Kaum ein Krieg verstößt derart offensichtlich gegen das Völkerrecht wie der US-israelische Angriff auf den Iran im Juni dieses Jahres. Darin sind sich praktisch alle seriösen Völkerrechtler einig. Trotzdem haben die Regierung und erhebliche Teile der Leitmedien Deutschlands den Krieg offen unterstützt.
Dieselben Stimmen, die den Ukrainekrieg tagein, tagaus als „völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg“ denunzieren, bemühen sich noch nicht einmal, den eindeutigen Bruch internationalen Rechts durch Israel und die USA zu bemänteln. Stattdessen stützen sie sich auf Nazi-Juristen wie Carl Schmitt, um zu rechtfertigen, dass ein Krieg auch dann „legitim“ sei, wenn er gegen die Legalität verstößt.
Man kann diese offene Geringschätzung des Völkerrechts, die sich derzeit noch in Kriecherei vor der Trump-Regierung ausdrückt, nur vor dem Hintergrund der Aufrüstung Deutschlands und seinem Bestreben, „stärkste Militärmacht Europas zu werden“, verstehen. In Vorbereitung auf zukünftige Angriffskriege verabschiedet sich die herrschende Klasse Deutschlands vom Völkerrecht.
Der Iran, ein historisch unterdrücktes Land, wurde am 13. Juni erst von der Atommacht Israel und dann auch von den USA, dem militärisch mächtigsten Land der Welt, aus heiterem Himmel zwölf Tage lang mit Bomben und Raketen attackiert.
Der Angriffskrieg begann überraschend, nachdem der Iran von den USA gerade zu einer neuen Verhandlungsrunde geladen worden war und diese Einladung auch angenommen hatte. Hunderte Menschen – Wissenschaftler, andere Zivilisten und hochrangige Militärs sowie deren Angehörige – wurden dabei von den Angreifern hinterrücks getötet sowie Wohngebäude und zivile und militärische Infrastruktur zerstört.
Die USA bombardierten am 22. Juni mit den stärksten nicht-nuklearen Bomben, die jemals in Kampfhandlungen eingesetzt wurden, iranischer Atomanlagen. Dabei behauptete Präsident Trump nicht einmal, in Selbstverteidigung zu handeln. Zahlreiche Völkerrechtler haben seither bestätigt, dass es sich dabei um einen eindeutigen Bruch internationalen Rechts handelte.
Die deutsche Regierung hat trotzdem von Beginn an ihre ausdrückliche Unterstützung der US-israelischen Aggression bekräftigt.
Außenminister Johann Wadephul (CDU) reagierte, indem er „aufs Schärfste“ die iranische Gegenwehr verurteilte, in Bezug auf den israelischen Angriff hingegen betonte: „Sie haben uns gesagt, dass das aus ihrer Sicht notwendig ist. Und das müssen wir so akzeptieren.”
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) lobte Israel sogar dafür, dass es mit seinem Angriff auf den Iran „die Drecksarbeit für uns alle“ mache. Verteidigungsminister Pistorius (SPD) erklärte, man dürfe nicht vergessen, dass „Israel von Feinden umgeben und permanent in seiner Sicherheit bedroht“ sei. Israel habe ein „Recht auf Selbstverteidigung“, und die Amerikaner hätten „Verantwortung in der Region übernommen“.
Am 28. Juni reiste Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) als erster internationaler Staatsgast nach dem Angriffskrieg nach Israel und traf sich dort mit Premier Benjamin Netanjahu, Außenminister Gideon Saar, Verteidigungsminister Israel Katz und dem Minister für strategische Angelegenheiten Ron Dermer. Gegen Netanjahu, mit dem Dobrindt in Israel händeschüttelnd für Fotos posierte, liegt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Kriegsverbrechen vor. In Deutschland wäre Dobrindt gesetzlich von Amtswegen verpflichtet, Netanjahu festzunehmen.
Offizielles Ziel der Reise war, „Solidarität mit Israel zu zeigen und sich über die Sicherheitslage sowie den Zivil- und Katastrophenschutz zu informieren“. Dobrindt unterstützte dabei die israelische Aggression ausdrücklich als „bedeutenden Beitrag zur Sicherheit Israels und zur Sicherheit Europas“.
Die verlogene offizielle Propaganda gegen Russland ist damit vollständig diskreditiert. Wen Deutschland bei einem Angriffskrieg unterstützt, hängt nicht von der völkerrechtlichen Zulässigkeit des Krieges ab, sondern allein davon, wer ihn führt und wie deutsche Wirtschaftsinteressen berührt sind.
Ein völkerrechtswidriger Krieg
Vertreter der Bundesregierung machen nicht einmal den ernsthaften Versuch, eine völkerrechtliche Begründung für die angebliche „Selbstverteidigung“ Israels zu konstruieren.
Die Charta der Vereinten Nationen verbietet in Artikel 2 Absatz 4 grundsätzlich die Anwendung und Androhung von Gewalt in den internationalen Beziehungen. Ausnahmen bestehen nur für Maßnahmen der kollektiven Sicherheit durch den UN-Sicherheitsrat (z. B. Art. 42 UN-Charta) oder das Recht auf Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta).
Die Definition einer Aggression wurde 1974 in der Resolution 3314 der UN-Generalversammlung festgelegt. Sie beschreibt Aggression als Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat gegen einen anderen Staat in Widerspruch zur UN-Charta.
Artikel 8 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs definiert das „Verbrechen der Aggression“ als „die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung, die ihrer Art, Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der UN-Charta“ darstellt. Dieses Statut hat Deutschland ratifiziert (nicht aber die USA und Israel) und das „Verbrechen der Aggression“ 2017 in das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, § 13, aufgenommen, wo es mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist, der Höchststrafe in Deutschland.
Dass der Angriff auf den Iran als Maßnahme der kollektiven Sicherheit durch den UN-Sicherheitsrat gerechtfertigt sei, hat niemand behauptet. Es gab keinen Beschluss, der auch nur annähernd in diese Richtung ging.
Der von Israel, den USA und ihren Unterstützern gern angeführte Bericht der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) vom 12. Juni 2025 behauptet nicht, dass Iran Atombomben besitzt oder unmittelbar baut. Im Gegenteil, IAEO-Generaldirektor Rafaele Grossi betonte am 19. Juni in einem Interview mit Al Jazeera, dass die angeblichen Verstöße Irans gegen gegebene Zusicherungen seine Behörde nicht zu dem Schluss gebracht hätten, dass Teheran Bomben baue:
Wir haben keine Elemente gesehen, die es uns als Inspektoren erlauben würden, zu bestätigen, dass irgendwo im Iran eine Atomwaffe hergestellt oder produziert wurde.
Der Iran ist seit 1968 Mitglied des Atomwaffensperrvertrages (Non-Proliferation Treaty, NPT) und hat darunter das Recht, Kernenergie zu friedlichen Zwecken zu nutzen und auch Uran anzureichern. Verstöße dagegen lösen kein „Recht auf Selbstverteidigung“ aus, schon gar nicht für Israel, das hunderte Atomwaffen besitzt, aber kein Mitglied des NPT ist und – anders als Iran – nie Inspektionen von Atomanlagen zugelassen hat.
Umgekehrt hat Israel auch früher schon wiederholt Angriffe auf Länder durchgeführt, um deren Atomanlagen zu zerstören. So nutzte es 1981 den Beginn des Krieges zwischen Irak und Iran, um die im Rahmen des NPT betriebene irakische Atomanlage in Osirak zu bombardieren. Dies wurde einstimmig vom UN-Sicherheitsrat verurteilt und Israel – erfolglos – dazu aufgerufen, seine eigenen Nuklearanlagen unter Aufsicht der IAEO zu stellen.
Bereits vor genau 20 Jahren hatte das deutsche Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf den Krieg der USA gegen den Irak erläutert, dass nach Art. 2 Ziff 4 UN-Charta, „jede“ Androhung und Anwendung militärischer Gewalt gegen einen anderen Staat eine völkerrechtswidrige Aggression sei. Davon gebe es nur zwei Ausnahmen: Der förmliche Beschluss durch den UNO-Sicherheitsrat und den Fall der Selbstverteidigung. Beides sei im Falle des Irak nicht gegeben gewesen. Das gelte auch im Fall mangelnder Kooperation mit UNO-Inspekteuren, wie dem damaligen Chef der IAEO Mohamed El-Baradei.
Auch eine Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 2. Januar 2003 kam damals zu dem Schluss, dass ein Angriff auf den Irak völkerrechtlich nicht legitimiert sei. Friedrich Merz hatte 2003 dennoch, wie auch die damalige CDU-Vorsitzende und spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Angriff unterstützt.
Auf seinem X-Account hat jetzt El-Baradei kurz nach Israels Angriff auf Iran direkt auf Außenminister Wadephul geantwortet:
Hat Ihnen jemand gesagt, dass ,gezielte Schläge gegen kerntechnische Anlagen‘ nach Artikel 56 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen, dem Deutschland beigetreten ist, verboten sind, und dass die Anwendung von Gewalt in internationalen Beziehungen nach Artikel 2 Absatz 4 der @UN-Charta generell verboten ist, mit Ausnahme des Rechts auf Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs oder auf Ermächtigung durch den Sicherheitsrat im Falle von Maßnahmen der kollektiven Sicherheit. Vielleicht sollten Sie sich mit den Grundprinzipien des Völkerrechts vertraut machen…
Praktisch alle bedeutenden Völkerrechtler in Deutschland haben ebenfalls erklärt, dass der Überfall von Israel und USA auf den Iran nach allen Definitionen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg darstellt. In den bürgerlichen Leitmedien geben das sogar einige zu, die den Krieg unterstützen.
Anleihen beim „Kronjuristen des Dritten Reiches“
So schreibt Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München und gern gesehener Gast in unzähligen Talkshows, in der Zeit unter dem Titel „Legal, legitim, egal?“:
Was die Frage der völkerrechtlichen Verhältnismäßigkeit anbelangt, so besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass der israelische Angriff gegen das Völkerrecht verstößt.
Damit ist für ihn die Debatte allerdings nicht beendet, sondern erst eröffnet:
Die Einsicht, dass nicht alles, was legal ist, legitim sein muss – und im Umkehrschluss, dass nicht alles, was illegal ist, illegitim sein muss – ist nach Deutschland noch nicht vorgedrungen.
Zum Beleg, dass der israelische Angriffskrieg im Gegensatz zum russischen Krieg gegen die Ukraine „legitim“ sei, verweist er auf langjährige antizionistische und antiisraelische Rhetorik im Iran – konkrete Drohungen oder Vorbereitungen, Israel militärisch anzugreifen gab es seitens des iranischen Regimes nicht – und nicht näher konkretisierte, angeblich „aus Teheran orchestrierte terroristische Anschläge“ und auf „Anleitung und Finanzierung terroristischer Organisationen in der Region, die Israel seit mehr als 45 Jahren angreifen“.
Über terroristische Anschläge des israelischen Geheimdiensts Mossad auf iranische Wissenschaftler im Iran schweigt sich Masala ebenso vornehm aus, wie er es vermeidet, die „terroristischen Organisationen“ zu benennen. Vermutlich sind damit von Iran unterstützte Gruppen wie die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah gemeint.
Diese nationalistischen und islamistischen Organisationen sind allerdings aufgrund der brutalen und völkerrechtlich illegalen israelischen Besatzung entstanden und keine bloßen „Stellvertreter“ und willfährigen Befehlsempfänger Teherans, wie der Politikprofessor sehr wohl weiß.
Israel hat es trotz aller Propaganda stets vermieden, den Iran wegen dessen angeblicher Stellvertreter vor dem Internationalen Gerichtshof IGH zu verklagen. Dieser hat 1986 aufgrund einer (juristisch großteils erfolgreichen) Klage Nicaraguas gegen die USA u.a. wegen der Kontrolle über die rechten Contras Kriterien für die Zurechnung nicht-staatlicher Gruppen zu ausländischen Staaten festgelegt, die Israel nachweisen müsste. Das hat Israel wohlweislich nicht einmal versucht.
Masala ist das egal. Er meint, man könne sich „die Frage stellen, ob es, wenngleich völkerrechtlich illegal, vielleicht doch legitim sein kann, der Macht im Nahen und Mittleren Osten, die seit Jahrzehnten für Terror und Destabilisierung in der Region verantwortlich ist, die Fähigkeiten zu nehmen, diese Politik auch in den nächsten Jahren fortzuführen oder sie sogar noch zu steigern.“ Abschließend diskutiert er noch „politische Chancen und Risiken“ der israelischen Aggression, inklusive der Erfolgsaussichten und der Vor- und Nachteile von Regime Change und Bürgerkrieg im Iran.
Nicht zufällig bezieht sich die Überschrift von Masalas Essay in der Zeit auf „Legalität und Legitimität“, ein Hauptwerk des rechten Staatsrechtlers und zeitweiligen „Kronjuristen des Dritten Reiches“ Carl Schmitt, das gegen die „wertneutrale“ Legalität zu Felde zieht. Masala richtet sich damit an die „deutsche außenpolitische Elite“, die, wie er beklagt, in breiten Teilen „noch immer nicht weltpolitikfähig“ sei.
Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass er Masalas und Schmitts Konzeption teilt, wonach es nur darauf ankommt, ob Deutschland einen Krieg für „legitim“ hält, und nicht ob er legal ist. „Legitim oder legal ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied,“ erklärte er im Juni in der ARD. Eine völkerrechtliche Bewertung der US-israelischen Bomben auf Teheran wolle er sich nicht „anmaßen“, unterstützte sie aber ausdrücklich.
Der langjährige Zeit-Journalist und Jurist Jochen Bittner rief auf seinem X-Account schon am 13. Juni zu einem direkten Kriegseintritt Deutschlands auf Seiten des israelischen Angreifers auf:
Der beste Zeitpunkt, Israel jede erdenkliche Hilfe bei der Verteidigung gegen Vergeltungsschläge des Iran anzubieten, wäre vor einigen Stunden gewesen, @bundeskanzler. Der zweitbeste Zeitpunkt ist jetzt.
In einem weiteren Post auf X vom 16. Juni knüpfte Bittner ebenfalls an die Theorien von Carl Schmitt an:
Traurige Tatsache ist, dass jedenfalls das ius ad bellum in den vergangenen Jahren von so vielen Seiten ignoriert wurde (Kosovo, Irak, Ukraine I, Ukraine II), dass es keiner Seite mehr als moralisches Argument dienen kann.
Wenn sich also niemand an Regeln hält – zu wem sollte man dann halten?
Das ist ebenfalls eine Anspielung auf „Legalität und Legitimität“, wo Schmitt die „substanzhaften Wertentscheidungen“ (Legitimität) über die „bloße, wertneutrale“ Legalität mit ihren „gleichen Chancen“ stellt, aber auch auf ein weiteres Hauptwerk Schmitts: „Der Begriff des Politischen“ (1932).
Dieser bestehe laut Schmitt in der „Unterscheidung von Freund und Feind“ und ist zentral für seine Theorien. Ein Staat hat ihm zufolge nur eine Bedeutung, wenn er willens und in der Lage ist, einen Feind zu bestimmen und wenn nötig mit allen notwendigen Mitteln zu bekämpfen. Die alleinige Befugnis, über Freund und Feind zu entscheiden und den Krieg zu erklären (jus belli), liegt beim Staat. Der Staat ist „die entscheidende Gruppierung, die das Monopol der letzten Entscheidung hat“. Erst die Definition eines Feindes durch den Staat ermöglicht die Herstellung einer inneren politischen Identität und Einheit.
Feind ist nach Carl Schmitt kein Konkurrent oder Gegner, sondern jeder, der als solcher bestimmt wird und dann bis zum Tod bekämpft werden kann. In den verschwurbelten Worten Schmitts:
Hier handelt es sich nicht um Fiktionen und Normativitäten, (...) Feind ist nur eine wenigstens eventuell, d.h. der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht.
Dies gilt auch und vor allem innerstaatlich. Demokratische Grundrechte und Debatten, unabhängige politische Regungen von unten, aus der Bevölkerung, sind damit unvereinbar. Wer tatsächlich oder angeblich „zum Feind hält“, wird selbst wie ein Feind behandelt, oder er wird von vornherein dazu erklärt.
Dass das keine abstrakte Theorie ist, zeigte sich, nachdem Hitler an der Macht war. Das Ermächtigungsgesetz, mit dem Hitler Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt, diktatorische Vollmachten, übertragen bekam, feierte Carl Schmitt enthusiastisch als „vorläufiges Verfassungsgesetz des neuen Deutschland“. Zwei Jahre später begrüßte er die rassistischen und antisemitisch Nürnberger Rassengesetze von 1935 überschwänglich als „Verfassung der Freiheit“.
Jochen Bittner, der in einem weiteren Post auf X unverhohlen Israels Genozid in Gaza, Terror im Libanon und Angriffskrieg gegen Iran mit der Hoffnung auf „Regime Change“ als „strategische Schönheit“ feiert, ist eine wichtige Figur bei der Wiederkehr des deutschen Militarismus und Imperialismus. Er ist bestens vernetzt mit diversen ThinkTanks und Lobbyorganisationen und hat an dem 2013 veröffentlichen Schlüsseldokument, dem Strategiepapier „Neue Macht, neue Verantwortung“, mitgearbeitet.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Ähnlich wie Bittner argumentiert Hubert Wetzel, Auslandskorrespondent EU/Brüssel, in der Süddeutschen Zeitung vom 17. Juni. Die Überschrift seines Kommentars, „Das Recht des Stärkeren ist die Wirklichkeit, in der wir leben“, fasst dessen wesentlichen Inhalt auch schon zusammen. Auch wenn der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Krieg Israels gegen Iran völkerrechtlich illegale Angriffskriege seien, wäre eine solche Bewertung absurd, denn die „moralischen und politischen Unterschiede“ zwischen Russland und Israel seien „fundamental“. Den Völkermord an den Palästinensern erwähnt Wetzel nicht.
Ähnlich wie Bittner und Masala plädierte Wetzel dafür, dass „Rechtsnormen, an die sich Staaten wie Russland, China oder Iran ohnehin nicht halten und deren Durchsetzung niemand erzwingen kann, eventuell nicht zwangsläufig die tauglichsten Leitlinien für eigenes Handeln sind“.
Der Nahost-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Thomas Avenarius, wirft in einem Kommentar vom 25. Juni Trump vor, bei dessen Eintritt in den israelischen Angriffskrieg nicht weit genug gegangen zu sein:
Es wäre vielleicht doch besser gewesen, Amerikaner und Israelis hätten das Nuklearprogramm länger bombardiert und Iran seine Grenzen noch deutlicher aufgezeigt. Ja, Benjamin Netanjahu ist skrupellos. Je schwächer Iran, desto besser für Israel – selbst wenn es Chaos gibt. Aber Israels Ängste vor Teheran sind so berechtigt wie die in der gesamten Region.
Selbst die verwerflichen Groß-Israel-Fantasien von Israels Rechtsextremen ändern daran nichts – Stichwort Gaza und Vertreibung der Palästinenser.
Reinhard Müller, Verantwortlicher Redakteur für die Rubriken „Zeitgeschehen“ und „Staat und Recht“ bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, verteidigt unter dem Titel „Völkerrecht ist das, was Staaten (daraus) machen“ Israels Überfall auf den Iran als Selbstverteidigung, weil der Iran Hamas, Hisbollah und Huthis unterstützt habe. Einen von außen erzwungenen Regimewechsel im Iran bezeichnet er als „legitimes Ziel“.
Der Chefkorrespondent Ausland des Springerblatts Welt, Clemens Wergin, erklärt die „juristischen Spitzfindigkeiten“ um die Legalität des israelischen Angriffs für „gänzlich unerheblich“ und erfindet einen „verdeckten Krieg“ von Iran gegen Israel, weil Iran Hamas, Hisbollah und Huthis unterstütze.
In einem weiteren Kommentar unter dem Titel „Jetzt ist die Chance zum Sturz der Mullahs“ hält sich Wergin gar nicht erst mit dem Versuch einer völkerrechtlichen Rechtfertigung auf, sondern gibt offen und mit unverhohlener Häme zu, dass es nicht um Israels Selbstverteidigung, sondern um seine Vormachtstellung in der Region geht, und dass sich seine Aggression gegen ein Regime richtet, dessen Politik westlichen Interessen zuwiderläuft:
Das Mullah-Regime bekommt nun die Rechnung präsentiert für Jahrzehnte Destabilisierungspolitik in der Region, für außenpolitisches Abenteurertum und seinen Griff nach der Atombombe.
Der „Griff nach der Atombombe“ ist durch nichts belegt und würde, auch wenn er zuträfe, den Angriffskrieg nicht rechtfertigen.
Am direktesten und vulgärsten äußerst sich der emeritierte Professor der Humboldt-Universität Berlin, Herfried Münkler. Der erklärt, man sei „aus einer regelbasierten in eine machtbasierte Ordnung übergewechselt“ und preist den israelischen Völkermord in Gaza und die Terrorkampagne Israels im Libanon mit den Worten, es habe damit den „Einkreisungsring der Proxy-Mächte des Irans zerschlagen“.
Auf die Frage, „Hat das Völkerrecht also ausgedient?“, antwortet Münkler unmissverständlich mit Ja:
In unseren medialen Debatten wird immer sehr gern das Völkerrecht bemüht, um politische Prozesse einzuordnen. Im Prinzip hat das dazu geführt, dass die Regelbrecher die Gewinner des Spiels waren – wie uns der fulminante Regelbrecher Putin oft genug demonstriert hat. Im Prinzip ist es also ziemlich uninteressant, was das Völkerrecht sagt – solange es niemanden gibt, der es durchsetzt.
Die „Regelbrüche“ von USA, Israel, NATO im Nahen Osten, Balkan auch schon vor Putin übergeht Münkler dabei – es geht ihm nur darum, eine „machtbasierte Ordnung“ zu beschwören, in der praktisch nur noch das Recht des Stärkeren gilt.
Eine neue Qualität
Die offene Verachtung für Legalität und Völkerrecht hat eine neue Qualität. Selbst bei den brutalen imperialistischen Kriegen gegen Jugoslawien und Irak hatten die westlichen Mächte noch versucht, den Anschein zu wahren, man halte sich an internationales Recht und die Kriege würden nicht von wenigen Großmächten, sondern einer „internationalen Gemeinschaft“ geführt – so offensichtlich dies auch gelogen war.
Auch hier werden fatal Erinnerungen an „völkerrechtliche“ Debatten in Nazi-Deutschland wach. Carl Schmitt philosophierte 1937/1938 über einen „nicht-diskriminierenden Kriegsbegriff“. Feinderklärung und Krieg durch legitime Staaten dürfe nicht diskriminiert werden, (Angriffs-)Krieg sei ein rechtmäßiger Staatsakt und kein Verbrechen.
Bereits 1933 war Deutschland aus dem Völkerbund ausgetreten, 1936 hatte Hitler einen Vierjahresplan ins Werk gesetzt, um Deutschland massiv aufzurüsten, kriegstüchtig und autark zu machen. 1938 marschierte Deutschland in die Tschechoslowakei ein, 1939 begann es mit dem Angriff auf Polen den Zweiten Weltkrieg.
Carl Schmitt entwickelte parallel dazu seine Theorien weiter und veröffentliche 1941 seine Schrift über „Völkerrechtliche Großraumordnung“. Nachdem er die Entscheidung, Krieg zu führen und zu beenden, als im legitimen Ermessen von legitimen Staaten stehend erklärt hatte (Kolonialländer oder die Sowjetunion zählte er nicht dazu), ergab sich aus diesem Recht des Stärkeren, dass diese dann die Führung von „Großräumen“ übernehmen sollten – wie die USA in Amerika unter der Monroe-Doktrin von 1823 und eben Nazi-Deutschland in Europa.
Zur Zeit des Angriffs auf die Sowjetunion führten Nazi-Juristen aus der SS, wie Werner Best und Reinhard Höhn, Schmitts völkerrechtlichen Sozialdarwinismus zu seinem logischen Schlusspunkt: Nicht formell gleichrangige Staaten, sondern rassistisch definierte „Völker“ kämpften ihre Interessen aus. „Höherwertige“ dürften die anderen unterwerfen oder vertreiben und vernichten:
Vernichtung und Verdrängung fremden Volkstums widerspricht nach geschichtlichen Erfahrungen den Lebensgesetzen nicht, wenn sie vollständig geschieht. (Best, 1942)
Dies ist keine ferne Vergangenheit. Die von heutigen Ideologen wie Masala, Münkler oder Bittner gepriesene „Zerschlagung der Iran-Proxies“ ist nichts anderes als Unterwerfung und Vernichtung, die sich auf das „Recht“ des Stärkeren, auf dessen „legitime Kriegsgründe“ stützt.
Auch die Rechtfertigung des Kriegs gegen Iran mit „Terror, Destabilisierung und existenzielle Bedrohung“ ist nicht neu: Der Überfall am 22. Juni 1941 auf die Sowjetunion wurde vom Nazi-Regime ähnlich begründet.
Der deutsche Außenminister Ribbentrop warf der Sowjetunion in seiner offiziellen Kriegserklärung vom selben Tag „gegen Deutschland und Europa gerichtete Zersetzungsversuche“ vor. Sie habe „„ihre Außenpolitik in immer stärkerem Maße in eine deutschlandfeindliche Richtung entwickelt“ und „ihre gesamten Streitkräfte an der deutschen Grenze in Bereitschaft gehalten“. Das bolschewistische Moskau sei „im Begriff, dem nationalsozialistischen Deutschland im Kampf um seine Existenz in den Rücken zu fallen“.
Es gibt auch Kolumnisten, die sich vorsichtiger äußern und die Aggression der USA und Israels als völkerrechtswidrig ablehnen. Hintergrund dieser Unterschiede ist, dass, wo das Recht des Stärkeren gilt, Deutschland derzeit noch nicht mitreden kann. Es kann dann nur vor den Stärkeren kriechen, in der vagen Hoffnung, etwas Gehör zu finden – wie die Bundesregierung mit ihrer Anbiederung bei Trump und Netanjahu derzeit anschaulich demonstriert.
Wehe allerdings, wenn Deutschland tatsächlich wieder „stärkste Militärmacht Europas“ ist, wie es das derzeit anstrebt, die „Drecksarbeit“ gegen „legitime Ziele“ wieder selbst macht und statt Recht nur noch zählt, zu wem man hält. Das bedeutet dann erneut Weltkrieg, Völkermord und Diktatur.