Berufungsgericht von Nikolajew verlängert Haft für ukrainischen Sozialisten Bogdan Syrotjuk

Am 6. August entschied das Berufungsgericht der ukrainischen Region Nikolajew (Mykolajiw), dass die Untersuchungshaft für den ukrainischen Sozialisten Bogdan Syrotjuk bis zum 19. September 2025 verlängert werden kann.

Der mittlerweile 26-jährige Bogdan Syrotjuk wurde am 25. April 2024 wegen „Hochverrats“ verhaftet, worauf eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren bis lebenslänglich steht. Seitdem wird er in einem überfüllten Gefängnis in Nikolajew festgehalten. Syrotjuk ist der Gründer und Anführer der Jungen Garde der Bolschewiki-Leninisten, einer trotzkistischen Jugendorganisation, die sich gegen den Nato-Russland-Krieg in der Ukraine einsetzt, indem sie für die Einheit der russischen und ukrainischen Arbeiterklasse kämpft. 

Bogdan Syrotjuk, April 2023 [Photo: WSWS]

Bogdans Inhaftierung ist rechtswidrig und unbegründet. Das ist der Hauptgrund, warum sein Fall zuletzt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zugelassen wurde.

Das Berufungsgericht der Region Nikolajew (Mikolajiw) hat jetzt einen Einspruch von Bogdans Anwälten gegen die Entscheidung des Bezirksgerichts der Stadt Perwomajsk in der Region Mikolajiw vom 22. Juli 2025 zurückgewiesen. Auch die Berufung stützte sich auf den rechtswidrigen und unbegründeten Charakter seiner Untersuchungshaft. 

Bogdans Anwälte betonten vor allem, das Gericht habe nicht angemessen rechtlich geprüft, ob der Verdacht, Syrotjuk habe mutmaßlich eine Straftat begangen, stichhaltig ist. Sie wiesen zudem darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft vor Gericht die im ukrainischen Strafprozessrecht vorgesehenen Risiken nicht nachgewiesen habe und das Gericht seine Entscheidung, Syrotjuk keine Kaution zu gewähren, nicht hinreichend begründet habe. Die Anwälte argumentierten, das Gericht hätte stattdessen mildere Präventivmaßnahmen anordnen können.

Das Berufungsgericht von Nikolajew (Mikolajiw) wies diese Argumente zurück und stellte sich in allen Punkten auf die Seite der Anklage. Es erklärte in seiner Urteilsbegründung, Bogdans angebliches Verbrechen sei „besonders schwerwiegend“ und angesichts der hohen Strafe von 15 Jahren bis lebenslänglich bestehe Fluchtgefahr. Seine Inhaftierung sei daher notwendig. Weiter heißt es:

Das Richtergremium ist der Ansicht, dass es Grund zu der Annahme gibt, dass der Angeklagte Syrotjuk B.I. sich seinem Prozess entziehen könnte, um der strafrechtlichen Verantwortung zu entgehen. Gründe dafür sind die Schwere des Verbrechens, die Syrotjuk vorgeworfen wird, sein Bewusstsein über die Schwere der Strafe, die im Falle eines Schuldspruchs gegen ihn verhängt werden könnte, sowie die Tatsache, dass die Russische Föderation weiterhin umfassende bewaffnete Aggressionen auf ukrainischem Staatsgebiet verübt, dass das Kriegsrecht über das Staatsgebiet der Ukraine verhängt wurde und dass Syrotjuk beschuldigt wird, ein Verbrechen gegen die Grundlagen der nationalen Sicherheit begangen zu haben.

Zur Begründung dieses Urteils verwies das Gericht auf den Fall Ilijkov gegen Bulgarien (Fall Nr. 33977.96), der am 25. Juli 2001 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt wurde. Es behauptete, der EGMR habe damals „festgestellt, dass die Schwere der Strafe ein wesentliches Element bei der Beurteilung des Wiederholungsrisikos ist“. 

Das ist jedoch eine Falschdarstellung des Falls und des Urteils. Im Verfahren Ilijkov gegen Bulgarien erhob Ilijkov den Vorwurf, dass seine Haft und das gegen ihn geführte Strafverfahren wegen Urkundenfälschung und Betrug unangemessen lang gewesen seien und somit gegen zwei Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen hätten: Artikel 5 §§ 3 und 4 bezüglich der Dauer seiner Untersuchungshaft und der Prüfung seiner Berufungen gegen die Haft sowie Artikel 6 § 1 bezüglich der Dauer des Strafverfahrens. 

In deutlichem Gegensatz zum Fall von Bogdan Syrotjuk hatte die Staatsanwaltschaft im Fall Ilijkov jedoch einen begründeten Tatverdacht nachgewiesen. Laut dem EGMR ist ein solcher Tatverdacht die „Conditio sine qua non [unerlässliche Voraussetzung] für die Rechtmäßigkeit der fortgesetzten Inhaftierung“.

In Bogdans Fall wurde dieser Beweis nicht erbracht. Dies ist die zentrale Grundlage für den Einspruch von Bogdans Anwälten gegen die Verlängerung seiner Untersuchungshaft sowie für das Verfahren vor dem EGMR. Bogdan wurde im Alter von 25 Jahren in schlechtem Gesundheitszustand unter schwerwiegenden Vorwürfen und ohne stichhaltige Beweise festgenommen. Die Anklage stützte sich überwiegend auf Artikel der World Socialist Web Site, die er entweder geschrieben, übersetzt oder gelesen und weiterverbreitet hatte. Damit übte er sein Grundrecht auf Meinungs- und Gedankenfreiheit aus. Die Behauptung der Staatsanwaltschaft, die World Socialist Web Site sei eine „russische Propaganda- und Informationsagentur“, ist eine offensichtliche Lüge und wird bereits von den Artikeln widerlegt, die gegen Bogdan verwendet werden, sowie der gesamten Geschichte der WSWS und ihres Herausgebers, des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. In den Gerichtsverhandlungen hat die Anklage seitdem keine weiteren Beweise für ihre Vorwürfe vorgelegt. 

Zudem hatte der EGMR nicht erklärt, die Schwere der Strafe sei ein „wesentliches Element“, sondern bezeichnete sie lediglich als „relevantes Element für die Beurteilung des Rückfallrisikos“. Er betonte anschließend, der „Gerichtshof hat mehrfach entschieden, dass die Schwere der Vorwürfe allein nicht ausreichen kann, um eine lange Untersuchungshaft zu rechtfertigen“. 

Der EGMR erklärte weiter:

Das Gericht bekräftigt, dass eine Fortsetzung der Haft nur gerechtfertigt werden kann, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein zwingendes öffentliches Interesse vorliegen, das ungeachtet der Unschuldsvermutung Vorrang vor dem Grundsatz der Achtung der individuellen Freiheit hat. Jedes System obligatorischer Untersuchungshaft ist per se unvereinbar mit Artikel 5 § 3 der Konvention. ... Wo das Gesetz eine Annahme hinsichtlich der für die Gründe der weiteren Inhaftierung relevanten Faktoren vorsieht, ... muss das Vorliegen konkreter Tatsachen, die den Grundsatz der Achtung der individuellen Freiheit überwiegen, dennoch überzeugend dargelegt werden.

Genau ein solches „System obligatorischer Untersuchungshaft“, das „per se unvereinbar mit Artikel 5 § 3 der Konvention ist“, bildet die Grundlage für die Inhaftierung von Bogdan und, wie man hinzufügen muss, Tausenden von Arbeitern und Jugendlichen in der Ukraine, die der Geheimdienst SBU wegen „Hochverrats unter Kriegsrecht“ entführt hat. Es spricht für sich, dass die Ukraine beantragt hat, für die Dauer des Kriegsrechts von der Europäischen Menschenrechtskonvention ausgenommen zu werden. Die Europäische Union hat diesen Antrag mehrfach bewilligt, zuletzt im Jahr 2024.

Das jüngste Urteil des Berufungsgerichts von Nikolajew (Mikolajiw) gegen Bogdan Syrotjuk und dessen Verfälschung eines früheren Urteils des EGMR zeigen einmal mehr, dass der Prozess gegen Bogdan Teil eines rechtlichen und politischen Gesamtsystems ist, das auf jeder Ebene gegen Demokratie und die grundlegendsten Menschenrechte der ukrainischen Bevölkerung verstößt.

Daher ist Bogdans Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte von größter Bedeutung, nicht nur für den Kampf um seine Freilassung, sondern für die Verteidigung demokratischer Rechte und den Kampf gegen Krieg in ganz Europa und der Welt. Um die Kampagne für seine Freilassung zu unterstützen, geht auf wsws.org/freebogdan, unterzeichnet die Petition, spendet und helft uns, Bogdans Fall so weit wie möglich bekannt zu machen.

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