Serbien: Regierung eskaliert Gewalt gegen anhaltende Proteste

Die Proteste gegen die rechte serbische Regierung von Präsident Aleksandar Vučić reißen nicht ab. Während es in zahlreichen Städten des Landes immer wieder zu Demonstrationen und Protesten kommt, geht die Regierung mit wachsender Brutalität dagegen vor.

Protest in Belgrad am 24. Januar 2025 [Photo by Emilija Кnezevic / wikimedia / CC BY 4.0]

Die Proteste halten seit mittlerweile neun Monaten an. Neben Demonstrationen, an denen bis zu 500.000 Menschen teilnahmen, werden Universitäten im ganzen Land von Studenten besetzt. Nahezu täglich kommt es in verschiedenen Städten zu Protesten.

Auslöser der Proteste war der Tod von 16 Menschen, darunter zwei Kindern, durch den Einsturz eines Bahnhofsvordaches in der nordserbischen Stadt Novi Sad im November letzten Jahres. Dem Einsturz des Vordachs war ein Umbau des Bahnhofes vorausgegangen, das baufällige Vordach wurde allerdings nicht erneuert. Die Protestierenden machen die in Regierungspartei und Staatsapparat grassierende Korruption für die Tragödie verantwortlich.

Die Proteste wurden rasch zu einem Ausdruck der Ablehnung der Regierung und ihrer unsozialen Politik, die zunehmend auf Polizeistaatsmethoden zurückgreift. Seit Langem beteiligen sich nicht nur Studenten, sondern breitere Schichten von Arbeitern und Jugendlichen an den Protesten.

Nachdem die Regierung von Beginn an mit Verboten und Einschüchterung auf die Bewegung reagierte, setzt sie nun gezielt auf Gewalt. Dabei bedienen sich Vučić und seine rechte Serbische Fortschrittspartei (SNS) nicht nur regulärer Polizeieinheiten, sondern auch paramilitärischer, faschistischer Schlägerbanden.

Mitte August griffen in den Städten Vrbas und Backa vermummte Anhänger der Regierung Palanka unter den Augen der Polizei Demonstrierende an. 70 wurden dabei verletzt. Als Reaktion fanden am nächsten Tag im ganzen Land weitere Proteste statt, bei denen die Regierung dem rechten Mob ebenfalls freie Hand ließ.

Zu den heftigsten Zusammenstößen kam es in Novi Sad und der Hauptstadt Belgrad. Hier griffen maskierte Schlägerbanden die Demonstranten mit Leuchtraketen, Feuerwerkskörper, Flaschen und Knüppeln an. Erneut gab es eine Vielzahl von Verletzten. In Folge kam es zu Straßenschlachten, ein Parteibüro der SNS brannte ab.

Medienberichten zufolge waren die Angriffe zwischen der Polizei und den vermummten Angreifern abgesprochen. Ein Bericht beschreibt ein Zusammenstoß auf einer Kreuzung im Stadtzentrum Belgrads: Vor den Demonstranten steht eine Reihe Polizeibeamter in voller Ausrüstung. Als eine Gruppe rechter, bewaffneter Schläger auf die Demonstranten zuläuft, zieht sich die Polizei zurück.

Obwohl der Mob in der Regel maskiert ist, gelang es, einige der Angreifer auf Aufnahmen in sozialen Medien zu identifizieren. Sie gehören berüchtigten faschistischen Gruppierungen oder der Hooliganszene an, unter ihnen ein früherer Hooligananführer, der 2009 wegen des Mordes an einem französischen Fußballfan vor Gericht stand.

Zunehmend geraten auch Vertreter unabhängiger Medien ins Visier der Regierung. Die Unabhängige serbische Journalistenvertretung (IJAS) berichtet von mehr als 160 Angriffen allein in diesem Jahr.

Während einer Kundgebung am 14. August griffen rechtsextreme Regierungsanhänger eine Gruppe Journalisten an. Einen Tag später wurde der Journalist Vuk Cvijić von einem Polizisten gezielt angegriffen und verletzt. Der Moderatorin des Fernsehsenders Nova, Sanja Ignjatović Eker, wurde nach einem Live-Bericht über die Proteste in Novi Sad mit der Ermordung ihrer Kinder gedroht. Gegenüber der Zeit erklärte sie, die treibende Kraft hinter diesen Drohungen sei der Präsident selbst, der unablässig gegen unabhängige Medien hetze.

Die SNS war 2008 als Abspaltung aus der faschistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) hervorgegangen. Vučić selbst war serbischer Informationsminister unter dem früheren Präsidenten Slobodan Milošević. Noch heute ist die SNS mit serbischen Nationalisten durchsetzt und pflegt enge Kontakte zu faschistischen Gruppierungen.

Die Spezialeinheit JZO, die für den Schutz von Staatsfunktionären zuständig ist, wurde in den letzten Jahren von 300 auf rund 1300 Mann aufgestockt. Diese Einheit agiert ohne jede rechtliche Einschränkung und ist faktisch allein dem Präsidenten unterstellt.

Am 14. August wurde eine Jurastudentin von der JZO in eine Garage des Regierungsgebäudes verschleppt und dort von Marko Kričak, dem Leiter der JZO, beschimpft und bedroht. Gleichzeitig nehmen willkürliche Verhaftungen von Studenten und Protestteilnehmern zu. Obwohl sie jeglicher rechtlichen Grundlage entbehren, soll damit ein Klima der Einschüchterung und Angst erzeugt werden.

Vučić kündigte weiterhin eine „harte Reaktion des Staates“ an und drohte sogar mit der Ermordung von Demonstranten. Er verglich die Demonstrierenden mit Faschisten und Nazis und erklärte, es sei nur eine Frage der Zeit, bis jemand zu Tode komme.

In grotesken Regierungserklärungen behauptet Vučić, die Demonstranten seien „Terroristen“, die aus dem Westen – Deutschland oder Großbritannien – bezahlt würden, um ihn zu stürzen. Die Demonstrationen bezeichnete er als „Aufstand der Reichen“, der nur dank des „fantastischen Einsatzes“ der serbischen Sicherheitskräfte verhindert werde.

Obwohl die Protestbewegung inzwischen weit über das ursprüngliche studentische Milieu hinausgewachsen ist, hat sie sich bisher kaum über die anfänglichen Forderungen nach Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung hinaus entwickelt. Soziale oder gar antikapitalistische Forderungen erhebt sie kaum.

Obwohl die seit 2014 laufenden Beitrittsverhandlungen mit der EU ins Stocken geraten sind, finden sich auf den Demonstrationen – anders als bei den sogenannten „Farbenrevolutionen“ in der Ukraine, Georgien und anderen Ländern – keine EU-Flaggen. Viele Teilnehmer setzen zwar Hoffnungen auf die EU, aber diese Sympathie wird aus Brüssel nicht erwidert.

Tatsächlich setzt die EU auf Vučić, der einen sorgfältigen Balanceakt zwischen der EU, Russland und China vollzieht. Zum einen hat Belgrad noch im Mai 2022 neue Gaslieferverträge mit Moskau vereinbart und beherbergt in der EU verbotene russische Sender. Zum anderen unterstützt es – trotz anderslautender Propaganda der Staatsmedien – den Kriegskurs der EU gegen Russland und ist ein wichtiger Partner Brüssels bei der Abschottung gegen Flüchtlinge, die versuchen, über die Balkanroute nach Zentraleuropa zu gelangen.

Auch wirtschaftlich ist Serbien eng mit der EU verflochten. Über 60 Prozent der serbischen Exporte gehen in die EU, über 60 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Serbien kommen von dort. Der damalige deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz war noch im Juli 2024 persönlich nach Belgrad gereist, um der Unterzeichnung eines „Memorandums über kritische Rohstoffe“ beizuwohnen, das der EU Zugriff auf serbische Lithiumvorkommen gewährt.

Die EU fürchtet auch, dass eine weitere Destabilisierung Serbiens auf andere Balkanstaaten übergreifen könnte, die sich bereits ganz oder mit einem Fuß in der EU befinden und deren Regierungen ebenso korrupt und autoritär sind wie die serbische.

Vereinzelte Solidaritätsbekundungen mit den Demonstranten aus Brüssel oder EU-Mitgliedsstaaten gehen daher über hohle Phrasen nicht hinaus. Der Botschafter der EU in Serbien, Andreas von Beckerath, rief in einer Erklärung zynisch „alle Seiten zur Deeskalation der Spannungen auf“.

In der breiten serbischen Bevölkerung und insbesondere bei jüngeren Menschen herrscht daher eine zunehmende Entfremdung und Skepsis gegenüber der EU. In einer Umfrage des International Republican Institutes aus dem Frühjahr gaben nur 40 Prozent der Befragten an, dass sie für einen EU-Beitritt ihres Landes stimmen würden.

Wie stark die Ablehnung von Vučić und des gesamten politischen Establishments ist, zeigen Umfragen, denen zufolge die Studentenbewegung die stärkste politische Kraft in Serbien ist und mit einer von ihr angeführten Wahlliste Parlamentswahlen gewinnen würde. Doch trotz allem Mut und Kampfeswillen gegen das rechte Regime, fehlt der Bewegung eine tragfähige politische Perspektive.

Formal linke Parteien und Gruppierungen versuchen die Proteste bewusst unpolitisch zu halten oder in die Kanäle der bankrotten Oppositionsparteien zu lenken. Am 1. Mai demonstrierten die Studenten gemeinsam mit fünf Gewerkschaftsverbänden. Doch diese vertreten selbst nationalistische Standpunkte und sind teilweise mit der Regierungspartei vernetzt. Wie die etablierten Oppositionsparteien fürchten sie nichts mehr als eine breite Bewegung, die sich nicht nur gegen Vučić, sondern gegen das gesamte kapitalistische System richtet.

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