Die Bundesregierung bereitet ab Herbst massive Einschnitte bei den Sozialleistungen, den Renten und im Gesundheitsbereich vor. Das machte Bundeskanzler Friedrich Merz am vergangenen Freitag auf der Sommerpressekonferenz deutlich. Auch auf den Wirtschaftsseiten der Medien finden sich zahlreiche Vorschläge, wie Milliardensummen auf Kosten von Bedürftigen, Rentnern, Kranken und Lohnabhängigen eingespart werden können.
Inzwischen ist klar, dass Union und SPD den geplanten Sozialabbau in ihrem Koalitionsvertrag bewusst ausgespart und an Expertenkommissionen delegiert hatten, um als erstes die gewaltige Erhöhung der Militärausgaben auf den Weg zu bringen. Sie rechneten offenbar mit massivem Widerstand, wenn sie Aufrüstung und Sozialabbau gleichzeitig angekündigt hätten. Doch nun soll, wie Merz deutlich machte, keine Zeit mehr verloren werden. Arbeiter und Bedürftige sollen die Kosten von Rüstung und Krieg bezahlen.
„Die Bevölkerung muss wissen, dass für Altersversorgung, Gesundheitsversorgung und Pflegebedürftigkeit auch höhere Anstrengungen von uns allen unternommen werden müssen,“ sagte der Bundeskanzler auf der Sommerpressekonferenz. „Da steht uns eine große gesellschaftspolitische Kraftanstrengung bevor.“
Hatte es ursprünglich geheißen, Experten würden bis zur Mitte der Wahlperiode im Frühjahr 2027 Vorschläge zur „Reform“ der Sozialversicherungen ausarbeiten, drückte Merz nun aufs Tempo. „Wir haben nicht so lange Zeit,“ drängte er. „Was wir bis zur Mitte der Legislaturperiode nicht entschieden haben, das wird in der zweiten Hälfte nicht mehr möglich sein. Die Probleme müssen wir schneller lösen, als wir sie im Augenblicke meinen, lösen zu können.“
Um welche Summen es dabei geht, machen Meldungen über die wachsenden Defizite der Sozialkassen deutlich. Die Ausbreitung von Niedriglöhnen, Tarifabschlüsse unter der Inflationsrate und sogenannte „versicherungsfremde Leistungen“, die den Sozialkassen ohne entsprechende Einnahmen aufgebürdet wurden, lassen deren Einnahmen und Ausgaben immer weiter auseinanderklaffen.
Das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen stieg von 1,9 Mrd. Euro im Jahr 2023 auf 6,2 Mrd. 2024 und auf 4,5 Mrd. im ersten Quartal 2025. Für das gesamte Jahr 2025 belaufen sich die Schätzungen auf ein Defizit von 10 bis 27 Mrd. Euro. Die Ausgaben der Krankenkassen steigen in diesem Jahr, bedingt durch die hohe Inflation, mit 6,8 Prozent weit schneller als die Einnahmen, die sich an den Löhnen der Versicherten bemessen und nur um 3,7 Prozent zunehmen.
Als Folge haben die gesetzlichen Kassen den Zusatzbeitrag, der zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen wird, von durchschnittlich 1,7 Prozent im vergangenen auf 2,5 Prozent (in Einzelfällen sogar auf über 4 Prozent) in diesem Jahr erhöht. Ein beträchtlicher Teil der mageren, von den Gewerkschaften vereinbarten Lohnerhöhungen wird so allein durch den gestiegenen Zusatzbeitrag aufgefressen.
Auch in der gesetzlichen Rentenversicherung tut sich ein tiefes Loch auf. Nach mehreren positiven Jahren betrug das Minus 2024 2 Mrd. Euro, in diesem Jahr wird mit 7 Mrd. Euro gerechnet. Spätestens 2027 sind die Reserven aufgebraucht.
Die Bundesregierung ist entschlossen, diese Defizite durch geringere Leistungen und höhere Beiträge auf die Versicherten abzuwälzen. Eine Aufstockung der staatlichen Zuschüsse, die schon jetzt die „versicherungsfremden Leistungen“ bei weitem nicht decken, lehnt sie kategorisch ab. Weil die Staatsverschuldung in den kommenden Jahren allein aufgrund der zusätzlichen Kriegskredite von 2,7 auf 3,7 Billionen Euro steigt, schließt sie jede Erhöhung der Sozialausgaben aus.
Dabei sinken die Renten seit Jahren, weil sie trotz regelmäßiger nomineller Erhöhung mit zusätzlichen Abgaben belastet werden. Bis 2004 wurden Renten nur gering besteuert. Seither steigt der Anteil, auf den Einkommenssteuer bezahlt werden muss, schrittweise an und erreicht 2040 100 Prozent. Dann gibt es keine steuerfreie Rente mehr.
Rentner zahlen auch Pflichtbeiträge zur Kranken- und zur Pflegeversicherung. Der Beitrag zur Pflegeversicherung ist seit ihrer Einführung vor 30 Jahren von 1 auf 3,6 Prozent (4,2 Prozent für Kinderlose) gestiegen. In diesem Jahr wird ein einmaliger pauschaler Beitrag von 4,8 Prozent erhoben, der die Rentenerhöhung von 3,74 Prozent zur Hälfte wieder auffrisst.
Als Folge erhalten mehr als die Hälfte aller Rentner, insgesamt mehr als 10 Millionen, eine Rente von weniger als 1.100 Euro monatlich und liegen damit unter der offiziellen Armutsgrenze. Jeder fünfte Einwohner Deutschlands über 65 Jahren gilt inzwischen als armutsgefährdet. Trotzdem steht die nächste Kürzungsrunde bevor.
Gleichzeitig befindet sich das Bürgergeld, das Menschen ohne oder mit niedrigem Einkommen zusteht, ganz oben auf der Kürzungsliste der Regierung. Es soll noch in diesem Jahr auf eine „Grundsicherung“ zurückgestuft werden. Die 40 Mrd. Euro, die 2024 für Regelsätze, Unterkunft und Heizung ausgegeben wurden, werden drastisch zusammengestrichen.
Inzwischen kursieren die absurdesten Szenarien zur Lösung der Krise der Sozialkassen. So schlägt der SPD-nahe Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, die Einführung eines „Babyboomer-Soli“ vor. Etwas besser verdienende Rentner, die den Ratschlägen der Politik gefolgt sind und in eine zusätzliche private Altersversorgung einbezahlt haben, sollen einen Teil ihrer Bezüge abgeben, um die Renten jener aufzubessern, die sich eine solche Zusatzversorgung nicht leisten konnten.
Nicht belangt werden die Reichen und Superreichen, deren Vermögen und Einkommen in den vergangenen Jahren explodiert sind und die keinen Cent zu den gesetzlichen Kassen beisteuern, ja oft sogar nicht einmal Steuern bezahlen. Dabei gibt es in Deutschland inzwischen 249 Milliardäre und 1,6 Millionen Millionäre (selbstgenutzte Immobilen nicht eingerechnet) mit einem Gesamtvermögen von 5,4 Billionen Euro.
Diese Superreichen – und die Milliardenausgaben für Krieg und Rüstung – kann sich die Gesellschaft schlichtweg nicht mehr leisten. Sie müssen enteignet, die Gesellschaft muss auf sozialistischer Grundlage – nach den Bedürfnissen der Mehrheit statt nach den Profitinteressen der Reichen – neu organisiert werden.
Bürgerliche Kommentare sind sich sicher, dass heftige Klassenkämpfe bevorstehen. Die Frankfurter Allgemeine titelt: „Jetzt wird es für uns alle teuer,“ die Süddeutsche: „Friedrich Merz muss allen Bürgern Geld abnehmen.“
Die Wirtschaftswoche zieht unter der Überschrift „Der letzte Sommer vor dem großen Verteilungskampf“ einen großen Bogen von Friedrich Engels‘ 1845 erschienener Schrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ über Emile Zolas Roman „Germinal“, der Elend und Kämpfe französischer Bergarbeiter schildert, bis zu Thomas Pikettys Analysen der heutigen „Wohlstandslücken zwischen Reich und Arm“. Piketty gelange zum Ergebnis, „dass wir es heute mit einer neuen Klassengesellschaft zu tun haben, die in eine (kleine) Besitzklasse der Vermögenden, Rentiers und Erben einerseits und in eine (große) Erwerbsklasse arbeitender Leistungserbringer andererseits zerfällt“.
Die Wirtschaftswoche erteilt Merz dann Ratschläge, wie er „den großen Umverteilungskampf der nächsten Jahre“ am besten meistern könne. Doch dieser Kampf lässt sich nicht meistern. Die kapitalistische Gesellschaft ist bankrott. Die herrschende Klasse reagiert darauf mit Krieg, Klassenkrieg und Diktatur. Das ist der Grund für den Aufstieg Donald Trumps in den USA. In Deutschland bewegen sich Merz und Klingbeil in dieselbe Richtung.
Arbeiter müssen sich auf die unausweichlichen Klassenauseinandersetzungen vorbereiten, indem sie mit der SPD und mit ihren Komplizen in den Gewerkschaften und der Linkspartei brechen und ihre eigene Partei, die Sozialistische Gleichheitspartei und das Internationale Komitee der Vierten Internationale aufbauen.