Am 1. Juni, einem schönen Sonntagabend, kam es im Nürnberger Nordklinikum zu einem erschreckenden Vorfall: In der psychiatrischen Abteilung wurde ein 19-jähriger Patient durch Polizeischüsse verletzt.
Eine Streife der Nürnberger Polizei hatte gerade einen Mann eingeliefert, als der unbeteiligte junge Patient offenbar gegenüber den Uniformierten ausrastete. Darauf schoss ein Polizist auf den 19-Jährigen und verletzte ihn schwer. Angeblich habe er die Polizei mit einer abgebrochenen Glasflasche bedroht, heißt es in der Polizeimeldung, die alle Medien kritiklos übernahmen.
Der Vorfall löste große Unruhe unter uns Pflegekräften aus: Was bedeutet es sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für das Pflegepersonal, wenn Polizisten in der Psychiatrie einfach schießen?
Das Aktionskomitee Pflege stellt fest: Die Verantwortung für die eskalierende Gewalt tragen nicht die Patientinnen und Patienten und schon gar nicht die Pflegekräfte. Die Schuld für eine Eskalation wie in Nürnberg liegt allein bei den Regierungspolitikern in Bund und Ländern, die die Verantwortung für den Pflegenotstand tragen.
Der dramatische Vorfall ist Ausdruck eines Gesundheitssystems, das bereits kollabiert ist und durch eine bewusste Politik immer weiter zerstört wird. Soeben wurde der neue Kriegshaushalt der Merz-Regierung im Bundestag diskutiert: Er sieht Multimilliarden für Krieg und Staatsaufrüstung vor. Dafür werden zwangsläufig alle sozialen Bereiche, einschließlich der Gesundheit, zugrunde gerichtet.
Es ist klar, dass ein radikales Herunterfahren der Gesundheitsversorgung dazu führt, dass immer mehr psychisch belastete Menschen ausrasten. Darauf reagiert der Staat mit repressiver Gewalt: Am 6. Juli forderte Gerald Gaß, der Chef der Krankenhausgesellschaft DKV, Null Toleranz und „harte Strafen“ für Übergriffe auf Pflegekräfte. Dem Deutschlandfunk sagte Gaß, der Staat müsse sicherstellen, dass Gewalt „trotz überlanger Wartezeiten in der Notaufnahme und komplizierter Prozesse in den Kliniken“ inakzeptabel sei.
Das verschärft jedoch nur die Brisanz, die das Sicherheitsthema in der Psychiatrie mittlerweile annimmt. Es ist lange bekannt, dass Patientinnen und Patienten, die sich in einer Ausnahmesituation befinden, aggressiv gegen Pflegekräfte, Mitpatienten oder sich selbst reagieren können. Laut den Nürnberger Nachrichten (NN) gibt es allein in dem betreffenden Klinikum monatlich rund 30 dokumentierte Angriffe auf Beschäftigte. Das ist ein alarmierendes Signal, das auf den akuten Pflegenotstand und Mangel an geschultem Pflegepersonal verweist. Denn die Grundregel lautet: Je weniger Personal in der Psychiatrie, desto mehr Gewalt.
Tatsächlich würde es klare staatliche Regeln geben, was die Patientensicherheit und den Schutz der Pflegekräfte betrifft. Multiprofessionell ausgebildete Fachkräfte sind extra dafür geschult, brenzlige Situationen zu deeskalieren und dafür zu sorgen, dass Patienten weder sich selbst noch andere gefährden. In einer Psychiatrie muss derart therapeutisch ausgebildetes Fachpersonal rund um die Uhr vor Ort zugegen sein.
Allerdings zeigt die Realität ein sehr anderes Bild: Mehr als die Hälfte aller psychiatrischen Einrichtungen Deutschlands erfüllt die Mindestanforderungen nicht. Das hatte das zuständige Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) schon vor zwei Jahren dokumentiert. Demnach hatten im Jahr 2023 rund 51 Prozent der Erwachsenenpsychiatrien und sogar 56 Prozent der Kinder- und Jugendpsychiatrien zu wenig therapeutisch geschultes Fachpersonal. Und seither hat sich die Lage nur verschärft, und immer mehr Psychiatrien beklagen einen Mangel an dauerhaft anwesendem, geschultem Sicherheitspersonal.
Im Nürnberger Klinikum wurde das Sicherheitskonzept erst vor wenigen Monaten grundlegend geändert. Ein privater Sicherheitsdienst kommt nur noch sporadisch, einmal pro Schicht, für wenige Minuten vorbei, dazu auf Abruf, falls er nicht anderweitig verhindert ist. In einem Bereich, in dem sich psychisch kranke Menschen in akuten Krisen aufhalten, ist das ein unhaltbarer Zustand.
Denn unter Personalmangel, Unsicherheit und Zeitdruck leiden sowohl die Pflegekräfte, als auch die Patientinnen und Patienten selbst. Viele erleiden psychische Ausnahmesituationen; sie sind traumatisiert, verängstigt oder gar suizidal. Sie brauchen Schutz, Ruhe, menschliche Zuwendung – aber nicht eine Station, die so unterbesetzt ist, dass Eskalationen fast unausweichlich werden. Wer auf Deeskalation setzt, muss Bedingungen schaffen, unter denen sie überhaupt möglich ist.
Die Klinikleitung erklärte sinngemäß, man wolle mehr Sicherheit, könne sie sich aber nicht leisten. Das ist zynisch. Denn während die Beschäftigten unter Druck und gefährdet sind, werden die Budgets nach betriebswirtschaftlicher „Effizienz“ und nicht nach tatsächlichem Bedarf verteilt. Das zeigt einmal mehr, wie krank das System selbst ist. Gesundheit wird zur Ware, Pflege zum Kostenfaktor und Sicherheit zum Luxus.
Aber Sicherheit ist kein optionaler Posten. Das Aktionskomitee Pflege fordert:
- Sofortige Einführung von dauerhaft präsenten, therapeutisch geschulten Sicherheitskräften auf psychiatrischen Stationen
- Massive Investitionen in mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung, finanziert durch eine Umverteilung von oben nach unten, nicht auf dem Rücken der Arbeiter. 500 Milliarden Euro für die Pflege anstatt für Rüstung und Krieg.
- Abschaffung des Fallpauschalen-Systems und der Profitorientierung im Gesundheitswesen. Krankenhäuser gehören nicht in die Logik des Marktes, sondern in die demokratische Hand der Arbeiter.
- Volle Kontrolle über Arbeits- und Sicherheitsbedingungen durch demokratisch gewählte Gremien der Arbeiter. Baut Aktionskomitees in allen Betrieben auf, als Teil der internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA–RFC)
Die Situation in der Psychiatrie ist kein Einzelfall. Sie ist das direkte Ergebnis eines Systems, das nicht auf Heilung, sondern auf Rendite zielt. Die Schüsse von Nürnberg waren ein trauriger Höhepunkt, aber sie sind nur ein Symptom. Die Ursache ist ein Gesundheitswesen im Würgegriff kapitalistischer Interessen.
Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bietet keine Lösung. Sie ist vielmehr Teil des Systems. Ihre Führung unterstützt ausdrücklich die Kriegspolitik der Koalition aus Union und SPD. Bei Verdi stoßen wir auf Mauern: Statt echter Verbesserungen bloß leere Versprechungen. So hat auch der Tarifvertrag, den sie uns jüngst aufs Auge drückte, den Notstand auf Jahre hinaus zementiert. Was nützen uns aber solche Verhandlungen und Pseudo-„Arbeitskämpfe“, wenn sie doch nur zu faulen Kompromissen mit der Kriegspolitik führen, die alles dominiert? Unsre Realität ist durch Fallpauschalen, Privatisierungen, Sparzwang infolge der Schuldenbremse und Reallohnsenkungen gekennzeichnet.
Es ist höchste Zeit, sich zu organisieren, nicht nur für bessere Löhne, sondern für die Abschaffung des Kapitalismus und Errichtung eines sozialistischen Systems, das den Menschen und die Menschlichkeit in den Mittelpunkt stellt, und nicht den Profit. Wir Arbeitenden müssen die demokratische Macht über Arbeitsbedingungen und Entscheidungen haben, mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind.
Gesundheit ist ein Menschenrecht, keine Ware. Und Sicherheit ist keine Verhandlungsmasse, sondern eine Grundbedingung für die würdevolle Arbeit und Pflege. Wer heute unsere Sicherheit verweigert, gefährdet morgen Leben.
Schließt euch dem Kampf für Aktionskomitees an. Meldet euch per Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +49 163-3378 340 oder registriert euch gleich hier über das folgende Formular.