Yanis Varoufakis spricht beim „Marxism Festival“ der Socialist Workers Party

Corbyns neue Partei und die Lehren aus Syriza

Im Mittelpunkt der diesjährigen Veranstaltung „Marxism: A Festival of Socialist Ideas“, die von der Socialist Workers Party im Londoner Stadtteil Shoreditch organisiert wurde, stand die jüngste Ankündigung von Jeremy Corbyns Anhängern, eine neue linke Partei zu gründen, die gegen Labour antreten soll.

Bei der Kundgebung des Festivals am Samstagmittag mit dem Titel „Party Time: What Kind of Left Do We Need?“ begrüßten Hunderte von SWP-Mitgliedern wie ein Fanclub Corbyns Auftritt mit „Oh Jeremy Corbyn!“-Sprechchören zur Musik von „Seven Nation Army“ der White Stripes.

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Der nationale Sekretär der SWP, Lewis Nielsen, begrüßte freudig die Ankündigung der parteilosen (ehemaligen Labour-)Abgeordneten Zarah Sultana zwei Tage zuvor, sie würde gemeinsam mit Corbyn an der Spitze einer neuen Partei stehen. Nielsen beschrieb dies als den „Startschuss“ für eine Mobilisierung der Massen und erklärte: „Der Geist ist aus der Flasche.“

Er erklärte unter Jubel und Applaus: „Millionen von Menschen in diesem Land sind bereit, dem Ruf zum Kampf zu folgen. Alle in diesem Raum können an diesem Aufruf teilhaben und einen Kampf führen, damit das Morgen besser wird als das Heute. Wir werden die extreme Rechte besiegen. Wir werden die Kürzungen zu Lasten der Arbeiterklasse beenden. Wir werden an der Seite Palästinas stehen, und wir werden eine andere Welt aufbauen.“

Corbyn stand sichtlich unter enormem Druck. Er vermied es, die neue Partei oder Sultanas Ankündigung zu erwähnen. Einen Tag zuvor hatte er auf X gepostet: „Die demokratischen Grundlagen für eine neue Art von Partei werden bald Gestalt annehmen. ... Die Diskussionen finden bereits statt.“

Vor fast einem Jahrzehnt wurde Corbyn zum Labour-Parteichef gemacht, mit dem enormen Auftrag, den Blair-Flügel der Partei zu bekämpfen. Stattdessen hat er sich regelmäßig aus dem Staub gemacht und in allen fundamentalen Fragen vor dem rechten Flügel kapituliert: bei der Nato-Mitgliedschaft und bei der Beibehaltung der Trident-Atomwaffen; er beharrte darauf, dass Labour-Kommunalverwaltungen die Kürzungen der Tories umsetzen, und er hat sich geweigert, Widerstand gegen den massenhaften Ausschluss seiner als „Antisemiten“ verleumdeten Anhänger zu leisten.

Corbyns Ziel war, die Linksentwicklung der Arbeiterklasse und ihrer jungen Generation zu blockieren und vor den Karren der Labour Party zu spannen. Im Jahr 2015 erklärte er, seine Aufgabe sei es, die „Pasokifizierung“ von Labour zu verhindern, womit er auf den Zusammenbruch der griechischen sozialdemokratischen Partei PASOK und ihre Verdrängung durch Syriza (Koalition der radikalen Linken) anspielte.

Im Juli 2015 erklärte Corbyn gegenüber dem Labour-freundlichen Mirror: „Es ist sehr interessant, dass sozialdemokratische Parteien, die den Austeritätskurs akzeptieren und ihn am Ende umsetzen, viele Mitglieder und eine Menge Unterstützung verlieren. ... Ich glaube, wir haben eine Chance, hier etwas anders zu machen.“

Mit anderen Worten: Er würde die Labour Party „syrizifizieren“, d.h. in eine linkspopulistische Partei „für die Vielen, nicht für die Wenigen“ verwandeln.

Der langjährige Stalinist Andrew Murray, der später zu Corbyns wichtigstem politischem Berater wurde, äußerte sich im Jahr 2013 zu Ken Loachs mittlerweile aufgelöster Gruppe Left Unity und wies deren Anspruch zurück, eine Bewegung nach der Art von Syriza in Großbritannien zu sein. Er betonte: „Die britische Arbeiterklasse wird eine ,britische Syriza‘ unterstützen, wenn sie die britische Labour Party genauso sehen wie die griechische Arbeiterklasse die PASOK. So weit sind wir derzeit noch nicht.“

Die Mittagsveranstaltung „Party Time: What Kind of Left Do We Need?“ beim Marxism Festival der SWP. V.l.n.r.: Michael Lavalette, Jeremy Corbyn, Lewis Nielsen (Vorsitzender), Salma Yaqoob, Andrew Feinstein [Photo: WSWS]

Jetzt sind wir genau da. In der Arbeiterklasse herrscht enorme Wut auf die rechten autoritären Maßnahmen der Starmer-Regierung, ihre Angriffe auf die Armen und Behinderten, ihre Unterstützung für Völkermord und Krieg sowie die Mobilisierung der Polizei gegen streikende Arbeiter. Arbeiter und Jugendliche brechen mit Labour, ein historischer Linksruck, der sich seit Jahrzehnten angebahnt hat.

Während Nigel Farages rechtsextreme Reform UK Unterstützung unter älteren unzufriedenen Labour- und Tory-Wählern gewonnen hat, gibt es eine weitaus breitere und stärkere Bewegung nach links gegen die immense Konzentration von Reichtum bei der milliardenschweren Oligarchie, gegen Krieg und Völkermord und für die Verteidigung der demokratischen und sozialen Rechte der Arbeiterklasse.

Das erklärt die wilden Versuche von Teilen der Labour- und Gewerkschaftsbürokratie und ihrer pseudolinken Verbündeten wie der SWP, eine neues politisches Vehikel zusammenzuschustern, das Arbeiter und Jugendliche auf reformistische Politik beschränkt und die Entwicklung einer sozialistischen und revolutionären Bewegung gegen das kapitalistische System verhindert.

Corbyn selbst sprach am Samstag nur vage davon, „Menschen zu mobilisieren, um Veränderungen zu bewirken.“ Sein Zögern, Sultanas neue Partei zu unterstützen, beruht auf der wohlbegründeten Befürchtung, dass jede Anfechtung von Labours Würgegriff über die Arbeiterklasse ihrer Kontrolle entgleiten könnte. Corbyns wichtigste Verbündete in der Socialist Campaign Group der Labour Party, Dianne Abbott und John McDonnell, erklärten gegenüber dem Tory-nahen Telegraph, sie würden sich nicht an dem Projekt beteiligen.

Der ehemalige Abgeordnete des African National Congress, Andrew Feinstein, der letztes Jahr Keir Starmer bei den Parlamentswahlen herausforderte, ist als öffentlicher Sprecher der neuen Parteiinitiative hervorgetreten. Berichten zufolge spielte er eine Schlüsselrolle bei der Organisierung von Sultanas überraschender Ankündigung, mit der Corbyn zum Handeln gezwungen werden sollte.

Feinstein erklärte auf der Kundgebung der SWP, die zu gründende „Partei der neuen Bewegung“ werde „sicherstellen, dass unsere Aktivisten, unsere sozialen Bewegungen und unsere Gemeinschaften“ in Westminster repräsentiert sind. Ihr Ziel? „Die Strukturen, Regeln und Funktionsweise des Parlaments, unserer Verwaltungen und des Staates grundlegend zu ändern, damit sie den Vielen und nicht den Wenigen dienen.“

Mit anderen Worten: eine Partei, die die Arbeiterklasse dem kapitalistischen Staat unterordnet und die fatale Illusion schürt, dieser könne übernommen und benutzt werden, um den Interessen „des Volkes“ zu dienen.

„Willkommen, Yanis“

„Marxism 2025“ war eine deutliche Warnung davor, welche Art von pro-kapitalistischer Partei die SWP aufbauen will. Dass sie Yanis Varoufakis als Hauptredner zu einem Vortrag mit dem Titel „Kampf gegen die Oligarchie: die Relevanz von Marx“ eingeladen haben, war ein Musterbeispiel für die widerliche Apologetik und Vertuschung, wie sie nur von einer Organisation toleriert werden kann, deren Wurzeln in den selbstgefälligsten Schichten des „radikalen“ englischen Kleinbürgertums liegen.

Varoufakis, der Finanzminister der griechischen Syriza-Regierung von 2015, spielte eine zentrale Rolle dabei, die Spardiktate der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank und des IWF gegen die griechische Arbeiterklasse durchzusetzen. Der warme Empfang für ihn zeigt, was die SWP in Großbritannien vorbereitet.

Varoufakis sprach per Zoom mit dem Cheftheoretiker der SWP, Alex Callinicos, der am Samstagnachmittag auf der Bühne vor einem vollen Saal erschien. Das vorgebliche Thema ihrer Debatte war Varoufakis‘ selbstgefälliges, düsteres Buch Technofeudalismus: Was den Kapitalismus getötet hat.

Flugblätter für die SWP-Veranstaltung Marxism 2025 [Photo by SWP]

Da Varoufakis wusste, dass er sich unter Freunden befand, erklärte er gleich zu Beginn, dass es der zehnte Jahrestag des Referendums sei, bei dem Syriza die griechische Bevölkerung aufgerufen hatte, mit „Ja“ oder „Nein“ zum Sparkurs zu stimmen. Das Ergebnis der Abstimmung war „ein historisches Ereignis, das nachhallte. Es wirkte sich auf die Linke aus, aber, wie sich herausstellte, auf keine gute Art und Weise. Es kann jedoch eine der wertvollsten Lehren der Linken bleiben, die die marxistische Linke, denke ich, gezogen haben könnte.“

Er bot einen gekürzten Rückblick auf den globalen Finanzcrash von 2008 („Für diejenigen unter euch, die zu jung sind, um sich daran zu erinnern oder sich dafür zu interessieren“), als „der Kapitalismus abgeschmiert ist.“ Er erinnerte daran, dass „Griechenland, der griechische Staat“ der „zerbrechlichste Teil unseres Systems“ war.

Die europäische Oligarchie wollte „Griechenland in ein dystopisches Laboratorium für immense Austerität verwandeln... und dieses Modell dann von Griechenland auf Irland, Portugal, Spanien und Italien übertragen. George Osborne hat seine Rolle dabei gespielt, es in euer Land zu bringen. Letztlich kam es bis nach Deutschland.“

Er erinnerte an die frühen Tage von Syriza: „Wir hatten Veranstaltungen wie diese, wisst ihr, mit 100, 500 oder 400 Leuten“, und dann entwickelten sie sich plötzlich „von einer winzig kleinen Partei“ zu einer, die 36 Prozent der Stimmen holte, und „am 5. Juli 2015 [dem Tag des Referendums] wurden daraus 62 Prozent.“

„Ich sage euch, ich konnte es in den Augen der Mächtigen sehen... von Leuten wie Christine Lagarde, der Europäischen Zentralbank, der Bank of England, der Federal Reserve, ich konnte es sehen, weil ich durch diesen historischen Zufall für einige Monate zum Finanzminister der Republik [Griechenland] wurde. Sie waren in Panik.“

Und dann kam seine erstaunliche Beschreibung der Nacht des Referendums, in der die griechischen Wähler eindeutig „Nein“ zur Austerität sagten:

„Einige Stunden später kommt mein Genosse, der Ministerpräsident [Alexis Tsipras] zu mir... Wir hatten einen mächtigen Streit. Ich trat zurück... Ich will euch damit nicht langweilen. Diejenigen, die sich erinnern können, erinnern sich. Wer sich nicht erinnern kann, kann es nachlesen. Das war eine interessante Episode. Es war völlig ungeplant, spontan, eine kleine Partei, die einige radikale Forderungen stellte und der Bevölkerung an diesem besonderen Punkt der Geschichte einige radikale Versprechen gemacht hat, konnte ein überwältigendes Mandat gewinnen, im Grunde für die Revolution. Es war unsere eigene Schwäche, die sie verraten hat. Das ist eine sehr große Lehre für uns alle auf dem linken Flügel. Genossen, der Feind, wenn der Feind uns angreift, wird er aus unserer Mitte kommen.“

Hier stellt Varoufakis Syriza (und sich selbst) als glückloses Opfer des unvorhergesehenen Überlaufens von Tsipras zu den Kräften der Reaktion dar. Varoufakis‘ Rücktritt als Finanzminister wird in einem edlen Licht dargestellt, ein Akt des Gewissens gegen die Pläne von Syriza, den Willen der griechischen Bevölkerung zu verraten und das EU-Programm der verbrannten Erde umzusetzen.

Doch weder der Verrat von Syriza noch der von Tsipras und Varoufakis waren zufällig oder unvorhergesehen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) hat Syrizas Weg zum Verrat in Hunderten von Artikeln, Vor-Ort-Berichten und politischen Erklärungen aufgezeigt und versucht, die griechische Arbeiterklasse gegen diese verkommene politische Falle zu mobilisieren.

Als Finanzminister der am 25. Januar 2015 gewählten Syriza-Regierung agierte Varoufakis von Anfang an als loyaler Diener der Troika aus EU, EZB und IWF. Im Februar, nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt, unterzeichnete er ein Abkommen mit der EU, um ihr erstes Sparprogramm in Griechenland auszuweiten.

Am 11. Februar, vor seinem Treffen mit den Finanzministern der EU, lobte Varoufakis die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble überschwänglich (letzteren als „Politiker von intellektueller Substanz“). Später beschrieb er seine eigenen Vorschläge an die europäischen Banker als „Standard im Stil von Thatcher oder Reagan.“

Genau wie Tsipras rechnete Varoufakis fest mit einem „Ja“-Votum. Mit der Pistole auf der Brust war die griechische Bevölkerung mit einer wirtschaftlichen Erpressung in riesigem Ausmaß konfrontiert. Die EU drohte, die griechische Wirtschaft zu zerstören, wenn ihre Spardiktate abgelehnt würden. Eine Kapitalflucht verwehrte Millionen von einfachen Griechen den Zugang zu ihren Löhnen und persönlichen Ersparnissen. Syriza unternahm nichts, um die Bevölkerung zu schützen, lehnte eine Verstaatlichung oder Maßnahmen zur Verhinderung des Kapitalabzugs ebenso ab wie jede Bedrohung für den Reichtum der Oligarchie und der wohlhabenden griechischen Investoren.

Syriza fragte die Griechen in der gequälten Rhetorik des Referendums, ob sie den zweiteiligen Vorschlag der Troika mit dem Titel „Reformen zur Vollendung des derzeitigen Programms und darüber hinaus“ und die „Vorläufige Schuldentragfähigkeitsanalyse“ akzeptieren oder ablehnen. Die Ablehnung durch das Volk war überwältigend – gefolgt von einem Verrat von historischem Ausmaß.

Alex Callinicos und Yanis Varoufakis bei der SWP-Veranstaltung Marxism 2025 [Photo: WSWS]

Callinicos begann seine eigene Rede auf der Veranstaltung der SWP mit den Worten: „Yanis, es ist großartig, mit dir zu sprechen. Du hast uns an einen historischen Tag erinnert, den historischen Tag des griechischen Referendums vor genau zehn Jahren, der für mich wie auch für dich, sowie für viele, viele Sozialisten, Arbeiter und antikapitalistische Aktivisten auf der ganzen Welt ein wirklich großer Moment war – ein Moment, der uns kurzzeitig gezeigt hat, dass es eine Alternative zum Neoliberalismus, der damals vorherrschenden Version des Kapitalismus, gab, dass eine andere Welt auf der Grundlage von Solidarität und Demokratie und Freiheit wirklich möglich ist, selbst wenn es aus den Gründen, die Yanis genannt hat, nur ein Blick war, der sehr kurz währte.“

Callinicos‘ Unterstützung für die von „Yanis“ angeführten „Gründe“ kommt nicht überraschend. Mit der Theorie eines unvorhergesehenen Dolchstoßes durch Tsipras lässt sich die prominente Rolle der SWP vertuschen, die einem Wahlbündnis, das seit seiner Gründung im Jahr 2004 verkommen und pro-kapitalistisch war, ein sozialistisches und revolutionäres Image verliehen hat.

Während der anschließenden Fragestunde forderte ein SWP-Mitglied Varoufakis höflich heraus. Er versicherte dem Publikum, „Ich liebe Yanis“, aber warum ist „eine so prinzipientreue Person wie du, die uns so viel Hoffnung gegeben hat“, nicht geblieben und hat gekämpft? „Hättest du nicht“, statt zurückzutreten, „noch etwas bleiben und gegen all diese bösartigen Banken und Technologiekonzerne kämpfen können?“

Seine Frage löste vereinzelt Applaus aus, doch Callinicos, der das Recht auf die erste Antwort hatte, ließ die Frage weder gelten, noch beantwortete er sie. Varoufakis erhielt einen „Safe Space“, um seine eigene dreiste Verteidigung zu organisieren: „Nein zu sagen und zurückzutreten, wenn die Alternative dazu ist, korrupt zu sein und zur anderen Seite überzulaufen, ist ein revolutionärer Akt.“

Er präsentierte eine Wahl zwischen zwei Formen der Kapitulation und ließ damit eine dritte Option aus, die sich direkt aus dem Ergebnis des Referendums ergab: Die griechische Arbeiterklasse im Kampf gegen die Spardiktate der EU zu mobilisieren. Dieser Kampf hätte in ganz Europa Widerhall gefunden.

Im November 2015 veröffentlichte das IKVI eine Erklärung mit dem Titel „Die politischen Lehren aus dem Verrat Syrizas in Griechenland“, die von allen Arbeitern und Jugendlichen sorgfältig studiert werden sollte. Das Dokument unterzog die Ereignisse in Griechenland – „eine immense strategische Erfahrung für die Arbeiterklasse“ – einer marxistischen Einschätzung und ist daher von entscheidender Bedeutung bei der Vorbereitung auf die explosiven Ereignisse, die sich jetzt in Großbritannien entwickeln.

Das IKVI schrieb über Syrizas Verrat: „Massen von Menschen werden mit dem Bankrott und dem Verrat politischer Parteien konfrontiert, die über viele Jahre hinweg die Protestbewegungen und die angeblich linke Politik dominierten. In Anlehnung an Theorien postmoderner Akademiker wie Ernesto Laclau bezeichnen diese Organisationen die gegenwärtige Epoche als ,post-marxistisch‘. Ihre Wurzeln haben sie in den gehobenen Schichten des Kleinbürgertums; sie pochen darauf, dass die Arbeiterklasse keine revolutionäre Kraft mehr ist und durch eine Vielzahl von gesellschaftlichen Schichten ersetzt wurde, die sich durch nationale, Rassen-, Geschlechts- oder Lebensstil-Merkmale auszeichnen.

Über Jahrzehnte hinweg verkauften diese Parteien ihre Politik als radikal oder antikapitalistisch, während sie in Wirklichkeit nichts dergleichen waren. Die erste Erfahrung mit ihnen an der Regierung entlarvt diese Anmaßung als Betrug. Die linke Maskerade diente als Deckmantel für ihre prokapitalistische Politik, die darauf angelegt ist, die Interessen der obersten 10 Prozent der Gesellschaft auf Kosten der Arbeiter zu verteidigen.“

Keine neue Syriza!

Im Jahr 2015 trat die SWP als schamloser Cheerleader für Syriza auf. Am 31. Januar begrüßte der Socialist Worker Syrizas Wahlsieg mit der Schlagzeile auf der Titelseite: „Griechenland lehnt die Austerität ab, UND WIR KÖNNEN ES HIER TUN“. Auf Seite 2 hieß es in einem Leitartikel: „Mit Syrizas Sieg ist die Hoffnung in Griechenland angekommen.“ Die SWP schrieb von „Jubel auf den Straßen“ und spannte – gemeinsam mit ihren griechischen Gleichgesinnten in der ANTARSYA (Antikapitalistiki Aristeri Synergasia gia tin Anatropi) – die militantesten und kritischsten Teile der Arbeiter, Jugendlichen, Schüler und Studierenden vor den Karren einer pro-kapitalistischen Regierung.

Die SWP erwähnte den Druck auf Tsipras, „Kompromisse“ einzugehen und schrieb: „Die wichtigste Frage ist jetzt, ob sich Syriza den Bankern und Gläubigern entgegenstellen wird.“ Der Arbeiterklasse wurde dabei die Rolle einer Pressure-Group zugeteilt. Die SWP plädierte für „Streiks, Massenmobilisierungen, Besetzungen und Demokratie von unten, die weiter gehen kann als Syriza bietet.“ Diese Propagierung von Spontanität, ein Merkmal der Politik der SWP, diente dazu, jedes Verständnis von Syrizas reformistischer und pro-imperialistischer Perspektive zu verhindern, die darauf abzielte, der Troika Zugeständnisse abzuringen, und ließ die Arbeiterklasse unvorbereitet auf das, was folgte.

[Photo by Socialist Worker]

Zehn Jahre später ist die SWP mit den gleichen Argumenten zur Stelle, um eine neue linke Partei zu propagieren, in der Hoffnung, dass Corbyn sie anführen wird. Bei der vorherigen Sitzung hatte Nielsen, der zusammen mit Corbyn auftrat, erklärt: „Wenn sie uns alles entgegenwerfen, brauchen wir eine Kraft, die keine Kompromisse macht, nicht zurückweicht. Wir brauchen eine Kraft, die die Bewegung mobilisieren wird. Arbeiter, die Bewegung für Palästina, die antirassistische Bewegung, wir werden uns in dieser Bewegung verwurzeln. Wenn sie also auf uns losgehen, werden wir diese Bewegung nicht abblasen, sondern sie auffordern, uns zu verteidigen. Das ist die Art von Partei, die wir brauchen. Wir brauchen also ein Bündnis, ein Netzwerk, eine Dachorganisation.“

Die SWP betont, dass eine Partei oder Dachorganisation (!) unter der Führung von Corbyn und seinen Kollegen durch Druck von unten zum Kämpfen gezwungen werden kann. Aber wofür kämpfen?

Die neue Partei, die der SWP vorschwebt, wird nicht einmal mit sozialistischen Maßnahmen identifiziert. Michael Lavalette, jahrzehntelanges Mitglied der SWP und ihrer Abspaltung Counterfire, nannte am Samstag bei dem gemeinsamen Auftritt mit Corbyn nur drei Bedingungen für die neue Bewegung: 1) „Sie muss in den verlassenen Gemeinden und der Arbeiterklasse verwurzelt sein“; 2) ihre Stadträte und Abgeordneten müssen als „Lautsprecher der Bewegungen und Gewerkschaften in unseren Kommunen“ dienen; und 3) „wir dürfen niemals in einer Lage sein, in der ein Abgeordneter dieser neuen Partei den Einsatz der Streitkräfte fordert, um Streiks zu brechen, wie sie es in Birmingham getan haben“ (!)

Dabei handelte es sich um eine diplomatische Anspielung Lavalettes auf Ayoub Khan, ein Abgeordneter von Corbyns Independent Alliance, der die stellvertretende Premierministerin Angela Rayner aufgerufen hatte, das Militär zu mobilisieren, um bei der Unterdrückung des Müllstreiks in Birmingham zu helfen.

Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Weigerung der SWP, klarzustellen, für welche sozialistischen Maßnahmen eine neue linke Partei kämpfen muss, und ihrer vergnüglichen und freundschaftlichen Diskussion mit Varoufakis über „Technofeudalismus“. Laut seinem Buch wurde der Kapitalismus durch ein System der Cloud-basierten Miete ersetzt, das „die beiden Stützen des Kapitalismus zerstört hat: Märkte und Profite.“ Diese würden „den Laden nicht mehr schmeißen.“ Traditionelle Kapitalisten, die Lohnarbeiter beschäftigen, sind zu „Vasallen“ einer neuen Klasse von Feudalherren geworden. „Der Rest von uns ist zu dem Status als Leibeigene zurückgekehrt, den wir früher innehatten.“

Die Menschheit sei von einer „technologisch fortgeschrittenen Form von Feudalismus“ übernommen worden, die„sicherlich nicht das ist, wovon wir gehofft haben, dass es den Kapitalismus ablösen würde.“ Das traditionelle Proletariat, wie es Marx analysiert hat, würde von „Cloud-Prolls“ und „Cloud-Leibeigenen“ ersetzt. Er schreibt: „Wir haben nicht mehr das Kapital auf der einen und die Arbeit auf der anderen Seite.“ Marx‘ Theorie, das Proletariat würde den Sozialismus aufbauen, „war Wunschdenken.“

Die politischen Schlussfolgerungen werden deutlich ausgesprochen: „Um eine Chance zu haben, den Technofeudalismus zu stürzen und den Demos in die Demokratie zurückzubringen“, sei eine „große Koalition“ notwendig, die die Überreste des traditionellen Proletariats, die Cloud-Prolls, Cloud-Leibeigenen und „zumindest einige der Vasallen-Kapitalisten“ vereint.

Als Antwort auf Varoufakis‘ antikommunistische Tirade schlug Callinicos eine „produktive Diskussion“ über ein „sehr interessantes Buch“ vor. Callinicos‘ eigener Appell an Orthodoxie während einer weitschweifigen viertelstündigen Präsentation – in der er bestritt, dass der Kapitalismus durch den Feudalismus abgelöst wurde und sich auf Marx‘ Beschreibung des Proletariats als universeller Klasse der menschlichen Emanzipation berief – endete mit letzten Worten an Varoufakis: „Ich denke, wir haben die gleichen Feinde. Ich würde mich freuen, wenn wir uns darauf einigen könnten, sie Bastarde zu nennen.“

Was das IKVI im Jahr 2015 schrieb, gilt genauso für Großbritannien: „Die Erfahrung mit Syriza zeigt die Notwendigkeit einer grundlegenden politischen Neuorientierung der Arbeiterklasse, der Jugend und der sozialistisch gesinnten Intellektuellen. Konfrontiert mit einer globalen, seit den 1930er-Jahren nicht mehr gesehenen Wirtschaftskrise und brutalen Angriffen vonseiten der gesamten kapitalistischen Klasse, kann die Arbeiterklasse sich nicht verteidigen, indem sie neue ,linke‘ Regierungen wählt.

Nur eine wirklich revolutionäre Politik, welche die Arbeiterklasse in Griechenland und international im Kampf mobilisiert, bietet eine Perspektive. Das erfordert einen direkten Angriff auf die kapitalistische Klasse, die Beschlagnahme ihres Vermögens, der großen Banken und der Produktionsstätten, um sie unter die demokratische Kontrolle der Arbeiter zu stellen, sowie die Errichtung von Arbeiterstaaten überall in Europa und der Welt. Solche Kämpfe erfordern den Aufbau marxistischer Parteien, die der Arbeiterklasse eine politische Führung gibt und einen schonungslosen Kampf gegen Parteien wie Syriza führt.“

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