Mehr als 10.000 Flugbegleiter der Air Canada haben sich über ein Streikverbot der kanadischen Bundesregierung hinweggesetzt. Sie brauchen jetzt die Unterstützung aller Arbeiter in Nordamerika.
Ihr Widerstand zwang Kanadas größte Fluggesellschaft, die Pläne zur Wiederaufnahme der Flüge, die sie am Sonntagmorgen triumphierend angekündigt hatte, am Nachmittag wieder aufzugeben.
Am Freitag waren die Flugbegleiter von Air Canada kurz nach Mitternacht in den Streik getreten. Weniger als zwölf Stunden später wies Arbeitsministerin Patty Hajdu das Canada Industrial Relations Board (CIRB) an, ein sofortiges Ende des Streiks anzuordnen.
Diese nicht gewählte Institution des Staats – von den Gewerkschaften lange Zeit als „neutrale“ unabhängige Schlichtungsbehörde propagiert – ist mit zahlreichen ehemaligen Gewerkschaftsfunktionären besetzt und wird derzeit von der ehemaligen Air-Canada-Anwältin Maryse Tremblay geleitet. Die CIRB beeilte sich, den Anweisungen der Regierung Folge zu leisten, und erließ am späten Samstagabend ein rechtskräftiges Streikverbot.
Gemäß diesem staatlichen Diktat sind seit Sonntag 14 Uhr Ostküstenzeit sämtliche Arbeitskampfmaßnahmen der Flugbegleiter von Air Canada illegal. Der neue Tarifvertrag soll durch eine verbindliche Schlichtung festgelegt werden, und die Arbeiter dürfen nicht einmal über das Ergebnis abstimmen. In der Zwischenzeit sollen die Flugbegleiter unter einem Tarifvertrags mit umfangreichen Zugeständnissen arbeiten, der vor zehn Jahren unterzeichnet wurde. Er sieht u.a. durchschnittlich 35 Stunden unbezahlte Arbeit pro Monat vor.
Mit ihrem Widerstand gegen das diktatorische Streikverbot zeigen die Flugbegleiter der gesamten Arbeiterklasse den Weg vorwärts.
Sie stellen sich gegen einen massiven staatlichen Angriff auf das Streikrecht und gegen die Bestrebungen des Großkapitals, die Ausbeutung zu verschärfen, u.a. indem sie die Inflation benutzen, um Reallohnkürzungen durchzusetzen und die Gewinne zu steigern.
Die Flugbegleiter dürfen in diesem Kampf nicht allein gelassen werden. Sie kämpfen gegen Air Canada, die kanadischen Konzerne, die sich den Forderungen der Fluggesellschaft nach schnellen staatlichen Maßnahmen zur Beendigung des Streiks angeschlossen haben, die Regierung des Liberalen Mark Carney und den repressiven Apparat des kapitalistischen Staats.
Der staatliche Angriff auf das Streikrecht
Genau wie ihre Pendants in den USA und Europa sind auch die kanadischen Eliten entschlossen, den Kampf um Märkte, Profite und Ressourcen im Rahmen der wirtschaftlichen und militärisch-territorialen Neuaufteilung der Welt auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung zu führen und ihren Willen mit autoritären Mitteln durchzusetzen.
Unter der liberalen Regierung, die erst von Premierminister Trudeau geführt wurde und an deren Spitze jetzt Carney steht, hat die herrschende Klasse versucht, das Streikrecht – das Grundrecht der Arbeiter, kollektiv ihre Klasseninteressen zu vertreten – faktisch abzuschaffen.
Die Regierung hat eine offenkundig illegale und konstruierte „Neuinterpretation“ von Abschnitt 107 des kanadischen Arbeitsgesetzbuchs benutzt, um sich die Befugnis anzumaßen, jeden Arbeitskampf in staatlich regulierten Branchen für illegal zu erklären und bindende Schlichtungsverfahren durchzusetzen.
Seit letztem August hat sie Abschnitt 107 angewandt, um die CIRB anzuweisen, Streiks der Eisenbahner bei Canadian National und Canadian Pacific Kansas City, der Hafenarbeiter in Québec und British Columbia, der 55.000 Arbeiter der Canada Post und nun der Flugbegleiter von Air Canada zu verbieten.
Früher musste die Regierung die Zustimmung des Parlaments einholen, wenn sie Arbeitern das Streikrecht entziehen wollte. Doch im Verlauf des letzten Jahres wurde gemäß Abschnitt 107 ein Verfahren eingeführt, wonach die Arbeitsministerin die CIRB einseitig anweisen kann, „das zu tun, was die Ministerin für notwendig erachtet, um den Arbeitsfrieden aufrechtzuerhalten oder zu sichern“.
Die Regierung der Provinz Québec ließ sich Ende Mai von den Streikverboten der liberalen Bundesregierung und der Weigerung der Gewerkschaften, die Arbeiterklasse dagegen zu mobilisieren, zur Verabschiedung eines eigenen umfassenden Antistreikgesetzes (Bill 89) inspirieren. Es verleiht dem Arbeitsminister von Québec ähnliche diktatorische Vollmachten und weitet die Kategorien und die Zahl der Arbeiter, die als „systemrelevant“ eingestuft werden und deshalb nicht streiken dürfen, drastisch aus.
Der Streik muss ausgeweitet und als politischer Kampf der Arbeiterklasse geführt werden
Genau wie die übrigen kanadischen Gewerkschaften hat die Gewerkschaft der Flugbegleiter CUPE die seit zehn Jahren herrschende Regierung der Liberalen uneingeschränkt unterstützt und als „progressive“ Alternative zu den Konservativen dargestellt. Durch die von den Gewerkschaften gesponserte New Democratic Party (NDP) hat sie die liberalen Minderheitsregierungen unter Trudeau und jetzt Carney gestützt, als diese nach der Pandemie Sparmaßnahmen durchsetzten, Krieg gegen Russland führten, die Militärausgaben massiv erhöhten und das Streikrecht aushöhlten.
Wenn sich die rechten Bürokraten der Spitze der größten kanadischen Gewerkschaft gezwungen sahen, den Widerstand der Arbeiter gegen das Streikverbot der Regierung zu genehmigen – zumindest vorerst –, dann nur aufgrund der massiven Wut und des Drucks der Belegschaft.
Die Flugbegleiter, die bei einer Beteiligung von mehr als 94 Prozent der Mitglieder mit 99,5 Prozent für einen Streik gestimmt hatten, sind wütend darüber, dass die Regierung nur wenige Stunden nach Beginn eingegriffen und ihren Kampf verboten hat. Ihre Bereitschaft, die Regierung und ihr antidemokratisches Gesetz herauszufordern, zeugt von einem wachsenden Klassenbewusstsein und einer politischen Radikalisierung.
Da die Regierung es gewohnt ist, dass die Gewerkschaftsbürokratie sie unterstützt und sich ihr unterwirft, war sie zweifellos überrascht von der Aktion der Flugbegleiter.
Dennoch sollte sich niemand auch nur der geringsten Illusion hingeben.
Wenn der Streik nicht sofort auf andere Arbeiter ausgeweitet und in einen politischen Klassenkampf verwandelt wird – d.h. in eine industrielle und politische Offensive der Arbeiterklasse gegen die Carney-Regierung und den Austeritäts- und Kriegskurs der gesamten herrschenden Klasse – wird er durch eine Kombination aus staatlicher Unterdrückung und Sabotage von innen durch die bürokratischen, prokapitalistischen Gewerkschaftsapparate isoliert und erstickt.
Alle Teile der Arbeiterklasse sind dringend aufgerufen, den Kampf durch Solidaritätsstreiks und sofortige Vorbereitungen auf einen Generalstreik zu unterstützen. Dies muss mit den mächtigen Bataillonen der Industriearbeiter beginnen, die im letzten Jahr direkt von den Streikverbots der liberalen Regierung betroffen waren – den Eisenbahnern, Hafenarbeitern und den Beschäftigten der Canada Post.
Ähnliche Appelle müssen an die Arbeiter der gesamten nordamerikanischen Luftfahrtindustrie gerichtet werden, die ebenfalls Ziel der endlosen Bestrebungen der Bosse und der Investoren an Wall Street und Bay Street sind, die Arbeitskosten zu senken und bei den Sicherheitsanforderungen zu sparen. Die Air Canada weigert sich, die Flugbegleiter für die Stunden zu bezahlen, in denen sie nicht in der Luft sind, d.h. für das Onboarding und Deboarding, Sicherheitskontrollen und Flugverspätungen.
Die Arbeiter müssen den Kampf selbst in die Hand nehmen
Die größte unmittelbare Bedrohung für den Kampf der Air-Canada-Flugbegleiter und die Entwicklung einer Gegenoffensive der Arbeiterklasse ist der Gewerkschaftsapparat der CUPE und die Gewerkschaftsbürokratie insgesamt.
Die Arbeiter müssen der Bürokratie die Kontrolle über den Kampf entreißen, um zu verhindern, dass sie ihn verrät.
Die CUPE-Führung hat vorerst dazu aufgerufen, sich dem Streikverbot der Regierung zu widersetzen. Dabei handelt es sich jedoch nur um ein Manöver, um die Kontrolle über die wütende Belegschaft zu behalten und ein staatlich reguliertes Verhandlungssystem aufrechtzuerhalten, in dem sie als Partner von Air Canada, anderen Arbeitgebern aus der Privatwirtschaft und dem Staat agiert.
Fast von Beginn der Verhandlungen an war offensichtlich, dass die Drohung mit einer staatlichen Intervention gegen die Flugbegleiter eine zentrale Rolle in der Verhandlungsstrategie von Air Canada spielte und dass sie in der liberalen Regierung des Großkapitals ein williges Instrument finden würde.
Doch der CUPE-Apparat unternahm nichts, um die Belegschaft auf die drohende Konfrontation mit der Regierung und den massenhaften Widerstand gegen ein undemokratisches Streikverbot vorzubereiten. Dazu hätte er die Unterstützung von Arbeitern der gesamten nordamerikanischen Luftfahrtbranche und der gesamten Arbeiterklasse mobilisieren müssen.
Selbst nachdem Hajdu am Samstag das Verbot des Streiks verkündete, rief die Gewerkschaft nicht zum Widerstand auf. Sie berief keine Massenversammlungen ihrer Mitglieder ein, um zu diskutieren, wie das staatliche Streikverbot verhindert werden könnte.
Stattdessen wartete sie bis Sonntagvormittag, nachdem sie in Montreal, Toronto, Calgary und Vancouver Kundgebungen zur Unterstützung des Streiks veranstaltet hatte, um zu verkünden, die Arbeiter sollten das Streikverbot ignorieren. Damit schuf sie den Präzedenzfall, die Arbeiter von allen Entscheidungen über den Verlauf des Kampfs auszuschließen.
Noch bedeutsamer ist, dass sie bei ihrem Aufruf zum Widerstand keinen nennenswerten Aufruf an die Arbeiter in ganz Kanada – im öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft – richtete, die Flugbegleiter zu verteidigen.
Vielmehr verband sie ihren Aufruf an die Arbeiter, an den Streikposten zu bleiben, mit einem Appell an Air Canada, sofort an den Verhandlungstisch zurückzukehren, „um ein faires Abkommen auszuhandeln“.
Alle Flugbegleiter wissen genau, dass das Unternehmen kein Interesse an einem „fairen Abkommen“ hat. Vielmehr will es seiner Belegschaft weiterhin zermürbende Zeitpläne, unbezahlte Arbeit und „Lohnerhöhungen“ unter der Inflationsrate aufzwingen. Zudem kann man wohl kaum ehrlich von „fairen“ Verhandlungen reden, wenn die liberale Regierung bereits klar gemacht hat, dass sie alles tun wird, um die Forderungen des Managements durchzusetzen.
Die CUPE-Bürokratie, von den Chefs der anderen großen Gewerkschaften ganz zu schweigen, lehnt die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die Regierung rundheraus ab. Als der ehemalige Zentralbanker Mark Carney Ende April zum Premierminister gewählt wurde, bejubelten führende Gewerkschaftsbürokraten dies als das bestmögliche Ergebnis für Arbeiter, da es die Machtübernahme des rechtsextremen Demagogen Pierre Poilievre verhindert hat.
Selbst jetzt noch haben führende CUPE-Funktionäre Carney angegriffen, weil er vor den Forderungen des Air-Canada-Managements „eingeknickt ist“ und „kapituliert hat“, indem er eine verbindliche Schlichtung durchsetzen will. Als hätten die Bosse den Premierminister zwingen müssen – einen Mann, der sein ganzes Erwerbsleben lang der Finanzoligarchie gedient hat und unter dem Vorwand, sich gegen Trumps Schikanen zu wehren, einen radikalen Rechtsruck durchsetzt!
Die CUPE versucht, die Tatsache zu verschleiern, dass Carney und seine Regierung direkte Werkzeuge der kanadischen Konzerne und der Finanzelite sind. Auf diese Weise will sie verhindern, dass die Flugbegleiter die notwendige Schlussfolgerung ziehen, dass sie einen politischen Kampf gegen die gesamte herrschende Klasse führen müssen, um ihre Forderungen durchzusetzen.
Dabei wird die CUPE vom Canadian Labour Congress (CLD) unterstützt, der nichts unternommen hat, um die Millionen von Arbeitern, die er angeblich vertritt, zur Unterstützung der Streikenden bei Air Canada zu mobilisieren. Die CLC und Unifor, die größte Gewerkschaft der kanadischen Privatwirtschaft, sind wichtige Stützen des Bündnisses aus Gewerkschaften, Liberalen und der NDP, das seit über drei Jahrzehnten den Widerstand der Arbeiterklasse gegen Austerität und Krieg abgewürgt hat.
In dieser Hinsicht ist das Schicksal des Streiks der Beschäftigten des Bildungswesens von Ontario von 2022 eine wichtige Lehre für die Air-Canada-Beschäftigten. Nachdem die CUPE gezwungen war, trotz des präventiven Streikverbots der rechten Ford-Regierung einen Ausstand zu bewilligen, entwickelte sich unter breiten Teilen der Arbeiter schnell eine Bewegung für einen Generalstreik in Solidarität mit den schlecht bezahlten Streikenden.
An diesem Punkt intervenierte die CUPE mit Unterstützung der nationalen CLC- und Unifor-Führungen, um den Streik schnell zu beenden. Hinter den Kulissen einigte sie sich mit Ford auf die Rücknahme des Streikverbots, und als Gegenleistung beendete sie den Streik, ohne dass auch nur eine Forderung der Arbeiter erfüllt worden wäre. Nachdem die Gewerkschaften den Streik erfolgreich beendet und die Ford-Regierung faktisch vor einer Niederlage durch die Arbeiterklasse bewahrt hatten, setzten sie am „Verhandlungstisch“ einen Tarifvertrag voller Zugeständnisse durch.
Wenn die Arbeiter bei Air Canada eine ähnliche Niederlage verhindern wollen, müssen sie der CUPE-Bürokratie die Kontrolle über den Streik entreißen, indem sie in allen Betrieben Streikkomitees gründen. Diese sollten auf der Erkenntnis basieren, dass es um einen offenen politischen Kampf geht, der die Mobilisierung von breitesten Teilen der Arbeiterklasse aller Wirtschaftsbereiche erfordert, wenn er siegreich enden soll. Die Komitees müssen den Beschäftigten der Fluggesellschaften in ganz Nordamerika erklären, warum die Fragen, die im Mittelpunkt des Streiks bei Air Canada stehen, von direkter Bedeutung für ihre eigenen Arbeitsbedingungen sind. Zudem müssen sie an alle Arbeiter appellieren, da die Verteidigung des Streikrechts und angemessen bezahlter Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen alle Arbeiter betrifft.
Die Bedingungen dafür, dass diese Appelle auf eine mächtige Resonanz in ganz Kanada und den USA stoßen werden, sind äußerst günstig. In den USA haben die Gewerkschaften in den letzten vier Jahrzehnten eine dramatische Verschlechterung der Löhne und der Arbeitsbedingungen durchgesetzt. Die Folge davon ist, dass mittlerweile Arbeiter – wie der Stellantis-Autoarbeiter Ronald Adams – täglich in Amerikas industriellem Schlachthof an Betriebsunfällen sterben. Der ehemalige US-Präsident Joe Biden fasste die Rolle der US-amerikanischen Gewerkschaftsbürokratie bei der Sabotage des Widerstands der Arbeiter gegen den Klassenkriegs-Angriff der herrschenden Elite mit den Worten zusammen, die Gewerkschaften seien seine „Nato im Inland“.
Die Logik des Kampfs, den die Beschäftigten von Air Canada gegen die kanadische Bundesregierung und die Wirtschaft aufgenommen haben, erfordert dessen Ausweitung zu einer industriellen und politischen Gegenoffensive der Arbeiter in ganz Nordamerika mit dem Ziel, der brutalen Ausbeutung der Arbeiter und der Unterordnung der Arbeitsbedingungen unter das kapitalistische Profitstreben ein Ende zu setzen. Die Arbeiter müssen ihre unbestrittenen Mut und ihre Militanz mit dem sozialistischen und internationalistischen Programm verbinden, das für diesen Kampf notwendig ist.