Am Samstag haben rund 500 Menschen in Duisburg gegen den Genozid in Gaza und gegen die Repressionen demonstriert, die diejenigen treffen, die sich mit den Palästinensern solidarisieren. Im Anschluss an die Demonstration berichteten Betroffene auf einem öffentlichen Tribunal darüber.
Wie zum Beweis erschwerte die Polizei den Ablauf der Demonstration. Schon zu Beginn griff sie immer wieder ein, um die Redner der kurzen Auftaktkundgebung darauf hinzuweisen, dass einige Aussagen und Parolen – entgegen den Auflagen, die die Polizei selbst erlassen hatte – nicht erlaubt seien. Später präzisierte die Polizei: Die Aussagen wie „Yalla Intifada“ seien nicht strafbar, könnten aber angezeigt werden.
Ein anderes Mal wurde ein Demonstrierender, der eine Fahne der Gruppe „Thawra“ trug, aus dem Demonstrationszug gezogen, weil die Fahne angeblich Ähnlichkeiten mit dem Symbol einer verbotenen Organisation habe. Der junge Mann konnte hinterher auf dem Podium des Tribunals die reine Schikane dahinter aufklären. Die Fahne sei schon Gegenstand zweier Gerichtsverfahren gewesen, aber zum Schluss habe das Landgericht Berlin entschieden, dass die Fahne nicht verboten werden könne.
Viele Betroffene schilderten dann die Repressionen, denen sie ausgesetzt sind. Mehrere Studierende berichteten von den Repressalien an den Universitäten. Palästinenser, die sich in Deutschland um Asyl bewerben oder gerade die Staatsbürgerschaft beantragen, hatten aus Angst davor abgesagt. So wurde eine anonyme Sprachnachricht vorgespielt, die eine betroffene Person geschickt hatte.
„Ich wollte Teil der Gesellschaft sein, ich habe gearbeitet und mich engagiert“, beginnt die Person. Aber als sie den Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft gestellt habe, sei sie zu einem Sicherheitsgespräch eingeladen worden, in dem ihr „viele persönliche Fragen gestellt“ wurden. „Sie haben meine Identität in Frage gestellt. Sie wollten wissen, was ich über Israel denke“ und über „die Palästinenserfrage“. Sie habe sich „unter Druck gesetzt gefühlt: Ich hatte Angst“. Die betreffende Person glaubt nun, dass man ihr allein aus dem Grund, weil sie Palästinenser ist, keine echte Chance auf die deutsche Staatsbürgerschaft einräumt.
Inga Matthes, Juristin aus Berlin, sprach daraufhin zu diesen Gesetzen, die schon die Ampelkoalition verabschiedet hat. Sie sollen alle Ausländer, die eingebürgert werden wollen – aber speziell diejenigen aus dem arabischen Raum – bindend auf die deutsche Staatsräson verpflichten. Dies betrifft jedoch, wie sie sagte, nicht nur Antragstellende, sondern auch deutsche Staatsbürger. So berichtete sie von zwei Fällen in Regensburg und in Halle, in denen Personen der deutsche Pass nachträglich wieder entzogen wurde, mit der Begründung, sie hätten „im Einbürgerungsprozess falsche Angaben gemacht“. Sie hätten „in einem anderen Kontext“ – auf Demos oder in Social Media – das Existenzrecht Israels abgelehnt. „Ja“, schloss sie, „die Repression wird hier weiter verschärft. Man sichert den außenpolitischen Kurs so weiter nach innen ab. Jeglicher Protest soll kriminalisiert werden.“
Melanie Schweizer und Ahmad Othman berichteten über die gegen sie ausgesprochenen Kündigungen. Schweizer war als Juristin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Referentin im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte beschäftigt und hat von Beginn an Proteste gegen den Völkermord „begleitet“. Als sie sich dann für die Partei Mera25 (dem Projekt des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis) in der Bundestagswahl hat nominieren lassen, „ging alles relativ schnell“. Sie wurde als Israel-Hasserin diffamiert, wobei sich besonders die Bild-Zeitung hervortat. In einem Personalgespräch teilte man ihr mit, dass sie mit ihren Äußerungen gegen ihr Mäßigungsgebot als Beamtin verstoßen habe. Das seien zum Beispiel Äußerungen wie: „Die Grünen sind Unterstützer des Völkermordes“ gewesen. Da sie nicht von ihrer Meinung abgewichen sei und auf ihre Grundrechte beharrt habe, sei ihr in einem zweiten Personalgespräch mitgeteilt worden, „dass ich mit sofortiger Wirkung suspendiert und auch entlassen bin“.
Im Gespräch mit der WSWS konkretisierte Melanie Schweizer, warum man bei ihr von einem Berufsverbot sprechen könne: „Ich kann jetzt de facto nicht mehr für die Verwaltung arbeiten und auch nicht für die Judikative.“ Sie hatte auch mal vor, Richterin zu werden, „aber das ist natürlich jetzt ad acta“ gelegt. „Wahrscheinlich kann ich auch nie wieder in eine Behörde. Ich kann weiterhin als Juristin arbeiten und bin jetzt auch wieder Anwältin. Also ich habe meine Zulassung wieder und von daher bleiben noch Wege offen.“ Aber die Luft werde „immer dünner“.
Am Tribunal sprach auch die aus New York stammende palästinensische Journalistin Hebh Jamal. Sie arbeitet gerade an einem Film zur „Deutschen Staatsräson“. Sie erwähnte, dass die Palästinenser mit ihren Handys ihren eigenen Genozid dokumentieren, um die Welt um Hilfe zu bitten. Die großen deutschen Medien verbreiten hingegen die Lügen der israelischen Regierung und weigern sich, klar widerlegte Falschmeldungen zu korrigieren oder von ihren Websites zu nehmen.
Wie Hebh Jamal berichtete, sind erst kürzlich vier Cousins ihres Ehemanns getötet worden, als sie in Raffah für Lebensmittel anstanden, die von der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) ausgegeben werden. Inzwischen hat ein israelischer Soldat in der Haaretz bestätigt, dass man diese Ausgabestellen der israelischen und amerikanischen Regierung nicht anders als „Killing fields“ bezeichnen kann. Die Lebensmittelausgabe ist der zynische Vorwand, um hungernde und verzweifelte Palästinenser zu erschießen. Sie sind daher Teil des Genozids.
Die Journalistin klagte die deutschen Medien an: „Sie sind der Propaganda-Flügel der israelischen Regierung“, und damit machten sie sich mitschuldig am Genozid in Gaza. Sie wies darauf hin, dass auch die Kamerateams von ARD oder ZDF, die allenfalls an eine Demo wie diese kommen, nicht die Absicht haben, objektiv darüber zu berichten, sondern eine weitere Anklage zu montieren. „Deshalb fragen sie euch nach eurer Haltung zum 7. Oktober – und nicht nach den 15 Familienmitgliedern, die ihr in Gaza verloren habt.“
In der Tat war ein Team des ARD-Magazin Kontraste zugegen, das offenbar genau einen solchen Auftrag hatte. Teilnehmer der Demonstration berichteten der WSWS, dass der Redakteur ausschließlich versucht habe, mit suggestiven Fragen Aussagen zu provozieren, die er anschließend in seinem Bericht gegen die Demo und ihre Organisatoren hätte verwenden können.
Ein Duisburger namens Fikret hörte sich die Reden des Tribunals an. Er bezog sich auf die von Hebh Jamal geschilderte Übertragung des Genozids in Echtzeit und sagte: „Im 2. Weltkrieg haben viele Deutsche gesagt, wir haben vom Holocaust nichts gewusst. Heute kann niemand sagen, wir haben nichts gewusst. Die Palästinenser dokumentieren ihren eigenen Genozid. Jeder kann das sehen.“
Sein Freund Emin ergänzte: „Deshalb finde ich es traurig, dass die Organisationen, die vorgeben, muslimische und arabische Communities zu vertreten, so ruhig bleiben. Sie verlieren kein Wort über die Verbrechen in Gaza. Sie haben offensichtlich andere Interessen, als dagegen aufzustehen.“
Der Mehring-Verlag war mit einem Infostand vor Ort, um über die Kündigungen seines Geschäftskontos sowie des Privatkontos seines Geschäftsführers durch die Deutsche Bank zu informieren. Mehrere Tribunal-Besucher kauften das Buch von David North „Die Logik des Zionismus – Vom nationalistischen Mythos zum Genozid in Gaza“.
Während die Organisatoren des Tribunals ein eindringliches Bild der Repression und des juristischen Kampfs dagegen präsentierten, wurde in Diskussionen und Gesprächen mit Teilnehmenden deutlich, dass die Opposition dagegen unter Arbeitern und Jugendlichen wächst.
Viele unterstützten die Proteste und Demonstrationen, betonten aber, dass mehr gemacht werden müsse. Viele stimmten zu oder brachten selbst auf, dass eine internationale Bewegung gegen Krieg und Kapitalismus nötig sei, um nicht nur die Regierung Israels, sondern auch die hinter ihr stehenden Regierungen, vor allem in Washington, Berlin, London, Paris, zu stoppen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Das betonte auch Petra, die die WSWS liest und die Sozialistische Gleichheitspartei unterstützt. Sie war aus dem Kölner Raum zu Demo und Tribunal gekommen.
„Ich bin auf vielen Demos für Gaza“, begann sie. „Das, was in Gaza passiert, ist der Höhepunkt der Barbarei.“ Sie wies auf die internationalen Zusammenhänge hin und sagte: „Die Kriege, die zurzeit geführt werden, zum Beispiel in der Ukraine – das hängt alles zusammen. Das reicht schon fast in das Gravitationsfeld eines Dritten Weltkrieges hinein. Wir müssen wirklich aufpassen.“
Sie erwähnte, dass die Bundesregierung nicht weniger als 1 Billion Euro für Aufrüstung freigegeben hat, und dass sie beschlossen hat, die von der Nato für Rüstungsausgaben verlangten 5% des BIP rasch aufzubringen. All dies belege: „Es geht nicht nur um Gaza.“
Sie sagte: „Viele Menschen verstehen gar nicht, was da wirklich abgeht.“ Die Bezeichnung des Völkermords Israels als „Drecksarbeit“ von Bundeskanzler Friedrich Merz sei nicht nur einfach falsch. „Das ist reiner Nazisprech. Für mich ist das faschistoid.“
Die Gaza-Demos seien wichtig, fuhr sie fort, „aber wir brauchen eine politische Mobilisierung“. Das sei ein weltweites, globales Problem: „Arbeiter müssen sich organisieren. Unabhängig von Gewerkschaften, unabhängig von allen [Bundestags-] Parteien einschließlich der Linken, die das alle unterstützen.“
Diese Perspektive wurde aber nicht von den Organisatoren des Tribunals vertreten. Diese hatten bewusst entschieden, dass keine politischen Organisationen auftreten sollten. Damit orientierte sich das Tribunal darauf, Appelle an die Herrschenden und das herrschende Recht zu richten – auch wenn starkes Material präsentiert wurde, das genau dem zuwiderläuft.
Demgegenüber formulierte Dietmar Gaisenkersting, Stellvertretender Vorsitzender der SGP, in einem Video am Rande des Tribunals eine klare Perspektive.
Es sei notwendig, die Opposition gegen den Völkermord in Gaza und die Kriegstreiberei in einen bewussten Kampf gegen den Imperialismus zu verwandeln und die internationale Arbeiterklasse dagegen zu mobilisieren: „Der Völkermord in Gaza ist fester Bestandteil und Vorbereitung des sich entwickelnden Weltkriegs der Imperialisten – gegen den Iran, Russland und letztlich China.“
Er rief daher dazu auf, Kontakt mit der SGP aufzunehmen, „um gemeinsam mit uns die breite Opposition gegen Völkermord und Krieg in einen Kampf gegen Imperialismus und Krieg – für Sozialismus – zu führen!“