Am Sonntag erklärte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Israel werde Gaza-Stadt „recht schnell räumen“ und „die Sache abschließen“. Gleichzeitig hat ein israelischer Luftangriff in Gaza-Stadt sechs Journalisten getötet. Dies geschah mit Vorsatz, um die Berichterstattung über Kriegsverbrechen an der palästinensischen Bevölkerung zum Verstummen zu bringen.
Nach einer Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts verteidigte Netanjahu den genehmigten Plan, der die Zwangsumsiedlung aller Palästinenser aus Gaza-Stadt und den umliegenden Flüchtlingslagern in den zentralen Teil des Gazastreifens vorsieht.
Laut Berichten der Washington Post stellte Netanjahu den Plan als eine Frage der nationalen Sicherheit dar und betonte, Israel werde letztlich die „oberste sicherheitspolitische Verantwortung für Gaza übernehmen“. Das Tagesgeschäft der Gaza-Regierung soll an eine „nicht genauer beschriebene dritte Partei“ übergeben werden, die jedoch „weder die Hamas noch die Palästinensische Autonomiebehörde sein“ werde.
Netanjahu stellte die Operation als dringende militärische Notwendigkeit dar und erklärte, Israel werde sie schnell durchführen. In typisch orwellscher Sprache erklärte er, der Plan sehe keine dauerhafte Annexion vor: „Wir wollen dort nicht regieren (...) wir wollen eine Sicherheitsverwaltung. Das Ziel ist nicht, Gaza zu besetzen.“
Die diskutierten Maßnahmen entlarven diese Formulierungen als Lügen. Wie Reuters berichtete, haben Militärs bereits eine Kampagne zur vollständigen militärischen Besetzung der verbleibenden 25 Prozent von Gaza skizziert, die noch nicht direkt von Israel kontrolliert werden.
Israelische Quellen gaben gegenüber der Washington Post zu, dass der Plan in der Praxis die massenhafte Vertreibung Hunderttausender Palästinenser bedeutet, die in Konzentrationslager an der ägyptischen Grenze verschleppt werden sollen, und dass dies mit einer langfristigen israelischen Sicherheitspräsenz verbunden ist.
Die New York Times erklärte unter Berufung auf Mitglieder von Netanjahus Kabinett, das Ziel sei die Vertreibung von etwa 800.000 Zivilisten innerhalb der nächsten zwei Monate, d.h. die Räumung von Gaza-Stadt und den zentralen Flüchtlingslagern von ihrer verbliebenen Bevölkerung. Laut dem Zeitplan des Sicherheitskabinetts sollen die umfassenden Operationen unmittelbar beginnen und mit der Evakuierung Anfang Oktober abgeschlossen sein. Danach sollen die geräumten Gebiete vom Militär überwacht werden.
Während die letzten Details dieses Deportationsplans ausgearbeitet wurden, attackierten israelische Kampfflugzeuge vorsätzlich ein Zeltlager in Gaza-Stadt, das von Al Jazeera-Journalisten genutzt wurde. Die Nachrichtenredaktion von Al Jazeera bestätigte den Tod von fünf ihrer Mitarbeiter. Diese sind: der Chefkorrespondent Anas al-Sharif (32), der Korrespondent Mohammed Qreiqeh (28), der Kameramanns Ibrahim Zaher (27), der Kameramann Mohammed Noufal (29) und der Techniker Youssef Abu Odeh (22).
Bei dem israelischen Luftangriff wurden zwei weitere Personen getötet, mindestens einer davon ein Journalist. Ihre Identitäten wurden jedoch bisher nicht bekanntgegeben.
Laut Augenzeugen und Kollegen hatten sie in einem Zelt gearbeitet und geschlafen, das eindeutig markiert war und in der Nähe eines Gebiets lag, in dem es zum Zeitpunkt des Angriffs keine Feuergefechte gab. Mehrere Journalisten vor Ort erklärten, der Angriff sei zweifellos vorsätzlich gewesen, da das Zelt isoliert war und wochenlang an der gleichen Stelle stand.
Die Pressestelle der Regierung in Gaza-Stadt hat den Angriff als „Massaker am Pressecorps“ verurteilt und festgestellt, dass damit die Gesamtzahl der Journalisten, die seit Oktober 2023 von Israel in Gaza getötet wurden, auf 237 gestiegen ist. Al Jazeera warf Israel in seiner Stellungnahme vor, seine Reporter anzugreifen, weil sie die Wahrheit über den Krieg dokumentieren, einschließlich der Massenvertreibung und des Aushungerns von Zivilisten.
Das israelische Militär rechtfertigte die Tötung mit der Behauptung, al-Sharif habe sich nur „als Journalist ausgegeben“ und sei in Wirklichkeit der „Führer einer Hamas-Zelle“ gewesen, die „Raketenangriffe auf israelische Zivilisten und Soldaten ermöglicht hat“. Ähnliche haltlose Behauptungen wurden in der Vergangenheit über andere ermordete Journalisten verbreitet.
Außer Al Jazeera haben mehrere Organisationen für Pressefreiheit und Menschenrechtsanwälte diese Vorwürfe als haltlose Verleumdungen zurückgewiesen. Sie betonten, die systematischen Angriffe auf Journalisten in Gaza seien bereits vom Committee to Protect Journalists (CPJ) als beispiellos in der Geschichte der modernen Kriegsführung bezeichnet worden.
Die Geschäftsführerin von CPJ, Jodie Ginsberg, bezeichnete die Morde als „inakzeptabel“ und forderte Rechenschaftspflicht:
Israel muss seine Angriffe auf Journalisten einstellen und ihnen ein sicheres Arbeiten ermöglichen. Rechenschaftspflicht ist unentbehrlich, da seit Oktober 2023 schon 100 Journalisten in Gaza getötet worden sind.
Der Zwangsumsiedlungsplan des Sicherheitskabinetts, der parallel zu den Angriffen auf die Presse ausgearbeitet wurde, sieht vor, dass die Bevölkerung von Gaza-Stadt und der zentralen Flüchtlingslager (al-Bureij, al-Maghazi und Nuseirat) in mehrere geschlossene „humanitäre Zonen“ am Rande des ägyptischen Grenzgebiets von Rafah vertrieben wird.
In Wirklichkeit werden diese Zonen Gefangenenlager unter ständiger Überwachung und militärischer Kontrolle sein. Die vertriebene Bevölkerung wird von sporadischen Hilfslieferungen abhängig sein, die sich bereits jetzt als unzureichend erwiesen haben. Weit verbreiteter Hunger und Hungertod werden sind die Folgen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Jerusalem Post und die New York Times berichteten, Netanjahu habe am Sonntag mit US-Präsident Donald Trump telefoniert, um ihn über den Plan aufzuklären und die letzten Stadien des Kriegs in Gaza zu diskutieren. Obwohl keine der beiden Seiten eine vollständige Abschrift veröffentlicht hat, bestätigten israelische Regierungsvertreter, dass Netanjahu die bevorstehende Militäroperation als entscheidende Phase bezeichnet habe. Sie werde die Freilassung der verbliebenen Geiseln gewährleisten und „die Herrschaft der Hamas in Gaza ein für allemal beenden“.
Laut der Times äußerte Trump keine Einwände gegen den Vertreibungsplan. US-Regierungsvertreter deuteten an, er ziehe es vor, die israelische Regierung ungestört weitermachen zu lassen.
Der stellvertretende UN-Generalsekretär Miroslav Jenca erklärte gegenüber der Presse, falls der Plan umgesetzt werde, „könnte er bis zum 7. Oktober zur Vertreibung aller Zivilisten aus Gaza-Stadt führen, wovon etwa 800.000 Personen betroffen wären – eine neue Katastrophe in Gaza (...) die zu weiteren Todesfällen, Verwüstungen und unerträglichem Leid führen wird.“
Gleichzeitig stieg die Zahl der Todesopfer durch Israels Vorgehen in den 24 Stunden vor Netanjahus Rede weiter unablässig an. Laut den Gesundheitsbehörden in Gaza wurden alleine an Hilfsgüterausgabestellen mindestens 91 weitere Palästinenser getötet. Darunter war der 15-jährige Amer al-Masri, der von einer Palette mit humanitären Hilfsgütern zerquetscht wurde, die per Fallschirm in eine Menge von verzweifelten Menschen abgeworfen wurde.
Laut Zeugen wurden bei dem unkontrollierten Abwurf mehrere Personen getroffen. Al Jazeera berichtete, al-Masris Familie und andere Zivilisten hätten verzweifelt versucht, die schwere Last von seinem Körper zu heben, allerdings fehlten ihnen die nötigen Werkzeuge. Er erlag eine Stunde später seinen Verletzungen, da Sanitäter nicht rechtzeitig vor Ort sein konnten.
Die Medien berichteten auch vom Tod von Suleiman al-Obeid (41), einem ehemaligen Star der palästinensischen Fußballnationalmannschaft, der vor Ort als „palästinensischer Pelé“ bekannt war. Er wurde am Mittwoch im Süden des Gazastreifens von israelischen Soldaten erschossen, als er auf humanitäre Hilfsgüter wartete. Al-Obeid hat Palästina bei 24 Länderspielen vertreten und für den Verein Al-Shati'a Services aus Gaza-Stadt gespielt.
Der Palästinensische Fußballbund und sogar UEFA-Funktionäre veröffentlichten Nachrufe auf ihn und bezeichneten ihn als Symbol der Widerstandsfähigkeit und des Stolzes für ein Volk, das unter einer Blockade lebt. Freunde bezeichneten ihn als inspirierende Persönlichkeit, der Mentor für zahllose junge Spieler war. Er hinterlässt eine Frau und fünf Kinder.
Israel blockiert weiterhin fast vollständig alle Lieferungen von Nahrungsmitteln, Treibstoff und Medikamenten in den Gazastreifen. Die UN und das Gesundheitsministerium von Gaza schreiben, dass seit Oktober bereits mehr als 217 Menschen, darunter 100 Kinder, hungerbedingt gestorben seien. Alleine in den letzten 48 Stunden wurden elf neue Todesfälle durch Unterernährung verzeichnet. Die Krankenhäuser im Norden des Gazastreifens berichteten von 159 Todesfällen, und die Mehrheit davon waren Kinder.
Aber Netanjahu hat diese Berichte am Sonntag zurückgewiesen und seine früheren Behauptungen wiederholt, die weit verbreiteten Bilder von ausgemergelten Kindern seien „Fälschungen“. Er behauptete, die Todesfälle gingen auf „Grunderkrankungen“ zurück und stünden nicht im Zusammenhang mit der israelischen Militärpolitik.