Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den Gesetzentwurf für einen neuen Wehrdienst auf den parlamentarischen Weg gebracht. Damit verschärft die herrschende Klasse ihre Bemühungen, die Bundeswehr massiv zu vergrößern und das notwendige Kanonenfutter für die kommenden Kriege des deutschen Imperialismus auszuheben. Gleichzeitig beschloss die Regierung die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats – ein weiterer Schritt in Richtung Militarisierung und autoritärem Staatsumbau.
Der vom Kabinett gebilligte Entwurf für ein Wehrdienst-Modernisierungsgesetz (WDModG) sieht ab dem 1. Januar 2026 die Einführung einer neuen Wehrerfassung vor. Alle jungen Männer zwischen 18 und 25 Jahren müssen künftig einen Fragebogen ausfüllen, Frauen können dies freiwillig tun. Geeignete Kandidaten werden zur Musterung eingeladen.
Ab 2027 soll die Musterung für alle Männer verpflichtend sein. Der Dienst wird mit erheblich höheren Soldzahlungen attraktiver gemacht: Wehrdienstleistende sollen künftig wie Zeitsoldaten bezahlt werden und über 2000 Euro netto im Monat erhalten.
Offiziell ist der Wehrdienst zunächst freiwillig, doch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) machte klar, dass mittelfristig Zwangselemente unausweichlich sind: „In dem Augenblick, in dem wir feststellen, dass das [mit der Freiwilligkeit] nicht funktioniert, wird eine Entscheidung herbeigeführt werden müssen, verpflichtend eine Teilwiedereinsetzung der Wehrpflicht herbeizuführen“, erklärte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Ziel ist, die Truppenstärke rasch um 80.000 Soldaten auf insgesamt 260.000 zu erhöhen – entsprechend den NATO-Vorgaben. Mit dem Wehrdienst will die Regierung vor allem die Reserve massiv ausbauen. Junge Rekruten sollen nach Ende ihres Dienstes als Reservisten verfügbar bleiben.
Schon jetzt gehen führende Militärs und Politiker offen davon aus, dass Freiwilligkeit nicht ausreichen wird und der Pflichtdienst schnell eingeführt werden muss. André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbands, erklärte: „Wir haben keine Zeit. Wenn es freiwillig geht: gut. Ganz ehrlich, ich glaube nicht daran. Deswegen: Pflicht vorbereiten.“ Die Union fordert, dass die Wehrpflicht automatisch greift, sobald die Ziele verfehlt werden.
Auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) macht keinen Hehl daraus, dass er eine „Wehrdienstarmee“ will. Er begrüßte den Kabinettsbeschluss ausdrücklich als Rückkehr auf diesen Weg. Zwar spricht er – ebenso wie Pistorius – noch von „praktischen Hürden“ wie fehlenden Kasernen oder Ausbildern, aber beide betonen, dass der Gesetzentwurf im Bundestag sicher noch verschärft werde. „Kein Gesetz verlässt den Bundestag in der Regel so, wie es hineingegangen ist“, so Pistorius.
Die aktuelle Rückkehr zur Wehrpflicht erinnert dabei weniger an die Wehrpflicht der Nachkriegszeit, sondern an den historischen Präzedenzfall von 1935: Damals führten Hitler und die Nazis die Wehrpflicht wieder ein, um den deutschen Imperialismus auf den Zweiten Weltkrieg vorzubereiten. Auch heute steht die Rückkehr zur Wehrpflicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der aggressiven Hochrüstung und den Kriegsvorbereitungen.
Bezeichnenderweise nahm Pistorius am selben Tag an der Einweihung einer neuen Rheinmetall-Munitionsfabrik im niedersächsischen Unterlüß teil – gemeinsam mit Finanzminister, Vize-Kanzler und SPD-Chef, Lars Klingbeil und NATO-Generalsekretär Mark Rutte. Das Werk soll bei voller Kapazität das größte Munitionswerk Europas werden und bis 2027 jährlich 350.000 155-Millimeter-Granaten produzieren. Zusammen mit anderen Standorten will Rheinmetall auf 1,5 Millionen Geschosse pro Jahr kommen und sich als führender Produzent der westlichen Welt etablieren.
Parallel zum Wehrdienstgesetz beschloss das Kabinett die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats. Unter Vorsitz des Kanzlers sollen dort Finanz-, Außen-, Innen-, Justiz-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und weitere Minister sowie Geheimdienste und Bundeswehr zusammentreten. Auch Vertreter von Bundesländern, internationalen Organisationen, Denkfabriken und Konzernen können bei Bedarf hinzugezogen werden.
Offiziell soll der Rat „strategische Vorausschau“ leisten und „Handlungsoptionen“ entwickeln. Tatsächlich handelt es sich um einen Kriegsrat, der die Militarisierung aller gesellschaftlichen Bereiche zentral koordiniert – ohne parlamentarische oder demokratische Kontrolle. Er kann „abschließend entscheiden, soweit das Grundgesetz oder ein Bundesgesetz nicht entgegensteht“, heißt es in einer offiziellen Bekanntgabe der Bundesregierung. Damit wird die gesamte Gesellschaft auf Krieg und Ausnahmezustand eingeschworen.
Der Rat ist die direkte institutionelle Umsetzung der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2023, die die WSWS damals als „Blaupause für den totalen Krieg“ bezeichnete. Darin wird die gesamte Politik – von Rohstoffversorgung bis Bildung, von Gesundheit bis Klima – unter das Primat der „Sicherheit“ gestellt und damit für kriegsrelevant erklärt. Einer der zentralen Aufgaben des Nationalen Sicherheitsrats ist laut Bundesregierung „eine Fortschreibung der Nationalen Sicherheitsstrategie“.
Die Gesetzesinitiativen kommen zu einem Zeitpunkt, an dem die Bundesregierung ihre Rolle als Speerspitze der NATO-Kriegsoffensive gegen Russland ausbaut. Erst Anfang der Woche reiste Klingbeil nach Kiew, versprach Präsident Wolodymyr Selenskyj zusätzliche jährliche Militärhilfen von mindestens neun Milliarden Euro und bekräftigte die Bereitschaft Deutschlands, „Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine zu übernehmen.
Klingbeil kündigte zudem an, die ukrainische Rüstungsproduktion massiv mit deutschem Geld und Know-how zu fördern – bis hin zu weitreichenden Angriffsdrohnen. Damit wird die Ukraine zu einem Testfeld für die deutsche Rüstungsindustrie und Waffentechnologie.
Parallel bereitet Klingbeil einen Kriegshaushalt vor, der die Rüstungsausgaben bis 2029 auf 153 Milliarden Euro verdreifachen und sie langfristig auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (225 Milliarden jährlich) steigern soll. Das wird durch eine Schuldenaufnahme von einer Billion Euro ermöglicht – verbunden mit drastischem Sozialabbau. Merz erklärte am vergangenen Wochenende unverblümt: „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist nicht mehr finanzierbar.“
84 Jahre nach dem Beginn von Hitlers Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion rollen wieder deutsche Panzer nach Osten. Mit der dauerhaften Stationierung einer Brigade in Litauen stellt die Bundeswehr erstmals seit 1945 wieder einen voll ausgerüsteten Kampfverband direkt an Russlands Grenze auf.
Die herrschende Klasse knüpft damit nahtlos an ihre historische Stoßrichtung an: Kontrolle über die Ukraine, Zugriff auf russische Rohstoffe, Dominanz über die eurasische Landmasse. Das ist das Ziel des neuen deutschen Militarismus, der – zumindest momentan noch eng mit der NATO koordiniert – auf die eigenständige europäische Handlungs- oder besser Kriegsfähigkeit unter deutschen Führung hinarbeitet.
Ebenfalls am Mittwoch veröffentlichte der Spiegel einen Kommentar der regierungsnahen Thinktanker Christian Mölling und Claudia Major mit der Überschrift „Europa braucht jetzt einen eigenen ‚Way of War‘“. Damit meinen sie die Fähigkeit Deutschlands und der EU, unabhängig von den USA große Kriege zu planen und durchzuführen und dafür zügig die notwendigen militärischen Voraussetzungen und Strukturen zu schaffen – bis hin zur nuklearen Aufrüstung.
Derartige Aufrufe, die Wiedereinführung der Wehrpflicht, die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats und die massive Aufrüstung, machen deutlich: Die herrschende Klasse bereitet sich wieder aktiv auf Krieg vor und ist nach ihren fürchterlichen Verbrechen in zwei Weltkriegen bereit, neue zu begehen und eine ganze Generation für die räuberischen Interessen des deutschen Imperialismus zu verheizen. Dieser Wahnsinn muss verhindert werden.
Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), die Jugendorganisation der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), weisen die Pläne der Bundesregierung scharf zurück und sprechen deutlich aus, um welche weitreichenden Fragen es geht:
Wir sagen Nein zur Wehrpflicht – egal in welcher Form, egal zu welchem Zeitpunkt! Wir sind kein Kanonenfutter für die Profite der Reichen! 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs will die deutsche Regierung wieder eine ganze Generation in Reih und Glied marschieren lassen, bereit, ihr Leben für die Wirtschaftsinteressen der herrschenden Klasse zu opfern. Die Rückkehr der Wehrpflicht ist Teil der Militarisierung der ganzen Gesellschaft.
Das IYSSE-Statement verurteilt den „Pazifismus der wohlhabenden Mittelschichten, die für Krieg sind, solange dieser sie nicht selbst betrifft. Stoppt die Wehrpflicht bedeutet für uns: Stoppt die Kriegseskalation!“ Es weist auch die Positionen von Organisationen wie der Jusos, der Grünen Jugend und der Linkspartei zurück, die die Wehrpflicht zwar nominell kritisieren oder ablehnen, „aber damit übereinstimmen, dass die Bundeswehr als angebliche ‚Verteidigungsarmee‘ aufgerüstet werden muss“.
Und es gibt der weit verbreiteten Opposition gegen Wehrpflicht, Militarismus und Krieg eine klare Orientierung und Perspektive: „Ein Kampf gegen die Wehrpflicht bedeutet einen Kampf gegen Krieg und seine Wurzel – den Kapitalismus.“ Die IYSSE rufen dazu auf, eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse aufzubauen, die international, antikapitalistisch und sozialistisch ist und sich dem imperialistischen Krieg mit der Perspektive der sozialen Revolution entgegenstellt.
Die entscheidende Aufgabe besteht darin, den Widerstand auf dieser Grundlage bewusst zu organisieren. Die Jugend, die Arbeiterklasse und alle, die den Wahnsinn eines dritten Weltkriegs verhindern wollen, müssen sich zusammenschließen, die Kriegspläne zurückweisen und die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen: den Aufbau der SGP in Deutschland und weltweit des IKVI als neue revolutionäre Führung. Nur so kann die Katastrophe eines neuen Weltkriegs verhindert und eine friedliche, sozialistische Zukunft erkämpft werden.