Wir veröffentlichen im Folgenden eine Rede von David North, Chefredakteur der WSWS und Vorsitzender der Socialist Equality Party in den USA. North sprach auf einer Versammlung, die die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) am 27. Juli einberufen hatte. Dort wurden die Ergebnisse der öffentlichen Untersuchung zum Tod des Stellantis-Arbeiters Ronald Adams vorgestellt.
Ronald Adams, ein 63-jähriger Facharbeiter, wurde am 7. April im Dundee Engine Complex in Michigan von einer Überkopfbrücke erdrückt. Die Umstände seines Todes wurden weder von dem Unternehmen noch von der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) noch von der zuständigen Arbeitsschutzbehörde Michigan Occupational Safety and Health Administration (MIOSHA) geklärt.
Die Versammlung wurde von 100 Arbeitern, Jugendlichen und Menschen aus dem Quartier besucht. Weitere Beiträge zur Versammlung kamen von Shamenia Stewart-Adams, der Witwe von Ronald Adams, dem Mack Trucks-Mitarbeiter und IWA-RFC-Mitglied Will Lehman, dem WSWS-Reporter Jerry White und anderen Automobilarbeitern und einfachen Angestellten.
Die Versammlung beschoss einstimmig, die Untersuchung fortzusetzen und auszuweiten, Sicherheitsausschüsse unter Beschäftigten einzurichten und eine internationale Kampagne zur Verteidigung des Lebens und der Rechte der Arbeiter aufzubauen.
Wenn ihr euch an diesem Vorhaben beteiligen möchte oder Informationen zu Todesfälle und Verletzungen am Arbeitsplatz habt, meldet euch über das Formular am Ende dieses Beitrags.
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Im Namen der Socialist Equality Party möchte ich der Familie von Ronald Adams unser Beileid aussprechen und sie aufrichtig willkommen heißen. Wir schätzen die Worte und den Mut von Shamenia, heute hier zu sprechen.
Das muss eine schwere Erfahrung für euch und eure Familie sein. Ihr habt einen unwiederbringlichen Verlust erlitten. Diese Realität kann auf keinen Fall gemildert werden. Ich denke aber, dass im Laufe dieser Diskussion deutlich geworden ist, dass ihr mit eurer Erfahrung nicht allein dasteht. Überall auf der Welt können sich Arbeiter identifizieren mit den Erfahrungen, die ihr gemacht habt.
Die Realität ist und anhand von Statistiken können sicher sein, dass allein in den letzten zwei Stunden, in denen wir hier zusammenwaren, Hunderte, wenn nicht Tausende von Arbeitern in der ganzen Welt Verletzungen erlitten haben und viele getötet wurden.
Wir wissen, dass dies nicht mit Beileidsbekundungen gestoppt werden kann. Wir wissen, dass diejenigen, die für sich in Anspruch nehmen, für das Schicksal der Arbeiter verantwortlich zu sein, insbesondere die Gewerkschaften, nichts unternehmen, um dies zu verhindern.
Vor 52 Jahren ging ich nach Ohio, um über die Kämpfe der Arbeiterklasse in den großen Industrien zu berichten. Dies war eine Zeit enormer Militanz an der Basis. Als ich in Loraine, einem Zentrum der Stahlherstellung in Ohio, war, stieß ich in der Lokalzeitung auf eine kleine Meldung über den Tod eines jungen Arbeiters mit dem Namen Rick Hertzig im National Tube-Werk in Loraine.
Hertzig kam bei einem Ereignis ums Leben, das dem von Ronald Adams sehr ähnlich war, nur dass Rick ein sehr unerfahrener Arbeiter war, während Ronald sehr erfahren war. Ein massives Gerät traf den jungen Arbeiter Hertzig und tötete ihn auf der Stelle. Er war erst 20 Jahre alt. Er hinterließ ein einjähriges Kind, eine junge Witwe und eine zerstörte Familie.
Heute, 53 Jahre später, passiert dies immer noch und jeden Tag wieder.
Wir leben inmitten der größten wissenschaftlichen Revolution der Geschichte, einer atemberaubenden technischen Entwicklung, und dennoch werden nicht einmal die elementarsten Vorkehrungen getroffen, um das Leben der Arbeiter zu schützen. Das Gefährlichste, was ein Arbeiter jeden Tag tun kann, ist zur Arbeit zu gehen. Keine Familie kann sicher sein, dass sie am Ende des Tages nicht plötzlich die erschütternde Nachricht erhält, dass in der Fabrik oder am Arbeitsplatz etwas Schreckliches passiert ist.
Bislang haben wir nur von Arbeitsunfällen gesprochen. Wir haben nicht über die tägliche Vergiftung gesprochen, die in Fabriken, in Betrieben und in Wohngebieten stattfindet. Wir haben das Problem der globalen Erwärmung und der Umweltzerstörung nicht angesprochen.
Der Begriff „Unfall“ wird häufig verwendet, aber ist dieser Begriff angemessen? Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir beginnen, die Ursache der so genannten „Unfälle“ zu verstehen und erkennen, dass in diesen Unfällen ein Gesetz zum Tragen kommt.
Wenn Sie durch den Raum gehen und stolpern, könnte das ein Unfall sein. Wenn wir Verletzungen und Todesfälle erleben, die sich mit erschreckender Regelmäßigkeit ereignen, Tag für Tag, Stunde für Stunde, Minute für Minute, Sekunde für Sekunde - dann handelt es sich nicht mehr um bloße Unfälle im herkömmlichen Sinne des Wortes. Wir sehen das Wirken eines Gesetzes.
Diese Tragödien sind das Ergebnis der Art und Weise, wie das System, in dem wir leben, organisiert ist. Und dies nicht nur in diesem Land, sondern in allen Teilen der Welt. Unser soziales Leben, unser Wirtschaftsleben ist so organisiert, dass diese Katastrophen ständig stattfinden, und sie werden so lange andauern, bis ein Weg gefunden wird, dem System, das sie hervorbringt, ein Ende zu setzen.
Worin besteht dieses System? Was ist diese soziale Organisation? Es ist das kapitalistische System. Woher kommt all dieser Reichtum? Woher kommen die Billionen von Dollar in den Taschen einer Handvoll Menschen? Der Reichtum entsteht durch die Umwandlung der menschlichen Arbeit, der so genannten Arbeitskraft, die die Kapitalisten den Arbeitern in Form von Löhnen abkaufen.
Die gesamte Funktionsweise des Systems hängt davon ab, dass die menschliche Arbeitskraft in Profit umgewandelt wird, in das, was Marx Mehrwert nannte. Wenn sie Arbeiter beschäftigen, sind Kapitalisten nur an einem interessiert: Wie viel kann dieser Arbeiter dazu beitragen, dass das eigene Vermögen wächst? Mit Maschinen lässt sich kein Geld verdienen. Sie müssen in Gang gesetzt werden. Es ist die Arbeitskraft der Arbeiter, die diese Maschinen in Gang setzt oder in der einen oder anderen Form einen Mehrwert für den Produktionsprozess schafft, der das gesamte System am Laufen hält.
Vom Standpunkt der Kapitalistenklasse aus hängt alles von der Umwandlung der Arbeitskraft in Mehrwert und Profit ab. Um dies zu erreichen, werden alle Maßnahmen ergriffen, um ein Höchstmaß an Ausbeutung zu gewährleisten.
Wir müssen verstehen, dass es das System selbst ist, das diese Tragödien hervorbringt. Es ist ein System, das im Interesse einer anderen Klasse funktioniert, der die Unternehmen gehören und die Wert und Profit aus der Arbeitskraft der Arbeiter ableitet. Als Antwort darauf müssen wir eine Bewegung in der Arbeiterklasse aufbauen. Es ist notwendig, dass die Arbeiter sich dieses Systems bewusst werden und auf dieser Grundlage Maßnahmen ergreifen, um die Macht an die Arbeiter in den Betrieben zu übertragen. Arbeiter müssen eine Bewegung auf internationaler Ebene aufbauen, die die Kontrolle über die Organisation der Gesellschaft im Interesse der breiten Masse der arbeitenden Menschen übernimmt.
Lasst uns offen sein: Wir leben in einer Welt, in der wir tagtäglich von unaussprechlichen Gräueln lesen - vom Tod im Betrieb, von der Vergiftung der Umwelt, vom Völkermord, wie wir ihn jetzt in Palästina erleben, von Aufrüstung in Billionenhöhe zur Vorbereitung von Kriegen. Das ist das System, unter dem wir leben.
Wenn dieses System sich ändern soll, muss die Arbeiterklasse eingreifen und für den Aufbau einer sozialen und politischen Massenbewegung kämpfen.
Diese Versammlung ist organisiert worden von der Socialist Equality Party und der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC). Sie konnte organisiert werden, und dieser Kampf wird weitergehen, weil dahinter eine Perspektive steht. Wir erwarten von der herrschenden Klasse nicht, dass sie dieses Problem löst. Sie kann es nicht lösen. Selbst wenn sie es wollte, bestimmt die Funktionsweise ihres Wirtschaftssystems ihr Handeln.
Wir übermitteln heute eine Botschaft: Es von entscheidender Bedeutung ist, dass wir diesen Kampf in die Fabriken und Betriebe tragen, dass wir die IWA-RFC zu einem mächtigen Instrument des Kampfes der Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten und auf internationaler Ebene machen und dass wir diesen Kampf verbinden mit einem Kampf zur Veränderung des politischen und sozialen Systems, in dem wir leben.
Man kann den Kapitalismus nicht mit den Interessen der Arbeiterklasse ausgleichen. Wenn eines dieser sozialen Probleme angegangen werden soll, ist der Aufbau einer sozialistischen Bewegung erforderlich. Dieser Wahrheit kann man nicht entgehen.
Im Grunde bedeutet Sozialismus die Übertragung der Macht an die Arbeiterklasse und die Umgestaltung der Gesellschaft auf der Grundlage von den Interessen der breiten Masse der Bevölkerung.
Ich schaue auf Shamenia und Ihre Kinder und Enkelkinder. Lasst uns dafür sorgen, dass die Welt, in der Sie aufwachsen, eine Welt ist, in der solche Schrecken niemals mehr stattfinden. Und wenn ihr älter werdet und darüber sprecht, was eurem Großvater und eurem Vater widerfahren ist, werdet ihr sagen, so war es früher, bevor die Arbeiterklasse auf den Plan trat und verstand, was vor sich ging, die Welt veränderte und sie lebenswert machte. Das ist es, was wir erreichen wollen. Macht mit und helft, diese Bewegung aufzubauen.
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