Der weltweit renommierte Pianist Alfred Brendel ist am 17. Juni im Alter von 94 Jahren in London verstorben. Sein Name ist mit tiefgründigen Interpretationen der Werke von Beethoven, Schubert und anderen klassischen Meistern verbunden.
Brendel spielte alle 32 Beethoven-Klaviersonaten in drei verschiedenen Aufnahmen ein. Er brillierte insbesondere in Beethovens letzten drei Klaviersonaten, die zwischen 1820 und 1822 entstanden sind, sowie in den letzten drei Klaviersonaten von Schubert, die dieser in den Monaten vor seinem viel zu frühen Tod im Jahr 1828, wirklich ein Jahrzehnt musikalischer Meisterwerke, komponiert hatte. Brendel wurde auch für seine Interpretationen der fünf Klavierkonzerte Beethovens hoch geschätzt.
Alfred Brendel galt als herausragender Vertreter der sogenannten „Wiener Schule“ des Klavierspiels, die eng mit dem Komponisten und Pädagogen Carl Czerny (1791–1857), einem jüngeren Zeitgenossen Beethovens, verbunden ist. Czerny, den Millionen Klavierstudenten wegen seiner Etüdenwerke kennen, hatte viele berühmte Schüler, darunter den ungarischen Komponisten und Pianisten Franz Liszt.
Die Wiener Schule ist eher klassisch, den Absichten des Komponisten treu; sie hat ihre Wurzeln in der Klassik und der frühen Romantik. Sie wird manchmal der „russischen Schule” gegenübergestellt, die als emotionaler und freier in der Technik gilt und gemeinhin mit der Hochromantik des 19. Jahrhunderts und Musikern wie Vladimir Horowitz, Emil Gilels und Sviatoslav Richter verbunden wird.
Brendel selbst behauptete, er habe keine Schule. In einem Nachruf wurde er mit den Worten zitiert: „Ich glaube nicht an Klavierschulen, und ich habe kein technisches Trainingsprogramm. Nur das jeweilige Stück, das man gerade spielt, kann einem etwas über seine technischen Probleme verraten.“ Er lehnte es ab, dass sein Stil, auch von Kritikern, zuweilen als „intellektuell“ bezeichnet wurde. Er betrachtete die intellektuelle und die emotionale Interpretation als zwei untrennbare Seiten seines Spiels. „Es stört mich, wenn man mich als intellektuellen Musiker bezeichnet“, sagte er. „Für mich beginnt und endet Musik mit dem Gefühl, aber der Verstand hat eine wichtige Funktion als Filter.“
Ein Schüler beschrieb ihn in einer Würdigung in der deutschen Presse als „leidenschaftlichen Musiker mit einer vulkanischen Intensität (…) [Er] kannte sein musikalisches Naturell sehr genau und suchte, dieses zu kultivieren, zu zähmen. Das Resultat: ein Klavierspiel, das einerseits fein und genauestens strukturiert, gleichzeitig aber lebendig und spontan war.“
Obwohl Brendel vor allem für seine Interpretationen von Beethoven und Schubert bekannt war, spielte er auch Sonaten von Haydn und Mozart und nahm sie auf. Er war besonders daran interessiert, das Interesse an Liszt als ernstzunehmendem Komponisten wiederzubeleben, und widmete sich auch dem Werk von Ferruccio Busoni, dem italienischen Pianisten und Komponisten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, der als musikalischer Erbe Liszts gilt. Brendel war sich der Werke zeitgenössischer Komponisten sehr bewusst, entschied sich jedoch mit Ausnahme von Arnold Schönbergs Klavierkonzert dafür, kaum Werke des 20. Jahrhunderts aufzuführen.
Brendel hatte Tausende von Bewunderern in Europa und den USA. Im Bereich des Klavierkonzertrepertoires arbeitete er eng mit den Wiener und den Berliner Philharmonikern zusammen und spielte unter Dirigenten wie Claudio Abbado, Simon Rattle und Daniel Barenboim. In den Vereinigten Staaten, wo er 81 Mal in der New Yorker Carnegie Hall auftrat, arbeitete er mit amerikanischen Dirigenten wie Leonard Bernstein und James Levine zusammen.
Der Pianist arbeitete mit weltberühmten Musikern zusammen, wie zum Beispiel mit dem Bariton Dietrich Fischer-Dieskau. Ihre Aufnahme von Schuberts „Winterreise“ (1828) ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür.
Als Musiker war Brendel weitgehend Autodidakt. Seine beste Zeit erreichte er erst in seinen späteren Jahren. Er war kein Wunderkind. „Ich hatte liebevolle Eltern“, erklärte er einmal, „aber ich musste selbst herausfinden, wie die Dinge lagen.“ Einige Meisterkurse, die er im Alter von 16 Jahren besuchte, waren im Grunde seine letzten Unterrichtsstunden, aber er studierte sein ganzes Leben lang weiter und hörte sich seine eigenen Aufnahmen sowie die Aufnahmen anderer Pianisten an, um sein Verständnis zu vertiefen und bei den Klassikern der Vergangenheit neue Aspekte zu entdecken.
Brendel wurde in Nordmähren, im heutigen Tschechien, geboren. Er studierte einige Jahre in Zagreb, im ehemaligen Jugoslawien, und verbrachte den größten Teil seiner Jugend und seines jungen Erwachsenenlebens in Graz, der Hauptstadt der Steiermark. In Graz gab er im Alter von 17 Jahren sein Debüt als Konzertpianist. Doch Brendel war fast 30, als er erstmals internationale Aufmerksamkeit erlangte, und 40, als er sich in London niederließ. Seine Karriere blühte vor allem in den 1970er und 1980er Jahren auf.
Seine frühen Erfahrungen kommen wahrscheinlich in der breiten und internationalen Ausrichtung, für die Brendel bekannt war, zum Ausdruck. Daniel Barenboim beschrieb ihn als einen Mann von herausragender Intelligenz und als einen „wunderbaren Humanisten“. Brendel liebte das reiche Musikleben Londons. Besonders begeisterten ihn die BBC Proms, die Sommerkonzertreihe klassischer Konzerte in der Royal Albert Hall. Doch er betonte, dass er die „Last Night at the Proms“, das Abschlusskonzert, das traditionell mit „Rule, Britannia!“ endet, wegen ihres chauvinistischen Tones nicht besuche.
Brendel war für seine breitgestreuten intellektuellen Interessen bekannt. In seiner Jugend war er Maler gewesen, und mehrere seiner Werke sind in Graz ausgestellt. Er widmete sich auch der Poesie und wurde vor allem für sieben oder acht Bände mit Essays über Musik bekannt. Der Witz des Pianisten, der in seinen Vorträgen über sein Musikleben sowie über Themen wie Beethovens Spätstil zum Ausdruck kam, stand im Kontrast zu Brendels ernstem Auftreten bei seinen Auftritten.
Brendel hatte zahlreiche Schüler, die eine glänzende Karriere machten. Imogen Cooper und Paul Lewis sind zwei der bekanntesten. Brendel war zweimal verheiratet und hatte vier Kinder, darunter Doris Brendel, eine britische Rock- und Popsängerin, und Adrian Brendel, ein hoch angesehener Cellist.
Obwohl er erst 1948 mit öffentlichen Auftritten begann und 2008 im Alter von 77 Jahren seinen Rückzug aus dem Konzertleben ankündigte, umfasste Brendels Karriere als Pianist 60 Jahre. Darüber hinaus bedeutete sein Rückzug aus dem Konzertleben 2008 nicht das Ende seiner musikalischen Karriere. Er komponierte weiter und hielt bis zu seinem Lebensende Vorträge.