationales Publikum aus 72 Ländern, mit etwa 3.000 Zuschauern, die live teilnahmen, und vielen Tausenden weiteren in den folgenden Tagen. In der Diskussion wurden wichtige historische Probleme thematisiert, unter anderem die Auswirkungen der Unabhängigkeitserklärung; welche Rolle Thomas Jefferson, Abraham Lincoln und Frederick Douglass spielten; die globalen Auswirkungen des Bürgerkriegs; die Debatten in der Geschichtswissenschaft über die Bedeutung von Revolutionen sowie der Kategorien „Klasse“ und „Rasse“ in der Geschichte; und die sich verschärfende Krise der sozialen Ungleichheit.

Durch ihr Eingreifen, zu der auch eine Vortragsreihe an großen amerikanischen Universitäten gehörte, deckte die WSWS die wesentlichen Falschdarstellungen und Verzerrungen des „1619 Project“ auf: seine Darstellung der Sklaverei als eine den USA eigene Version der „Erbsünde“, die nichts mit dem entstehenden globalen kapitalistischen System zu tun habe; die Leugnung des multiethnischen Charakters der Abolitionisten-, Bürgerrechts- und Arbeiterbewegung; die Behauptung, dass alle heutigen sozialen Missstände auf den Rassismus gegen Schwarze zurückzuführen seien, der angeblich in einer nationalen „DNA“ der USA verwurzelt sei; und Hannah-Jones' ignorante Behauptung, dass Generationen von „weißen Historikern“ die Diskussion über die Sklaverei mit einer Zensur belegt hätten.

Wie die WSWS erklärte, zeigten diese Aussagen, bei denen es sich um reine Erfindungen handelt, dass die Times mit dem Projekt ein übergeordnetes Ziel verfolgte: die Spaltung von amerikanischen Arbeitern und Jugendlichen nach Hautfarbe zu fördern, indem die Zeitung der amerikanischen Geschichte einen rassistischen Mythos überstülpte. Laut Times-Redakteur Dean Baquet war es der Versuch, den Lesern der Zeitung das Denken entlang der Kategorie „Rasse“ näherzubringen. Das Projekt selbst symbolisierte und projizierte dann eine beinahe zoologische Geschichtstheorie, die davon ausging, dass nur „schwarze Menschen“ die „schwarze Geschichte“ intuitiv verstehen könnten. Der Herausgeber des New York Times Magazine, Jake Silverstein, erklärte: „Wir wussten von Anfang an, dass wir ein Magazin wollten, das sich fast ausschließlich aus Beiträgen schwarzer Schriftsteller, Denker, Fotografen und Künstler zusammensetzt. Das war nicht verhandelbar.“

Im Zentrum all der vielen Verzerrungen und Erfindungen des 1619-Projekts stand eine Lüge, aus der alle anderen hervorgingen: die Behauptung, dass die Amerikanische Revolution und der Bürgerkrieg keine fortschrittlichen Meilensteine der Weltgeschichte im Kampf für Demokratie und die Befreiung des Menschen waren – trotz der vielen Unzulänglichkeiten, die ihnen durch ihre Zeit auferlegt waren. Laut Hannah-Jones handelte es sich dabei gar nicht um Revolutionen, sondern um Konterrevolutionen, angeheizt durch den Hass der Weißen auf die Schwarzen, der als überhistorisches Phänomen die Ereignisse bestimmt. Das Britische Empire, so legte sie nahe, sei die fortschrittliche Kraft in der Amerikanischen Revolution. Was den Bürgerkrieg angeht, so habe es keinen Unterschied zwischen den Nord- und Südstaaten gegeben. Es war ein Krieg zwischen Brüdern, von denen einer so rassistisch war wie der andere.

Diese Position – mit all ihren weitreichenden Implikationen für die Geschichte der USA und der Welt – lief letztlich auf die Behauptung hinaus, dass es in den USA nie eine demokratische Revolution gegeben habe und dass es daher auch keine Demokratie gebe, die es zu verteidigen lohne.

Vor sechs Jahren warnte die WSWS, dass die pauschale Verunglimpfung der Amerikanischen Revolution und des Bürgerkriegs durch das „1619 Project“ der extremen Rechten eine mächtige Waffe in die Hand geben würde. „Indem sie sich von der Amerikanischen Revolution und vom Bürgerkrieg distanzierte und diese verteufelte“, schrieben wir, „verschaffte die New York Times Trump eine Gelegenheit“ – der diese Chance rasch ergriff und drohend versprach, „patriotische Erziehung“ durchzusetzen, damit „unsere Jugend gelehrt wird, Amerika zu lieben“.

Wie die WSWS vorausgesagt hatte, lieferte das 1619-Projekt Treibstoff für die Bemühungen der Bundesstaaten und der Regierung in Washington, das Bildungswesen ihrer verschärften Kontrolle zu unterwerfen, Bücher zu verbieten und nationalistische Lehrpläne durchzusetzen. Als Teil dieses Programms griff Trump in der vergangenen Woche das Smithsonian Institution an. Die Versuche der New York Times, die amerikanische Geschichte aus der Perspektive des schwarzen Nationalismus umzuschreiben, schufen eine Gelegenheit dafür, auf offizieller Ebene eine weiß-nationalistische Version durchzusetzen.

Die politische Agenda, die dem „1619 Projekt“ zugrunde liegt, spielte eine nicht unerhebliche Rolle bei Trumps Sieg. Die zynische Ansicht der Demokratischen Partei, dass die Fixierung auf die Frage der Hautfarbe die sozialen und wirtschaftlichen Missstände überwiegen würde, war eine katastrophale politische Fehleinschätzung. Bei den Wahlen 2024 kam es zu deutlichen Verschiebungen unter Wählern aus armen Verhältnissen und aus der Arbeiterklasse. Dazu gehörte ein historischer Zuwachs bei der Unterstützung schwarzer Amerikaner für Trump, deren Anteil an seinen Wählern sich gegenüber früheren Wahlzyklen mehr als verdoppelte.

Wenn wir sechs Jahre später die Auseinandersetzung um das 1619-Projekt erneut betrachten, dann haben wir kein Interesse daran, auf Kosten der weitgehend diskreditierten Hannah-Jones zu punkten, die nie mehr als eine Galionsfigur war. Wir wollen vielmehr die Frage stellen, welche Lehren aus dieser Erfahrung gezogen werden können.

Eines der entscheidenden Probleme, das durch die gesamte Angelegenheit deutlich wurde, ist der anhaltende Niedergang des amerikanischen Geisteslebens. Die jahrzehntelange Förderung von Identitätspolitik in der Wissenschaft und die damit einhergehende Attacke auf den Marxismus, den Materialismus, auf gesellschaftliche „Klasse“ als Kategorie und auf das Konzept des Fortschritts in der Geschichte – das, was die Postmodernisten als „Metanarrativ“ verspotten – haben erheblich zu der politischen Verwundbarkeit der Bevölkerung gegenüber der faschistischen Bedrohung beigetragen.

Wenn, wie Hannah-Jones behauptete, das Versprechen von Freiheit und Gleichheit, das in der Unabhängigkeitserklärung festgehalten wurde, „falsch war, als es geschrieben wurde”; wenn, wie sie behauptete, der Bürgerkrieg geführt wurde, um eine „Versöhnung mit den ehemaligen Konföderierten und die Wiederherstellung der Vorherrschaft der Weißen” zu erreichen, dann gibt es keine amerikanische Demokratie, die man verteidigen könnte – nicht die Unabhängigkeitserklärung, nicht die Verfassung, nicht die Bill of Rights oder die Verfassungsänderung im Zuge des Bürgerkriegs, durch die die gesamte Bevölkerung die Staatsbürgerschaft und das Recht auf ein ordentliches Verfahren erhielten, einschließlich der Kinder von Einwanderern, also ein großer Teil der amerikanischen Bevölkerung gestern und heute, den das 1619-Projekt überhaupt nicht erwähnt.

Das 1619-Projekt muss selbst von einem Klassenstandpunkt verstanden werden. Es geht nicht einfach darum, dass die Times sich in Bezug auf die Geschichte „geirrt“ hat oder dass sie sich verspekuliert hat, als sie vor den US-Wahlen 2020 einer Politik, die Hautfarbe ins Zentrum stellt, das Wort redete. Das 1619-Projekt war nach der Weltanschauung und den Klasseninteressen der „Wählerbasis“ der Demokratischen Partei innerhalb der wohlhabenden Mittelschicht ausgerichtet. Es ist diese Schicht der Bevölkerung, die darum bemüht ist, die Klassenfrage in Vergangenheit und Gegenwart zu verschleiern – zugunsten verschiedener Formen der Identität. Sie erhofft sich, dadurch an Positionen und Vorteile in der Gegenwart zu gelangen.

Die Times war dabei ganz eindeutig nicht allein. Nach der Veröffentlichung des Projekts stellten sich „linke“ Akademiker und verschiedene pseudolinke Gruppierungen, die um die Demokratische Partei kreisen, geschlossen hinter das Projekt, um dessen Standpunkte zu unterstützen und zu verbreiten. Abweichende Meinungen stellten sie als böswillig oder sogar rassistisch dar und unterbanden eine echte wissenschaftliche Debatte. Dieser Angriff richtete sich vor allem gegen die WSWS und die prinzipiellen Wissenschaftler, die sie interviewt hatte.

Und wo sind diese Kräfte jetzt? Was haben sie zum Völkermord in Gaza zu sagen? Zum Wachstum von Diktatur und Ungleichheit? Zum fortschreitenden Weltkrieg? Hannah-Jones, die mit dem „1619 Project“ Millionen verdient hat, schweigt und hat in den letzten zwei Jahren nur einen Artikel für die Times geschrieben – wobei sie kürzlich in einem Interview mit MSNBC auftrat und dort behauptete, Trumps Politik ziele darauf ab, „arbeitenden Weißen […] das Gefühl zu geben, rassisch überlegen und mächtig zu sein“.

Was die pseudolinken Gruppen angeht, die das 1619-Projekt unterstützt haben, so haben diese angesichts der sich ausbreitenden Diktatur der Trump-Regierung weitgehend geschwiegen. Das Magazin Jacobin zum Beispiel hat keinen einzigen Artikel oder Kommentar veröffentlicht, in dem Trumps Einsatz der Nationalgarde in Washington kritisiert wird. Die Redaktion wartet noch ab, wie sich die Demokratische Partei verhalten wird.

Die Arbeiterklasse – Weiße, Schwarze oder Einwanderer –, für die die Verteidigung der Demokratie eine Frage von Leben und Tod ist, kann nicht so gleichgültig sein. Am 14. Juni 2025 nahmen mehr als 6 Millionen Menschen an den „No Kings“-Protesten in über 2.000 Städten und Gemeinden im ganzen Land teil, was diese zu einer der größten koordinierten Demonstrationen in der Geschichte der USA machte. Bei den Kundgebungen gegen die zunehmend autoritäre Herrschaft, kamen Teilnehmer massenhaft zusammen und trugen handgemachte Schilder mit der Aufschrift „No Kings“ – eine ausdrückliche Anspielung auf den antimonarchistischen Geist und die demokratischen Prinzipien der amerikanischen Revolution.

Vor langer Zeit erkannte Marx, dass die ersten beiden amerikanischen Revolutionen eine dramatische Entwicklung des Klassenkampfs ankündigten. Im amerikanischen Bürgerkrieg „fühlten die Arbeiter Europas instinktmäßig, dass an dem Sternenbanner das Geschick ihrer Klasse hing”, schrieb er an Lincoln. „Die Arbeiter Europas sind von der Überzeugung durchdrungen, dass, wie der amerikanische Unabhängigkeitskrieg eine neue Epoche der Machtentfaltung für die Mittelklasse einweihte, so der amerikanische Krieg gegen die Sklaverei eine neue Epoche der Machtentfaltung für die Arbeiterklasse einweihen wird.”

Nach den monarchistischen Tories der 1770er Jahre und den aristokratischen Sklavenhaltern der 1860er Jahre steht der Bevölkerung nun eine dritte, viel gewalttätigere herrschende Klasse, vertreten durch Trump, gegenüber. Es ist kein Zufall, dass Trump versucht, die Führer der alten Südstaaten zu rehabilitieren. Es ist, als wolle er Amerika so umkrempeln, wie es seiner Meinung nach ausgesehen hätte, wenn die Südstaaten den Bürgerkrieg gewonnen hätte.

Aber sowohl Trump als auch das „1619 Project“ irren sich gewaltig in Bezug auf die amerikanische Geschichte. Zu den mächtigsten Waffen der Arbeiterklasse gegen die Oligarchie gehört das revolutionäre Erbe der Amerikanischen Revolution und des Bürgerkriegs. Diese epochalen Kämpfe zeigen, dass keine etablierte Macht – Monarchien, Sklavenhalter oder Kapitalisten – außerhalb der Reichweite der Revolution liegt, vorausgesetzt, das politische Programm der Revolution ist auf der Höhe der Zeit. Diese Tradition des radikalen, universellen Egalitarismus, die aus den Idealen der Aufklärung hervorgegangen ist und in der marxistischen Bewegung weitergeführt wurde, bietet die progressive Alternative zur Politik der Spaltung entlang von Hautfarbe und Nationalität.

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