Merz: „Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten“

„Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar,“ erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz am Samstag auf einem Landesparteitag der CDU in Osnabrück.

Das ist eine unmissverständliche Kampfansage an die gesamte Arbeiterklasse. Was von den hart erkämpften sozialen Errungenschaften der Vergangenheit noch übrig ist, soll den profithungrigen Wölfen der Börsen zum Fraß vorgeworfen und in die Aufrüstung gesteckt werden.

Friedrich Merz während eines Wahlkampfauftritts in Erfurt im August 2024 [Photo by Steffen Prößdorf / Wikimedia commons / CC BY-SA 4.0]

Merz hatte bereits auf der Sommerpressekonferenz vor den Ferien „eine große gesellschaftspolitische Kraftanstrengung“ bei „Altersversorgung, Gesundheitsversorgung und Pflegebedürftigkeit“ angemahnt. Wir kommentierten damals:

Inzwischen ist klar, dass Union und SPD den geplanten Sozialabbau in ihrem Koalitionsvertrag bewusst ausgespart und an Expertenkommissionen delegiert hatten, um als erstes die gewaltige Erhöhung der Militärausgaben auf den Weg zu bringen. Sie rechneten offenbar mit massivem Widerstand, wenn sie Aufrüstung und Sozialabbau gleichzeitig angekündigt hätten. Doch nun soll, wie Merz deutlich machte, keine Zeit mehr verloren werden. Arbeiter und Bedürftige sollen die Kosten von Rüstung und Krieg bezahlen.

Das hat Merz nun bestätigt. Er brüstete sich, seine Regierung habe für Unternehmen die größten steuerlichen Entlastungen seit 20 Jahren auf den Weg gebracht, mit der deutlichen Steigerung der Verteidigungsausgaben die NATO gestärkt und mit ihrem „klaren Kurs“ in der Migrationspolitik die Zahl der Asylanträge halbiert. „Ich werde mich durch Worte wie Sozialabbau und Kahlschlag und was da alles kommt nicht irritieren lassen“, drohte er. Der Sozialstaat in seiner heutigen Form sei nicht mehr finanzierbar.

Merz folgt damit einer internationalen Entwicklung. In den USA ist die Trump-Administration dabei, die staatliche Krankenversicherung für über 65-Jährige (Medicare) und Niedrigverdiener (Medicaid) abzuschaffen, in denen mehr als 135 Millionen Menschen versichert sind. Er baut einen autoritären Polizeistaat auf, um sozialen Widerstand zu unterdrücken.

In Frankreich plant die Regierung Bayrou für das kommende Jahr Einsparungen im Haushalt von 44 Milliarden Euro, während die Militärausgaben massiv steigen. Die Sozialleistungen sollen eingefroren, das Gesundheitswesen umstrukturiert und unzählige Beschäftigte des öffentlichen Diensts entlassen werden. Für den 10. September ist dagegen ein Generalstreik geplant.

Die SPD hat zaghaft gegen Merz‘ Kampfansage protestiert und gleichzeitig keinen Zweifel daran gelassen, dass sie dessen Kurs unterstützt. Ihre Partei werde keine plumpen Leistungskürzungen und Privatisierungen hinnehmen, sagte SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt: „Das soziale Schutzniveau darf nicht sinken.“ Juso-Chef Philipp Türmer behauptete sogar, Sozialkürzungen stellten für die SPD eine rote Linie dar. Die Partei dürfe bei Sozial- und Leistungskürzungen keinen Zentimeter mitgehen.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil mahnte ein sozial ausgewogenes Vorgehen an und brachte Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Wohlhabende ins Spiel – von denen er genau weiß, dass der größere Koalitionspartner sie niemals akzeptieren wird. „Was nicht funktionieren wird, ist, dass man sagt, wir sparen jetzt 30 Milliarden beim Sozialstaat ein“, erklärte Klingbeil.

Doch das ist reine Ablenkung. Als Finanzminister dringt Klingbeil schon jetzt auf Einsparungen im Bundeshaushalt von 172 Milliarden Euro für die nächsten fünf Jahre. „Natürlich müssen wir ran an die sozialen Sicherungssysteme“, sagte er. Es dürfe sich niemand „auf die faule Haut“ legen und gleichzeitig Geld vom Staat bekommen.

Die SPD ist, seit die Regierung Schröder vor zwei Jahrzehnten die „Agenda 2010“ beschloss, die treibende Kraft beim Sozialabbau und der sozialen Umverteilung zugunsten der Reichen. Klingbeil spielt zusammen mit seinem Parteifreund, Verteidigungsminister Boris Pistorius, auch die führende Rolle dabei, eine Billion Euro in die Rüstung und militärische Infrastruktur zu stecken und den NATO-Krieg gegen Russland mit Milliardensummen anzuheizen.

Auch die Linkspartei hat gegen Merz Kampfansage protestiert. Fraktionschefin Heidi Reichinnek warnte vor einem „Herbst der sozialen Grausamkeiten“, kritisierte die massive Kampagne von Think Tanks, Arbeitgeberverbänden und sogenannten Experten und forderte die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Doch die Linkspartei unterstützt, seit es sie gibt, den Sozialabbau und die Haushaltskürzungen auf Landesebene und hat im Bundesrat sogar für das Eine-Billion-Rüstungsprogramm von Merz und Klingbeil gestimmt. Wenn sie protestiert, dann um den Widerstand aufzufangen und ihn in eine ausweglose Sackgasse zu führen.

Auch die Gewerkschaften stehen hinter der Regierung und unterstützen deren Kriegspolitik. Sie vertreten nicht die Interessen der Arbeiter, sondern arbeiten eng mit Konzernen und Verwaltungen zusammen, um jedem Widerstand die Spitze zu brechen und Kürzungen und Massenentlassungen durchzusetzen.

Der Angriff der Merz-Regierung auf Renten, Bürgergeld und Gesundheitsversorgung kommt mit der massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen in Industrie und – als Folge der Einführung Künstlicher Intelligenz – Verwaltung zusammen. Einer Studie des Beratungsunternehmens EY zufolge sind im vergangenen Jahr allein in der deutschen Autoindustrie etwa 51.500 Arbeitsplätze vernichtet worden. Dies, so EY, sei nur der Anfang eines schmerzhaften, aber unabwendbaren Schrumpfungsprozesses.

Gegen den sozialen Kahlschlag und die Massenentlassungen wird sich – wie bereits in Frankreich – Empörung und Widerstand entwickeln. Heftige Klassenkämpfe stehen bevor. Doch sie können nur erfolgreich sein, wenn sie von einem Verständnis der Ursachen der Krise und einer klaren Perspektive angeleitet werden.

Die Vorstellung, man könne die Herrschenden durch Druck von der Straße oder moralische Apelle zur Umkehr zwingen, ist völlig illusorisch. Sie bereiten sich systematisch auf eine Konfrontation mit der Arbeiterklasse vor. Um ihre Profite, ihren Reichtum und das kapitalistische System zu verteidigen, sind sie zu jedem Verbrechen fähig, das zeigt ihre Unterstützung des Völkermords in Gaza.

Das ist auch der Grund, weshalb die Merz-Klingbeil-Regierung die migrantenfeindliche Politik der AfD eins zu eins übernommen hat. Die Hetze gegen Flüchtlinge, der Angriff auf ihre demokratischen Rechte und ihre brutale Abschiebung dienen dazu, die Arbeiterklasse zu spalten, die Schwächsten und Wehrlosesten zum Sündenbock für die soziale Krise zu stempeln und die AfD zu stärken. Auch hier eifern Merz & Co. Trump nach. Schon jetzt liebäugeln große Teile der CDU damit, die Rechtsextremen in die Regierung zu holen.

Der Kampf gegen Krieg, Faschismus und Sozialabbau fallen unter diesen Umständen untrennbar zusammen. Sie erfordern den Aufbau einer sozialistischen Bewegung, die die Arbeiterklasse international vereint, für den Sturz des Kapitalismus kämpft und Produktion und Gesellschaft in den Dienst der Gesellschaft statt der Profitinteressen der Reichen stellt.

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