Am Dienstagmorgen gab die Canadian Union of Public Employees (CUPE) bekannt, sie habe eine vorläufige Vereinbarung mit Air Canada erzielt, um den Streik von 10.000 Flugbegleitern bei Air Canada und der Tochtergesellschaft Air Canada Rouge zu beenden. Der Streik, der am letzten Samstag begann, war der erste landesweite Ausstand des Kabinenpersonals der größten kanadischen Fluggesellschaft in 40 Jahren und hatte nach kurzer Zeit deren weltweiten Flugbetrieb lahmgelegt. Er richtete sich gegen den Versuch der liberalen Regierung, den Streik mit den undemokratischen Befugnissen des kanadischen Arbeitsgesetzbuches zu unterdrücken.
Dass die CUPE den Streik beendet hat, ohne den Arbeitern irgendeinen Hinweis auf den Inhalt der vorläufigen Vereinbarung zu geben oder sie darüber abstimmen zu lassen, ist ein klarer Verrat. Zuvor hatten die Flugbegleiter der liberalen Regierung mutig getrotzt, die sich auf Abschnitt 107 des kanadischen Arbeitsgesetzbuchs berufen hatte. Diese vor kurzem „neu interpretierte“ Regelung erlaubt es dem Staat, Streiks einseitig für illegal zu erklären und ein Zwangsschlichtungsverfahren einzuleiten.
Weniger als zwölf Stunden nach Beginn des Streiks wandte Arbeitsministerin Patty Hajdu Abschnitt 107 an, um den Ausstand für illegal zu erklären. Doch die Arbeiter setzten ihren Streik auch nach dem Verbot noch für mehr als zwei Tage fort, was die Regierung von Premierminister Mark Carney in eine schwere politische Krise stürzte.
Der Widerstand der Streikenden bei Air Canada gegen Abschnitt 107 war beispiellos, seit die vorherige liberale Regierung unter Justin Trudeau das Gesetz erstmals benutzt hatte, um Streiks zu beenden, ohne im Parlament ein Gesetz zur Wiederaufnahme der Arbeit durchbringen zu müssen. Die liberale Regierung hatte Abschnitt 107 gegen Arbeiter in zahlreichen Schlüsselbereichen der Wirtschaft benutzt, u.a. gegen Eisenbahner, Hafenarbeiter und bei der Canada Post. Die jeweiligen Gewerkschaften wirkten jedes Mal bei der Durchsetzung der Streikverbote mit.
Dass die Flugbegleiter ihren militanten Arbeitskampf angesichts der Drohung mit Bußgeldern und möglichen Haftstrafen fortsetzen, zerstörte die selbstgefällige Annahme der herrschenden Kreise, die Arbeiter könnten durch einstweilige Verfügungen und Drohungen mit „Law and Order“ eingeschüchtert werden. Der Streik war Ausdruck der großen sozialen Wut, die sich nach Jahren stagnierender oder sinkender Reallöhne, schikanöser Schichtpläne und der Einführung von durchschnittlich mehr als 35 unbezahlten Arbeitsstunden pro Monat angesammelt hatte.
Der Deal zur Wiederaufnahme der Arbeit, den die CUPE mitten in der Nacht ausgehandelt hat, war kein Sieg, sondern ein Sabotageakt. Die Regierung, Air Canada und das ganze Unternehmer-Establishment sollten vor einer Bewegung gerettet werden, die außer Kontrolle zu geraten drohte und breitere Teile der Arbeiterklasse hätte mobilisieren können, die unter den gleichen ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und dem gleichen Niedergang ihres Lebensstandards leiden wie die Flugbegleiter.
Dass die Flugbegleiter bei einer Beteiligung von über 94 Prozent mit 99 Prozent für einen Streik gestimmt haben, zeugt von ihrer überwältigenden Entschlossenheit. Ihr Widerstand brachte ihnen große Sympathie unter den Arbeitern in ganz Kanada und der Welt ein, die mit denselben Angriffen auf Löhne, Arbeitsbedingungen und das Streikrecht konfrontiert sind.
Doch die CUPE, die jahrzehntelang als Instrument der Konzerne und Regierungen bei der Unterdrückung der Arbeiterklasse fungierte, ging mit rücksichtsloser Geschwindigkeit vor, um den Streik zu unterdrücken, nachdem sie ihn nur unter dem Druck der Belegschaft fortgesetzt hatte. Sie ordnete die Rückkehr an die Arbeit an, ohne irgendwelche Details über die vorläufige Vereinbarung bekanntzugeben.
Die Gewerkschaften, die liberale Regierung und das Großkapital befürchteten vor allem, dass sich der Widerstand der Flugbegleiter gegen die Anordnung zur Rückkehr an die Arbeit ausbreiten und größere Teile der Arbeiterklasse in ganz Kanada mobilisieren würde.
Die Behauptung der Gewerkschaftsbürokratie, der Deal stelle eine „transformative Veränderungen“ dar und „unbezahlte Arbeit sei vorbei“, weil er die Pflicht zu unbezahlten Tätigkeiten am Boden abschaffe, ist Betrug. Air Canada hatte bereits vor dem Streik angeboten, für solche Arbeiten 50 Prozent der normalen Löhne zu zahlen. Dass die CUPE dies als Durchbruch darstellt, bestätigt nur, dass man die Arbeiter weit unter ihrem vollen Lohn bezahlen wird. Gleichzeitig ist so gut wie sicher, dass der Deal weitere Zugeständnisse beinhaltet, um Kosten zu kompensieren, u.a. bei Dienstplänen, Personalstärke oder Krankenkassenleistungen.
Der leitende Geschäftsführer von Air Canada, Mark Nasr, gab zu, dass viele Flugbegleiter für Armutslöhne arbeiten, die unter dem „Existenzminimum“ liegen. Er erklärte gegenüber Global News über die vorläufige Vereinbarung: „Sie wird Bezahlung für Aufgaben am Boden beinhalten, dringend benötigte Erhöhungen, um unseren jüngeren Flugbegleitern ein Existenzminimum zu ermöglichen, und viele weitere Aspekte, die dieses Paket zu einem angemessenen Paket machen, das all ihre enormen Leistungen anerkennt.“
Die Flugbegleiter müssen auf die mächtige Dynamik ihres Streiks aufbauen und diesen Ausverkauf entschieden ablehnen sowie mit „Nein“ stimmen, sobald sie die Gelegenheit dazu bekommen.
Eine weitere politische Krise, eingedämmt mitithilfe der Gewerkschaftsbürokratie
Der Widerstand der Flugbegleiter gegen Abschnitt 107 stürzte die junge Regierung des ehemaligen Zentralbankers Carney in eine schwere politische Krise. Weniger als vier Monate nachdem er Justin Trudeau als Regierungschef abgelöst hatte, sah sich der Premierminister mit der Aussicht auf einen offenen Aufstand der Arbeiter gegen das Streikverbot der Regierung konfrontiert. Diese Rebellion entlarvte die betrügerische nationalistische Rhetorik über das „Team Kanada“ und die „nationale Einheit“, welche die herrschende Elite verbreitet, während sie gleichzeitig – und mit voller Unterstützung durch die Gewerkschaftsbürokratie und die sozialdemokratische NDP – eine Politik der Austerität und des Militarismus umsetzt und einen reaktionären Handelskrieg mit den USA führt.
Carney begrüßte die Einigung zur Beendigung des Streiks zynisch und postete am Dienstag auf X: „Ich bin erleichtert, dass Air Canada und die Canadian Union of Public Employees heute früh eine vorläufige Vereinbarung getroffen haben. Ich hoffe, diese wird sicherstellen, dass Flugbegleiter jederzeit fair entlohnt werden und dass damit die Beeinträchtigungen für Hunderttausende von kanadischen Familien und Arbeitern sowie Besucher Kanadas enden werden.“
Hajdu gab eine ähnlich heuchlerische Erklärung ab und lobte die angekündigte „Untersuchung“ der Regierung zur Frage der unbezahlten Arbeit. Nachdem sie die Anordnung zur Beendigung des Streiks der Flugbegleiter herausgegeben und eine Zwangsschlichtung zu Gunsten des Air Canada-Managements durchgesetzt hatte, erklärte sie: „Die besten Abkommen sind diejenigen, die am Verhandlungstisch gemacht werden. Ich bin erleichtert, dass sich die Parteien darauf geeinigt haben, sich gestern Nacht zu treffen. Während unserer anhaltenden Treffen habe ich sie nachdrücklich dazu gedrängt, zusammen eine Lösung am Verhandlungstisch zu finden.“
Carneys Regierung hat – mit der vollen Unterstützung des Großkapitals und der Mainstreammedien – die Bestrebungen der Trudeau-Regierung, die kapitalistischen Profite zu steigern und die imperialistischen Interessen Kanadas durchzusetzen, fortgesetzt und dramatisch verschärft. So hat sie u.a. den Streik bei Air Canada für illegal erklärt und zuvor die Beschäftigten von Canada Post, deren einmonatiger Ausstand im letzten Dezember durch die Anwendung von Abschnitt 107 für illegal erklärt wurde, zur Abstimmung über das „beste und letzte“ Tarifvertragsangebot von Canada Post gezwungen, das in Wirklichkeit voller Zugeständnisse war.
Der mutige Widerstand der Flugbegleiter hat gezeigt, dass die Arbeiterklasse nicht mehr länger bereit ist, die Abschaffung des Streikrechts und die Einsetzung einer Diktatur in den Betrieben zu akzeptieren, in der ihre Arbeitsbedingungen durch Zwangsschlichtung festgelegt werden.
Der Streik machte die enorme Macht der Arbeiterklasse deutlich. Da Air Canada für mehr als die Hälfte der Passagierflüge des Landes verantwortlich ist, waren von dem Ausstand Tausende von Flügen betroffen und drohte sich auf die globale Luftfahrtbranche auszuwirken. Die Regierung und die Wirtschaftselite sahen sich nicht aus einer Position der Stärke heraus zum Eingreifen gezwungen, sondern aus Angst, der Streik könnte eine breitere Bewegung auslösen.
Daher war der Verrat der CUPE nicht nur ein Rückzieher, der den Belegschaften aufgezwungen wurde, sondern ein kalkuliertes politisches Manöver, um eine sich anbahnende Klassenkonfrontation zu verhindern und es der herrschenden Klasse zu ermöglichen, sich neu zu formieren und die Zerstörung der demokratischen und sozialen Rechte der Arbeiter voranzutreiben.
Der Ausverkauf bei Air Canada erinnert vor allem an das Vorgehen, mit dem die CUPE und die Gewerkschaften im November 2022 den Streik von 55.000 Beschäftigten des Bildungswesens von Ontario unterdrückten. Der Streik begann damit, dass sich die schlecht bezahlten Beschäftigten dem präventiven Anti-Streik-Gesetz von Premierminister Doug Ford widersetzten, das Arbeitskampfmaßnahmen verbot.
Unter Arbeitern in der gesamten Provinz entwickelte sich massenhafte Solidarität, die sich u.a. in Forderungen nach einem Generalstreik äußerte. CUPE und die anderen großen kanadischen Gewerkschaften führten Hinterzimmer-Gespräche mit Ford, um ihn davon zu überzeugen, sein Streikverbot zurückzunehmen. Als Gegenleistung würden sie den Streik abbrechen, ohne dass auch nur eine Forderung der Arbeiter erfüllt wurde.
Die Intervention der Gewerkschaften rettete Ford vor einer drohenden politischen Massenbewegung der Arbeiterklasse, von der die Gewerkschaften befürchteten, sie nicht kontrollieren zu können. Nur wenige Wochen nachdem sie den Kampf sabotiert hatte, zwang die CUPE den Beschäftigten des Bildungswesens ein Abkommen auf, das viele der wichtigsten Zugeständnisse beinhaltete, die Fords Regierung mit dem ursprünglichen Streikverbot durchsetzen wollte.
In beiden Fällen fungierte die Gewerkschaftsbürokratie, darunter der Canadian Labour Congress (CLC) und Unifor, als Garant der staatlichen Autorität. Sie behauptete, sie wäre gegen Streikverbote, setzte aber gleichzeitig Zugeständnisse durch und isolierte die Streiks, um zu verhindern, dass sie zur Speerspitze einer größeren Bewegung der Arbeiterklasse wurden.
Nationalismus, Militarismus und der Angriff auf die Arbeiterklasse
Der Verrat an den Flugbegleitern kann nur im Kontext der allgemeinen politischen Orientierung der Gewerkschaftsbürokratie verstanden werden. Die CUPE und der CLC sind zentrale Partner der liberalen Regierung bei der Propagierung einer üblen wirtschaftsnationalistischen Kampagne und wollen die Arbeiter dazu bringen, sich in Handelskonflikten mit Washington und Peking hinter „Team Kanada“ zu stellen.
Dieser Nationalismus soll die Arbeiterklasse an die globalen Ambitionen des kanadischen Imperialismus binden. Carney hat versprochen, die Militärausgaben in den nächsten zehn Jahren um zweistellige Milliardenbeträge zu erhöhen und weitet Kanadas Teilnahme an den Militäroperationen unter Führung der USA aus, u.a. an Trumps geplantem Raketenabwehrschild „Golden Dome“. Auf diese Weis hofft er, dem kanadischen Imperialismus seinen Platz in einem erneuerten nordamerikanischen Wirtschafts- und Militärblock zu sichern.
Die Rolle der Gewerkschaften besteht darin, den Widerstand im Inland abzuwürgen und Nationalismus zu schüren, um die Arbeiter zu spalten und den Austeritätskurs zu rechtfertigen. Genau wie sich die United Auto Workers in den USA hinter Trumps „America First“-Zölle und den Militarismus gestellt haben, unterstützen die kanadischen Gewerkschaften Carney unter dem Vorwand, „Arbeitsplätze zu verteidigen“ und „Kommunen zu schützen“. In Wirklichkeit verteidigen sie die Profite der kanadischen Konzerne und die geopolitischen Interessen der kanadischen herrschenden Klasse.
Der Weg vorwärts: unabhängige Organisationen der Belegschaft
Trotz des Verrats der CUPE ist der Streik der Flugbegleiter von Air Canada ein entscheidender Wendepunkt im Klassenkampf. Die Arbeiter widersetzten sich drei Tage lang nicht nur ihrem Arbeitgeber, sondern auch der Regierung und dem Staat. Sie zeigten, dass sich Arbeiter gegen undemokratische Streikverbote wehren und beginnen können, eine Gegenoffensive zu organisieren. Doch ihr Kampf wurde von der Gewerkschaftsbürokratie abgewürgt, die ihre Forderungen den Bedürfnissen des kanadischen Kapitalismus unterordnete.
Die Lehren sind klar: Arbeiter dürfen dem CLC, Unifor, der CUPE, der CUPW oder irgendeinem anderen Teil des nationalistischen, prokapitalistischen Gewerkschaftsapparats nicht die Kontrolle über ihre Kämpfe überlassen. Um ihren Kampf voranzubringen, müssen die Flugbegleiter unabhängige, demokratisch von den Arbeitern selbst kontrollierte Aktionskomitees gründen, die gegen staatliche Unterdrückung und kapitalistische Diktate kämpfen. Diese Komitees sollten auf Piloten, Boden- und Wartungspersonal und andere Beschäftigte der Fluggesellschaften in ganz Nordamerika zugehen, wo unbezahlte Arbeit und sinkende Reallöhne ein ebenso brennendes Thema sind.
Vor allem muss der Kampf von einer sozialistischen und internationalistischen Strategie geleitet werden. Die herrschende Klasse führt eine globale Offensive von Austerität, Autoritarismus und Krieg. Die Arbeiterklasse muss drauf reagieren, indem sie sich über Grenzen, Branchen und Kontinente hinweg in einem gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus vereint.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine Sozialistischen Gleichheitsparteien haben die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) ins Leben gerufen, um genau diesen organisatorischen und politischen Rahmen zu schaffen. Durch den Aufbau solcher Komitees können Arbeiter ihre Forderungen auf der Grundlage ihrer Bedürfnisse – nicht entsprechend dem Profitstreben der Konzerne – formulieren und die Sabotage der Bürokratien überwinden, indem sie ihre immense soziale Stärke in koordinierten internationalen Kämpfen einsetzen.
Der Widerstand der Flugbegleiter gegen die Anwendung von Abschnitt 107 entlarvt die Schwäche der herrschenden Klasse und die enorme potenzielle Stärke der Arbeiterklasse. Um dieses Potenzial zu realisieren, muss ihr Kampf auf einer neuen Grundlage fortgesetzt werden: gegen den Ausverkauf der Gewerkschaftsbürokratie, gegen den Kapitalismus und für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft, um die menschlichen Bedürfnissen zu erfüllen und nicht das private Profitstreben.