Daniel Marwecki, „Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson“

Israel und deutsche Staatsräson: Der Mythos von der Wiedergutmachung

Nahezu zwei Jahre Flächenbombardement, Massenmord und Hungerblockade des Gazastreifens haben Israel zu einem Pariastaat gemacht, der auf der ganzen Welt verachtet und gehasst wird. Trotzdem steht die deutsche Regierung unverbrüchlich hinter der israelischen Regierung, übertroffen wird sie dabei nur von der Trump-Administration.

Angesichts der wachsenden Empörung hat sich die offizielle Haltung Berlins zwar etwas verändert. Mitte Juni hatte Bundeskanzler Friedrich Merz dem zionistischen Staat noch bescheinigt, er mache „die Drecksarbeit für uns alle“, nun mahnt er mehr humanitäre Rücksichtnahme an und will keine Waffen mehr für den Einsatz in Gaza genehmigen. Doch praktisch ändert sich nichts. Deutschland unterstützt Israel weiterhin politisch und militärisch, widersetzt sich allen Sanktionsmaßnahmen und verfolgt Gegner des Genozids als angebliche „Antisemiten“.

Gerechtfertigt wird dies mit Deutschlands besonderer Verantwortung für den Holocaust. 2008 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel Israels Sicherheit zur „deutschen Staaträson“ erklärt, dieselbe Formulierung findet sich auch im Koalitionsvertrag der gegenwärtigen Regierung. Vor drei Monaten feierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Rede zum 60-jährigen Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen das „Wunder der Versöhnung nach dem Zivilisationsbruch der Shoah“. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wurde zu diesem Zeitpunkt längst wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Die Rechtfertigung der Kriegsverbrechen der israelischen Armee unter Berufung auf die Wiedergutmachung für die Shoah ist widerlich und abstoßend. Die Verantwortung für den Völkermord an den Juden verpflichtet Deutschland nicht zur Unterstützung eines weiteren Genozids. Historisch beruht diese Rechtfertigung auf einem Mythos, der jeder faktischen Grundlage entbehrt.

Die enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel hatte nie etwas mit „Wiedergutmachung“, Sühne für die Shoah oder Vergleichbarem zu tun. Sie war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Deutschland versorgte den bedrängten zionistischen Staat mit Waffen, Wirtschafts- und Finanzhilfen; die israelische Regierung schloss im Gegenzug die Augen vor dem Fortbestehen der Nazi-Eliten in Staat und Wirtschaft der Bundesrepublik und verhalf ihr zu internationalem Ansehen.

Umschlag des Buchs "Absolution?" mit David Ben-Gurion und Konrad Adenauer

Dieser Zusammenhang wird im Buch „Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson“ von Daniel Marwecki anschaulich dokumentiert. Der 1987 in Bremen geborene Politikwissenschaftler hat dafür Akten aus dem Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin, die zum Teil erstmals zugänglich waren, aus israelischen Archiven und aus zahlreichen anderen Quellen ausgewertet.

Das 2024 veröffentlichte Buch entstand bereits vor dem jüngsten Krieg in Gaza. Es beruht auf der Promotionsarbeit, die Marweckis 2018 an der School of Oriental and African Studies (SOAS) der Universität London einreichte und die unter dem Titel „Germany and Israel: Whitewashing and Statebuilding“ in englischer Sprache als Buch veröffentlicht wurde. Für die deutsche Ausgabe wurde der Text überarbeitet und mit einem aktualisierten Nachwort versehen.

Das Luxemburger Abkommen von 1952: Wirtschaftshilfe gegen politische Absolution

Die enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel begann lange vor der offiziellen Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1965. Bereits 1952 – Israel war gerade vier und die Bundesrepublik drei Jahre alt – vereinbarten die beiden Staaten in Luxemburg nach langen Verhandlungen ein sogenanntes „Wiedergutmachungsabkommen“.

Im Jahr zuvor hatte die Regierung von Konrad Adenauer (CDU) das sogenannte 131er-Gesetz verabschiedet, das zahlreichen alten Nazis den Weg zurück in den öffentlichen Dienst und Zugang zu öffentlichen Versorgungsleistungen sicherte. Gesetz und Abkommen hingen, wie Marwecki nachweist, eng zusammen:

Aus nachkriegsdeutscher Sicht widersprachen sich die Entschädigungspolitik gegenüber Israel und die Reintegration alter Nazis in das nicht ganz so neue Deutschland also kaum. Reparation und Reintegration verhielten sich geradezu komplementär Das Erste ermöglichte das Zweite.

Israel brachte das heftig umstrittene Abkommen dringend benötigte Investitionsgüter, Energielieferungen und bald auch Waffen. Die relativ geringe Summe von 3,45 Milliarden Deutsche Mark, zu der sich Deutschland als Wiedergutmachung verpflichtete, wurde zu zwei Dritteln in Form von Waren geleistet. Mit dem letzten Drittel wurden Rohöllieferungen britischer Energiekonzerne bezahlt. Individuelle Entschädigungen für Opfer des Holocaust waren dagegen nicht vorgesehen.

Für Israel, damals international noch stark isoliert, war das Abkommen laut Marwecki „lebenswichtig“. Bis 1965 floss etwa dreimal so viel Kapital aus Deutschland nach Israel wie aus den USA, die erst nach dem Sechstagekrieg von 1967 zum wichtigsten Unterstützer des zionistischen Staates wurden.

Deutschland lieferte Maschinen für die Textil-, die Chemie-, die Metall- und andere Industrien, für den Straßenbau, die Landwirtschaft und vieles mehr. Größter Einzelsektor war der Schiffsbau mit 60 Schiffen und einer Gesamttonnage von rund 450.000. Die deutschen Lieferungen machten Anfangs 12 Prozent aller israelischen Importe aus. Deutschland half so, „aus einem importabhängigen Agrarstaat einen exportorientierten Industriestaat zu machen“, der die wachsende Zahl von Einwanderern absorbieren konnte.

Für Deutschland war das Abkommen laut Marwecki „eine kostengünstige Investition in seine internationale Rehabilitation“. Die angebliche „Wiedergutmachung“ verhalf der Bundesrepublik zu internationalem Ansehen, während alte Nazis, die teils für Kapitalverbrechen verantwortlich waren, weiterhin hohe Regierungsämter, Richterstellen, Lehrstühle und die Chefetagen der Konzerne besetzten. Hans Globke, Chef und „graue Eminenz“ in Konrad Adenauers Kanzleramt, war Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze.

Auch wirtschaftlich und – wie wir noch sehen werden – militärisch profitierte Deutschland von dem Abkommen. Es ist nach den USA und China auch heute noch Israels drittgrößter Handelspartner.

Marwecki zeigt detailliert, dass das Luxemburger Abkommen nicht mit Einsicht in die nationalsozialistischen Verbrechen oder mit deren Aufarbeitung einherging. Es diente dazu, eine solche Aufarbeitung zu verhindern. Antisemitische Vorurteile waren auch Jahre danach bis in die höchsten Regierungskreise verbreitet.

Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer besucht 1966 Tel Aviv [Photo by Bundesarchiv, B 145 Bild-P092350 / undefined]

Das Luxemburger Abkommen war nicht nur in Israel, sondern auch in Deutschland umstritten. Zu seinen wichtigsten Gegnern zählten Adenauers Finanzberater Hermann Josef Abs und Finanzminister Fritz Schäffer. Sie waren aus Kostengründen dagegen. Abs war unter den Nazis in die Führungsspitze der Deutschen Bank aufgestiegen. Als Vorstandsmitglied war er für Arisierungsmaßnahmen verantwortlich und saß im Aufsichtsrat der I.G.Farben, die Werke in Auschwitz betrieb und das tödliche Zyklon B für die Gaskammern herstellte. 1957, zwölf Jahre nach dem Ende des Nazi-Regimes, wurde Abs Vorstandschef der Deutschen Bank stieg zur dominierenden Figur der deutschen Wirtschaft auf.

Den Ausschlag für die Zustimmung zum Luxemburger Abkommen gab schließlich der Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU), der in einem Schreiben an Adenauer seinen ökonomischen und politischen Nutzen herausstellte:

In einer mehr dynamischen Beurteilung der [wirtschaftlichen] Entwicklung und vor allem unter politischem Aspekt könnte es … durchaus sein, dass eine höhere Schuldanerkenntnis im Endeffekt den deutschen Interessen besser dient, dann nämlich, wenn wir die deutsche Kreditwürdigkeit stärken und schließlich vielleicht sogar die Juden der Welt mit der deutschen Vergangenheit versöhnen.

Die antisemitische Anspielung auf die „Juden der Welt“ war kein Versehen. Auch Adenauer äußerte sich immer wieder entsprechend. Die politische Führung Deutschlands glaubte auch nach dem Holocaust noch an eine jüdische Weltverschwörung. Selbst als Deutschland und Israel 1965 offiziell diplomatische Beziehungen aufnahmen, begründete dies der erste deutsche Botschafter in Tel Aviv, Rolf Pauls, in einem internen Schreiben mit dem Einfluss des „Weltjudentums“:

Es bleibt zu beachten, dass Israel und die Juden an den entscheidenden Weltzentren der öffentlichen Meinungsbildung entscheidenden Einfluss ausüben und für unseren good will, besonders auch was die Einstellung der Weltöffentlichkeit zur Deutschlandfrage angeht, in der außenpolitischen schweren Zeit, die vor uns liegt, von großem Gewicht sein werden. Die Einstellung des Weltjudentums zur Deutschlandfrage, die von der Qualität der deutsch-israelischen Beziehungen nicht zu trennen ist, wird nach meiner Überzeugung für die Zukunft dieses unseres wichtigsten politischen Ziels schwerer wiegen, als die … Einstellung der arabischen Staaten. (110)

Die „Deutschlandfrage“ stand damals im Fokus der deutschen Außenpolitik. Die Regierung Adenauer beanspruchte die Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937, einschließlich der DDR und großer Gebiete, die Deutschland nach der Kriegsniederlage an Polen, die Tschechoslowakei und die Sowjetunion hatte abtreten müssen. Das änderte sich erst 1970, als die Regierung von Willy Brandt erstmals die polnische Westgrenze offiziell anerkannte.

Besonders deutlich zeigte sich der wirkliche Charakter der deutsch-israelischen Beziehungen während des Eichmann-Prozesses. Als Adolf Eichmann, der die zentrale Rolle bei der Verfolgung, Deportation und Ermordung von sechs Millionen Juden gespielt hatte, vom israelischen Geheimdienst aus Argentinien entführt und 1961 in Israel vor Gericht gestellt wurde, läuteten in Bonn die Alarmglocken. Die deutsche Regierung fürchtete, Eichmann könnte auspacken und hochrangige Beamte – insbesondere Kanzleramtschef Globke – belasten.

Der Bundesnachrichtendienst, der von alten Nazis durchsetzt war, schickte mehrere „Beobachter“ nach Jerusalem, um den Prozess zu beeinflussen und die Berichterstattung darüber zu kontrollieren. Versprochene Waffen und Finanzhilfen wurden zurückgehalten, bis Eichmann im Sommer 1962 hingerichtet war. Eichmann selbst hielt dicht. Der fanatische Nazi und Judenhasser hatte kein Interesse, alte Kameraden anzuschwärzen. Er wusste, dass er dem Todesurteil nicht entrinnen konnte, und spielte standhaft die Farce der „Banalität des Bösen“, des unpolitischen und emotionslosen Befehlsempfängers.

Militärische Zusammenarbeit

Wichtiger noch als die wirtschaftliche, war die militärische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel. Sie begann bereits vor dem Luxemburger Abkommen von 1952. Schon 1948 stand die Untergrundarmee Haganah in Kontakt zu deutschen Militärvertretern, und 1951 unternahm das israelische Verteidigungsministerium eine Einkaufstour in Deutschland.

Vor dem Sechstagekrieg von 1967 spielte Deutschland bei der militärischen Unterstützung Israels eine wichtigere Rolle als die USA. „Israel wurde zuerst mit deutscher Hilfe zu einer Regionalmacht – und erst nachdem es zu einer Regionalmacht wurde, übernahmen die USA die Rolle als Schutzpatron des jüdischen Staates,“ schreibt Marwecki.

Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß lässt sich bei einem Israel-Besuch im Mai 1963 von Uziel Gal dessen Uzi-Maschinenpistole erklären [Photo by Government Press Office, Moshe Pridan]

Treibende Kraft dieser Zusammenarbeit war Verteidigungsminister Franz Josef Strauß. Der langjährige CSU-Vorsitzende stand am rechten Rand der deutschen Politik und lehnte eine Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit strikt ab. Bei der Abstimmung über das Luxemburger Abkommen hatte er sich im Bundestag der Stimme enthalten. Doch als er 1956 Verteidigungsminister wurde, änderte er seine Meinung: „Israel wurde für ihn zu einer Bastion des Westens im Nahen Osten, ein militärischer Garant gegen sowjetischen Einfluss und arabischen Nationalismus.“

Die militärische Zusammenarbeit führte zu Spannungen mit dem Auswärtigen Amt. Dort fürchtete man, arabische Staaten würden diplomatische Beziehungen zur DDR aufnehmen, falls die Waffenlieferungen bekannt würden. Gemäß der damals geltenden Hallstein-Doktrin hätte die Bundesrepublik dann die Beziehung zu diesen Staaten sofort abbrechen müssen.

Das hätte nicht nur unabsehbare Folgen „für die Position und das Ansehen der Bundesrepublik im Nahen Osten“ gehabt, wie Außenminister Heinrich von Brentano 1958 an Strauß schrieb. Es hätte auch die Energieversorgung Deutschlands gefährdet, die in wachsendem Maße auf Öl aus dem Nahen Osten angewiesen war. Die militärische Zusammenarbeit fand daher weitgehend im Geheimen statt, war aber umso intensiver.

1957 besuchte Simon Peres, damals stellvertretender israelischer Verteidigungsminister, Strauß heimlich in seinem Privathaus in Bayern. „Nur wenige Monate nach unserem Treffen erhielt die israelische Armee sehr wertvolle Ausrüstung,“ berichtete Peres später. „Wir erhielten Munition, Trainingsgeräte, Hubschrauber, Ersatzteile und vieles mehr. Die Qualität war exzellent und die Menge war beträchtlich.“

Das war nur der Anfang. So genehmigte die deutsche Regierung im August 1962, zwei Monate nach der Hinrichtung Eichmanns, eine riesige Waffenlieferung. Sie umfasste unter anderem 114 Flugabwehrgeschütze, 24 Sikorsky-Hubschrauber, 12 Noratlas Transportflugzeuge, sechs Jaguar-Schnellboote und vier Dornier-28 Flugzeuge.

Auch bei der militärischen Zusammenarbeit ging es nicht um Wiedergutmachung, sondern um deutsche imperialistische Interessen. Israel diente der Bundesrepublik als Brückenkopf im Nahen Osten. In der Vorbereitungsmappe für den ersten deutschen Botschafter in Tel Aviv, Rolf Pauls, hieß es dazu:

Als Brücke nach Afrika und zum Indischen Ozean, als Verbindungslinie Europas zu den Zentren des ost-asiatischen Spannungsfeldes und als wichtige Erdölquelle ist der Nahe Osten von erheblicher strategischer Bedeutung und die Aufrechterhaltung der Stabilität in diesem Raum ein entscheidendes Anliegen des Westens.

Nicht zuletzt ging es um das Zurückdrängen des Einflusses der Sowjetunion. Pauls war sich darüber im Klaren, er schrieb:

Unübersehbar ist unser Interesse an einer Konsolidierung des ökonomischen und politischen Zustandes Israels als eines Faktors der freien Welt im Nahen Osten.

Die – weitgehend geheime – sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Israel hält bis heute an. Sie ist nicht nur für Israel, sondern auch für die Bundeswehr und für die deutsche Rüstungsindustrie von großer Bedeutung. Sie „umfasst Forschung, Entwicklung, Ausbildung und gemeinsame Truppenübungen“, schreibt Marwecki. Sie ist „im militärischen, rüstungspolitischen und geheimdienstlichen Bereich so verzahnt wie die zwischen den Staaten der NATO“.

Deutschland liefert nicht nur Waffen nach Israel, sondern kauft auch welche aus israelischer Produktion. So diente die israelische Uzi der frühen Bundeswehr als Standard-Maschinenpistole. Nach dem Krieg von 1973 übergab Israel erbeutete sowjetische T62-Panzer. Sie versetzten Deutschland in die Lage, für den Leopard 2 eine neue Kanone zu entwickeln, die den hochmodernen Panzer durchschlagen kann. Der israelische Merkava-3-Panzer wiederum beruht auf dem Vorbild des deutschen Leopard 2. Das neuste Modell Merkava IV wird von deutschen MTU-Motoren angetrieben.

Bau der israelischen Atombombe

Der vielleicht wichtigste – und geheimste – Bereich der militärischen Zusammenarbeit betrifft die israelischen Atombombe. Es gilt als sicher, dass Israel über mindestens 90 nukleare Sprengköpfe verfügt, obwohl es das nie offiziell zugegeben hat. Es ist damit die einzige Nuklearmacht im Nahen Osten. Es gibt zahlreiche Hinweise, dass Deutschland – ein Nicht-Nuklearstaat – an der Entwicklung oder zumindest der Finanzierung der israelischen Atombombe beteiligt war.

Marwecki erwähnt eine Sonderzahlung in Höhe von 2 Milliarden DM, die Deutschland Israel im Mai 1961 gewährte. Wegen „der Höhe der Summe und in Hinblick auf außenpolitische Sensibilitäten wurde darüber Vertraulichkeit vereinbart“. Hans Rühle, der im Bundesverteidigungsministerium und der NATO damals hohe Ämter ausübte, ist überzeugt, dass diese Gelder in die Finanzierung des israelischen Atomprogramms flossen. 2015 schrieb er in der Welt, der Reaktorkomplex in der Wüstenstadt Dimona, bei dessen Bau Frankreich mitwirkte, sei von Deutschland finanziert worden. In den Akten ist von der Finanzierung einer – nie gebauten – „Textilfabrik“ und einer „nuklearen Entsalzungsanlage“ die Rede. Der Begriff „Textilfabrik“ wurde in Israel oft als Deckname für Nukleareinrichtungen verwendet.

Ob Deutschland bei der Entwicklung der Atombombe auch technisch mit Israel zusammenarbeitete, ist nicht belegt. Doch der Verdacht ergibt durchaus Sinn. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, die treibende Kraft hinter der militärischen Zusammenarbeit, wollte unbedingt eine deutsche Atombombe. 1957 schloss er mit dem französischen Verteidigungsminister sogar ein geheimes Abkommen zur gemeinsamen Entwicklung von Atomwaffen.

Doch Strauß konnte sich gegen den massiven öffentlichen Widerstand nicht durchsetzen. 1962 musste er wegen der Spiegel-Affäre zurücktreten. Er hatte Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein in Francos Spanien verhaften lassen, weil er einen kritischen Artikel über die Bundeswehr veröffentlicht hatte.

Die atomare Zusammenarbeit war mit Strauß Rücktritt nicht beendet. Zwischen 1999 und 2018 lieferte Deutschland sechs atomar bestückbare Dolphin-U-Boote an Israel, die es größtenteils auch finanzierte. In diesem Jahr steht die Lieferung des ersten Boots einer modernisierten Version, der Dakar-Klasse, an. Diese U-Boote garantieren Israels atomare Zweitschlagfähigkeit. Es kann selbst dann noch Atombomben abfeuern, wenn das Land selbst bereits weitgehend zerstört ist.

Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen

Marwecki verfolgt die deutsch-israelischen Beziehungen bis in die Gegenwart. Sie unterlagen politischen Schwankungen, blieben aber immer eng.

1967 lösten die USA Deutschland als wichtigster Unterstützer Israels ab. Das hatte verschiedene Gründe. Die USA hatten sich anfangs – zumindest öffentlich – mit der Unterstützung des zionistischen Staats zurückgehalten. Nach seiner Gründung arbeitete Israel im Kampf gegen die wachsende arabische nationale Bewegung noch eng mit den traditionellen Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich zusammen.

Als Gamal Abdel Nasser 1956 den Suezkanal verstaatlichte, unterstützte die israelische Armee den britisch-französischen Angriff auf Ägypten. Doch die USA erzwangen nach wenigen Tagen den Abbruch des Kriegs und demonstrierten so, wer die neue dominierende Großmacht im Nahen Osten war. Seither setzte Israel auf enge Beziehungen zum amerikanischen Imperialismus, der sich nach dem israelischen Sieg im Sechstagekrieg von 1967 zur wichtigsten Schutzmacht des zionistischen Staats wurde.

Das deutsch-israelische Verhältnis kühlte sich dagegen ab. Da Deutschland Anfang der 1970er Jahre 71 Prozent seines Öls aus arabischen Ländern bezog, wollte es seine Beziehungen zu diesen Ländern nicht gefährden. Auch Willy Brandts Ostpolitik – die Aufnahme politischer und wirtschaftlicher Beziehungen zur DDR und anderen osteuropäischen Ländern, die enge Beziehungen zu den arabischen Regierungen pflegten – wirkte in diese Richtung. Die militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Israel ging aber weiter, auch wenn sie nicht an die große Glocke gehängt wurde.

Hans-Jügen Wischnewski (Bundesregierung), Abdallah Frangi (PLO-Vertreter) und Jassir Arafat (PLO-Vorsitzender) [Photo by Abdallah Frangi]

In den 1970er Jahren entdeckte Deutschland auch die palästinensische Frage für sich. 1974 sprach der deutsche UN-Botschafter erstmals von einem palästinensischen Recht auf Selbstbestimmung. 1979 traf sich der SPD-Vorsitzende und Ex-Kanzler Willy Brandt in Wien mit PLO-Führer Yassir Arafat. In den 1990er Jahre wurden Deutschland und die EU zu den wichtigsten Geldgebern des Oslo-Prozess.

Wie die „Versöhnung“ mit Israel diente auch das Engagement für die Palästinenser deutschen imperialistischen Interessen. „Die Geschichte zeigt: die Bundesregierung öffnete nicht zufälligerweise in dem Moment ihre Ohren für palästinensische Belange, als die erdölexportierenden arabischen Staaten die europäische Energieabhängigkeit als Druckmittel entdeckten,“ schreibt Marwecki. Mit der Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde finanziert Deutschland außerdem die korruptesten Elemente der palästinensischen Gesellschaft, die in den besetzten Gebieten im Interesse Israels für Ordnung sorgten.

Nach der Auflösung der Sowjetunion wurde die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel wieder enger. Deutschland musste nun keine Rücksicht mehr auf die arabischen Regime nehmen, die nicht mehr zwischen Ost und West lavieren konnten und immer weiter nach rechts rückten. Die USA gingen dazu über, in einer Reihe nicht endender Kriege den Nahen Osten unter ihre direkte Kontrolle zu bringen und wurden dabei von Deutschland und den anderen Nato-Mächten offen oder indirekt unterstützt. Israel spielte eine zentrale Rolle als Brückenkopf der imperialistischen Mächte im Nahen Osten.

Vor diesem Hintergrund erklärte Bundeskanzlerin Merkel Israels Sicherheit 2008 zur „deutschen Staatsräson“. Neben imperialistischen und militärischen Interessen spielten dabei auch wirtschaftliche eine Rolle: Bis 2009 war Deutschland hinter den USA Israels zweitwichtigster und danach hinter China sein drittwichtigster Handelspartner. Mit Wiedergutmachung oder Sühne für den Holocaust hatte Merkels Erklärung, wie wir gesehen haben, dagegen nichts zu tun.

Kein Verständnis des Nahostkonflikts

Marweckis Buch ist ein wichtiger Beitrag zu Entmystifizierung der deutschen „Staatsräson“ und deshalb lesenswert. Ein Verständnis des Nahostkonflikts oder einen Ausweg daraus findet man darin aber nicht, wie der Autor selbst zugibt. Das letzte Kapitel endet mit dem Satz: „Das Ergebnis ist eine für alle Seiten unhaltbare Situation, aus der es vorerst kein Entrinnen gibt.“

Der Grund für diese pessimistische Haltung liegt in den postmodernen Konzeptionen, auf die sich Marwecki stützt. Der Fokus seiner Arbeit liegt auf dem „Kampf um Narrative“, dem „Krieg um die Köpfe“ und der „Erinnerungsdebatte“. Er unterschätzt – oder ignoriert – die imperialistischen Interessen und die gesellschaftlichen Kräfte, die dem Nahostkonflikt zugrunde liegen, und dessen geopolitische Dimension.

Dem Zionismus steht Marwecki weitgehend unkritisch gegenüber. Im „Postskript“, das er nach dem Ausbruch des jüngsten Gaza-Kriegs verfasste, bezeichnet er „die rein antikoloniale Lesart des Israel-Palästina-Konflikts“ als „fatal“, weil „die heutigen Israelis selbst entweder aus Europa oder aber aus den arabischen Ländern vertrieben“ wurden. „Das Mutterland der Israelis heißt Israel,“ erklärt er. Sie seien, „um ein Wort aus der postkolonialen Theorie zu verwenden, indigen“. Deswegen gebe es „auch nur eine echte Lösungsmöglichkeit für den israelisch-palästinensischen Konflikt: eine Teilung des Landes in zwei Nationalstaaten“. Wobei er zugibt, dass „eine solche Lösung aktuell weniger realistisch ist denn je“.

Tatsächlich sind die Kriegsverbrechen des Netanjahu-Regimes bereits im Zionismus angelegt. Als der Zionismus Ende des 19. Jahrhunderts in seiner modernen Form entstand, richtete er sich gegen die Perspektive des Sozialismus, die damals unter jüdischen Arbeitern und Intellektuellen breiten Einfluss hatte. Der Sozialismus verband die Überwindung von Antisemitismus und jüdischer Diskriminierung mit der Emanzipation der Arbeiterklasse und der Abschaffung der kapitalistischen Klassengesellschaft. Der Zionismus setzte der Befreiung der Juden durch die Solidarität der internationalen Arbeiterklasse die Gründung eines jüdischen Nationalstaats im Bündnis mit reaktionären imperialistischen Mächten entgegen.

Das war eine Sackgasse. Den führenden Zionisten war immer klar, dass sie ihr Ziel nur durch die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung und mit Unterstützung der einen oder anderen imperialistischen Macht erreichen konnten. Wladimir Jabotinsky, einer der geistigen Väter der heutigen Machthaber in Jerusalem, warb für einen jüdischen Staat in Palästina als Bollwerk des britischen Imperialismus.

Palästina könne seine „Bedeutung für die britischen imperialen Interessen“ nur erfüllen, wenn es „aufhört, ein arabisches Land zu sein“, schrieb Jabotinsky 1934. „Sollte Palästina arabisch bleiben, würde Palästina auf den arabischen Kurs einschwenken“ und „alle Spuren europäischen Einflusses“ beseitigen. „Aber ein überwiegend jüdisches Palästina, ein Palästina als jüdischer Staat, der von allen Seiten von arabischen Ländern umgeben ist, wird im Interesse seiner Selbsterhaltung immer versuchen, sich auf ein mächtiges, nicht-arabisches und nicht-mohammedanisches Reich zu stützen.“ Dies sei „eine geradezu von der Vorsehung geschaffene Grundlage für ein dauerhaftes Bündnis zwischen England und einem jüdischen (aber nur einem jüdischen) Palästina.“

[Photo: WSWS]

Israel entstand als imperialistischer Außenposten im Nahen Osten und ist es bis heute. David North schreibt dazu in dem Buch „Die Logik des Zionismus. Vom nationalistischen Mythos zum Genozid in Gaza“, dem auch das obige Zitat von Jabotinsky entnommen ist:

Die Aufrechterhaltung eines jüdischen Apartheidstaats, der das palästinensische Volk gewaltsam unterdrückt und zugleich innenpolitisch in Richtung Faschismus geht, ist untrennbar mit der Rolle Israels als Dreh- und Angelpunkt des Imperialismus im Nahen Osten verbunden. Als massiv bewaffnete Garnison des US-Imperialismus muss es in allen von Washington angezettelten Kriegen eingesetzt werden, mit letztlich katastrophalen Folgen.

Marweckis Leugnung dieser Tatsache mit der Begründung, die Israelis seien aus Europa und anderen Ländern vertrieben worden und hätten kein anderes Mutterland, ändert daran nichts. Wahr ist allerdings, dass erst der Aufstieg des Faschismus und die Katastrophe der Shoah dem Zionismus, der vorher eine politische Randerscheinung war, die nötige Unterstützung verlieh, um seine Pläne in die Tat umzusetzen. Um noch einmal David North zu zitieren:

Die Gründung des zionistischen Staates war das direkte Ergebnis der Niederlagen, die die Arbeiterklasse in den 1920er und 1930er Jahren aufgrund des Verrats des Stalinismus und der Sozialdemokratie erlitten hatte. Ohne die Masse der Vertriebenen, der Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager, und ohne die politische Demoralisierung und den Verlust des Vertrauens in die Perspektive des Sozialismus hätten die zionistischen Führer nicht über die nötige Zahl von Menschen verfügt, um einen terroristischen Krieg gegen das palästinensische Volk zu führen, es aus seinen Häusern und Dörfern zu vertreiben und mit im Wesentlichen kriminellen Methoden einen jüdischen Nationalstaat zu errichten.

Der zionistische Staat hat sich als tragische Sackgasse erwiesen. Die Verbrechen, die er vor den Augen der Weltöffentlichkeit in Gaza und auf der Westbank begeht, haben ihn zu einem Paria gemacht, der von der Mehrheit der Menschheit verachtet wird.

Eine Zweistaaten-Lösung würde daran nichts ändern. Sie würde den zionistischen Staat als imperialistische Bastion bestehen lassen, den Konflikt mit den Palästinensern verewigen und diese mit einem Ministaat abspeisen, der weder wirtschaftlich noch politisch überlebensfähig ist.

Der einzige Ausweg aus dieser Sackgasse ist ein säkulares, demokratisches Palästina, in dem Juden, Palästinenser und Menschen anderer Herkunft und Religion gleichberechtigt zusammenleben. Ein solches Palästina lässt sich nur auf sozialistischer Grundlage errichten. Es setzt die Vereinigung der Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen des Nahen Ostens im Kampf gegen die imperialistischen Mächte, das zionistische Regime und die feudalen und bürgerlichen arabischen Herrscher voraus. Es muss Teil vereinigter sozialistischer Republiken im gesamten Nahen Osten und weltweit sein.

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