Abschiebung von Jesiden-Familie trotz erfolgreichem Eilantrag

In der Nacht zum Dienstag, 22. Juli, wurde die Familie Qassim mit vier minderjährigen Kindern gewaltsam aus dem Schlaf gerissen. Polizisten brachten sie sofort zum Flughafen Leipzig/Halle, wo sie noch am selben Vormittag in ein Flugzeug nach Bagdad gesetzt und in den Irak abgeschoben wurde.

Familie Qassim [Photo by Privat]

Am selben Vormittag bewilligte das Verwaltungsgericht Potsdam einen Eilantrag gegen diese Abschiebung, der die Ausreisepflicht als hinfällig erkannte. Die Familie durfte also bleiben, doch das Urteil erfolgte, als sie bereits im Flieger nach Bagdad saß.

Die Abschiebung der Jesidenfamilie, die im Jahr 2014 vor der Terrormiliz IS aus dem Irak geflohen war, ist ein Beispiel für die brutale Verschärfung der Asyl- und Abschiebepolitik unter Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Die Merz- Regierung, der neben der Union auch die SPD angehört, hat der Arbeiterklasse den Krieg erklärt, und die Geflüchteten sind ihre ersten Opfer.

Familie Qassim lebte seit drei Jahren in Lychen (Uckermark, Brandenburg), war integriert, die Kinder besuchten die Schule und das Kleinste die Kita. Schon seit April wurde für Ende Juli das Urteil des Verwaltungsgerichts erwartet. Das sächsische Innenministerium und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) schufen jedoch bewusst vollendete Fakten, ehe das Urteil eintraf. Die Familie wurde am Dienstag als Teil einer Gruppe von 43 Menschen nach Bagdad abgeschoben.

Die Abschiebungen haben unter der Merz-Regierung rapide zugenommen. Im ersten Halbjahr 2025 gab es mit 11.800 Abschiebungen schon 2.300 mehr als im selben Zeitraum des letzten Jahres (9.500). Dabei hatten die Abschiebungen schon im letzten Jahr 2024 unter Innenministerin Nancy Faeser (SPD) insgesamt eine Rekordzahl von 20.000 erreicht.

Zu dem Abschiebeflug vom Dienstag erklärte Thüringens Justizministerin Beate Meißner (CDU), er habe „ohne Zwischenfälle abgeschlossen“ werden können. Im AfD-Stil fügte sie hinzu: „Unsere Botschaft ist eindeutig: Wer kein Aufenthaltsrecht besitzt, muss unser Land wieder verlassen.“

Die Anwältin der Familie versucht mittlerweile, eine Rückholung zu erwirken. Doch das Bamf hat die Jesidenfamilie, deren Haus im Sindschar-Gebirge vom IS zerstört und deren Angehörige und Freunde ermordet worden sind, nicht als Angehörige einer verfolgten Minderheit, sondern als „Wirtschaftsflüchtlinge“ eingestuft. Der ganze Vorgang entlarvt beispielhaft die bodenlose Verlogenheit und Heuchelei der herrschenden Klasse.

Noch vor zehn Jahren, als es im Sommer 2015 darum ging, die Bundeswehr im Nordirak zu stationieren, wurde der Fall der Jesiden pausenlos propagandistisch ausgeschlachtet. Wie es hieß, war es absolut notwendig, die Bundeswehr in den Irak zu bringen, damit sie nicht nur die kurdischen Peschmerga sondern auch die Jesiden gegen das Vordringen des IS verteidigen könne.

„Wenn sich ein Völkermord nur mit deutschen Waffen verhindern lässt, dann müssen wir helfen“, erklärte damals Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (heute Chefin der Europäischen Kommission). Mit Hinweis auf den „versuchten Genozid an den Jesiden“ posaunte sie im Februar 2015 auf der Münchner Sicherheitskonferenz: „Gleichgültigkeit ist und bleibt keine Option!“

Wenn die Jesiden sich jedoch, wie die Qassims, heute hier in Deutschland befinden, werden sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“ eingestuft. Dabei hat das Verwaltungsgericht Potsdam festgestellt, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bestehen. Die Lage im Irak und insbesondere in Sindschar ist für Jesidinnen und Jesiden auch heute in keiner Weise sicher.

Der 12-jährige Maatz Qassim, der am Dienstag aus Bagdad telefonieren konnte, sagte einer rbb-Journalistin: „Wir haben Angst.“ Über die nächtliche Polizeientführung berichtete er: „Sie haben laut ‚Polizei‘ geschrien und uns mit ihren Taschenlampen ins Gesicht gestrahlt.“

Maatz‘ Mitschüler haben inzwischen eine Petition gegen die Abschiebung initiiert und in drei Tagen schon über 400 Unterschriften gesammelt. Auch die Lychener Bürgermeisterin Karola Gundlach (parteilos) sagte, sie sei bestürzt und könne es „kaum fassen, dass die Familie abgeschoben wurde“. Der Flüchtlingsrat Brandenburg bezeichnete die Abschiebung als „skandalös“.

Dabei ist diese Abschiebung kein Einzelfall: In Hessen ist im April die afghanische Familie Kapoor nach Indien (!) abgeschoben worden, obwohl auch sie gut integriert war und ihre beiden Söhne seit Jahren die Schule in Frankfurt besucht hatten. Ein weiteres Beispiel betrifft eine Kita-Erzieherin aus Offenbach, die nach Afghanistan abgeschoben wurde, obwohl ihre Kolleginnen sie schmerzlich vermissen.

Die Abschiebungen sind Ausdruck einer bewussten Politik der Spaltung und der politischen Repression. In Berlin werden mittlerweile auch Anti-Genozid-Aktivisten wegen ihrer politischen Meinung mit Abschiebung bedroht.

Abgeschoben werden seit dem Sturz des Assad-Regimes in Damaskus auch besonders viele Syrer, obwohl sich die Lage in ihrer Heimat in keiner Weise stabilisiert hat. Dabei sind die meisten geduldeten Syrer in Deutschland integriert und als Arbeitskräfte unverzichtbar. Mehr und mehr übernimmt die Regierung die Politik der AfD.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) weist alle Abschiebungen zurück und lehnt die Angriffe auf Geflüchtete und Migranten kategorisch ab. Diese Abschiebungen sind Angriffe auf die ganze Arbeiterklasse. Arbeiterinnen und Arbeiter mit deutschem Pass müssen ihre internationalen Kolleginnen und Kollegen prinzipiell verteidigen! Die Geflüchteten sind nur die ersten Opfer. Die Abschiebungen sind die Kehrseite einer Kriegspolitik der Merz-Regierung, deren Kosten letztendlich der ganzen Arbeiterklasse aufgebürdet werden sollen.

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