Perspektive

Der „letzte Sommer in Frieden“: Imperialistische Mächte rüsten für den globalen Krieg

Die USS Mount Whitney kreuzt in der Ostsee, Teil des Einsatzgebietes der 6. Flotte, um die Interessen der USA, ihrer Verbündeten und Partner in der Region zu vertreten, 6. Juli 2025

„Vielleicht ist dies der letzte Sommer in Frieden“, sagte der reaktionäre deutsche Historiker Sönke Neitzel im März im deutschen Fernsehn. Diese Aussage wird derzeit in den Medien wieder breit diskutiert.

Neitzel äußerte sie nicht als Warnung vor einer Katastrophe, die es abzuwenden gilt, sondern als militaristisches Argument für eine Beschleunigung der deutschen Aufrüstung, insbesondere der Vorbereitung auf einen Krieg mit Russland.

Deutschland müsse die Bedeutung von „Soldatenkulturen“ wieder erkennen, forderte Neitzel damals in einem Interview mit der taz. Als Beispiel dafür führte er die Armee Adolf Hitlers an: Die Wehrmacht habe verstanden, wie wichtig „Soldatenkulturen“ seien. Sie habe den Soldaten „Identität, Kohäsion und Motivation“ vermittelt, „mit Liedern, mit Uniformen, mit Auszeichnungen, mit Abzeichen (…)“.

Achtzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert Neitzels Erklärung vom „letzten Sommer in Frieden“ an den Ton der imperialistischen Agitation vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Der preußische General Friedrich von Bernhardi argumentierte 1912 in seiner berüchtigten Abhandlung „Deutschland und der nächste Krieg“, dass Krieg „eine biologische Notwendigkeit“ und der Motor des menschlichen Fortschritts sei. Bernhardi zufolge, war Krieg in Europa „unvermeidlich“.

Bernhardi versuchte, die konkreten, räuberischen Absichten des deutschen Imperialismus, der danach zweimal Europa zu erobern versuchte, mit Allgemeinplätzen über den Krieg als Bedingung der Menschheit zu bemänteln. Er gab damit einer Kriegsstimmung Ausdruck, die vor dem Ausbruch des Weltbrandes in den herrschenden Kreisen Europa vorherrschte. Der Erste Weltkrieg kostete dann 15 bis 24 Millionen Menschen das Leben.

Ähnlich verhält es sich mit Neitzel, dessen Rede vom „letzten Friedenssommer“ die blutrünstigen Pläne aller imperialistischen Mächte zum Ausdruck bringt.

Zunächst muss gefragt werden: Wenn das heute „Frieden“ ist, wie sieht dann der Krieg aus? Israel liquidiert gerade mit Unterstützung der USA und der europäischen Mächte das palästinensische Volk; in Europa tobt der größte Landkrieg seit dem Zweiten Weltkrieg; erst vor wenigen Tagen hat US-Präsident Donald Trump den Iran bombardiert.

Aber das, was jetzt geplant wird, und wofür die herrschenden Klassen bereits Waffen horten, ist etwas viel Größeres. Anfang dieses Jahres hat die deutsche Regierung angekündigt, dass sie ihre Militärausgaben in den nächsten zehn Jahren verdoppeln werde. Am Sonntag forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Wiedereinführung der Wehrpflicht, und der deutsche Bundestag hat letzte Woche eine Haushaltsdebatte geführt, in deren Verlauf Bundeskanzler Friedrich Merz erklärte, die „Mittel der Diplomatie“ gegen Russland seien „ausgeschöpft“.

Deutschland gibt das Tempo für die europäische Aufrüstung vor, und alle europäischen imperialistischen Mächte stocken ihre Militärausgaben massiv auf. Auf ihrem Gipfel in Den Haag im Juni verpflichteten sich die Nato-Mitglieder, ihre Militärausgaben auf 5 Prozent ihres jeweiligen BIP zu erhöhen.

Auf der anderen Seite des Atlantiks, im Cockpit des imperialistischen Kriegsrats, schmiedet die Trump-Regierung immer konkretere Pläne für einen Krieg im Pazifik gegen China, während sie gleichzeitig den Krieg im Nahen Osten eskaliert. Erst vor kurzem haben die USA neue Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt.

Wie die Financial Times am Wochenende berichtete, hat das Pentagon Japan und Australien offiziell aufgefordert, sich ausdrücklich zu verpflichten, dass sie gemeinsam mit den USA gegen China um Taiwan in den Krieg ziehen. „Konkrete operative Planungen und Übungen, die direkt auf einen Taiwan-Notfall anwendbar sind, werden mit Japan und Australien vorangetrieben“, sagte ein Insider der Financial Times.

All diese Fronten – in Europa, im Nahen Osten und im Pazifik – werden von Medien-Journalisten mehr und mehr als erste Gefechte in einem neuen Weltkrieg aufgefasst. In einem Artikel der New York Times warf Ross Douthat die Frage auf: „Wer wird den Weltkrieg gewinnen?“ Er kam zu dem Schluss: „Wenn die Vereinigten Staaten und China letztendlich in einen verheerenden Krieg hineingeraten sind, wird man die Kämpfe in der Ukraine und im Nahen Osten aus der Rückschau der Geschichte einem Dritten Weltkrieg zuordnen.“

Er fügte hinzu: „Für die Amerikaner ist es sinnvoll, unsere Situation global zu betrachten, mit Russland, dem Iran und China als revisionistischer Allianz, die unsere imperiale Macht auf die Probe stellt.“

Man könnte Douthat fragen, warum in aller Welt die Amerikaner sich um das Schicksal „unserer imperialen Macht“ Gedanken machen sollten. Welches Interesse haben „die Amerikaner“ an der unangefochtenen Vorherrschaft der amerikanischen herrschenden Klasse in der ganzen Welt? Was haben sie von der Kontrolle über natürliche Ressourcen, Technologien, Rohstoffe und Märkte, kurz der Dominanz der USA nicht nur gegenüber der „revisionistischen Allianz“ aus China und Russland, sondern auch gegenüber ihren ehemaligen Verbündeten in Europa?

Tatsache ist, dass dieselbe herrschende Klasse, die auf einen Weltkrieg drängt, auch einen Krieg gegen die eigene Arbeiterklasse führt: Im Namen „unserer imperialen Macht“ müssen Sozialprogramme, Löhne und grundlegende demokratische Rechte geopfert werden.

Douthats Kommentar weist auf die tiefer liegenden Kräfte hin, die die Kriegspläne der Imperialisten antreiben. Zwar wird der Krieg der USA und der Nato gegen Russland als Verteidigung der Ukraine gegen die „russische Aggression“ verkauft, und Israels Völkermord in Gaza wird als „Selbstverteidigung“ hingestellt. Aber die wahren Gründe für die globale Kriegstreiberei sind die Bemühungen jeder einzelnen imperialistischen Macht, die eigene globale Vorherrschaft zu sichern.

Nach der Auflösung der Sowjetunion begann der US-Imperialismus gemeinsam mit anderen imperialistischen Mächten, die Welt neu aufzuteilen. Die Folge waren jahrzehntelange Kriege und imperialistische Gewalt. Diese Konflikte münden nun in einen weltumspannenden großen Krieg, in dem die wichtigsten Gegner Russland, Iran und China heißen.

Im Jahr 1938, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, schrieb Leo Trotzki in: „Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale“, dem Gründungsdokument der Vierten Internationale („Übergangsprogramm“):

Unter dem wachsenden Druck des kapitalistischen Niedergangs haben die imperialistischen Gegensätze die Grenze erreicht, jenseits derer die einzelnen Zusammenstöße und blutigen lokalen Unruhen (Äthiopien, Spanien, Ferner Osten, Mitteleuropa) unausweichlich in einen Weltbrand umschlagen müssen. Die Bourgeoisie ist sich selbstverständlich der tödlichen Gefahr bewusst, die ein neuer Krieg für ihre Herrschaft bedeutet. Aber diese Klasse ist heute noch unendlich weniger imstande, den Krieg abzuwenden, als am Vorabend von 1914.

Jedes imperialistische Land der Welt sieht sich mit dem wachsenden Widerstand der Bevölkerung konfrontiert; zudem steht jedes Land vor einer Konstellation sozialer, wirtschaftlicher und politischer Krisen. Jede imperialistische Macht betrachtet Krieg und Diktatur als einzige Lösung aus dieser Situation. In den Vereinigten Staaten strebt die Trump-Regierung, die vor massiven Protesten steht, danach, eine Präsidialdiktatur zu errichten. Einen Krieg wird sie als Mittel zur Ausweitung der Präsidialherrschaft durch Dekrete begrüßen.

Der gefährlichste Aspekt der aktuellen Situation ist das mangelnde Bewusstsein der Arbeiterklasse. Sie sieht noch nicht, in welchem Ausmaß die Imperialisten aufrüsten, und welche Auswirkungen ihre Kriegspläne haben. Zwar protestieren Millionen Menschen auch heute schon gegen den Völkermord in Gaza und die diktatorischen Bestrebungen der Trump-Regierung, doch fehlt das Verständnis für die umfassendere globale Kriegsdynamik und ihre zugrunde liegenden Ursachen.

Die Sozialistischen Gleichheitsparteien kämpfen für den Aufbau einer neuen internationalen Antikriegsbewegung der Arbeiterklasse, die auf einem sozialistischen Programm zur Abschaffung des Kapitalismus – der Quelle von Krieg, Ungleichheit und Diktatur – gründet. Das bedeutet, die Arbeiter über alle nationalen Grenzen hinweg in einem bewussten politischen Kampf zu vereinen, um die imperialistische Kriegsmaschine zu zerschlagen, die Herrschaft der Finanzoligarchie zu stürzen und die Macht der Arbeiter zu errichten. Auf diesen Voraussetzungen wird eine neue Gesellschaft entstehen, die auf Gleichheit, Frieden und demokratischer Kontrolle über die Wirtschaft gründet.

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