Die Entscheidung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), bestimmte Rüstungsexporte nach Israel zu stoppen, ist ein durchsichtiger Versuch, von der Verantwortung der deutschen Regierung für monumentale Kriegsverbrechen abzulenken. Sie wird an Deutschlands Unterstützung des Völkermords an den Palästinensern nichts ändern.
Merz hat lediglich vage angekündigt, „bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können“, zu „genehmigen“. Was mit den Waffen geschieht, die bereits genehmigt aber noch nicht geliefert sind, hat er ebenso wenig erklärt, wie den Umgang mit Waffen, die zur Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus der Westbank eingesetzt werden.
Alle Waffen, die „der Selbstverteidigung Israels dienen“, sind explizit vom Ausfuhrstopp ausgenommen. Darunter fallen unter anderem die Bereiche Luftabwehr und Seeabwehr – also Schiffe, U-Boote, Aufklärungs- und Raketentechnologie. „In all diesen Bereichen wird Israel natürlich weiter nach Kräften unterstützt,“ betonte Kanzleramtschef Thorsten Frei.
Merz selbst wird nicht müde zu betonen, dass sich am deutschen Verhältnis zu Israel nichts ändert. „Die Grundsätze der deutschen Israelpolitik sind unverändert“, sagte er am Sonntag im ARD-Interview. „Wir werden diesem Land auch weiter helfen, sich zu verteidigen.“ Deutschland sei sich mit Israel darüber einig, wer der Aggressor im Gaza-Krieg sei: „Die Ursache heißt Hamas. Es ist der Terrorismus der Hamas.“
Das offizielle Statement des Kanzleramts über den Genehmigungsstopp beginnt mit den Worten: „Israel hat das Recht, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen. … Die Entwaffnung der Hamas ist unerlässlich. Die Hamas darf in der Zukunft von Gaza keine Rolle spielen.“
Nun erhebt Merz mahnend den Zeigefinger in Richtung Jerusalem, weil sich der völkermörderische Charakter des israelischen Vorgehens schlichtweg nicht mehr leugnen lässt. Fast zwei Jahre lang hat die Bundesregierung alle Alarmrufe von Hilfsorganisationen, UN-Institutionen und anderen Stellen kategorisch zurückgewiesen. Wer gegen israelische Kriegsverbrechen protestierte oder sie auch nur zu kritisieren wagte, wurde – und wird weiterhin – verfolgt. Merz selbst hatte noch im Wahlkampf erklärt, er werde den israelischen Regierungschef Netanjahu trotz eines vorliegenden internationalen Haftbefehls in Deutschland empfangen.
Doch als nach monatelanger israelischer Blockade sämtlicher Hilfslieferungen auch in den stark zensierten deutschen Medien Bilder ausgehungerter Kinder erschienen, ließ sich diese Linie nicht mehr halten. Während die israelische Armee weiterhin tausende Lastwagen mit Hilfsgütern für Gaza blockierte, warfen zwei Flugzeuge der Bundeswehr über Gaza Hilfsgüter per Fallschirm ab – eine rein symbolische Geste, die von Hilfsorganisationen wegen ihrer Ineffektivität und Gefährlichkeit scharf kritisiert wurde.
Die Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinetts, den Krieg zu eskalieren und Gaza Stadt militärisch zu besetzen, bewog Merz dann, die Einschränkung von Rüstungsexporten anzukündigen. Der Kanzler, der Zugang zu umfangreichen Geheimdienstinformationen hat, weiß warum.
Nachdem die israelische Armee im Gazastreifen mindestens 60.000 Menschen getötet und 150.000 verwundet hat, die Mehrheit Frauen und Kinder, nachdem 90 Prozent der Bevölkerung – oft mehrmals – vertrieben und vier Fünftel aller Gebäude zerstört oder beschädigt worden sind, steht nun ein weit größeres Kriegsverbrechen bevor.
Merz sagte dazu am Sonntag in der ARD: „Wir können nicht Waffen liefern in einen Konflikt, der Hunderttausende von zivilen Opfern fordern könnte, der eine Evakuierung der ganzen Stadt Gaza zur Voraussetzung hat. Wohin sollen diese Menschen gehen?“
Wenn selbst der pro-israelische deutsche Bundeskanzler von weiteren Hunderttausenden zivilen Opfern spricht, muss das ernst genommen werden. In der Trümmerwüste namens Gaza Stadt, die nun in ein Schlachtfeld verwandelt wird, vegetieren schätzungsweise noch eine Million Menschen. Sie sollen nun nach Netanjahus Plänen in ein winziges Ghetto im Südwesten des Gazastreifens vertrieben werden, wo jetzt schon Hunderttausende unter KZ-ähnlichen Bedingungen dahinsiechen.
Merz hat dagegen nichts einzuwenden, wie seine anhaltenden Unterstützungserklärungen für Israel zeigen. Er versucht aber, sich ein Alibi zu verschaffen, weil er fürchtet, dass die anwachsende Empörung seine wacklige Regierung und die seiner Verbündeten in Frankreich, Großbritannien und den arabischen Ländern zum Einsturz bringen könnte.
Deutschland ist nicht nur Komplize, sondern Mittäter beim Völkermord in Gaza. Es ist nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant Israels. Zwischen 2019 und 2023 kamen 30 Prozent der israelischen Importe schwerer konventioneller Waffen aus Deutschland, darunter Korvetten, U-Boote, Panzerteile und Raketen. Seit Beginn des Völkermords in Gaza hat Deutschland Waffen im Wert von fast einer halben Milliarde Euro nach Israel geliefert. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung vom 26. Mai 2025 auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei hervor.
Mit Deutschlands besonderer Verantwortung für den Mord an sechs Millionen Juden, mit der diese Unterstützung immer wieder begründet wird, hat sie nichts zu tun. Die Rechtfertigung des mörderischen Feldzugs der israelischen Armee als Wiedergutmachung für die Shoah ist abstoßend. Die Verantwortung für die Shoah verpflichtet Deutschland nicht, einen weiteren Völkermord zu unterstützen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Deutschland nutzt – wie die USA – Israel als bewaffneten Brückenkopf für seine geopolitischen und ökonomischen Interessen im Nahen Osten. Um wieder „kriegstüchtige“ Weltmacht zu werden, ist die Regierung zu jedem Verbrechen bereit.
Selbst Merz‘ zager Versuch, sich ein Alibi zu verschaffen, ist innerhalb der Union auf heftigen Widerspruch gestoßen. Zahlreiche führende Unionspolitiker sind der Ansicht, dass solche Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung nicht mehr angebracht sei und dass man auch die größten Kriegsverbrechen offen unterstützen müsse.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter bezeichnete Merz‘ Entscheidung als „schweren politischen und strategischen Fehler“. Mit der Aussetzung von Rüstungsexporten beuge „man sich einem antisemitischen Mob der Straße, der jüdisches Leben auch in Deutschland bedroht“, wetterte er auf X. Der Vorsitzende der Jungen Union Johannes Winkel schrieb unter Anspielung auf eine frühere Äußerung Merz‘: „Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns, nur ohne deutsche Waffen.“
Auch in der bayrischen CSU brodelt die Empörung. Der CSU-Landtagsfraktionsvorsitzende Klaus Holetschek bezeichnete den Waffenstopp als „Fehler mit fatalen Folgen“. Der CSU-Ehrenvorsitzende Horst Seehofer sprach von „einer Fehlentscheidung“ und einem „außenpolitischen Fehler“, der lange fortwirken werde.
Der Grünen-Politiker Volker Beck, inzwischen Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, übte ebenfalls heftige Kritik an Merz. Beck zählt – wie viele der oben Zitierten – seit langem auch zu den heftigsten Kriegstreibern gegen Russland.
Die Linke nutzte Merz‘ Entscheidung wie üblich, um Illusionen zu schüren, man könne die Regierung durch gutes Zureden oder Druck von unten von ihrem Kriegskurs abbringen. Bundesgeschäftsführer Janis Ehling bezeichnete den Genehmigungsstopp als längst überfällig und forderte die Regierung zu weiteren Schritten auf, wie die Anerkennung Palästinas als Staat. Die außenpolitische Sprecherin Lea Reisner verlangte, dass die Bundesregierung entschlossen handeln und das EU-Assoziierungsabkommens mit Israel aussetzen müsse.
In Wirklichkeit beweist die Eskalation des Genozids in den letzten zwei Jahren, dass kein Appell an die deutsche und andere imperialistische Regierungen, sondern nur eine unabhängige Bewegung der internationalen Arbeiterklasse Krieg und Völkermord stoppen kann. Das erfordert einen politischen Bruch mit allen kapitalistischen Parteien und ihren pseudolinken Verteidigern und den Aufbau einer sozialistischen Partei, die den Kampf gegen Krieg, Diktatur und Sozialabbau mit dem Kampf für den Sturz des Kapitalismus verbindet – der Sozialistischen Gleichheitspartei und der Vierten Internationale.