Hungersnot in Gaza offiziell ausgerufen

Palästinenser am Rande eines Bombenkraters nach israelischen Angriffen auf ein Zeltlager für Vertriebene, nahe Al-Aqsa-Krankenhaus (Deir al-Balah), 21. August 2025 [AP Photo/Jehad Alshrafi]

Die UN-nahe Organisation zur Überwachung von Massenhunger (Integrated Food Security Phase Classification, IPC) hat erstmals offiziell für Gaza-Stadt eine Hungersnot ausgerufen und davor gewarnt, dass auch andere Gebiete des Gazastreifens bald von einer Hungersnot betroffen sein werden.

Es war das erste Mal, dass die IPC eine Hungersnot außerhalb von Afrika erklärt hat.

Die Ausrufung einer Hungersnot in Gaza ist ein weiterer Beweis dafür, dass Israel mit Unterstützung der imperialistischen Mächte die Palästinenser vorsätzlich durch massenhaftes Aushungern ausrotten will.

Die IPC erklärte, in den letzten Monaten habe es die „deutlichste Verschlechterung“ der Lage gegeben, seit Israel im Oktober 2023 seinen Angriff auf Gaza begonnen hat.

In dem Bericht wird gewarnt: „Diese Hungersnot ist gänzlich menschengemacht.“ Weiter heißt es: „Nach 22 Monaten unablässigen Konflikts leiden mehr als eine halbe Million Menschen im Gazastreifen unter katastrophalen Bedingungen von Hunger, Elend und Tod.“

Die IPC warnt: „Bis Juni 2026 werden voraussichtlich mindestens 132.000 Kinder unter fünf Jahren an akuter Unterernährung leiden – doppelt so viele wie die IPC im Mai 2025 geschätzt hat.“

Als Grund für die Hungersnot nennt die IPC die vollständige Einstellung humanitärer Hilfslieferungen durch Israel Anfang des Jahres. Sie stellt fest: „Die vollständig Einstellung humanitärer und kommerzieller Lebensmittellieferungen im März und April, gefolgt von gefährlich geringen Mengen bis Juli, zusammen mit dem Zusammenbruch der lokalen Lebensmittelproduktion, hat zu extremem Mangel an Nahrungsmitteln geführt.“

Nachdem Israel die Lebensmittellieferungen in den Gazastreifen eingestellt hatte, beendete es zwangsweise die Tätigkeiten der meisten legitimen humanitären Organisationen und ersetzte sie durch die amerikanisch-israelische „Gaza Humanitarian Foundation“ (GHF).

Die GHF nutzte die Verteilung knapper Lebensmittelrationen im südlichen Gazastreifen, um verzweifelte und hungrige Zivilisten zu töten. In Dutzenden von Fällen wurde das Feuer auf Menschenmengen eröffnet, und hunderte Menschen sind schon erschossen worden. Die Nahrungsmittel, die in diesen Todesfallen verteilt werden, sind nur Hungerrationen; sie sollen die Bevölkerung in den Süden locken, um sie in Konzentrationslagern festzuhalten.

Der UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher erklärte als Reaktion auf den Bericht: „Es ist eine Hungersnot, die wir hätten verhindern können, wenn man es uns erlaubt hätte. ... An den Grenzen stauen sich jedoch die Nahrungsmittel aufgrund der systematischen Behinderung durch Israel.“

Die IPC hat in der Vergangenheit erst viermal eine Hungersnot ausgerufen: 2011 in Somalia, 2017 und 2020 im Südsudan und 2024 im Sudan. Die Organisation definiert „Hungersnot“ als eine Lage, in der täglich zwei von 10.000 Menschen an Hunger oder Unterernährung sterben und jedes dritte Kind aktiv unterernährt ist.

Palästinensische Kinder vor einer Gemeinschaftsküche in Gaza-Stadt, in der gespendete Nahrungsmittel zubereitet und verteilt werden, 22. August 2025 [AP Photo/Abdel Kareem Hana]

UN-Generalsekretär Antonio Guterres verurteilte die Hungersnot in Gaza als „eine menschengemachte Katastrophe, eine moralische Anklage und ein Versagen der Menschheit selbst“.

Er fügte hinzu: „Israel hat als Besatzungsmacht nach dem Völkerrecht eindeutige Verpflichtungen – darunter die Pflicht, die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten sicherzustellen. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Situation ungestraft so weitergeht.“

Der UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher fügte hinzu: „Wir haben mehrfach vor dieser Hungersnot gewarnt. Aber die internationalen Medien durften nicht darüber berichten. ... Eine Hungersnot des 21. Jahrhunderts, die von Drohnen und der modernsten Militärtechnologie der Geschichte überwacht wird. Es ist eine Hungersnot, die von einigen israelischen Führern offen als Kriegswaffe propagiert wird. Es ist eine Hungersnot, die wir alle verfolgen. Jeden geht das etwas an. Die Hungersnot in Gaza ist die Hungersnot der Welt. Es ist eine Hungersnot, die die Frage aufwirft: ,Was hast du getan?‘“

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu reagierte darauf im Stile Hitlers. Er leugnete nicht nur die Hungersnot, sondern behauptete sogar, die Besatzungsmacht, die der palästinensischen Bevölkerung die Hungersnot aufzwingt, wolle sie vor dem Hunger retten. Er erklärte: „Israel betreibt keine Politik des Aushungerns, sondern eine der Hungerprävention. ... Israel wird weiterhin verantwortungsbewusst handeln und sicherstellen, dass Hilfslieferungen die Zivilbevölkerung von Gaza erreicht, während es gleichzeitig die Terrormaschinerie der Hamas zerstört.“

Mehrere imperialistische Unterstützer des Völkermords in Gaza reagierten auf den Bericht der IPC mit heuchlerischer Kritik an Israel. Der britische Außenminister David Lamy erklärte: „Die Bestätigung der Hungersnot in Gaza-Stadt ist absolut entsetzlich und völlig vermeidbar. Die Weigerung der israelischen Regierung, ausreichend Hilfsgüter nach Gaza zu lassen, hat diese menschengemachte Katastrophe ausgelöst. Das ist ein moralischer Skandal.“

Doch das Vereinigte Königreich und die anderen imperialistischen Mächte haben wiederholt erklärt, Israel habe das „Recht, sich zu verteidigen“ – gegen das Volk, das es illegal besetzt hält und dessen Land es annektieren will. Die britische Regierung hat immer wieder Kritiker des Völkermords in Gaza verfolgt und inhaftiert.

Laut Zahlen des Gesundheitsministeriums von Gaza starben in den ersten sieben Monaten des Jahres 89 Menschen in Gaza an Mangelernährung oder Hunger. Aber in diesem Monat sind bisher schon 138 Menschen verhungert.

Die Sprecherin des Internationalen Rettungskomitees, Jeanette Bailey, erklärte: „Wir erleben die schlimmstmögliche humanitäre Katastrophe, die wir überhaupt messen können.“

Antoine Renard, ein Sprecher des Welternährungsprogramms, erklärte gegenüber Reuters: „Ohne ständige Einfuhr und Verteilung von Dingen wie spezialisierten Nahrungsergänzungsmitteln – Gebäck mit hohem Energiegehalt und angereicherten Lebensmitteln – erleben wir, wie sich eine vermeidbare Krise zu einem weit verbreiteten Ernährungsnotstand entwickelt. ... Zuerst trifft es die schwächsten Gruppen, aber es wird sich natürlich ausweiten.“

Von Juni bis August hat sich die Zahl der Kinder, die aufgrund von Nahrungsmittelknappheit an Schwindsucht leiden, fast verdoppelt und liegt laut der Weltgesundheitsorganisation nun bei über 12.000.

Nur wenige Tage vor der Ausrufung der Hungersnot hatte das israelische Militär seinen seit langem geplanten Angriff auf Gaza-Stadt angekündigt. Das Ziel ist die vollständige militärische Eroberung des Gazastreifens, um die Bevölkerung in Konzentrationslagern zu sammeln und mit Gewalt von ihrem angestammten Land zu vertreiben.

Letzte Woche warnte das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, der Angriff auf Gaza-Stadt könne „eine beispiellose, lebensbedrohliche humanitäre Krise auslösen“.

Nur einen Tag bevor die IPC die Hungersnot ausgerufen hatte, hatten eine gemeinsame Untersuchung des Guardians, des +972 Magazine und des Local Call enthüllt, dass laut Israels eigenen Angaben etwa 83 Prozent der Todesopfer in Gaza Zivilisten waren.

Die drei Publikationen hatten Schätzungen des Militärgeheimdienstes erhalten, laut denen 8.900 Kämpfer der Hamas und des palästinensischen Islamischen Dschihad „wahrscheinlich“ oder bestätigt getötet wurden. Gleichzeitig wurden in Gaza insgesamt 53.000 Menschen getötet. Das bedeutet, dass die mutmaßlichen Kämpfer nur 17 Prozent der Gesamtzahl der Toten ausmachen. Dieses massive Ausmaß an zivilen Todesopfern ist in der modernen Kriegsführung völlig beispiellos.

Erika Guevara Rosas, Sprecherin von Amnesty International, erklärte: „Diese Hungersnot ist die direkte Folge von Israels vorsätzlicher Hungerkampagne in Gaza. ... Die bewusste Behinderung von humanitären Hilfslieferungen, die Zerstörung lebenserhaltender Infrastruktur und die direkte Tötung von Zivilisten sind ein klarer Ausdruck davon, wie Israel Lebensbedingungen schafft, die darauf ausgelegt sind, die Palästinenser in Gaza im Rahmen des anhaltenden Völkermords physisch zu vernichten.“

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