Mit dem insolventen Autozulieferer Neapco in Düren stehen 500 Arbeitsplätze auf der Kippe. Für die nördlich der Eifel gelegene Stadt mit ca. 94 000 Einwohnern würde im Falle der Schließung einer der größten und wichtigsten Industriebetriebe der ganzen Region wegfallen. Das Werk wurde mehrfach in seiner Geschichte verkauft und fast jeder Besitzerwechsel kostete hunderte Arbeitsplätze. Die Belegschaft schrumpfte so von mehr als 2000 auf zuletzt ca. 500.
Die Geschichte des Dürener Werks ist exemplarisch für die Internationalisierung der Autoindustrie, die Auslagerung ihrer Zulieferbetriebe und die Profitmaximierung auf Kosten der Beschäftigten.
Das Werk an der Henry-Ford-Straße wurde ursprünglich 1968 von Ford als Produktionsstätte für Fahrzeugachsen errichtet. In den folgenden Jahrzehnten wurde es zu einem bedeutenden Standort ausgebaut, an dem in den 1970er Jahren etwa 2.000 Menschen beschäftigt waren. Die Produktion der Achsen war ein wichtiger Bestandteil der Zulieferkette für die deutschen Ford-Werke. Bereits 1969 war die 500.000. Achse vom Band gelaufen, und das Werk wurde immer wieder erweitert.
Im Jahr 1997 im Rahmen eines sogenannten Carve-Outs gliederte Ford das Werk jedoch aus und überführte es zusammen mit weiteren Zulieferkomponenten in das neu gegründete Tochterunternehmen Visteon. Zunächst produzierte Visteon weiterhin Achsen, aber auch Antriebsmodule und Getriebekomponenten, unter anderem für den Ford Focus. In Düren beschäftigte Visteon bis zu 1.500 Mitarbeiter.
Aber im Jahr 2000 wurde Visteon von Ford unabhängig und das Werk ging dann an die Tedrive Holding aus dem niederländischen Heerlen, die außer Düren über Betriebsstandorte in Wülfrath, Praszka in Polen und im brasilianischen Sao Paulo verfügte. Sie produzierte Antriebswellen, Differenziale und Lenksysteme. Per Gesellschafterbeschluss wurde die Holding zum 31. August 2010 aufgelöst. Im Dezember 2008 bereits hatten die deutschen Standorte in Wülfrath und Düren die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beim Aachener Amtsgericht beantragt.
Während Wülfrath weitergeführt wurde, wurden die Werke in Düren und in Praszka schließlich 2010 vom amerikanischen Zulieferkonzern Neapco übernommen und firmierte als Neapco Europe. Dies verschaffte dem Unternehmen mit einem Schlag nennenswerte Marktanteile in Europa. Das 1921 als New England Auto Products Corporation gegründete Unternehmen mit Hauptsitz in den USA befindet sich seit 2006 mehrheitlich im Eigentum der chinesischen Wanxiang Gruppe. In Düren produziert es vor allem Antriebswellen, aber auch Kardanwellen und Halbwellen, die an zahlreiche Autohersteller geliefert wurden. Das Werk galt lange Zeit als der größte Industriebetrieb in Düren, beschäftigte zuletzt jedoch nur noch 500 Arbeiter, deren Jobs nun in Gefahr sind.
Zu der jetzigen Insolvenz kam es, weil der Mutterkonzern Neapco das Auslaufen eines lebenswichtigen Verlustübernahmevertrags bekanntgab, der eigentlich um fünf Jahre verlängert werden sollte, jetzt aber gekündigt wurde. Die Neapco Holding teilte mit, sie werde den Vertrag fristgerecht zum 11. Dezember dieses Jahres auslaufen lassen. Das führt in der Konsequenz für das Werk in Düren zu einer absehbaren Zahlungsunfähigkeit, weswegen die dortige Geschäftsführung jetzt die Insolvenz beantragte.
Die Zahlungsunfähigkeit wird letztlich durch die besondere steuersparende Konstruktion des Konzerns in Europa verursacht. Die in Düren gefertigten Antriebswellen werden nach der Fertigung an das Schwesterwerk in Polen geliefert und erst von dort aus an die Abnehmer in aller Welt versandt und ihnen in Rechnung gestellt. Die Bezahlung geht dann auch nur an die polnische Niederlassung und nicht nach Düren. Dadurch zahlt das Unternehmen bedeutend weniger Steuern, da Gewinne ausschließlich in Polen anfallen, wo die Steuern niedriger sind. Dies führt zu Zahlungsschwierigkeiten in Düren, die bisher durch den Verlustübernahmevertrag behoben wurden.
Die Lage im Neapco-Werk verschärft sich noch durch die Betriebsverlagerung des in Aachen entwickelten elektrischen Streetcooters der nach der Insolvenz in Aachen zunächst in Düren weiter gefertigt wurde. Seit Mai 2018 sollten jährlich etwa 10.000 der Elektrofahrzeuge von Neapco produziert werden, deren Produktion wird jetzt jedoch nach Thailand verlagert.
Die 500 Beschäftigten von Neapco, denen jetzt die Entlassung droht, sind nicht allein. Zehntausende, wenn nicht hunderttausende Arbeiterinnen und Arbeiter in den Auto- und Zulieferunternehmen befinden sich in der gleichen Situation. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer schätzt, dass in den nächsten fünf Jahren in der Auto- und Zulieferindustrie 230.000 Arbeitsplätze wegfallen. Von einst fast einer Million Beschäftigten wird die Industrie nur noch die Hälfte beschäftigen.
Die Hersteller wie VW, Mercedes, BMW, Audi, Porsche, Ford und Opel (Stellantis) haben den Abbau von Zehntausenden Jobs angekündigt. Ob die letzten beiden Konzerne in fünf Jahren überhaupt noch in Deutschland produzieren, ist nicht ausgemacht.
Das gleiche gilt für die Zulieferindustrie. Laut einer Umfrage des Verbands der Automobilindustrie (VDA) planen mehr als drei Viertel der deutschen Automobilzulieferer, bereits geplante Investitionen in Deutschland zu verschieben, zu verlagern oder ganz zu streichen.
Die Großen der Branche – Bosch, ZF, Schaeffler, Continental, etc. – bauen zehntausende Arbeitsplätze ab und legen Werke still.
Kleinere Fabriken von Unternehmen wie Nepco verschwinden sang-und klanglos. Die jetzige Insolvenz von Neapco hebelt auch den vor zwei Jahren von der IG Metall abgeschlossenen „Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende April 2029“ aus.
Aber der IGM-Apparat und seine Betriebsräte isolieren die Neapco-Belegschaft wie alle anderen, frei nach dem Motto: Jede stirbt für sich allein. Anstatt alle gemeinsam gegen das gerade stattfindende Arbeitsplatzmassaker zu mobilisieren, unterstützen sie diesen Kahlschlag und vertrösten die Belegschaften mit der Hoffnung auf die Rüstungsindustrie.
Der Kölner Stadtanzeiger schreibt zu Neapco: „Ein weiteres Szenario, das nach Informationen dieser Zeitung von der IG Metall angestoßen, aber auch von Insolvenzverwalter Kebekus angeführt wurde, ist die Auslastung des Werks mit Rüstungsproduktion.“ Im Gespräch sei der Düsseldorfer Konzern Rheinmetall.
In einem Artikel, der die Umstellung der Industrie auf Kriegswirtschaft behandelte, schrieben wir: „Die Vernichtung von Arbeitsplätzen, von denen die Existenz hunderttausender Familien und ganzer Regionen abhängt, und die Widmung wertvoller gesellschaftlicher Ressourcen für Krieg und Vernichtung sind Symptome eines zutiefst kranken Gesellschaftssystems. Die Verteidigung der Arbeitsplätze fällt unter diesen Bedingungen untrennbar mit dem Kampf gegen Krieg und Kapitalismus zusammen.”
Das erfordere einen Bruch mit den Gewerkschaften, die sich in Handlanger der Konzerne verwandelt haben und die Kriegs- und Aufrüstungspolitik der Regierung uneingeschränkt unterstützen. Es müssen unabhängige Aktionskomitees aufgebaut werden, die von den Arbeitern selbst kontrolliert werden, um die Arbeitsplätze zu verteidigen und sich mit Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt zu vernetzen.
Nehmt dazu über das Formular Kontakt mit uns auf oder schreibt einfach eine Nachricht über WhatsApp an die +491633378340.