Syrien droht die Aufspaltung

Eine Neuaufteilung des Nahen Ostens rückt näher

Letzten Dezember feierten die USA und ihre regionalen Verbündeten die Niederlage des syrischen Regimes von Präsident Bashar al-Assad. Sieger war der al-Qaida-Ableger Hayat Tahrir al Sham (HTS), den die USA bis dahin als ausländische Terrororganisation eingestuft hatten.

Auf den dschihadistischen Anführer und künftigen Präsidenten Ahmad al-Sharaa hatten die USA ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen Dollar ausgesetzt. Doch praktisch über Nacht wurden al-Sharaa und die HTS zu den Lieblingen der westlichen Medien, die angeblich in Syrien für Demokratie und Frieden sorgen würden.

Washington betrachtet al-Sharaa und die HTS, die von den USA und der Türkei unterstützt werden, als Bollwerk gegen den Iran und das Wiedererstarken des russischen Einflusses in Syrien. Die Kontrolle über Syrien gilt als Schlüsselelement, um Chinas wachsendem wirtschaftlichen Einfluss im Nahen Osten entgegenzuwirke. Gleichzeitig wollen die USA ihre Position als vorherrschende wirtschaftliche und politische Macht im Nahen Osten stärken und die dortigen Energievorkommen und strategisch wichtigen Handelsrouten über die eurasische Landmasse nutzen.

Die ethnisch-religiöse Zusammensetzung Syriens [Photo by Tanvir Anjum Adib / CC BY-SA 4.0]

Die gegensätzlichen Interessen der imperialistischen Mächte und der Regionalmächte Israel, Türkei und der Golfstaaten, die Sharaa unterstützen, haben das Potenzial, weitere Wellen blutiger sektiererischer Gewalt auszulösen. Die Zersplitterung des Landes droht, und das könnte die Ausbreitung eines regionalen Flächenbrandes beschleunigen.

Die Regierung al-Sharaa

Al-Sharaas plötzlicher Machtübernahme in Damaskus ging ein 13-jähriger Krieg zum Regimewechsel voraus, den die Golfstaaten, die Türkei, die USA und Israel finanzierten, mit Waffen ausstatteten und unterstützten. Ab Oktober 2023 kam der Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser in Gaza hinzu, den Israel mit Unterstützung der USA und anderer Westmächte führt. Gleichzeitig hat Israel die Hisbollah im Libanon angegriffen. Die Hisbollah ist ein Verbündeter des Iran, der zusammen mit diesem und Russland dazu beigetragen hatte, Assad in Syrien an der Macht zu halten. Im Oktober 2024 sind diese Angriffe zu einem offenen Krieg eskaliert, der Schäden in Höhe von zwölf Milliarden Dollar verursachte. Darüber hinaus bombardiert Israel Syrien dreimal pro Woche, um die Präsenz des Iran im Land zu schwächen.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat den palästinensischen Angriff auf Israel im Oktober 2023 als Vorwand für einen seit langem geplanten Krieg mit dem Ziel genutzt, die Verbündeten des Iran zu schwächen. Dieser Krieg ist Teil von Washingtons umfassenderen Plänen für einen „Neuen Nahen Osten“. Im Juni dieses Jahres folgte darauf der nicht provozierte, offene Krieg gegen den Iran, obwohl die Trump-Regierung angeblich Friedensverhandlungen mit dem bürgerlich-klerikalen Regime in Teheran führte.

Damaskus ist die einzige Hauptstadt in der Region, die die massiven israelischen Bombardierungen des Iran nicht verurteilt hat. Der Grund dafür ist die Allianz der Sharaa-Regierung mit Washington und den Ländern der Region wie der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar und Saudi-Arabien gegen den Iran und gegen die Hisbollah im Libanon, gegen die sie in Syrien gekämpft hatte, um ihre Macht im Inneren zu festigen. Zu diesem Zweck wurde sogar versucht, eine gewisse Übereinkunft mit Israel zu erzielen, u.a. indem die Sharaa-Regierung die Palästinenser in Syrien kontrolliert und eine stärkere Kontrolle der Grenze zum Libanon ausübt, um Waffenlieferungen an die Hisbollah zu verhindern. Sie ziegt sogar die Normalisierung der Beziehungen zu Israel in Erwägung.

Ein maskierter Kämpfer trägt eine Fahne der mit Al-Qaida verbundenen Hayat Tahrir al-Sham (HTS) im Hof der Umayyaden-Moschee in der Altstadt von Damaskus (AP Photo/Hussein Malla)

Sharaas Innenpolitik ist nicht minder reaktionär. Sie fördert das Großkapital, die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur, den Wettbewerb auf dem freien Markt und das islamische Recht. Die Übergangsregierung plant, ein Drittel bis die Hälfte aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu entlassen und behauptet, viele von ihnen würden fürs Nichtstun bezahlt. Die Regierung will die Pflicht für Unternehmen abschaffen, ihre Arbeiter zur Sozialversicherung anzumelden. Sie hat die Subventionen für Brot abgeschafft, von denen Millionen Menschen abhängig sind, und will sämtliche Subventionen für Strompreise senken oder sogar ganz abschaffen, weil „die Preise sehr niedrig sind und weit unter ihren Kosten liegen“.

Aufgrund ihrer Abhängigkeit von der türkischen Regierung hat die HTS-Übergangsregierung die Importzölle auf zahlreiche türkische Produkte gesenkt, was zu einem starken Anstieg der Importe geführt hat. Sie erwägt außerdem eine Erneuerung des Freihandelsabkommens zwischen den beiden Ländern, das 2005 eingeführt und 2011 ausgesetzt wurde. Diese Entwicklung wird sich voraussichtlich auf die syrischen Produzenten negativ auswirken und die Arbeiter und ländlichen Massen Syriens noch weiter verarmen lassen.

Der Vorstoß der USA zur Kontrolle Syriens

Die Trump-Regierung unterstützt die Gründung eines vereinten syrischen Staates mit zentralisierter Regierung unter al-Sharaa, die das gesamte Land kontrolliert, um die derzeitige Zersplitterung Syriens zu beenden.

Die Regierung kontrolliert die wichtigsten Bevölkerungszentren auf der Nord-Süd-Achse von Aleppo nach Damaskus. Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) und die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) kontrollieren hingegen etwa ein Drittel des Landes, die östliche Region, in der sich die meisten Öl- und Gasvorkommen, das beste Ackerland und ein Staudamm befinden, der einen Großteil des Stroms erzeugt. Sie werden von etwa 2.000 US-Soldaten unterstützt, die angeblich dort stationiert sind, um den in Syrien und im Irak operierenden Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen und dem iranischen Einfluss in der Region entgegenzuwirken. US-Präsident Donald Trump hat bereits angekündigt, er wolle diese Truppen abziehen.

US-Präsident Donald Trump, Kronprinz Mohammed bin Salman (links) und der syrische Präsident Ahmad al-Sharaa (rechts) am 14. Mai 2025

Die Drusen, eine religiöse Gemeinschaft, die im Libanon, im Norden Israels, im Süden Syriens und im Norden Jordaniens leben, kontrollieren die Region südlich von Damaskus. Von der Türkei unterstützte islamistische Milizen, unter dem Banner der Syrischen Nationalarmee (SNA), kontrollieren Gebiete an der syrischen Nordgrenze mit der Türkei, um jede Verbindung zwischen den Kurden in Syrien und der Türkei zu verhindern.

Der US-Gesandte in Syrien, Tom Barrack, hat betont, Syrien solle „ein Land“ sein, und für die 700.000 Drusen, die zwei bis drei Millionen Kurden oder die 2,7 Millionen Alawiten solle es keine autonomen Regierungen mehr geben. Allerdings warnte er vor unilateralen Maßnahmen, welche die Stabilität in der Region gefährden könnten. Er erklärte im Juli gegenüber der New York Times, die USA würden Demokratisierungs- und Inklusivitäts-Kriterien für ihre Beziehungen zu Damaskus festlegen. Er verurteilte frühere Versuche der USA, „Nationenbildung“ zu betreiben und sich in die inneren Angelegenheiten der Länder des Nahen Ostens einzumischen. Daraufhin warfen einige Kurden innerhalb und außerhalb Syriens Washington vor, seine langjährigen Verbündeten zu verraten.

Die kurdischen und drusischen Milizen haben mit al-Sharaa ein Abkommen zur Niederlegung der Waffen und zum Beitritt in die syrische Armee unterzeichnet, beharren aber auf einem gewissen Maß an lokaler Autonomie. Im Falle der Kurden gilt dies als entscheidender Schritt zur Beendigung des Kriegs der Türkei gegen die YPG.

Bisher hat die Türkei die YPG als Partner der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und als terroristische Organisation und Gefahr für die nationale Sicherheit behandelt. Ankara hat einen langen und blutigen Krieg gegen die PKK geführt, in dessen Verlauf mindestens 40.000 Menschen getötet, mindestens 2.000 Dörfer zerstört und etwa zwei Millionen Kurden aus ihrer Heimat in die Städte vertrieben wurden.

Der syrische Präsident Ahmed al-Sharaa und der Anführer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Mazloum Abdi, bei ihrer Übereinkunft vom 10. März 2025, die SDF in der syrischen Übergangsregierung aufzulösen

Die Beendigung des langjährigen Konflikts zwischen Ankara und den Kurden würde es den USA ermöglichen, die Verantwortung für die Fortsetzung des Kriegs gegen den IS an die Türkei – ihren Nato-Verbündeten mit der zweitgrößten Armee – und Syrien zu übertragen und ihre eigenen Truppen aus Syrien abzuziehen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat erklärt, dies werde sich positiv auf sein Land auswirken: „Syrer aus unserem Land sind [nach dem Fall des Assad-Regimes] freiwillig zurückgekehrt. Wir werden ihre Rückkehr weiterhin unterstützen. Mit noch mehr Rückkehrern wird in Syrien wieder ein Gefühl der Normalität einkehren, und wir werden eine stabilere Südgrenze haben.“

Syriens Energievorkommen und Infrastruktur

Ein Großteil der syrischen Öl- und Erdgasvorkommen, die vor dem Krieg eine wichtige Einnahmequelle für die Regierung waren und das Land zum Selbstversorger und Energieexporteur gemacht hatten, befinden sich im Osten Syriens. Sie werden größtenteils von Kurden kontrolliert. Nach Ausbruch des Kriegs im Jahr 2011 sank die Ölförderung auf etwa 15 Prozent ihres früheren Niveaus, so dass die Regierung vom Iran Öl auf Kredit kaufen musste. Mittlerweile schuldet das Land dem Iran zwischen 30 und 50 Milliarden Dollar, und das neue Regime weigert sich zu zahlen.

Karte mit den syrischen Ölfeldern, Pipelines und Raffinerien, Stand 21. August 2011

Syrien hat zwar vor seinen Küsten im östlichen Mittelmeer noch nicht nach Öl- und Gasvorkommen gesucht, allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass es diese ebenso gibt wie vor den Küsten von Ägypten, Israel, Gaza und dem Libanon. Diese Vorkommen werden in den Fokus der internationalen Energiekonzerne geraten. Die Türkei würde gerne seine Offshore-Grenzen gegenüber Syrien definieren, was jedoch vermutlich zu Spannungen mit Zypern und Griechenland führen wird, die die USA und die EU um Unterstützung bitten könnten.

Al-Sharaa ist entschlossen, die syrische Kontrolle über die kurdische Region wiederherzustellen, um die Öleinnahmen und die Stromversorgung des Landes zu kontrollieren. Selbst in Damaskus, dem am besten versorgten Teil des Landes, ist der Strom nur jede sechste Stunde am Tag verfügbar. Das macht das Alltagsleben für die große Mehrheit der Menschen, die keine eigenen Solaranlagen oder Generatoren besitzen, unerträglich.

Ankara unterstützt al-Sharaa, weil es jedes kurdische Gebilde beseitigen will, das ähnliche sezessionistische Tendenzen in der Türkei selbst ermutigen könnte. Die Türkei liefert bereits Strom in die Region Idlib im Nordwesten Syriens und hat begonnen, Kraftwerke in Syrien zu reparieren. Zusammen mit Katar will die Türkei schwimmende Energieversorgungsschiffe nach Syrien entsenden. Auch Israel könnte Strom liefern, wenn Damaskus einer Normalisierung der Beziehungen mit Tel Aviv zustimmt. Dies würde es Syrien ermöglichen, zu einem Transitland für Gasexporte aus Israel und Ägypten in die Türkei und nach Europa zu werden.

Nach 13 Jahren Krieg leben 90 Prozent der 23 Millionen Einwohner Syriens unter der Armutsgrenze, und 16,7 Millionen sind von humanitärer Hilfe abhängig. Laut Berichten der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) würde der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur und Wirtschaft 300 bis 400 Milliarden Dollar kosten. Das ist deutlich mehr als Syriens Vorkriegs-BIP von etwa 60 Milliarden Dollar oder 4.000 Dollar pro Kopf. Heute liegt das BIP bei nur 17,5 Milliarden Dollar oder 760 Dollar pro Kopf, und die Regierung als auch die Zentralbank sind im Grunde zahlungsunfähig.

Die Aussicht auf diese wirtschaftlichen Möglichkeiten brachte die Türkei und die Golfstaaten dazu, die USA unter Druck zu setzen, ihre Sanktionen gegen Syrien aufzuheben. Im Mai war Donald Trump auf Besuch in Riad (Saudi-Arabien), um den chinesischen Einfluss in der Region einzuschränken und Geschäftsabkommen, die mit seinen eigenen Wirtschaftsinteressen und denen seiner Familie zu tun haben, mit den arabischen Staaten auszuhandeln. Damals traf sich Trump für 30 Minuten mit al-Sharaa. Er lobte ihn als „jungen, attraktiven Kerl. Harter Kerl, wissen Sie. Starke Vergangenheit – sehr starke Vergangenheit. Ein Kämpfer.“

Als Trump ankündigte, er werde die US-Sanktionen gegen die neue syrische Regierung aufheben, um dem Land „eine Chance auf Frieden“ zu geben, reagierte das Publikum mit stehenden Ovationen.

Das Ende der US-Sanktionen würde es der Türkei und den Golfstaaten ermöglichen, Syrien und den Libanon, wo Israels massive Luftangriffe auf Hochburgen, Waffen und Angehörige der Hisbollah die Macht der Gruppe geschwächt hat, in ihre wirtschaftlichen und politischen Einflusssphären einzubinden. Bisher hat die politische Pattsituation im Libanon trotz Israels Angriffen auf die Hisbollah alle Investitionen der Golfstaaten oder politische Abkommen über die wirtschaftlichen Maßnahmen behindert, die dem Land einen Kredit des US-dominierten Internationalen Währungsfonds sichern würde.

Rauchsäulen von brennenden Gebäuden nach israelischen Luftangriffen in Dahiyeh bei Beirut im Libanon am 13. November 2024 [AP Photo/Hassan Ammar]

Vor einigen Wochen feierte die Bevölkerung die Ankündigung der Trump-Regierung, sie habe die administrativen und rechtlichen Schritte unternommen, um die US-Sanktionen zu beenden und die HTS von der Liste ausländischer terroristischer Organisationen zu streichen. Damit soll Syrien wieder in das globale Finanzsystem eingebunden werden, sodass die Golfstaaten und die Türkei dort in beträchtlichem Ausmaß finanziell investieren können.

Berichten zufolge ist Ankara dabei, die syrische Armee wieder aufzubauen, und saudische Investoren wollen 6,4 Milliarden Dollar in syrische Infrastruktur, den Immobilien- und Telekommunikationssektor und andere wichtige Bereiche investieren. Das Unternehmen DP World aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, das Dutzende von See- und Binnenhäfen sowie Terminals auf der ganzen Welt – vor allem in Asien, Afrika und Europa – betreibt, hat einen 800 Millionen Dollar schweren Vertrag zum Ausbau des Hafens von Tarsus unterzeichnet. Die Bedingung dafür ist, dass Sharaa die Hisbollah vertreibt. Zuvor hatte seine Regierung im Mai einen 30-Jahres-Vertrag mit dem französischen Reedereikonzern CMA CGM über den Ausbau und Betrieb des Hafens von Latakia unterzeichnet. Zudem wurde ein sieben Milliarden Dollar schwerer Energievertrag mit einem Konsortium aus katarischen, türkischen und US-Unternehmen abgeschlossen, um den zerstörten Energiesektor wiederaufzubauen.

China in Syrien

Der Hauptgrund für Trumps Entscheidung, die Sanktionen aufzuheben, ist seine Entschlossenheit, China daran zu hindern, in Syrien vorzudringen. China könnte die wirtschaftliche Isolation Syriens vom internationalen Finanzsystem ausnutzen und davon wirtschaftlich und geopolitisch profitieren. Peking ist zum wichtigsten Handels- und Investitionspartner des Nahen Ostens geworden und hat sich auf den Wiederaufbau von genau der Infrastruktur spezialisiert, die in Syrien benötigt wird.

China hat Syrien während des 13-jährigen Kriegs zwar politisch und diplomatisch unterstützt, aber nicht wirtschaftlich oder militärisch. Es hat sein Veto gegen acht Resolutionen des UN-Sicherheitsrates eingelegt und Syrien im Rahmen seiner allgemeinen Haltung der „Nichteinmischung“ und des „Respekts für nationale Souveränität“ gegen ausländische Interventionen verteidigt. Im Jahr 2011 kam China seine Enthaltung bei einer Resolution des UN-Sicherheitsrats zu Libyen teuer zu stehen. Es musste 30.000 chinesische Zivilisten aus dem Land evakuieren, die dort auf Baustellen arbeiteten.

Peking hat während des Kriegs zwar enge Beziehungen zu Assad unterhalten, aber wenig Handel betrieben oder investiert. Seine Investitionen und Bauverträge, die allesamt vor dem Krieg begonnen wurden, beliefen sich auf kaum über 4,6 Milliarden Dollar. Obwohl sich Syrien im Jahr 2022 an Chinas Initiative „Neue Seidenstraße“ beteiligte und Assad im Jahr 2023 zu Besuch in Peking war, ist das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern von 1,27 Milliarden Dollar (2018) auf 356 Millionen im Jahr 2023 gesunken.

Xi Jinping trifft den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad am 22. September 2023 [Photo by Embassy of the People's Republic of China in the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland ]

Dennoch stellt Assads Sturz einen schweren Rückschlag für China dar, das befürchtet, er könnte sich auch auf Länder wie Ägypten, Saudi-Arabien und die VAE auswirken. Dort stehen für China überall Investitionen, Handel und Infrastrukturprojekte in Milliardenhöhe auf dem Spiel. Die Region ist auch eine wichtige Transportroute für Chinas Energieimporte und Exporte von Industriegütern über den Suezkanal, die Straße von Hormus und die Meerenge Bab al-Mandab, von denen China abhängig ist.

Die neue HTS-Regierung distanziert sich weitgehend von China, das Anfang des Jahres hochrangige Vertreter nach Damaskus geschickt hat, um über potenzielle Infrastrukturinvestitionen zu diskutieren. Kürzlich hat eine große Delegation chinesischer Unternehmen – die zweitgrößte nach der Türkei – an einer Wiederaufbaukonferenz in Syrien teilgenommen. Im Mai unterzeichnete Syrien eine Absichtserklärung mit einem chinesischen Unternehmen, das in Städte in den Provinzen Homs und RIF Damaskus investieren will.

Israels Bestrebungen, Syrien aufzuspalten

Eine zentrale Frage bei der Stabilisierung der HTS-Herrschaft über Syrien ist deren Fähigkeit, die Kontrolle über die Öl- und Gasregionen im Osten des Landes zu übernehmen, die derzeit von kurdischen Separatisten, den YPG, kontrolliert wird, sowie über den mehrheitlich drusischen Süden. Dabei ist sie in Konflikt mit Israel geraten. Israel setzt sich bei der Trump-Regierung für die Aufspaltung Syriens ein, um das Land schwach zu halten.

Auf den Sturz des Assad-Regimes durch Sharaa hat Israel mit einer massiven Ausweitung seiner Luftangriffe auf das Land reagiert. Israelische Kampfflugzeuge flogen Hunderte von Einsätzen, mit denen sie die syrische Luftabwehr, 70 Prozent der wichtigsten militärischen Einrichtungen des Landes und die Archive des syrischen Geheimdienstes zerstörten. Es bezeichnete das neue Regime als Regierung von „Terroristen“. Die Luftangriffe sollten sicherstellen, dass Israel den syrischen Luftraum für Angriffe auf den Iran nutzen kann. Zudem sollten sie Sharaas Bestrebungen schwächen, die Kontrolle über Gebiete zurückzugewinnen, die von anderen Gruppen, u.a. von der kurdischen YPG, beherrscht werden.

Israelische Soldaten neben einem gepanzerten Fahrzeug an der Grenze zwischen Syrien und den Golanhöhen am 9. Dezember 2024 [AP Photo/Matias Delacroix]

Am Boden ist das israelische Militär in große Teile des syrischen Staatsgebiets an der israelischen Nordgrenze eingedrungen und hat sie besetzt. Israel hält die syrischen Golanhöhen seit dem Sechstagekrieg von 1967 besetzt und hat sie 1981 annektiert. Nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes besetzte Israel eine von den UN überwachte Pufferzone, Teile der Provinzen Quneitra und Dara'a und den strategisch wichtigen Berg Hermon an der libanesischen Grenze. Unter dem Vorwand, die drusische Bevölkerung in Syrien zu schützen, errichtete Israel dort mehrere Militärstützpunkte. Damit hat es de facto die Türkei nachgeahmt, die große Teile von Nordsyrien unter seine Kontrolle gebracht hat.

Die imperialistischen und die regionalen Mächte leisteten dagegen keinen Widerstand, und auch aus Damaskus kam nur verhaltene Kritik.

Doch im Januar sorgte Israel für einen Aufschrei, nachdem eine umstrittene Karte des israelischen Außenministeriums veröffentlicht wurde. Diese zeigt ein Israel in den Grenzen des biblischen Königreichs Israel, das beträchtliche Teile des heutigen Jordaniens, Libanons und Syriens umfasst. Netanjahu erklärte dazu: „Die Golanhöhen werden für immer Teil des Staates Israel sein.“ Er werde nicht zulassen, dass die syrische Armee irgendwo südlich von Damaskus operiert, und sie so daran hindern, die Kontrolle über die südliche Region, einschließlich der Grenze zu Jordanien, zurückzuerlangen.

Syrische Zivilisten, mit erhobenen Händen vor israelischen Soldaten, verlassen 1967 ihre Heimat in den besetzten syrischen Golanhöhen

Außenminister Gideon Sa'ar schürte bei einem Treffen zwischen Vertretern der Europäischen Union und der israelischen Regierung den Separatismus. Er forderte die Aufspaltung Syriens in getrennte autonome Staaten auf der Grundlage ihrer ethnischen oder religiösen Zusammensetzung. Zuvor hatte er erklärt: „Die Kurden sind ein großes Volk, eines der größten staatenlosen Völker. Sie sind unsere natürlichen Verbündeten. ... Sie sind in vier Staaten eine nationale Minderheit, in zwei davon haben sie Autonomie – de facto in Syrien und de jure im Irak gemäß der Verfassung. Sie sind Opfer von Unterdrückung durch den Iran und die Türkei. Wir müssen auf sie zugehen und unsere Beziehungen stärken. Das hat sowohl diplomatische als auch sicherheitspolitische Dimensionen.“

Anfang März bezeichnete Netanjahu Syriens neue Regierung als „radikal“ und erklärte: „Wenn das Regime den Drusen Schaden zufügt, werden wir ihm Schaden zufügen.“

Israels Pläne für einen so genannten David-Korridor, die vor kurzem bekannt wurden, haben Befürchtungen ausgelöst, die Netanjahu-Regierung strebe den Aufbau von Großisrael an. Der Korridor würde durch den Süden Syriens verlaufen und die Provinz Dara'a mit dem US-Stützpunkt al-Tanf nahe der Grenze zu Jordanien und dem Irak sowie dem Euphrat in dem kurdisch kontrollierten Gebiet im Osten verbinden. Dies könnte eine Transportroute in den Nordirak schaffen, über die Öl und Gas in den Mittelmeerhafen Haifa gebracht werden könnte – ein Projekt, das mit den Plänen der Türkei und der Golfstaaten konkurriert.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei der 79. Sitzung der UN-Vollversammlung am Freitag, dem 27. September 2024. Er zeigt eine Karte, die den ganzen Nahen Osten als „verfluchte“ Zone darstellt. Weitere seiner Karten zeigten Gaza und das Westjordanland als Teile Israels [AP Photo/Richard Drew]

Israels Vorgehen in Syrien hat die Spannungen mit der Türkei, Washingtons weiterem Verbündeten in der Region, verschärft. Das hat Ankara dazu veranlasst, ein neues Abkommen mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) anzustreben und ein reaktionäres „türkisch-kurdisch-arabisches“ Bündnis mit Unterstützung des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan voranzubringen, um Israels expansionistische Ambitionen in der Region abzuwehren. Öcalan hat die PKK aufgerufen, ihre Waffen niederzulegen.

Anfang Juli wurden mehr als 1.400 Menschen, überwiegend Drusen, bei bewaffneten Zusammenstößen zwischen drusischen Gruppen und Beduinenstämmen in der südlichen Provinz Sweida getötet. Auslöser war ein scheinbar belangloser Streit über einen Lastwagen mit Gemüse an einem Kontrollpunkt. Mehr als 170.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben, die grundlegendsten Dienstleistungen sind zerstört. Al-Sharaa schickte das Militär, um die Beduinen gegen die Drusen zu unterstützen, weil er glaubte Washingtons Unterstützung zu haben, um die Kontrolle des Regimes durchzusetzen.

Israelische Truppen griffen ein, um die syrischen Truppen aus der Region zu vertreiben, deren Entmilitarisierung Netanjahu gefordert hatte. Als Vorwand behauptete Israel zunächst, es wolle verhindern, dass sich „feindliche Kräfte“ seiner Grenze nähern, später behauptete es, die Drusen unterstützen zu wollen. Die israelischen Truppen führten mehr als 160 Luftangriff im Süden Syriens durch und bombardierten das Hauptquartier des syrischen Generalstabs sowie Ziele in der Nähe des Präsidentenpalastes im Zentrum von Damaskus. Jordanien stationierte daraufhin Truppen an seiner Grenze zu Syrien, um ein Übergreifen der Zusammenstöße auf sein Staatsgebiet zu verhindern.

Schäden am Gebäudekomplex des syrischen Generalstabs in Damaskus nach israelischen Luftangriffen

Der Konflikt hat in der Provinz eine schwere humanitäre Krise ausgelöst.

Berichten zufolge waren US-Regierungsvertreter überrascht von Israels Intervention. Außenminister Marco Rubio erklärte, die Situation sei „kompliziert“, und es scheine „ein Missverständnis zu sein“. Nach „Gesprächen mit allen Parteien“ forderte er Syrien auf, seine Truppen zurückzuziehen, „um eine Deeskalation zu ermöglichen“. Gleichzeitig warnte er, der Konflikt sei eine „direkte Bedrohung für die Bestrebungen, ein friedliches und stabiles Syrien aufzubauen“. Später erklärte das US-Außenministerium: „Die USA haben die jüngsten israelischen Luftangriffe nicht unterstützt.“ Er warnte Israel faktisch, sich aus der sektiererischen Politik Syriens herauszuhalten, die amerikanischen Interessen gefährden könnte.

Al-Sharaa hat seine Truppen zurückgezogen und den Drusen die Kontrolle über die Region überlassen. Er wiederholte seine Versprechen, Syriens religiöse Minderheiten zu schützen. Diese fürchten die sunnitischen Islamisten, die jetzt im Land herrschen, vor allem nach dem Massaker an 1.700 Alawiten in Latakia im März und dem Anschlag auf die Mar Elias-Kirche in Damaskus im Juni, bei dem 25 Menschen getötet wurden, vermutlich durch HTS-Kämpfer.

Regierungstruppen sichern den Abzug von Beduinenfamilien aus der Stadt Suwayda am 21. Juli

Die Türkei, die Israels Unterstützung für autonome Regionen in Syrien ablehnt, forderte ein Ende der israelischen Militärangriffe. Der stellvertretende türkische Außenminister Nuh Yilmaz erklärte bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates zum Thema Syrien: „Israels Missachtung von Recht, Ordnung und staatlicher Souveränität hat mit diesen jüngsten Angriffen auf den Präsidentenpalast und das Verteidigungsministerium einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Lage hat sich aufgrund unserer kollektiven Anstrengungen mit den USA und einigen anderen Ländern teilweise verbessert.“

Da Ankara befürchtet, dies könnte die Kurden im Nordosten Syriens dazu ermutigen, auf ihrer Forderungen nach Autonomie zu bestehen, fordert es Israel auf, sich von allen syrischen Gebieten auf die Grenzen zurückzuziehen, die im Truppenteilungsabkommen von 1974 festgelegt wurden. Ankara will, dass die Trump-Regierung diese Position übernimmt und Sharaa sie als Vorbedingung für ein Abkommen mit Israel einfordert.

Wie bei allen derartigen Konflikten im Nahen Osten hat die Sozialistische Gleichheitsgruppe, die türkische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, betont: „Der einzige Ausweg in Syrien, das von einem vom Imperialismus unterstützten Krieg zum Regimewechsel verwüstet wurde, und dem jetzt ein gefährlicher Machtkampf zwischen verschiedenen regionalen und lokalen Kräften droht, ist eine internationale sozialistische Perspektive, die alle Arbeiter über ethnische, religiöse oder konfessionelle Spaltungen hinweg  im Kampf für Arbeitermacht und gegen den Imperialismus vereint.“

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