Fünf Stunden tagte am Mittwochabend der Koalitionsausschuss aus Union und SPD, um über die Stromsteuersenkung zu beraten. Dann gab die Bundesregierung bekannt: Es bleibt bei der bisherigen Ankündigung. Die Stromsteuer wird nur für Großunternehmen gesenkt und nicht für Normalverbraucher, wie ursprünglich im Koalitionsvertrag vereinbart.
Das ist eine Grundsatzentscheidung, die da lautet: Steuergelder für Unternehmen und Reiche – finanziert aus Kürzungen bei den Armen. Die Bundesregierung und deren Parteispitzen haben so klargestellt, dass sie entschlossen sind, die Billionensummen für Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit aus der arbeitenden Bevölkerung herauszupressen.
CDU/CSU und SPD folgten damit dem Vorschlag von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD). Der bestand darauf, dass die Bevölkerung nur entlastet werden könne, wenn das Geld dazu woanders im Haushalt eingespart sei. Die Bundesregierung bereitet dazu gerade vor, die Ärmsten der Armen, die Bürgergeldempfänger, zu schröpfen.
Die aktuelle Stromsteuer von 2,05 Cent pro Kilowattstunde wird nun nur für das produzierende Gewerbe sowie die Forst- und Landwirtschaft auf das europäische Mindestmaß von 0,05 Cent pro Kilowattstunde gesenkt.
Die Stromsteuer in Deutschland wurde im April 1999 eingeführt. Die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Josef Fischer (Grüne) hatten diese als Teil ihrer so genannten „Ökosteuerreform“ erlassen. Damit sollte Energie verteuert werden, um zur Einsparung zu zwingen und langfristig den Ausbau erneuerbarer Energie zu fördern. Die Einnahmen der Stromsteuer gingen jedoch in die gesetzliche Rentenversicherung – bei Einführung zu rund 90 Prozent. Dadurch konnten für Unternehmen langfristig die Rentenversicherungsbeiträge abgesenkt werden.
Nun profitieren laut Finanzminister Klingbeil von der Stromsteuersenkung rund 600.000 Unternehmen. Zusammen mit den bereits beschlossenen niedrigeren Netzentgelten und der Abschaffung der Gasspeicherumlage für alle Verbraucher beziffert die Regierung die jährliche Entlastung für Unternehmen auf etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr, die im Haushalt nun fehlen würden.
Die Senkung der Stromsteuer für alle hätte jährlich zusätzliche 5,4 Milliarden Euro gekostet. Für eine durchschnittliche vierköpfige Familie wären das Einsparungen von bis zu 70 Euro im Jahr. Doch selbst diese Ausgaben lehnte die Bundesregierung ab und verschob sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Klingbeils Vorschlag, den er mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) abgestimmt hatte, rief in der Union verhaltene Kritik hervor. Dafür wurde die Ausweitung der so genannten „Mütterrente“ um ein Jahr auf 2027 vorgezogen. Die Gleichbehandlung bei der Rentenberechnung der Mütter von vor 1992 geborenen Kindern mit Müttern, deren Kinder nach 1992 zur Welt kamen, war ein Wahlversprechen der CSU.
Keine Unstimmigkeiten, sondern größte Einigkeit herrscht dagegen bei den Kriegsausgaben. Die Bundesregierung hatte bereits früher beschlossen, den Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums im laufenden Jahr um rund 10 Milliarden auf rund 62,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Zusätzlich sind rund 24 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr eingeplant, also insgesamt Ausgaben von 86,5 Milliarden Euro allein in diesem Jahr. Bis 2029 steigt allein der Verteidigungshaushalt weiter auf bis zu 153 Milliarden Euro. Die Sonderausgaben für Rüstung sind ausdrücklich von der Schuldenbremse befreit. Die Gesamtausgaben können demnach auch auf über ein Billion Euro explodieren.
Während also die Ausgaben für Aufrüstung und Krieg unbegrenzt sind, stehen alle Sozialausgaben oder Steuererleichterungen für Arbeiterfamilien unter ausdrücklichem Finanzierungsvorbehalt.
Der Beschluss der Regierung zur geplanten Stromsteuersenkung ist daher ein Vorbote der Angriffe auf die Sozialsysteme und -ausgaben. Jeder Euro, der in den nächsten fünf Jahren für Aufrüstung und Krieg ausgegeben wird, soll aus der Arbeiterklasse herausgepresst werden. Vom Sozialsystem wird – geht es nach den Kriegstreibern in der Bundesregierung – kein Stein auf dem anderen bleiben.
Gleichzeitig zahlt die Arbeiterklasse den eskalierenden Handels- und Wirtschaftskrieg schon jetzt mit Lohnsenkungen und Arbeitsplatzabbau. Hunderttausenden von Beschäftigten droht der Arbeitsplatzverlust. In dieser Situation der steigenden Arbeitslosigkeit sollen die betroffenen Arbeiter durch die Kürzungen beim Bürgergeld noch in die am schlechtesten bezahlten Jobs mit den miesesten Arbeitsbedingungen gezwungen werden.
Deshalb hetzt CSU-Chef Markus Söder, der sofort von Politik und Medien unterstützt wurde, schon im Vorfeld gegen Bürgergeld-Empfänger. Söder bezeichnet die aktuell rund 50 Milliarden Euro, die für 5,7 Millionen Arbeitslose und ihre Familien ausgegeben werden, als „Hauptblockadefaktor“ für weitere Entlastungen. „Es kann nicht sein“, geiferte er, „dass wir beim Bürgergeld Rekordausgaben haben und deshalb wichtige Anliegen wie die Stromsteuer-Senkung aufschieben müssen.“ Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) schwadroniert in einem Spiegel-Interview über „aus dem Ruder gelaufene“ Kosten. Ein strikter Sparkurs im Sozialetat (nicht nur beim Bürgergeld!) sei Voraussetzung für jede Strompreis-Initiative.
Auch die Einführung der Hartz IV-Reform ging vor 20 Jahren mit der Hetze gegen Langzeitarbeitslose einher, die als „Sozialschmarotzer” diffamiert wurden. Als die Hartz-IV-Reform 2005 in Kraft trat, waren in Deutschland fast fünf Millionen Menschen ohne Arbeit. 1,8 Millionen von ihnen waren Langzeitarbeitslose.
Die Schröder-Fischer-Regierung setzte damals die gewaltigsten Kürzungen im Sozialsystem nach dem Zweiten Weltkrieg durch. Unter der Leitung von Peter Hartz, SPD- und IG-Metall-Mitglied und damaliger Personalvorstand des Volkswagen-Konzerns, hatten Vertreter von Parteien, Unternehmen, Gewerkschaften und Wissenschaft „Arbeitsmarktreformen“ ausgearbeitet, die dann ab 2002 schrittweise eingeführt wurden.
Die Einführung von Hartz IV, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (das heutige Bürgergeld), war die wichtigste dieser „Reformen“. Damit wurden erstens die Sozialleistungen drastisch gekürzt; zweitens – und das war das eigentliche Ziel – wurde mit den Hartz-IV-Regelungen der Niedriglohnsektor massiv ausgeweitet. Der Druck auf Beschäftigte wurde erhöht, auch sehr schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. Das hatte gravierende Auswirkungen auf das Lohnniveau aller Arbeiter.
Die Hetze gegen „Sozialschmarotzer“ hatte damals wie heute nichts mit der Realität zu tun. So musste kürzlich Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) im Interview mit dem Deutschlandfunk erklären, dass Personen, die keinerlei Termine wahrnehmen oder die Mitwirkung bei den Jobcentern komplett verweigern, nur rund 0,5 % aller Bürgergeld-Empfänger ausmachen. Härtere Sanktionen im Bürgergeld-System, wie sie nun gefordert werden, würden demnach kaum Einsparungen bringen.
Doch darum geht es auch nur vordergründig in der Kampagne. Man schlägt die Langzeitarbeitslosen, die häufig psychisch und physisch beeinträchtigt sind, meint aber die kommenden Arbeitslosen, von denen viele qualifizierte, teilweise hochqualifizierte Fachkräfte aus der Industrie sind. Diese wie 2005 in Billiglohnjobs zu drängen, geht nicht ohne die Androhung harter Sanktionen.
Bereits 2011 ergab eine Studie des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit (IAB), dass über die Hälfte der westdeutschen Hartz-IV-Empfänger, die eine Vollzeitstelle angetreten hatten, eine Beschäftigung unterhalb der Niedriglohnschwelle aufnehmen mussten. In Ostdeutschland mündeten 38 Prozent in den Niedriglohnsektor ein. Dies lag jedoch an den ohnehin niedrigeren Löhnen dort.
Gleichzeitig diente Hartz IV den Konzernen als Drohkulisse und führte zu geringeren Lohn- und Gehaltssteigerungen. Unter tatkräftiger Mitwirkung der Gewerkschaftsapparate wurden die Reallöhne flächendeckend abgesenkt.
Da die Sanktionen und der niedrige Leistungsbezug in der Zwischenzeit mehrmals von den Gerichten als menschenunwürdig und verfassungswidrig beurteilt worden war, sind beide im Rahmen der Umbenennung von Hartz IV in Bürgergeld ein wenig abgemildert bzw. leicht angehoben worden.
Diese „Reform“ war ein Tropfen auf dem heißen Stein und reicht auch jetzt den Empfängern nicht zum Leben, erst recht nicht, nachdem in den letzten Jahren durch die Corona-Pandemie genauso wie den NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine gegen Russland die Lebenshaltungskosten in die Höhe geschnellt sind. Das betrifft gerade die Preise für Strom, die, anders als Mieten und Heizkosten, für Bürgergeld-Empfänger nicht von den Jobcentern übernommen werden. Eine Stromsteuersenkung für alle hätte also auch dieser ärmsten Bevölkerungsschicht geholfen.
Was die Bundesregierung derzeit an Kürzungen beim Bürgergeld plant, ist gewaltig. Direkte Kürzungen bei den monatlichen Regelsätzen (536 Euro im Monat für Singles) sollen über ein neues „Grundsicherungssystem“ verordnet werden. Eine Inflationsanpassung soll es dann nur noch bei den Regelsätzen geben, nicht etwa bei den Mieten und Heizkosten, diese sollen vielmehr „gedeckelt“ werden. Das würde dazu führen, dass Familien, so genannte Bedarfsgemeinschaften, in immer kleinere und billigere Wohnungen ziehen müssten. Ein weiterer Vorschlag ist, das vorhandene Vermögen sofort aufbrauchen zu müssen. Aktuell bestehende Karenzzeiten sollen entfallen.
Zentral werden aber die Verschärfung der Sanktionen und eine „Arbeitspflicht“ sein. Das knüpft direkt an den Umgang der Nazis mit Armen und Arbeitslosen an. Die Einführung der Arbeitspflicht und die Zwangsarbeit waren Teil des Hitler-Regimes um die Kriegswirtschaft zu unterstützen. Im NS-Regime diente der Vorwurf „Arbeitsscheu“ zur Charakterisierung als „Asoziale“. Diese wurden verhaftet, schon 1938 in Konzentrationslager verschleppt, zur Arbeit gezwungen und später auch ermordet.