Die Verleumdung der Kritik am Völkermord Israels in Gaza als „Antisemitismus“ und der Missbrauch des Gedenkens an den Holocaust nehmen immer bizarrere Formen an.
Je offensichtlicher die Verbrechen der rechtsextremen Netanyahu-Regierung und der israelischen Armee gegen die palästinensische Bevölkerung sind, je mehr die Bilder der Verwüstungen in Gaza dem Nazi-Terror gegen jüdische Ghettos und die ausgehungerten palästinensischen Kinder und Frauen den ausgemergelten Menschen in den KZs gleichen, umso heftiger unterdrücken offizielle Stellen in Deutschland die wachsende Opposition gegen diese Verbrechen.
So wurde jetzt bekannt, dass die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar ihren Sicherheits- und Bildungsmitarbeitern eine Handreichung verpasst hat, die die Abweisung von Besuchern ermöglicht, die Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung zeigen.
Unter der Überschrift „Problematische Marken, Codes, Symbole und Zeichen rechtsradikaler und antisemitischer Gruppierungen“ werden darin gleichwertig mit rechtsradikalen Symbolen, mit denen in der Vergangenheit versucht wurde, die Gedenkstätte zu verunglimpfen und die Opfer zu verhöhnen, das Palästinensertuch, die Kufiya, und andere Symbole der Palästinenser aufgeführt.
So heißt es darin: „Das Tragen der Kufiya kann mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Sympathie mit militanter Israelfeindschaft bedeuten.“ Auch Aufrufe zu einem Waffenstillstand in Gaza („Ceasefire Now“) und das Zeigen der Scheibe einer Wassermelone, deren rot-weiß-grüne Färbung den Farben der palästinensischen Fahne entspricht, werden als israelfeindliche Symbole und Zeichen bezeichnet.
All das gilt als „israelbezogener Antisemitismus“ und als Beleidigung der jüdischen Opfer des Konzentrationslagers, in dem auch zahlreiche nichtjüdische Gegner der Nazis ermordet wurden: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und ausländische Zwangsarbeiter.
Bereits im April kam es anlässlich der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers zum Eklat. Auf Druck des israelischen Botschafters lud Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner den renommierten israelischen Wissenschaftler und Kritiker Netanyahus, Omri Boehm, als Redner wieder aus.
Omri Boehm ist Enkel einer Holocaust-Überlebenden und scharfer Kritiker der Netanjahu-Regierung. Er verurteilt die Kriegsverbrechen in Gaza und vertritt die Idee eines binationalen jüdisch-palästinensischen Staates.
Nach Buchenwald und seinen 139 Außenlagern hatten die Nazis seit Sommer 1937 nach bisher bekannten Zahlen 280.000 Menschen verschleppt. 56.000 wurden ermordet oder starben an Hunger, an Krankheiten, durch medizinische Experimente oder durch Zwangsarbeit.
Am 11. April 1945 organisierten überlebende Häftlinge, hauptsächlich KPD-Mitglieder, einen bewaffneten Aufstand, nahmen über hundert verbliebene Wachleute der SS fest und übergaben das Lager den eintreffenden amerikanischen Truppen. Da waren die meisten verantwortlichen NS-Schergen, Kommandeure und Mitglieder des Wachpersonals bereits geflohen.
„Heute ist die Gedenkstätte – neben ihren Aufgaben als Friedhof und Ort des Gedenkens – ein Lernort, der all denjenigen offensteht, die sich dem historischen Ort in der Absicht nähern, dass sich seine Geschichte nicht wiederholen darf,“ heißt es auf der Homepage der Gedenkstätte.
Zweifellos hat es seit den 1990er Jahren immer wieder widerliche Aktionen Rechtsradikaler gegeben, die versucht haben, Buchenwald für ihre reaktionären und faschistischen Zwecke zu missbrauchen. Die Homepage der Gedenkstätte führt zahlreiche Beispiele dafür auf. Dass sich die Mitarbeitenden der Einrichtung dagegen zur Wehr setzen, ist legitim. Aber die in der „Handreichung“ aufgeführten Zeichen und Symbole haben nichts mit diesen Aktionen zu tun, sondern nehmen die Parole „Nie wieder!“ ernst.
Denn ausgerechnet in Buchenwald, wo 1945 die überlebenden Häftlinge den berühmten Schwur „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ prägten, wird nun der Protest gegen den Massenmord einer rechtsextremen Regierung untersagt. Wer die von der Gedenkstätte auf ihrer Website propagierte Losung, „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“, ernst nimmt und die israelischen Verbrechen im Gaza-Streifen beim Namen nennt, riskiert den Rauswurf.
Die 57-seitige Handreichung für Mitarbeiter und Sicherheitspersonal sorgte für heftigen Protest in den sozialen Medien. Gedenkstätten-Leiter Wagner versuchte darauf, seine Verantwortung herunterzuspielen. Es habe sich um ein internes Papier gehandelt, das ihm selbst nicht bekannt gewesen sei. Es sei über die Justiz in Schleswig-Holstein an die Öffentlichkeit gelangt, was nicht hätte passieren dürfen.
Man wolle einige Formulierungen überarbeiten, so Wagner. Es sei z.B. von „umstrittenen Gebieten“ die Rede, es müsse aber „besetzte Gebiete“ heißen. Außerdem solle deutlich werden, dass Kritik an der Politik der israelischen Regierung nicht „per se antisemitisch“ sei.
Was davon zu halten ist, hatte sich bei der Gedenkfeier im April gezeigt. Als eine junge Teilnehmerin in ihrem auf Englisch gehaltenen Beitrag wagte, das Wort „Genozid“ auszusprechen, und erklärte, man müsse aus Buchenwald Lehren ziehen und bei Ungerechtigkeiten auch heute laut werden, griff Wagner ein. Er belehrte die junge Frau, man könne zwar um die unschuldig getöteten Palästinenser trauern; aber von einem „Genozid“ an einem Ort wie Buchenwald zu sprechen, gehöre sich nicht.
Die in der „Handreichung“ verbotenen Formulierungen werden in Deutschland als „linker Antisemitismus“ angeprangert. Offensichtlich liegt dem Papier der Beschluss zugrunde, den der Bundestag am 7. November 2024 unter dem Titel „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ verabschiedete.
Dieser Beschluss bezieht sich auf die umstrittene Antisemitismus-Definition der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance), laut der nicht nur der Antisemitismus von Rechtsextremen und Neonazis, sondern auch linke Kritik an der Politik der rechtsextremen israelischen Regierung und ihren Streitkräften als „Antisemitismus“ gilt. Die IHRA-Definition wird in den Fußnoten des Gedenkstätten-Papiers als Quelle genannt.
Gegen den Bundestagsbeschluss gab es 2024 heftigen Widerspruch und einen offenen Brief, den mehr als 2000 Journalisten, Künstler und Wissenschaftler unterzeichnet haben. Auch viele Juden, die mit dem Völkermord in Gaza nicht einverstanden sind, werden so als Antisemiten behandelt, wie z. B. der Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“, den der Verfassungsschutz als extremistisch verunglimpft.
Auf dieser Grundlage wurde kürzlich ein Vortrag der Psychoanalytikerin Iris Hefets auf dem Campus der Universität Bremen mit dem Titel „Schweigen und Schuld – Psychologische Mechanismen im Umgang mit dem Genozid in Gaza“ verboten. Hefets ist Mitglied der „Jüdischen Stimme“.
Das Papier der Gedenkstätte Buchenwald übernimmt diese Linie. Es versucht sogar, die antikommunistische Keule zu schwingen, indem es erklärt, „Kommunisten“ hätten versucht, „den historischen Ort für ihre Zwecke, darunter ihre antizionistischen Positionen, zu nutzen“. Gemeint sind Proteste einiger linker Gruppen bei vergangenen Veranstaltungen. Nach Schoah und israelischer Staatsgründung müsse der Antizionismus „als eine Form des Antisemitismus betrachtet werden“, konstatiert das Papier.
Die Gedenkstätten-Leitung macht sich auf diese Weise mitverantwortlich für die Politik der Bundesregierung, die dem Netanyahu-Regime Waffen liefert, die es im grausamen Massenmord an den Palästinensern einsetzt.