Die Opposition der Volkswagen-Belegschaft gegen den von der IG Metall ausgearbeiteten Kahlschlag bei Arbeitsplätzen und Löhnen wächst. Gewerkschaftsfunktionäre warnen: „Die Stimmung kippt.“ Viele Beschäftigte suchen nach einer Möglichkeit, die strikte Kontrolle der IG Metall-Bürokratie zu durchbrechen.
Der Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees, die Beschäftigte aller Standorte vereinen, die kämpfen wollen und die Interessen der Belegschaften höherstellen als die der milliardenschweren Aktionäre, gewinnt wachsende Bedeutung.
Ende letzter Woche meldete die Wirtschaftswoche, am Stammsitz der Volkswagen-AG in Wolfsburg sei seit Jahresanfang „ein Schwund von mehr als 2000 IG-Metall-Mitgliedern verzeichnet worden“. Bei der Zahl seien die Neueintritte bereits gegengerechnet, berichtete das Magazin gestützt auf „Insider“. Angesichts der aktuellen Ausstiegsrate könnten bereits in wenigen Wochen 3000 Mitglieder die Gewerkschaft verlassen haben. Grund sei der Ausverkauf der Belegschaftsinteressen durch den im Dezember 2024 unterzeichneten „Zukunftstarifvertrag“.
Die IG Metall bei VW nannte den Bericht „eine Falschmeldung“. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärte die Gewerkschaft, die genannten Größenordnungen „entbehren jeder Grundlage“. Der Organisationsgrad der IG Metall bei VW liege seit Jahren konstant über 90 Prozent.
Die Austritte bei der IG Metall am VW-Standort in Wolfsburg beruhten derzeit „überwiegend auf planbaren Entwicklungen“ wie Renten- und Altersteilzeiteintritte oder einem Arbeitsplatzwechsel im Rahmen freiwilliger Aufhebungsangebote.
Die IG Metall legt ihre Mitgliedszahlen bei VW in Wolfsburg nicht offen. Es ist daher unklar, wie viele der 2000 ehemaligen IGM-Mitglieder noch im Werk sind. Aber auch Beschäftigte, die in Rente, Altersteilzeit oder andere Beschäftigung wechseln, müssen nicht zwangsläufig aus der Gewerkschaft austreten.
Fakt ist, dass der Unmut über den Abschluss vom letzten Jahr wächst, je klarer wird, dass dieser nur den Auftakt zu immer weitergehenden Angriffen ist.
Am 20. Dezember hatte die IG Metall unter Leitung von IGM-Funktionär Thorsten Gröger und der Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo folgendes Lohn- und Arbeitsplatzmassaker als „Weihnachtswunder“ gepriesen:
- Abbau jeder vierten Stelle in Deutschland, insgesamt 35.000, davon allein in Wolfsburg 15.000.
- Entgeltkürzungen von bis zu 20 Prozent.
- Flexibilisierung der Arbeitszeiten, mögliche Senkung auf „kollektiv bis zu 28 Stunden pro Woche“.
- Abschaffung des Haustarifvertrags 1; über 30.000 Beschäftigte müssen in den schlechteren Haustarifvertrag 2 wechseln.
- Reduktion der Ausbildungsplätze von 1400 auf nur noch 600 pro Jahr.
Im Gegenzug wurden die „Sicherung aller Standorte“ und der „Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen“ behauptet. Doch eine „Revisionsklausel“ macht bei „wesentlichen Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ alle Zusicherungen rückgängig. Nichts ist sicher, weder Standorte noch Arbeitsplätze noch Löhne und Gehälter!
Besonders betroffen von einer drohenden Schließung sind die Werke in Zwickau, Emden, Osnabrück und Dresden.
In Osnabrück läuft die Fahrzeugproduktion im Sommer 2027 aus. Der größte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall hat ein Auge auf das Werk geworfen, um dort auf Kriegswirtschaft umzustellen.
In Emden sind aktuell und in Zwickau ab 2027 jeweils nur eine Montagelinie geplant. Da dies kaum rentabel ist, ist die Zukunft der beiden Elektro-Fahrzeug-Werke ungewiss.
In Dresden laufen seit längerem Gespräche zwischen VW und der Technischen Universität (TU) Dresden über einen Forschungscampus in der dortigen Gläsernen Manufaktur. Aus dem Stadtrat der Landeshauptstadt heißt es aktuell, die im Dezember eingestellte Produktion des ID.3 könne aufgrund der konkreten Bebauungs- und Nutzungspläne nicht einfach durch Forschung und Lehre ersetzt werden. Auch hier bleibt die Zukunft nebulös.
Und auch für das Stammwerk in Wolfsburg zeichnet sich ab, dass es in zwei bis drei Jahren nichts mehr mit dem einst größten europäischen Fabrikkomplex zu tun haben wird, in dem bis vor kurzem täglich über 65.000 Menschen arbeiteten.
In Wolfsburg sollen rund 15.000 Jobs wegfallen. In der Technischen Entwicklung wird bis 2030 etwa ein Drittel aller Stellen abgebaut (rund 4.000 von 12.000 Jobs), die Personalkosten in der Verwaltung sollen bis 2026 um ein Fünftel, von 2027 bis 2030 nochmals um jeweils 3 Prozent pro Jahr gesenkt werden. Insgesamt sollen die Personalkosten bis 2030 fast ein Drittel geringer sein als heute.
Wie viele Stellen in der Produktion im Stammwerk gestrichen werden, ist bislang unklar. Aber es wird Auswirkungen auf die Werksbeschäftigten haben, dass ab 2027 der VW Golf, eines der meistverkauften Autos der Welt, nur noch in Mexiko und ein neues Massenprodukt für unter 20.000 Euro, der ID.1, in Portugal gebaut werden. Zudem ist eine E-Version des Golfs in Wolfsburg erst für 2029 geplant.
Betriebsratschefin Cavallo hatte bereits „die zeitweise Vier-Tage-Woche“ ab 2027 angekündigt, für die es gelte, die Arbeitszeitkonten gut zu füllen, damit es nicht zu empfindlichen Gehaltseinbußen komme.
Inzwischen haben bereits über 20.000 Beschäftigte Abfindungs- oder Altersteilzeit-Verträge unterzeichnet.
Dass dies zu Opposition und zu Austritten führen würde, war der IG Metall und dem VW-Betriebsrat von Beginn an klar. Deshalb haben sie das Urlaubsgeld für alle abgeschafft und stattdessen ausschließlich für IG Metall-Mitglieder einen Bonus eingeführt.
In der Erklärung der IGM bei VW zu dem jüngsten Bericht der Wirtschaftswoche heißt es demnach auch: „Zugleich sind im Zuge der jüngsten Tarifauseinandersetzung tausende Beschäftigte neu in die IG Metall eingetreten.“
Diese Mafia-Methoden haben nicht verhindert, dass in allen Werken die Opposition gegen die IG Metall wächst, im Gegenteil. Die Wirtschaftswoche zitierte „hochrangige Gewerkschafter“, nach denen die Austritte erst der Anfang sein könnten: „Die Frustration ist groß, und die Stimmung kippt.“
Die Wirtschaftswoche erwähnte schon jetzt die im Frühjahr nächsten Jahres stattfindenden Betriebsratswahlen. In Wolfsburg würden sich Cavallo und der ehemalige hochrangige IGM-Funktionär Frank Patta gegenüberstehen. Die unter Cavallos Verantwortung getroffene Vereinbarung vom Dezember 2024 sei Wasser auf die Mühlen von Pattas „oppositioneller“ Liste. Die IG Metall warf der Wirtschaftswoche daher vor, sie würde „bestimmte, klar zu verortende Interessen medial transportieren“.
In Wirklichkeit unterscheiden sich Cavallo und Patta kaum. Cavallo ist durch ihre langjährige Funktion im Betriebs- und Aufsichtsrat weit von der Basis entfernt und spricht wie ein Mitglied des Konzern-Vorstands. Es wäre keine große Überraschung, wenn sie VW-Personalvorstand Gunnar Kilian folgt, dessen Rauswurf sie maßgeblich mitverantwortet. Der Posten des Personalvorstands bei VW, für dessen Besetzung aufgrund der Mitbestimmung die Gewerkschaft das Vorschlagsrecht hat, ist mit Abstand der einträglichste Posten für einen Gewerkschaftsbürokraten. Kilian hat im Geschäftsjahr 2024 inklusive aller Vorsorgeaufwendungen über 6,5 Millionen Euro erhalten.
Patta ist Betriebsrat in der Produktion und hat in den letzten drei bis vier Jahren die selbstherrliche – in seinen Worten „monarchistische“ – Art des Gesamtbetriebsrats erst unter Bernd Osterloh und nun unter Cavallo moniert. Aber er kommt aus dem gleichen Stall – oder um seine eigene Metapher aufzugreifen: vom gleichen Hof. Business Insider berichtete bereits vor vier Jahren, Patta verdiene „mit insgesamt rund 300.000 Euro“ mehr als Cavallo.
Patta war fünf Jahre Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Wolfsburg, bevor ihn Osterloh 2012 in den VW-Betriebsrat holte und zum Generalsekretär machte, der dem Welt- und Europakonzernbetriebsrat vorstand. 2018 musste Patta diesen Posten aufgrund interner Konflikte wieder abgeben und wurde „einfacher“ Betriebsrat. Inzwischen ist er aus der IG-Metall ausgeschlossen worden und hat mit seiner Liste („Die andere Liste“) vier von 73 Sitzen im Wolfsburger Betriebsrat inne.
Als er noch IGM-Funktionär war, unterdrückte er seinerseits sowohl Opposition in Wolfsburg als auch weltweit. Leiharbeiter des chinesischen VW-Werks, die sich im vergeblichen Kampf für gleiche Löhne an den Weltbetriebsrat wandten, ließ Patta im Regen stehen und rührte keinen Finger.
Nun kritisiert dieser langjährige Hofmarschall der IG Metall den „Zukunftsvertrag“ Cavallos vor allem wegen der Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in Wolfsburg – als sei einzig die dortige Belegschaft vom Arbeitsplatzabbau betroffen.
Die IG Metall, ihre Betriebsräte und auch Patta sind erfahren darin, die einzelnen Standorte gegeneinander auszuspielen, um die vom Management gewünschten Kürzungen durchzusetzen. Arbeiterinnen und Arbeiter müssen daher an jedem VW-Standort Aktionskomitees in unversöhnlicher Opposition zum IGM-Apparat aufbauen. Diese müssen Kolleginnen und Kollegen vereinen, die wirklich für ihre Rechte und Errungenschaften kämpfen wollen. Die Aktionskomitees müssen sich folgende Grundsätze zu eigen machen:
- Entmachtet den IGM- und Betriebsratsapparat, stoppt die Hinterzimmergespräche der Betriebsratsspitzen mit den Managern und Aktionärsvertretern! In den Aktionskomitees vereinen sich die Kolleginnen und Kollegen, die kämpfen wollen, egal ob IGM-Mitglied oder nicht.
- Kein Cent für Dividenden! Das Recht auf Arbeit und Lohn steht höher als die Profitgier der Aktionäre. Die Milliardenprofite dürfen nicht in den Taschen der Anteilseigner landen, sondern müssen für die Belegschaften und ihre Arbeitsplätze eingesetzt werden.
- Für die internationale Zusammenarbeit aller Belegschaften! Die Verteidigung von Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen ist nur standort- und länderübergreifend möglich.
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