„Friedenspreis“ des Deutschen Buchhandels für Karl Schlögel

Der sogenannte „Friedenspreis“ des Deutschen Buchhandels wird in diesem Jahr an den rechten Militaristen und Osteuropa-Historiker Karl Schlögel verliehen. Das gab die Jury am 29. Juli bekannt. Den mit 25.000 Euro dotierten Preis wird Schlögel im Oktober dieses Jahres im Rahmen der Frankfurter Buchmesse entgegennehmen. Das ZDF hat bereits angekündigt, die Verleihung live zu übertragen.

Karl Schlögel bei den Frankfurter Römerberggesprächen 2022 [Photo by Simsalabimbam / wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Der Preis wird jährlich durch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels verliehen, an, so heißt es im Statut des Vorstands, „eine Persönlichkeit, die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat“.

Im Falle Karl Schlögels – wie auch einiger seiner jüngsten Vorgänger – könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Schon die ersten Reaktionen der bürgerlichen Medien auf die Ankündigung zeigten, dass der Preisträger nicht aus wissenschaftlichen oder friedensliebenden Motiven ausgewählt wurde. Deutschlandfunk Kultur beschrieb Schlögel als „profunden Kritiker Putins“ und verwies auf seine zahlreichen Auszeichnungen. Die F.A.Z. gratulierte der Jury zu einer „hervorragenden Wahl“ und erklärte geradezu pathetisch, seit den Angriffen Russlands auf die Ukraine (gemeint ist: seit 2014) sei „der große Liebende der russischen Kultur zu einem publizistischen Gegenspieler Russlands“ geworden.

Kriegstreiber Schlögel

Um es klar auszudrücken: Schlögel gehört zu jener Riege von äußerst rechten Geisteswissenschaftlern, die in den vergangenen Jahren bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach massiver Aufrüstung und offener Konfrontation mit Russland gerufen haben. Die „Verwirklichung des Friedensgedankens“ geht bei Schlögel über eine Absage an Diplomatie und die Vorbereitung eines neuerlichen Waffengangs, mit Deutschland als europäischer Führungsmacht.

Nahezu jeder öffentliche Auftritt Schlögels belegt, dass die Aufgabe deutscher „Publizisten“ in den vergangenen Jahren nicht etwa in fortschrittlicher Aufklärung der Bevölkerung bestand, sondern darin, in vorauseilendem Gehorsam die Kriegspropaganda der herrschenden Klasse in sämtlichen Facetten in die Welt hinaus zu posaunen.

Beispielhaft ist ein Interview von Schlögel mit dem rechten Springer-Blatt Welt am Sonntag aus dem vergangenen November. Drei Wochen nach dem Zerfall der Ampel-Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz polterte Schlögel:

Ich verstehe nicht, wieso der starke Westen nicht in der Lage sein sollte, ukrainische Städte zu schützen oder Waffen zu liefern, die weit im russischen Hinterland jene Militäreinrichtungen zerstören, von denen aus die ukrainischen Städte Tag für Tag angegriffen werden. Anstelle dessen hören wir nur Ausflüchte und Ausreden, man könne sich nicht vorstellen, dass Putin weitergehen wird. Im Augenblick geht es Russland darum, die Ukraine in die Knie zu zwingen. Dieses abzuwehren, darum geht es jetzt und sofort. […] Putin setzt auf die westliche Kriegsmüdigkeit.

Schlögel anerkannte die Rolle des scheidenden Kanzlers, kritisierte ihn dann aber sogleich von rechts:

Es ist das Verdienst von Olaf Scholz, über die Zeitenwende gesprochen zu haben. Aber es fehlt die Einsicht, dass diese Zeitenwende ein langer, anstrengender, stressiger und qualvoller Prozess ist. Die entscheidende Frage lautet: Hat die künftige Regierung den Mut, dies der Bevölkerung klar zu sagen?

Hier offenbart sich ein autoritäres Politikverständnis, das mit Demokratie nicht das Geringste zu tun hat. Eine Regierung ist demnach nicht dazu da, den Wählerwillen zu repräsentieren, sondern der Gesellschaft von oben herab zu diktieren, worauf sie sich in Zukunft einzurichten hat – auch wenn die Folgen Krieg und unermessliches Leid und Elend sind.

Besonders befürchtet Schlögel eine Bewegung von unten, die ernsthaft einen Frieden in Europa anstrebt:

Hinzu kommt, dass sich wieder ein Pazifismus zu Wort meldet, der an die Bewegung der 80er-Jahre anknüpft. Aber es ist ein Pazifismus, der korrumpiert ist. Der heutige Pazifismus bedeutet Kapitulation vor einem Aggressor, einem, der Europa den Angriffskrieg zurückgebracht hat. Dieser heutige Pazifismus bedeutet nichts anderes als Kapitulation.

Im Klartext heißt das: Friedensliebe an sich ist schon schlimm genug, aber wehe, eine Antikriegsbewegung nimmt nicht den gleichen Weg wie die Grünen, die heute zu den aggressivsten Kriegstreibern gehören. Denn „ein Pazifismus, der korrumpiert ist“ – also nicht bereit, auch zu den Waffen zu greifen –, ist für die herrschende Klasse schlicht inakzeptabel. Schlögel selbst sprach im weiteren Verlauf des Interviews ausdrücklich davon, die Deutschen lebten heute „in einer Vorkriegszeit, und noch viel zu wenig Menschen machen sich klar, was das bedeutet“.

Schlögels Verteidigung von Jörg Baberowski

Die Leser der World Socialist Web Site kennen Schlögel bereits von einem aggressiven Auftritt bei einer Veranstaltung der IYSSE und Vertretern der ASten von TU Berlin und Uni Bremen im Sommer 2017 an der Technischen Universität (TU) Berlin. Damals „verwirklichte er den Friedensgedanken“, indem er studentische Kritiker des rechtsradikalen Osteuropa-Historikers Jörg Baberowski bedrohte und versuchte, sie einzuschüchtern, was ihm gründlich misslang.

Bezeichnenderweise hatte nur wenige Wochen vor Schlögels Wutausbruch an der TU das Kölner Landgericht in einem Urteil festgestellt, Baberowski dürfe sehr wohl als rechtsradikal bezeichnet werden. Laut dem Gericht gaben Baberowskis Positionen „einen hinreichenden Anknüpfungspunkt“ für die Bewertung als „rechtsradikal“. Das Urteil stellte auch ausdrücklich klar, dass die Kritik des Bremer AStA (den Baberowski verklagt hatte) an den Aussagen des Professors keine „Schmähkritik“ sei, „weil der erforderliche Sachbezug gegeben ist“.

Daran bestand nie auch nur der geringste Zweifel. Baberowski ist ein bekennender Anhänger des mittlerweile verstorbenen Ernst Nolte, eines der bekanntesten Verharmloser des Nationalsozialismus unter den deutschen Historikern der Nachkriegszeit. „Nolte wurde unrecht getan. Er hatte historisch recht“, erklärte Baberowski Anfang 2014 im Spiegel. In demselben Artikel wurde der Humboldt-Professor außerdem mit den Worten zitiert: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“

Wer Baberowskis Schriften studiert, stößt unweigerlich auf den modrigen Geruch geschichtsrevisionistischer Thesen. In einem 2009 veröffentlichten Aufsatz behauptet er, der Vergleich zwischen Stalinismus und Nationalsozialismus falle in Bezug auf die Vorkriegszeit „aus moralischer Perspektive nicht zugunsten der Bolschewiki“ aus. An anderer Stelle schreibt er, der Vernichtungskrieg im Osten sei von den Nazis nicht geplant worden, sondern der Wehrmacht von Stalin „aufgezwungen“ worden.

Baberowskis Verharmlosung des Nationalsozialismus und der Verbrechen des Dritten Reichs ist Bestandteil seiner Hetze gegen Geflüchtete und seinen offenen Aufrufen zu Krieg und Gewalt. Bei einem berüchtigten Auftritt im Deutschen Historischen Museum im Oktober 2014 forderte er, man müsse wie „die Terroristen“ bereit sein, „Geiseln zu nehmen, Dörfer niederzubrennen und Menschen aufzuhängen und Furcht und Schrecken zu verbreiten“, um Kriege, an denen sich die Bundeswehr beteilige, auch zu gewinnen.

Es sind diese Aussagen, die Schlögel gemeinsam mit Regina Mönch von der F.A.Z. und etwa zehn rechten Studierenden, darunter Angehörigen von Baberowskis Lehrstuhl und Sympathisanten der rechtsextremen Identitären Bewegung, gegen die studentische Kritik verteidigte. Mönch veröffentlichte anschließend im Feuilleton der F.A.Z. einen Hetzartikel gegen die IYSSE.

Es verwundert nicht, dass Baberowski trotz gewisser Differenzen, die er in Bezug auf Russland und die Ukraine mit Schlögel hat, im Rahmen eines Radio-Interviews mit Deutschlandradio Kultur zu einem der ersten Gratulanten Schlögels gehörte, nachdem seine Auszeichnung Ende Juli bekannt geworden war. Die Kriegstreiber wissen, dass sie keine Unterstützung in der Bevölkerung haben und stärken sich gegenseitig den Rücken.

Der „Friedenspreis“ heute: ein anti-russischer Kriegspreis

Die Verleihung des Friedenspreises an Karl Schlögel ist Teil des vehementen, aber verzweifelten Versuchs der herrschenden Klasse, die öffentliche Meinung auf einen Kriegskurs gegen die Atommacht Russland einzuschwören, für den sie mit demokratischen Methoden keine Mehrheit erreichen kann.

Schon im letzten Jahr wurde der „Friedenspreis“, der eigentlich „Kriegspreis“ heißen müsste, an Anne Applebaum verliehen, eine neokonservative Militaristin, die Russland dämonisiert und die öffentliche Stimmung auf einen großen Krieg der Nato in Osteuropa vorbereitet. Sie ist seit 33 Jahren mit dem derzeitigen polnischen Außenminister Radosław Sikorski verheiratet.

Schon damals war die Verleihung in den führenden deutschen Medien weitgehend auf Zuspruch gestoßen. So schrieb Jörg Lau in Zeit Online, die Verleihung an Applebaum sei eine „mutige Entscheidung […] und zwar gerade, weil sie sich einem allzu naiven Friedensdiskurs verweigert, der auch hierzulande in Bezug auf die Ukraine geführt wird“. Patrick Bahners von der F.A.Z. kommentierte, es handle sich um ein „Signal gegen die Politik der Beschwichtigung“.

Im Jahr 2022 ging der Preis an den nationalistischen ukrainischen Dichter Serhij Zhadan. In seinem mit dem Buchpreis ausgezeichneten Band „Himmel über Charkiw. Nachrichten vom Überleben im Krieg“ bezeichnete er Russen als „Horde“, „Verbrecher“ und „Unrat“. Über die „russischen Tiere“ heißt es darin: „Brennt in der Hölle, ihr Schweine.“

Schlögels Auszeichnung ist kein Zeichen von Zuversicht oder Selbstsicherheit, sondern von tiefer Verzweiflung einer herrschenden Klasse, die mit dem Rücken zur Wand steht und für ihre Politik des Militarismus keine Mehrheit findet und deshalb ideologisch Hitler und den Nationalsozialismus rehabilitiert. Arbeiter und Jugendliche sollten die Preisverleihung an Schlögel als propagandistische Kriegserklärung auffassen und sie mit dem Aufbau einer internationalen sozialistischen Antikriegsbewegung und einem ernsthaften Studium der Geschichte beantworten.

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