Der Kreml verschärft die Internetzensur

Am 22. Juli verabschiedete die Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments) in dritter Lesung mit 306 zu 67 Stimmen ein Gesetz, das Geldstrafen vorsieht, wenn jemand im Internet Inhalte sucht, die der Kreml als „extremistisch“ einstuft, oder auch für VPN-Dienste Werbung macht.

Virtuelle private Netzwerke (VPN) verbergen die IP-Adresse der Nutzer und ermöglichen ihnen so den Zugriff auf Websites und Apps, die für sie ansonsten gesperrt sein würden. In Russland sind viele Websites und verschlüsselte Messenger-Dienste (beispielsweise Signal) schon heute nicht mehr zugänglich.

Voraussichtlich wird der russische Präsident Wladimir Putin den Gesetzentwurf unterzeichnen.

Der Entwurf sieht vor, dass Nutzer, die „vorsätzlich“ nach „extremistischem Material“ suchen, mit allen möglichen Geldstrafen administrativ belangt werden können. Die Liste der „extremistischen Materialien“ umfasst neonazistische und radikal-islamistische Literatur, aber auch Literatur von Personen, die mit der von der Nato unterstützten liberalen Opposition in Verbindung stehen oder den Krieg generell kritisch sehen. Die Liste, die in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet wurde, umfasst mittlerweile mehr als 5.500 Titel.

Auf der Grundlage des Gesetzentwurfs müssen die Strafverfolgungsbehörden nachweisen, dass der Nutzer dies absichtlich getan hat und nicht zufällig auf das Material gestoßen ist. Dies wirft Fragen auf: Wie werden der russische Geheimdienst FSB und die Polizei solche „Beweise“ herbeischaffen? Wie sollen Nutzer sich alle 5.500 verbotenen Materialien merken, deren Liste ständig willkürlich erweitert wird? Diese Liste enthält mittlerweile vor allem viel kritisches Material über den Ukrainekrieg.

Das neue Gesetz ermöglicht es, den Druck auf all diejenigen zu erhöhen, die mit den Behörden „nicht kooperieren“, indem sie Informationen über Nutzer von VPN-Diensten und Internetprovidern weitergeben. Telekommunikationsbetreiber, Internetprovider und VPN-Dienstbetreiber werden verpflichtet, keine Informationen über ihre Interaktionen mit dem Staat preiszugeben. Andernfalls drohen ihnen Geldstrafen in Millionenhöhe.

Für normale Nutzer bedeutet dies, dass sie in ihrem Online-Leben praktisch keine Privatsphäre mehr haben. Darüber hinaus ermöglicht die ständige Aktualisierung der Liste extremistischer Materialien auf, dass Inhalte, die seit langem öffentlich zugänglich und weit verbreitet sind, verboten werden. In der Praxis bedeutet dies nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, den noch verbliebenen Rest an Internetfreiheit in Russland weiter einzuschränken.

Vor der dritten Lesung führte der stellvertretende Sprecher der Staatsduma und Vorsitzende der Partei „Neue Leute“ (Nowyje ljudi), Wladislaw Dawankow, auf seinem Telegram-Kanal eine Umfrage zu dem neuen Gesetz durch. 75 Prozent der Teilnehmenden stimmten gegen das Gesetz. Insgesamt nahmen 430.000 Menschen an der Umfrage teil, was angesichts der Tatsache, dass sie nur einen Tag vor der Sitzung der Staatsduma erstellt wurde, beeindruckend ist. Die Ergebnisse der Abstimmung und Davankows Rede gegen das Gesetz konnten Putins Partei (Einiges Russland) nicht davon überzeugen, das Gesetz abzulehnen. Am Ende verabschiedeten die zu Unrecht so genannten „Volksabgeordneten“ das reaktionäre Gesetz und stellten sich damit klar gegen die Mehrheit der Bevölkerung.

Die Verabschiedung dieses äußerst unpopulären neuen Gesetzes erfolgt inmitten eines immer heftigeren Stellvertreterkrieges gegen die Nato in der Ukraine und einer wirtschaftlichen Stagnation im Land. Angesichts der wachsenden sozialen Unzufriedenheit und der Opposition gegen den Krieg ist dies ein weiterer Schritt des Putin-Regimes, die Zensur zu verschärfen und den Menschen jede Möglichkeit zu nehmen, in Zukunft alternative Informationen zu erhalten.

Die Verschärfung der Internetzensur in Russland hat eine lange Geschichte. Bereits 2012 wurde ein Gesetz über „schwarze Listen“ verabschiedet, mit dem ein Register von Websites eingerichtet wurde, die gegen russisches Recht verstoßen. 2016 wurden die Jarowaja-Gesetze verabschiedet, die Telekommunikationsbetreiber und Internetunternehmen zur Speicherung von Metadaten der Nutzer für drei Jahre verpflichten. Diese Metadaten müssen den Behörden auf Anfrage, auch ohne richterliche Anordnung, übergeben werden.

All diese Gesetze haben es den Behörden ermöglicht, einen Apparat zur Kontrolle des Internets aufzubauen. Die Generalprobe für den Einsatz der neuen Technologie fand 2018 statt, als beschlossen wurde, den beliebten Messengerdienst Telegram zu verbieten, weil er sich nicht den Behörden unterwerfen wollte. Letztendlich mussten die Zensoren zurückrudern, teils wegen der massiven Unzufriedenheit in der Bevölkerung, teils wegen der Unvollkommenheit ihrer eigenen Blocking-Technologie.

In den Jahren vor dem Einmarsch in die Ukraine hat der russische Staat seine Möglichkeiten zur Blockierung und Überwachung des Internets weiter verfeinert. Kurz vor Kriegsbeginn wurden die Nachrichtenagenturen Meduza und Doschd, die beide mit der Nato-freundlichen liberalen Opposition in der Oligarchie verbunden sind, gesperrt. Seit Kriegsbeginn hat das Putin-Regime Facebook, Instagram, Twitter/X, Signal und Discord verboten und YouTube verlangsamt. Amazon Web Services, ein wichtiger Cloud-Dienst für die IT-Branche, wurde ebenfalls gesperrt. Ab 2023 wurde die Sperrung beliebter VPN-Dienste verschärft, und seither werden die Gesetze in Bezug auf VPNs immer weiter verschärft.

Zuletzt wurde der beliebte Internet-Geschwindigkeitstester SpeedTest gesperrt. Die bittere Ironie dabei ist, dass SpeedTest kurz nach einer Reihe offensichtlicher Ausfälle des russischen Internets gesperrt wurde. Einmal war das Internet in fast allen Regionen des Landes ausgefallen oder dramatisch verlangsamt. Laut Sboy.rf gab es allein im ersten Monat des Jahres 2025 mindestens 195.000 Beschwerden über Ausfälle des mobilen Internets. Im Vergleich dazu gab es 431.000 Beschwerden im ganzen Jahr 2024.

Grafik über die Auswirkungen der Internetabschaltungen in Russland am 16. Juli 2025. In den rot markierten Gebieten kam es zu einer teilweisen Abschaltung des mobilen und des kabelgebundenen Internets. In den gelb markierten Gebieten kam es zu einer teilweisen Abschaltung des kabelgebundenen Internets und in den orangefarbenen Gebieten zur teilweisen Abschaltung des mobilen Internets. [Photo by Telegram channel "Na sviazi"]

Die Verabschiedung des neuen VPN-Gesetzes ist nur ein Zwischenschritt des Putin-Regimes, das damit den Informationsumfang für die Arbeiterklasse und die arbeitenden Massen einschränken will. Mit einer weiteren Verschärfung der Zensur und Angriffen auf elementare demokratische Rechte der Arbeiterklasse ist zu rechnen.

Zuletzt hat der Kreml auch ein Verbot von WhatsApp ins Spiel gebracht, einer der wenigen westlichen Apps, die in Russland noch ohne VPN verfügbar sind. Für viele ist sie ein wichtiges Kommunikationsmittel, auch mit Freunden und Familienangehörigen im Ausland.

Es sei darauf hingewiesen, dass die Frage der Internetzensur nicht nur eine Frage demokratischer Grundrechte ist. Sie hat auch eine wichtige sozioökonomische Dimension.

Durch die Sperrung zahlreicher Messenger-Dienste, Anwendungen und Websites, die für die Koordinierung von Produktion, Design und Entwicklung wichtig sind, verschärft der Kreml das wirtschaftliche Chaos im Land. Es ist mit „innerstaatlichen Mitteln“ nicht zu lösen. Tatsächlich führt die Zensur zu einer weiteren Isolation und zum Verfall der wirtschaftlichen Grundlagen des russischen Kapitalismus. Der russischen Arbeiterklasse drohen damit enorme soziale Katastrophen.

Darüber hinaus zwingen die Bemühungen, das Internet für normale Nutzer einzuschränken, die russische Oligarchie dazu, enorme Summen und Ressourcen in die Verschärfung der Internetzensur zu investieren. Diese Summen könnten für das Gesundheits- und Bildungswesen ausgegeben werden – Bereiche, in denen die Oligarchie massive Kürzungen vorgenommen hat. Dies wirft für die russischen Arbeitenden dieselbe grundlegende Frage auf wie für die Arbeiterklasse aller Länder heute: Wer kontrolliert die sozialen und wirtschaftlichen Ressourcen, und wer hat die Staatsmacht inne?

Solange Russland von einer Klasse milliardenschwerer Gangster regiert wird, ist die Arbeiterklasse in ihrer Existenz bedroht. Diese Elemente leben vom Export von Rohstoffen und profitieren vom Krieg in der Ukraine, während sie gleichzeitig versuchen, einen Deal mit dem Imperialismus auszuhandeln. Durch ihre bankrotte Politik trägt diese Oligarchie in jeder Hinsicht zum Ruin des Landes und zum Ausbruch eines dritten Weltkriegs bei.

Große Klassenkämpfe stehen bevor. Die extreme Verschärfung der Zensur in Russland zeigt, dass die russische Oligarchie sich auf diese Kämpfe vorbereitet. Für die Arbeiterklasse ergibt sich daraus die Notwendigkeit, eine internationale sozialistische Strategie zu entwickeln, um in Russland, der ehemaligen Sowjetunion und anderen Ländern der Welt die soziale Revolution durchzuführen. Diese Strategie kann nicht entwickelt werden, ohne die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Dazu gehören die Lehren der Oktoberrevolution von 1917, der beiden Weltkriege, des Stalinismus, des Zusammenbruchs der Sowjetunion sowie der Globalisierung der Produktion.

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