Sozialtarifvertrag bei Thyssenkrupp: Konzern und IG Metall vereinbaren Generalangriff auf Arbeiter

Der Sozialtarifvertrag bei Thyssenkrupp, der am vergangenen Wochenende von IG Metall und Konzernspitze vereinbart wurde, stellt einen historischen Angriff auf die Arbeiter dar. Die Gewerkschaft hat ihre Unterschrift unter Pläne gesetzt, die in weiten Teilen der kürzlich vom Konzern präsentierten „Giftliste“ entsprechen, teils sogar noch darüber hinaus gehen. Nach vielen Monaten der Drohungen aus der Chefetage und Beschwichtigungen aus den Gewerkschaftsbüros wird nun das volle Ausmaß des sozialen Kahlschlags deutlich.

Stahlarbeiter demonstrieren am 9. Juni in Duisburg vor der Hauptverwaltung von Thyssenkrupp-Stahl [Photo: WSWS]

Um eine zentrale Schlussfolgerung gleich vorwegzunehmen: Alle Beschäftigten, die noch Mitglieder der IG Metall sind, sollten den Vertrag bei der anberaumten Abstimmung ablehnen und ihre Nein-Stimme zum Auftakt einer Rebellion gegen die IGM-Bürokratie machen. Gleichzeitig sollten alle Beschäftigten umgehend mit dem Aufbau von Aktionskomitees beginnen, die Kampfmaßnahmen vorbereiten, um Löhne, Sozialstandards und alle Arbeitsplätze zu verteidigen.

Der Sozialtarifvertrag ist nicht nur in höchstem Maße unsozial, sondern bildet den Auftakt, um alle sozialen Errungenschaften zu zerschlagen, die frühere Generationen von Arbeitern oft in langen und bitteren Auseinandersetzungen erkämpft haben. Das so eingesparte Geld soll den Aktionären in den Rachen geworfen werden. Insgesamt belaufen sich die Kürzungen auf rund 120 Milliarden Euro.

  • Die Arbeitszeit der tariflich Beschäftigten wird um 1,5 Stunden von 34 auf 32,5 Stunden pro Woche gekürzt. Die entsprechende Lohnsenkung wurde auf vier Jahre festgeschrieben. Insbesondere in der Verwaltung, wo häufig noch 35 Stunden gearbeitet werden, sinken die Gehälter entsprechend drastisch. Bei außertariflich Angestellten sinkt die Arbeitszeit von 41 auf 39 Stunden.
  • Streichung des Urlaubsgelds in Höhe von 1123 Euro bis 2029; Kürzung des Weihnachtsgelds von 110 auf 100 Prozent eines Bruttogehalts – je nach Gehaltsklasse zwischen 300 und 600 Euro.
  • Halbierung der Bezüge für Rufbereitschaft.
  • Streichung der sogenannten „Sonderzahlung zur Beschäftigungssicherung“ von zuletzt 633 Euro (Februar).
  • Kürzung der Sonderprämien für langjährig Beschäftigte: Wer 25 Jahre für Thyssenkrupp gearbeitet hat, erhält künftig nur noch 1000 Euro statt eines ganzen Monatsgehalts. Bei 35 Jahren sind es 2000 Euro statt 1,5 Monatsgehälter, bei 45 Jahren 3000 Euro statt 2,25 Monatsgehälter. Bei einem Bruttogehalt von 3.000 Euro belaufen sich die Kürzungen dann je nach Dauer der Beschäftigung auf zwischen 2.000 und 3.750 Euro.

Im Schnitt werden die Löhne der Beschäftigten laut Medienberichten durch diese Einschnitte um 8 Prozent gesenkt. Das allein macht deutlich, dass Konzernleitung und Gewerkschaft die Sanierung des Konzerns vollständig auf die Rücken der Arbeiter abwälzen, um den Aktionären noch etliche Milliarden mehr in den Rachen zu werfen.

Zusätzlich hat die IG Metall dem bereits Ende letzten Jahres angekündigten Abbau von 11.000 Stellen und sogar der Zerschlagung ganzer Standorte nun endgültig ihren Segen gegeben.

Im Zentrum des Angriffs stehen die Produktionsanlagen in Bochum. Die Schließung des Elektrobandstandorts (BNO) an der Castroper Straße mit 600 Beschäftigten ist nun vorzeitig für Ende September 2028 beschlossen worden. Die 520 Arbeiter des Warmbandwerks 3 an der Essener Straße werden schon Ende dieses Jahres auf die Straße gesetzt. Weitere 120 Beschäftigte verlieren durch die vereinbarte Schließung zweier zusätzlicher Anlagen (Beitze II und Tandemanlage) am selben Standort Ende 2026 ihre Arbeitsplätze.

Auch der Hauptstandort Duisburg ist von den Einschnitten betroffen. Dort sollen mit den Hochöfen 8 und 9 zwei von insgesamt vier Öfen außer Betrieb gehen, der „9er“ schon zu Beginn des nächsten Geschäftsjahres im Herbst.

Unmittelbar stimmte die IG Metall damit der Vernichtung von rund 1600 Arbeitsplätzen in der Produktion bis Ende September 2029 zu. Zusätzlich wurde die Streichung von 3700 Stellen in allen anderen Bereichen des Konzerns besiegelt, wovon insbesondere die kaufmännischen Abteilungen und die Verwaltung betroffen sein dürften. Weitere 6.000 Arbeitsplätze sollen durch Ausgliederungen („Outsourcing“) aus dem Konzern fallen, unter anderem durch den Ausstieg von Thyssenkrupp aus den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) im Duisburger Süden.

Im Fall des Werks in Kreuztal-Eichen im Siegerland (NRW) jubelt die IG Metall, dass die geplante Schließung „erst einmal“ vom Tisch sei. Der Konzern hatte bereits im Mai ein Konzept zur „Optimierung des Standorts“ angekündigt, auf dessen Grundlage „ein wirtschaftlicher Betrieb gewährleistet werden“ könne. In ihrem Flugblatt zum Sanierungstarifvertrag freuen sich die IG-Metall-Bürokraten nun: „Ein Stillhalteabkommen schützt den Betrieb, während eine Arbeitsgruppe mit IG-Metall-Beteiligung ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickelt.“

Das heißt: Vor der Schließung – die „erst einmal“ vom Tisch ist, am Ende des „Stillhalteabkommens“ aber wieder aufgetischt wird – sollen die Beschäftigten zunächst noch einer von der Gewerkschaft entwickelten Rosskur unterzogen und maximal ausgequetscht werden. Erst dann wirft man sie raus.

Nimmt man all das zusammen, wird klar, wie verlogen die Behauptung der IG Metall und ihrer Betriebsräte ist, die vom Konzern vorgelegte „Giftliste“ sei größtenteils abgewehrt worden.

Nichts dergleichen ist der Fall! Die Gewerkschaftsbürokraten, die sich immer noch als „Arbeitnehmervertreter“ bezeichnen, haben dem Großteil der „Giftliste“ ihren Segen gegeben, ohne auch nur den Anschein eines Kampfs dagegen zu organisieren. Die Proteste zu denen die IG Metall letzte Woche noch aufgerufen hat, waren reine Alibi-Veranstaltungen und Bestandteil des abgekarteten Spiels. Sie dienten dazu, Widerstand vorzutäuschen und den Arbeitern angesichts des Schocks und der Wut über die geplanten Angriffe mit Trillerpfeifen das Maul zu stopfen.

Zahlreiche Kommentare unter den Artikeln in der Presse machen deutlich, wie groß die Wut und Empörung vieler Beschäftigten ist.

Christa R. schreibt: „Die Gewerkschaft war noch nie für den Arbeitnehmer. Die haben immer mit denen in der oberen Etage zusammengearbeitet.“ Lothar V. erklärt: „Verhandlungen? Glaubt wirklich jemand an echte Verhandlungen? Bisher haben die IGM und der Betriebsrat jede Sauerei des Unternehmens mitgemacht und den Abbau der Arbeitsplätze als Erfolg verkauft.“

Die IG Metall hat allerdings ihr Hauptziel erreicht. Die „geplanten Effizienzmaßnahmen“, schreiben ihre Funktionäre, würden „nur unter Einbindung von Arbeitnehmervertretern ablaufen“. Ihre gut bezahlten Posten sollen also erhalten bleiben, damit sie bis zum Ende der Sanierung als Betriebspolizisten dafür sorgen können, dass alles reibungslos vonstattengeht.

IG Metall und Betriebsräte sind sich ihrer Rolle als Ordnungsfaktor äußerst bewusst. „Am Montag werden sie uns die Bude einrennen“, sagte der Betriebsratschef des besonders hart getroffenen Bochumer Standorts, Engin Karakurt, der WAZ am Wochenende. „Das wird nicht schön werden.“ Aber jetzt wüssten wenigstens alle, wie es weitergeht.

Und dann folgt die zynische Parole, die hier im Ruhrgebiet jeder kennt und niemand mehr hören will. „Von den betroffenen Kolleginnen und Kollegen fällt niemand ins Bergfreie“, erklärt Karakurt. Der Abbau erfolge „sozialverträglich“ über einen „guten Sozialplan“.

„Was wir denen auch geben. Das geht wie bei Opel,“ zitiert die WAZ einen Bochumer Arbeiter des dortigen Warmbandwerks.

In der Tat sind die Parallelen zur Schließung des Bochumer Opel-Werks vor gut zehn Jahren unübersehbar. Bevor die IG Metall mit der Opel-Geschäftsleitung auch dort schließlich einen „Sozialtarifvertrag“ vereinbarte, war die Belegschaft des Werks von 20.000 scheibchenweise auf rund 3.000 Arbeiter reduziert worden – alles begleitet von gelegentlichen Protestkundgebungen, bei denen die Beschäftigten der heißen Luft der Betriebsräte ausgesetzt wurden und Dampf ablassen sollten. Die „Perspektiven“ nach Opel, die heute auch für Thyssen diskutiert werden, lauteten: „Altersbrücke“ in die Rente, Abfindung oder Transfergesellschaft mit heftigen Lohneinbußen.

Es gilt, sich die Geschichte der Opel-Schließung noch einmal vor Augen zu führen und Lehren daraus zu ziehen, um nicht den gleichen Weg zu gehen.

Es ist keineswegs ausgemacht, dass sich die Konzernchefs im Bündnis mit der IG Metall gegen die Beschäftigten durchsetzen werden. Um jedoch die Kraft, die in einer viele tausend Köpfe umfassenden Belegschaft steckt, zu entfesseln, sind folgende Schritte unumgänglich.

  • Als erstes muss der Sozialtarifvertrag in der Abstimmung zurückgewiesen werden. Lasst alle Kolleginnen und Kollegen wissen, dass ihr dagegen stimmen werdet, und ruft sie auf, das gleiche zu tun!
  • Als zweites ist es notwendig, sich unabhängig zu organisieren, um die Dominanz – um nicht zu sagen die Diktatur – des IG-Metall-Apparats zu durchbrechen. Mit ihrer Unterschrift unter dem Vertrag haben die IGM-Funktionäre und Betriebsräte einmal mehr deutlich gemacht, dass sie weder „Arbeitnehmervertreter“ noch „Arbeiterorganisationen“ sind, sondern die Forderungen der Aktionäre als Vertreter des Managements (als „Co-Manager“, wie sie sich selbst bezeichnen) im Betrieb durchsetzen.

Der Aufbau eines unabhängigen Aktionskomitees ist deshalb so wichtig, weil es so möglich ist, der ganzen reaktionären Politik der sogenannten Sozialpartnerschaft entgegenzutreten, die nichts anderes bedeutet, als die ständige Unterordnung der Arbeiterinteressen unter die Profitinteressen der Aktionäre und Kapitaleigner.

Wenn die IGM-Funktionäre das Diktat der Konzernchefs wiederholen und behaupten, angesichts der wirtschaftlichen Lage, wachsender internationaler Konkurrenz, des US-Zollkriegs etc. seien der geforderte Arbeitsplatzabbau, die Lohnsenkung und der Sozial-Kahlschlag unumgänglich, dann sagen sie nur, dass die Lebensinteressen der Arbeiterklasse nicht mehr mit dem Kapitalismus und seinem Profitsystem vereinbar sind.

Mit anderen Worten: Die prinzipielle Verteidigung aller Arbeitsplätze, Löhne und Sozialstandards muss mit einem Kampf für die Enteignung des Konzerns und der Errichtung von Arbeiterkontrolle über die Produktion verbunden werden.

Die WSWS-Redaktion und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) unterstützen den Aufbau von Aktionskomitees und organisieren ihre bundesweite und internationale Vernetzung und Zusammenarbeit.

Wir wiederholen den Aufruf des stellvertretenden SGP-Vorsitzenden Dietmar Gaisenkersting, der bereits vor mehreren Wochen betont hat, dass der prinzipielle Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Löhne mit dem Kampf gegen Aufrüstung und Krieg verbunden werden muss.

Wir rufen die Thyssenkrupp-Stahlarbeiter – nicht nur im Duisburger Norden – auf, am Aufbau von Aktionskomitees mitzuwirken. Brecht aus den von der IG Metall vorgegebenen engen bornierten Bahnen der betrieblichen Auseinandersetzung aus. Schaut über den eigenen Tellerrand hinaus und kontaktiert uns! Es ist jetzt die Zeit, aktiv zu werden, sonst droht die schrittweise Abwicklung der Stahlindustrie bis auf einen kleinen kriegswichtigen Rest. Schreibt eine Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +491633378340 und registriert euch gleich über das folgende Formular.

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