Die deutschen Universitäten stehen vor dem größten Spardiktat der Nachkriegsgeschichte. Die Landesregierungen in Berlin und anderen Bundesländern wollen Millionen Euro in Forschung, Lehre und Infrastruktur sparen.
Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) rufen zur Opposition gegen die Sparpolitik auf und verbinden sie mit dem Kampf gegen die Kriegsaufrüstung und Militarisierung der Universitäten und Schulen. Die Bundesregierung will ihren riesigen Kriegshaushalt von einer Billion Euro unter anderem über die drastischen Kürzungen in Wissenschaft und Bildung finanzieren.
Noch im laufenden Jahr sollen die Berliner Hochschulen laut dem Tagesspiegel etwa 145 Millionen Euro kürzen, davon 135 Millionen Euro im laufenden Betrieb (Personalkosten, Sachmittel, Verwaltungsausgaben) und 10 Millionen Euro an Investitionsmitteln für Bauprojekte und Anschaffungen.
Zehn Prozent der Berliner Studienplätze sollen gestrichen werden, was etwa 25 000 Studienplätzen entspricht. Das hat Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) am vergangenen Montag im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses erklärt.
Der Senat unter CDU und SPD hat die Hochschulverträge ausgesetzt, die mit den Berliner Hochschulen für den Zeitraum 2024 bis 2028 ausgehandelt worden waren. Die darin zugesicherten Finanzmittel sollen nun doch nicht fließen und die Hochschulen gezwungen werden, ihre Rücklagen aufzubrauchen und Stellen und Fächer zu streichen.
Betroffen sind die vier Universitäten (Freie Universität, Humboldt-Universität, Technische Universität, Universität der Künste), die Charité Universitätsmedizin, vier Hochschulen für angewandte Wissenschaften, darunter die Alice-Salomon-Hochschule für soziale Arbeit, sowie die Hochschulen für Kunst, Musik und Schauspiel.
Studierende, Wissenschaftler und Hochschulmitarbeitende sind schockiert und schlagen Alarm. Am Montag um 9:00 Uhr findet eine Protestkundgebung vor der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Pflege und Gesundheit statt. Dort läuft die finale Runde der Neuverhandlungen über die Verträge mit den Hochschulen, die voraussichtlich mit einem katastrophalen Spardiktat enden werden.
Am vergangenen Mittwoch rief das Studierendenparlament (StuPa) der Berliner Humboldt-Universität „alle Studierenden und universitären Mitarbeitenden zum Widerstand gegen die massiven Sparpläne der Berliner Landesregierung auf“. Die Resolution „Stoppt die Kürzungen an der Humboldt-Universität und allen Berliner Hochschulen! Milliarden in Bildung statt Aufrüstung!“ wurde von den IYSSE eingebracht und einstimmig verabschiedet.
Die Studierendenvertreter bekräftigen ihre Opposition zu den geplanten Kürzungen, die bereits auf einer studentischen Vollversammlung am 23. Januar sowie in Resolutionen des StuPa vom 11. Dezember und 28. Januar zum Ausdruck kam und ebenfalls von den IYSSE initiiert wurden. „Wir lassen diesen Sozialkahlschlag auf dem Rücken der Studierenden und Lehrenden nicht zu!“, erklären sie und kritisieren, dass die Bundesregierung „den Kriegsetat massiv erhöht und bei Bildung, Wohnen und Gesundheit kürzt“.
Auch Berlin stehe „im Zeichen von mehr gesellschaftlichen Repressionen, auch hier werden die Ausgaben für die Polizei steigen, Zäune gebaut und Befugnisse im Rahmen einer weiteren geplanten ASOG-Reform [Polizeireform] erweitert“.
Sie rufen erneut Studierende und Lehrende in Berlin und bundesweit auf, „sich mit den Arbeiter*innen in anderen Bereichen zusammenzuschließen und gemeinsam gegen den sozialen Kahlschlag zu kämpfen“. Das HU-Studierendenparlament wird im Juli eine Online-Vollversammlung einberufen, um mit allen Studierenden das weitere Vorgehen gegen die Sparmaßnahmen zu diskutieren.
Widerstand regt sich auch beim Hochschulpersonal. Über 2000 Berliner Professoren und wissenschaftliche Mitarbeitende haben einen offenen Brief gegen die Kürzungen unterzeichnet, der auf eine Initiative von FU-Beschäftigten zurückgeht. Sie warnen vor den Folgen des Sparprogramms, das per „Hauruckaktion“ noch in diesem Jahr umgesetzt und danach dauerhaft fortgesetzt werden soll. Es drohe neben der Streichung der Studienplätze auch das „Aus für wichtige Forscher*innengruppen und Studiengänge“. Laut Medienberichten sind zum Beispiel die Studiengänge Archäologie und Sozial- und Kulturanthropologie an der FU gefährdet.
Weiter heißt es in dem offenen Brief: „Die Kürzungen sind eine Entscheidung für überfüllte Seminarräume, weniger Absolvent*innen, überarbeitete Angestellte, marode Gebäude – und für eine Gefährdung der wirtschaftlichen Zukunft Berlins!“ Die Hochschulen würden „finanziell ausgehungert“ und könnten dann „aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen nicht angemessen wissenschaftlich“ begleiten.
Gerade in Zeiten eines Erstarkens der extremen Rechten und multipler Krisen ist die Hochschule als Ort des kritischen Denkens, der Produktion von gesellschaftlich relevantem Wissen und der demokratischen Vielfalt unverzichtbar. Als Wissenschaftler*innen dieser Stadt lassen wir uns weder gegeneinander, noch gegen Kultur und Soziales ausspielen. Wir stellen uns gegen die Kürzungspolitik und fordern den Berliner Senat dazu auf, die Kürzungen vollständig zurückzunehmen.
Zu den Unterzeichnern gehört ein großer Teil der Professorenschaft Berlins. Absurderweise findet sich unter den Namen auch die HU-Präsidentin Julia von Blumenthal, die selbst die Kürzungen umsetzen wird und bereits früher als Dekanin daran beteiligt war, Einsparungen an der Humboldt-Universität durchzuführen.
Schon als die Sparpläne im letzten Jahr bekannt wurden, hatte sie in einem Interview mit dem Tagesspiegel vom 26. November 2024 klargestellt, dass sie den Sparkurs unterstützt und in den Gremien dabei ist, die Kürzungen vorzubereiten. Sie erkenne an, „dass das Land Berlin sparen muss“, sehe es nur kritisch, „wie gekürzt“ wird. Kurzum: Blumenthal ist die willige Handlangerin des Senats, aber möchte bitteschön selbst entscheiden, wo sie den Rotstift ansetzt.
Blumenthal ist es auch, die seit Jahren rechtsextreme Ideologie und Kriegspropaganda an der HU fördert und Proteste von Studierenden gegen die deutsche Kriegspolitik und den Völkermord in Gaza unterdrückt. Sie und ihre Vorgängerin Sabine Kunst versuchen schon lange, die HU in eine rechte Kaderschmiede zu verwandeln – von der „Hochschule als Ort des kritischen Denkens“, wie sie im offenen Brief der Wissenschaftler beschworen wird, kann hier keine Rede sein.
Die Unileitung unter Blumenthal ist keine Partnerin im Kampf gegen die Kürzungen – im Gegenteil: Sie steht auf der anderen Seite der Barrikade. Mehr als einmal hat sie bewiesen, dass sie eng mit dem Berliner Senat vernetzt ist und in Zusammenarbeit mit ihm Proteste eindämmt und verhindert, um die politischen Ziele der Regierung letztlich durchzusetzen.
Dieselbe verheerende Rolle spielen die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die nun zu Protesten aufgerufen haben. Auf eine harmlose „Aktionswoche“ mit kleinen Protesten in der Mittagspause vor den Mensen der Berliner Hochschulen folgt jetzt am Montag, den 14. Juli, eine Kundgebung vor der Berliner Wissenschaftsverwaltung.
Verdi versucht, die Opposition im Sande verlaufen zu lassen, indem sie Hoffnungen in eine Klage gegen den Senat schürt. Sie behauptet, man müsse nur ordentlich Druck auf den Berliner Senat ausüben und im Zweifelsfall Rechtsmittel gegen die „Vertragsbrüche“ seitens der Landesregierung einlegen. „Wenn der Senat sich nicht bewegt, müssen die Hochschulen klagen“, erklärte Julia Dück, die für die Hochschulen zuständige Verdi-Gewerkschaftssekretärin, in einer Pressemitteilung vom 3. Juli.
Auch die Partei Die Linke lenkt alles auf den juristischen Weg. Tobias Schulze, wissenschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, erklärte: „Sollte die Politik nicht die in den Hochschulverträgen vereinbarten Mittel bereitstellen, können die Hochschulen dagegen mit einiger Aussicht auf Erfolg klagen. Der Senat ist unter Umständen sogar schadensersatzpflichtig.“
Besonders der Linkspartei, die sich gerade gegenüber jungen Menschen als soziale Alternative darstellt, darf kein Wort geglaubt werden. Als Koalitionspartner 2002–2011 und 2016–2023 hat sie mit ihrer brutalen Sparpolitik Berlin zur „Hauptstadt der Armen“ gemacht und insbesondere bei der Bildung massiv gekürzt.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Worüber sich die Gewerkschaften und die Linkspartei ausschweigen, ist der direkte Zusammenhang zwischen den Kürzungen und der Kriegspolitik der Bundesregierung. Kein Wunder: Die Linkspartei, Verdi, die GEW und andere Gewerkschaften wie die IG Metall unterstützen die Aufrüstung.
So haben Verdi-Chef Frank Werneke (SPD-Mitglied) und GEW-Chefin Maike Finnern beide das Sondervermögen Infrastruktur begrüßt, das im Rahmen des Kriegsprogramms verabschiedet wurde und vor allem der Finanzierung kriegstauglicher Straßen, Schienen und Brücken dient. Der DGB unterstrich sogar im Namen sämtlicher Einzelgewerkschaften, „die Notwendigkeit, in Deutschland und Europa verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um gemeinsam verteidigungsfähiger zu werden.“ Er stellte sich explizit hinter die exorbitanten Kriegskredite.
Wie soll eine Gewerkschaft, die sich hinter die Kriegspolitik stellt, glaubhaft gegen die Kürzungen an den Universitäten sein, die aus Sicht der Herrschenden für eben diese Kriegspläne nötig sind?
Damit der Betrug nicht sofort auffliegt, übt Verdi auch ab und an zahnlose Kritik an der Aufrüstung – etwa in einer Pressemitteilung nach dem Nato-Gipfel im Juni, auf dem beschlossen wurde, dass alle Mitgliedsstaaten 5 Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben müssen. Doch gleichzeitig stellt sich Verdi voll hinter die Aufrüstung und tut ihr Bestes, den Widerstand dagegen zu isolieren und kleinzuhalten. Dabei arbeiten sie in enger Symbiose mit den Regierungsparteien, besonders der SPD, zusammen.
Die Kürzungen, die das öffentliche Bildungssystem in ihren Grundfesten erschüttern, müssen dringend verhindert werden. Doch das ist nur unabhängig von den regierungstreuen Gewerkschaften möglich. Die IYSSE rufen deshalb dazu auf, Aktionskomitees zu gründen, in denen Studierende und Universitätsmitarbeiter Kampfmaßnahmen diskutieren und vorbereiten, die sie bundesweit und international mit Arbeitern in anderen Branchen koordinieren.
Zwar ist Berlin als größter Wissenschafts- und Universitätsstandort Deutschlands besonders hart von den Kürzungen betroffen. Doch der Kahlschlag findet überall statt. Die schwarz-grüne Koalition in Baden-Württemberg hat den Hochschulen einen erdrückenden Sparkurs auferlegt.
In Nordrhein-Westfalen plant die Regierung von CDU und Grünen ab 2026 horrende Unikürzungen in Höhe von 255 Millionen Euro. In Köln protestierten am Donnerstag etwa 150 Studierende gegen die drohenden Einsparungen. Bereits Ende Juni hatten Studierende der Universität Bielefeld demonstriert und einen Hörsaal besetzt. Dort hat die Sparorgie bereits begonnen: So wurden kurzfristig alle Tutorien im Bereich Geschichte abgesagt, in denen Studienanfänger wichtiges Basiswissen erhalten sollen. Zudem wurden rund 30 Stellen für studentische Hilfskräfte gestrichen, wie der WDR berichtet.
In Hessen, das wie Berlin von einer schwarz-roten Koalition aus CDU und SPD geführt wird, sollen in den nächsten fünf Jahren sogar bis zu einer Milliarde Euro an den Hochschulen eingespart werden. Laut der Frankfurter Rundschau stellt die Frankfurt University of Applied Sciences (UAS) schon jetzt zwei ingenieurwissenschaftliche Studiengänge ein. Tausende demonstrierten am vergangenen Dienstag hessenweit gegen den Sparkurs.
Die Wut und Kampfbereitschaft unter den Studierenden und Lehrenden ist groß. Damit der Widerstand aber Erfolg hat und nicht in zahnlosen „Mittagspausenprotesten“ der Gewerkschaften verpufft, braucht es eine sozialistische Bewegung, die für eine Revolution kämpft.
Der Generalangriff auf Wissenschaft und Bildung, um mehr Waffen und Panzer für imperialistische Kriege zu finanzieren, zeigt den verrotteten Zustand dieser Gesellschaft. Der Kapitalismus liegt längst auf dem Sterbebett. Er muss gestürzt und die großen Konzerne und Banken enteignet werden, damit die Milliardenprofite der Reichen in die Entwicklung von Forschung und Wissenschaft im Interesse der Gesellschaft und ein Bildungssystem auf höchstem Niveau für alle investiert werden können. Unterstützt diesen Kampf und schließt euch den IYSSE an!