Der Staatsbesuch von Emmanuel Macron in Großbritannien war der erste eines französischen Präsidenten seit 2008 und der erste eines europäischen Staats- und Regierungschefs seit dem Brexit. Dabei wurde deutlich, dass beide Seiten sich bei den Maßnahmen gegen Einwanderer und beim Krieg gegen Russland einig sind.
Zwischen den europäischen Mächten herrschen weiter Spannungen in der Frage, wie sie auf Donald Trumps Zickzackkurs gegenüber der Nato und dem Ukraine-Krieg reagieren sollen. Vor diesem Hintergrund unternahmen der französische Präsident und der britische Premierminister nun ihren jüngsten Versuch, der Öffentlichkeit ein starkes Bündnis zwischen Paris und London zu präsentieren.
Die wichtigste Verlautbarung der beiden war die „Northwood-Erklärung“, in der sie, wie Starmer es ausdrückte, „zum ersten Mal“ bestätigten, dass „wir unsere jeweils unabhängige atomare Abschreckung koordinieren. Von heute an werden unsere Gegner wissen, dass jede extreme Bedrohung dieses Kontinents eine Reaktion unserer beiden Nationen nach sich ziehen wird.“
Macron fügte hinzu: „Wir haben entschieden, dass wir die Koordinierung unserer jeweiligen Abschreckungsmaßnahmen nicht ausschließen. Es ist eine Botschaft, die unsere Partner ebenso wie unsere Gegner hören müssen.“
Großbritannien und Frankreich sind die einzigen Atommächte der Nato innerhalb Europas und verfügen über 225 bzw. 290 Sprengköpfe. Der „Gegner“, den sie ins Visier genommen haben, ist Russland.
London und Paris einigten sich außerdem darauf, das 2010 unterzeichnete Verteidigungsabkommen („Lancaster House treaty“) um eine Zusammenarbeit im Bereich der Rüstungsproduktion zu ergänzen.
Zu den neuen Vereinbarungen gehört der Bau der nächsten Generation des französisch-britischen Marschflugkörpers Storm Shadow. Viele davon wurden bereits an die Ukraine geliefert und bei Angriffen auf russisches Staatsgebiet eingesetzt. Die Produktion der aktuellen Version des Storm Shadows wird erhöht. Ein weiteres Gemeinschaftsprojekt dient der Entwicklung von Luft-Luft-Raketen, die Ziele über große Distanz und ohne Sichtkontakt angreifen können (BVR-Raketen).
Die beiden Länder werden außerdem mit der Entwicklung von Hochleistungs-Mikrowellenwaffen beginnen, mit denen Drohnen und Raketen bekämpft werden können, sowie mit KI-Projekten, um ihre eigenen Drohnen und Raketen zu noch tödlicheren Waffen zu machen.
Starmer erklärte vor der Presse: „Als die einzigen Atommächte Europas, die etwa 40 Prozent der europäischen Verteidigungsausgaben auf sich vereinen, teilen wir eine einzigartige Verantwortung für die Sicherheit dieses Kontinents.“
Im Falle des neuen europäischen Pakets zur Rüstungsfinanzierung „Security Action for Europe“ (SAFE), das 150 Milliarden Euro umfasst, setzt sich Frankreich indessen weiter dafür ein, die Beteiligung britischer Rüstungskonzerne zu beschränken.
Starmer und Macron diskutierten über Pläne für ihre „Koalition der Willigen“ in Bezug auf die Ukraine. In einer Pressemitteilung vom Amtssitz des Premierministers hieß es: „Die Koalition der Willigen wird ein neues ständiges Hauptquartier in Paris einrichten. Auch eine Koordinationszelle in Kyiw ist geplant. Die Kommandostrukturen für die künftigen Kräfte zur Abschreckung werden unterdessen fertiggestellt.“
Der britische Premierminister erklärte vor der Presse:
Die Koalition der Willigen sorgt dafür, dass wir in Zukunft Streitkräfte haben, die in Folge eines Waffenstillstands eingesetzt werden können, um eine russische Aggression auf Jahre hinaus abzuschrecken.
Doch während wir uns weiterhin auf Frieden vorbereiten, müssen wir uns auch darauf konzentrieren, ihn zu verwirklichen. Daher werden wir und unsere Partner in den kommenden Tagen und Wochen unsere Unterstützung verstärken, damit die Ukraine weiterkämpfen kann. Wir werden den Druck auf Putin durch lähmende Sanktionen erhöhen und sicherstellen, dass die Streitkräfte der Ukraine die notwendige Ausrüstung haben, um ihr souveränes Staatsgebiet zu verteidigen.
Für Macron besteht der Zweck dieser Organisation, die bisher noch größtenteils nur auf dem Papier besteht, darin, eine größere militärische Unabhängigkeit Europas zu schaffen, so weit wie möglich unter französischer Führung. In einer Rede vor dem britischen Parlament erklärte er: „Wir werden unsere Länder aus der übermäßigen Abhängigkeit von den USA und China befreien müssen … Wenn wir eine nachhaltige Zukunft für alle Kinder aufbauen wollen, [müssen wir] die Risiken abschütteln, die sich aus dieser zweifachen Abhängigkeit für unsere Wirtschaften und Gesellschaften ergeben.“
Er fügte hinzu, Großbritannien und Frankreich hätten „eine besondere Verantwortung für die Sicherheit des Kontinents“.
Geht es nach Starmer, so zielt die Koalition hauptsächlich darauf ab, Trump davon zu überzeugen, den Krieg in der Ukraine fortzusetzen. Dafür versprach er, Europa werde sein Engagement verstärken und Großbritannien seine Rolle als Brücke über den Atlantik beibehalten. Am Donnerstag erklärte er erfreut: „Wir haben gerade zusammen ein Treffen der Koalition der Willigen geleitet, an dem erstmals auch Vertreter der Vereinigten Staaten teilnahmen.“
Dazu gehörten der Sondergesandte des US-Präsidenten, General Keith Kellogg, sowie die Senatoren Lindsey Graham und Richard Blumenthal.
Das militärische Kräfteverhältnis zwischen den USA und einem europäischen Kontinent, der gerade erst beginnt, die Lücke zu schließen, bedeutet, dass alle diese Pläne noch stark von den Entscheidungen im Weißen Haus abhängen. Die europäischen Regierungen werden Trumps angekündigte „wichtige Erklärung“ zu Russland am Montag aufmerksam verfolgen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Vor allem Starmer wird sich durch die Berichte vom Freitag ermutigt fühlen, laut denen die USA und die Nato eine Vereinbarung getroffen haben, wonach die Nato Waffen aus Washington kauft und dann an die Ukraine liefert.
Bei der Migration einigten sich die beiden Regierungschefs auf ein Abkommen nach dem Schema „Einer rein, einer raus“, bei dem Asylsuchende in Frankreich, die als asylberechtigt im Vereinigten Königreich eingestuft werden, eins zu eins mit denjenigen ausgetauscht werden, die in kleinen Booten über den Ärmelkanal ankommen. Diese Politik ist Teil von Starmers Bemühungen, mit fremdenfeindlicher Politik auf Stimmenfang bei Wählern der rechtsextremen Partei Reform UK zu gehen.
Starmer sprach auf einer Pressekonferenz über „illegale Migration“ – gemeint waren Versuche von Familien, aus Armut und Krieg zu fliehen, einen Arbeitsplatz zu finden und sich eine Existenz aufzubauen. Er erklärte, es handele sich dabei um
eine globale Krise und eine europäische Krise. Aber sie ist auch eine sehr akute Krise für unsere beiden Länder – eine Krise des Rechts, der Sicherheit, der Menschlichkeit und der Fairness.
Wir sind mit einem sich ausbreitenden, milliardenschweren Unternehmen konfrontiert, das von organisierten kriminellen Banden geleitet wird, die Hunderte von Menschen in den Tod im Ärmelkanal treiben. Deshalb sind wir entschlossen, diesem abscheulichen Handel gemeinsam ein Ende zu setzen.
Er forderte ein „hartnäckiges, aggressives Vorgehen an allen Fronten, um … unsere Grenzen zu sichern“. Er lobte die französische Regierung dafür, dass sie „ihren Beamten den Einsatz in küstennahen Gewässern [erlaubt], um weitere Boote an der Überfahrt zu hindern“. Die französische Polizei hat begonnen, Schlauchboote am Strand zu zerstören, und sie wird vermutlich bald ihre Richtlinien ändern, um Einsätze in bis zu 300 Metern Entfernung vom Ufer zu ermöglichen.
Das UN-Seerechtsübereinkommen verbietet, abgesehen von Rettungseinsätzen, ausdrücklich jegliche Einsätze auf See.
Starmers Migrationsmechanismus, bei dem Asylsuchende eins zu eins ausgetauscht werden, wurde zuerst von dem führenden Politiker der Konservativen (Tories) und möglichen Kandidaten für den Parteivorsitz, Robert Jenrick, vorgeschlagen. Diese Politik hat zum Ziel, die bürokratischen Hürden zu erhöhen, deren Zweck darin besteht, nur einer kleinen Anzahl von Menschen „legal“ Asyl zu gewähren und alle anderen zurückzuweisen.
Die Tories und Reform UK nutzten Starmers Ankündigung, um noch weitergehende Schritte zu fordern. Sie griffen die Europäische Union an und wiesen darauf hin, dass das mit Frankreich vereinbarte Pilotprojekt nur höchstens 2.600 Menschen pro Jahr zurückführen wird. Seit Anfang des Jahres haben bisher etwa 21.000 Menschen den Ärmelkanal in Richtung Großbritannien überquert.
Es ist unwahrscheinlich, dass Frankreich Großbritannien wesentlich mehr anbieten wird. Macron war während seines Besuchs sehr darum bemüht, Großbritannien für die Entscheidung zum Brexit zu rügen. Unter anderem sagte er: „Viele in Ihrem Land haben erklärt, der Brexit würde ein effizienteres Vorgehen gegen illegale Migration ermöglichen.“ Doch habe dies „das genaue Gegenteil“ bewirkt.
„Der britischen Bevölkerung wurde die Lüge verkauft, Europa sei das Problem“, so Macron. „Durch den Austritt ist der Brexit das Problem geworden. Zum ersten Mal in den letzten neun Jahren geben wir nun eine Antwort.“