Deutschland: Arbeitsplatzmassaker in Schlüsselindustrien greift um sich

Während die deutsche Regierung hunderte Milliarden Euro in Aufrüstung und Krieg steckt, geht das Arbeitsplatzmassaker in der Auto-, Zulieferer-, Chemie-, Stahl- und anderen Schlüsselindustrien unvermindert weiter und erfasst auch die Dienstleistungsbranche.

Die Gewerkschaften sorgen dafür, dass der Arbeitsplatzabbau reibungslos über die Bühne geht und jeder Widerstand dagegen im Keim erstickt wird. Nach dem Motto „Jeder stirbt für sich allein“ isolieren sie die betroffenen Belegschaften voneinander und bemühen sich, das Ausmaß der Katastrophe herunterzuspielen.

10.000 Beschäftigte demonstrieren im März 2024 vor dem Bosch-Hauptsitz in Gerlingen bei Stuttgart gegen Entlassungen [Photo: WSWS]

Nach Hochrechnungen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform ist die Zahl der Firmeninsolvenzen in Deutschland sprunghaft angestiegen. Mit 11.900 Unternehmenspleiten lag sie im ersten Halbjahr 2025 um 9,4 Prozent höher als in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres.

Betroffen war mit 7.000 Insolvenzen insbesondere die Dienstleistungsbranche, zu der auch die Gastronomie zählt. 2.220 Insolvenzen entfielen auf den Handel und 940 auf das verarbeitende Gewerbe. Den entstandenen Schaden schätzt Creditreform auf 33,4 Milliarden Euro. 141.000 Betroffene verloren ihren Arbeitsplatz.

In der Warenhaus- und Modebranche meldeten in jüngster Zeit mehrere bekannte Namen Insolvenz an, darunter Galeria, Esprit, Sinn und Gerry Weber. Gerry Weber, das bereits 2023 122 seiner 171 Geschäfte in Deutschland dichtgemacht und 450 Stellen gestrichen hatte, schließt jetzt die restlichen 40 Läden. Die Marke wurde von der spanischen Modefirma Victrix übernommen, die sie über andere Kanäle vertreibt.

Grund für die Krise im Einzelhandel sind sinkende Kaufkraft, gestiegene Kosten und die Nachwirkungen der Pandemie. Sie schlägt sich inzwischen auch in den offiziellen Arbeitslosenzahlen nieder.

„Der Arbeitsmarkt bekommt nicht den Rückenwind, den er für eine Trendwende bräuchte; daher rechnen wir für den Sommer auch mit weiter tendenziell steigenden Arbeitslosenzahlen.“, sagte die Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles, bei der Vorstellung der Zahlen für den Mai.

Mit 2.919.000 Arbeitslosen – einer Rate von 6,2 Prozent – lag die Zahl um 197.000 höher als im Mai des Vorjahres. Die Unterbeschäftigung, die auch kurzfristige Arbeitsunfähigkeit und Menschen in Arbeitsmaßnahmen berücksichtigt, lag mit 3.602.000 wesentlich höher.

Von den knapp 3 Millionen registrierten Arbeitslosen erhielten weniger als ein Million Arbeitslosengeld. Die Zahl der erwerbsfähigen Bürgergeldberechtigten belief sich dagegen auf 3,95 Millionen. Darunter befinden sich auch viele, die arbeiten, deren Einkommen aber nicht zum Leben reicht.

Der Anstieg der Arbeitslosenzahlen hält sich zwar momentan noch in Grenzen, doch der Abbau von Arbeitsplätzen in Schlüsselindustrien, von denen wiederum zahlreiche andere abhängen, schreitet in rasendem Tempo voran.

Auto- und Zulieferindustrie

Das gilt vor allem für die Auto- und Zulieferindustrie, wo die Zahl der Beschäftigten seit 2018 von 830.000 auf 730.000 sank, obwohl der Umsatz deutlich stieg. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer schätzt, dass es 2030 nur noch 500.000 sein werden.

Volkswagen, wo Betriebsrat und Management im Dezember den Abbau von 35.000 Arbeitsplätzen vereinbart haben, kommt nicht aus der Krise heraus. Auf der jüngsten Betriebsversammlung hieß es zwar, inzwischen hätten 20.000 freiwillig das Ausscheiden aus dem Unternehmen bis 2030 vereinbart. Doch darunter befinden sich alle, die ohnehin das Rentenalter erreichen. Die Mehrheit geht in Altersteilzeit. Nur wenige waren bereit, gegen eine Abfindung auf ihren Arbeitsplatz zu verzichten.

Dabei sei man beim Sparkurs noch lange nicht am Ziel, wie Finanzvorstand David Powels auf der Betriebsversammlung betonte. „Wir müssen an unseren strukturellen Problemen arbeiten“, forderte er. VW investiere zu viel und verdiene zu wenig an seinen E-Autos. Zudem dauere es zu lange, bis ein neues Modell die Gewinnschwelle erreiche. „Unsere Chance liegt jetzt darin, gemeinsam diese Schieflage zu korrigieren und wieder ertragreich zu wirtschaften,“ sagte er – eine unmissverständliche Drohung mit weiteren Kürzungen und Entlassungen.

Betriebsratschefin Daniela Cavallo kündigte an, dass die Umstellung des Stammwerks in Wolfsburg auf die Produktion von Elektroautos länger dauern werde, als geplant. Deshalb werde ab 2027 möglicherweise für eine gewisse Zeit die Vier-Tage-Woche eingeführt – was für die Betroffenen einen empfindlichen Einkommensverlust bedeutet.

Auch bei Mercedes, BMW, Audi und Porsche sind massive Einschnitte geplant. Ford dezimiert nach der Stilllegung von Saarlouis nun auch das Stammwerk in Köln. Opel (Stellantis) zieht sich immer mehr aus Deutschland zurück.

Ebenso verheerend ist die Lage in der Zulieferindustrie. Die Großen der Branche – Bosch, ZF, Schaeffler, Continental, etc. – bauen zehntausende Arbeitsplätze ab, während kleinere Unternehmen mit mehreren hundert Arbeitsplätzen, von denen oft ganze Regionen abhängen, im Wochentakt Insolvenz anmelden.

Laut einer Umfrage des Verbands der Automobilindustrie (VDA) planen mehr als drei Viertel der deutschen Automobilzulieferer, bereits geplante Investitionen in Deutschland zu verschieben, zu verlagern oder ganz zu streichen. Lediglich ein Prozent der Unternehmen will seine Investitionen in Deutschland erhöhen.

Vor allem bei ZF jagen sich die Hiobsbotschaften. Jüngsten Meldungen zufolge gibt es Überlegungen, die Antriebssparte ganz abzustoßen. Davon wären 32.000 Beschäftigte, etwa ein Fünftel der weltweiten Konzernbelegschaft, betroffen. Auch ein „Ramp down“, das gezielte Auslaufen des Geschäfts, ist im Gespräch.

Der Zulieferkonzern mit Sitz in Friedrichshafen am Bodensee ist hoch verschuldet und fürchtet um seine Kreditwürdigkeit. Im Werk in Schweinfurt hatte der Betriebsrat deshalb im Dezember einen teilweisen Gehaltsverzicht für die 5.500 Beschäftigten vereinbart. Doch inzwischen sieht er sich nicht mehr in der Lage, die Vereinbarung zu verlängern. Nun drohe die betriebsbedingte Kündigung von mindestens 650 Arbeitsplätzen, so Betriebsratschef Oliver Moll.

Auch Bosch baut seit langem Arbeitsplätze ab und legt Werke still. Zuletzt vereinbarte der Konzern den „sozialverträglichen“ Abbau von 1.150 Stellen im baden-württembergischen Schwäbisch Gmünd. 1.700 Arbeitsplätze sollen übrigbleiben.

Kleinere Fabriken verschwinden, ohne dass die überregionalen Medien davon Notiz nehmen. So hat der Automobilzulieferer Neapco im nordrhein-westfälischen Düren Insolvenz angemeldet. 500 Beschäftigte des größten Industriebetriebs der Stadt verlieren ihren Arbeitsplatz. Als Grund wird angegeben, dass der US-Mutterkonzern einen Vertrag zur Auftragsfertigung nicht verlängert habe.

Im fränkischen Bad Neustadt schloss der Autozulieferer Preh im Mai den Abbau von 420 Arbeitsplätzen mit 50 betriebsbedingten Kündigungen ab. Zuvor hatten 300 eine Abfindung akzeptiert, 70 Stellen wurden durch natürliche Fluktuation und Vorruhestandsregelungen abgebaut. Auch andere Betriebe in der ländlich geprägten Region, wie die Coburger Firma Brose, melden hohe Verluste.

Chemie- und Stahlindustrie

In der Chemieindustrie werden ebenfalls zehntausende Stellen abgebaut. Der Branchenriese BASF mit weltweit 110.000 Beschäftigten konzentriert sich zwar auf den Erhalt seines Stammwerks in Ludwigshafen. Aber auch dort werden in einem ersten Schritt 1.800 der 33.700 Arbeitsplätze vernichtet.

Laut BASF-Chef Markus Kamieth steht „die Chemieindustrie in Europa vor einer Phase der Konsolidierung und der Restrukturierung. Das geht am größten europäischen Chemiestandort nicht vorbei.“ Doch Kamieth weigert sich, Zahlen zu nennen. Experten gehe von mehreren Tausend gefährdeten Arbeitsplätzen aus.

Der US-Chemiekonzern Dow plant an den Standorten Böhlen, Schkopau und Leuna in Sachsen-Anhalt, die noch aus der Erbmasse der DDR stammen, die Stilllegung mehrerer Anlagen. In Böhlen protestierten dagegen Ende Mai 700 Beschäftigte im Rahmen einer „politischen Mittagspause“, zu der die Gewerkschaft IGBCE aufgerufen hatte.

Auch viele andere Chemieunternehmen bauen Arbeitsplätze ab.

Was die Stahlindustrie betrifft, so hat sich nach Thyssenkrupp inzwischen auch ArcelorMittal von den Plänen verabschiedet, in Deutschland „grünen“ Stahl zu produzieren. Obwohl die Regierung mehr als eine Milliarde Fördergelder zugesagt hat, werden die geplanten Hochöfen in Bremen und Eisenhüttenstadt nicht gebaut, die statt mit Kohle mit Wasserstoff betrieben werden.

Praktisch könnte dies das Ende der Stahlproduktion in Deutschland bedeuten, in der noch etwas mehr als 80.000 Menschen beschäftigt sind. Vor dem Bremer Werk von AcelorMittal haben rund 1000 Beschäftigte dagegen protestiert.

Das Geschäft mit dem Tod

Die einzige Branche, die in Deutschland momentan aufblüht, ist das Geschäft mit dem Tod. Die Rüstungskonzerne melden pralle Auftragsbücher und fantastische Profite.

Bereits das Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das die Bundesregierung im März 2022 beschloss, ließ die Aktie von Rheinmetall um mehr als das Zehnfache steigen. Der größte deutsche Rüstungskonzern verzeichnete einen Kursanstieg von 155 auf 1736 Euro. Der Umsatz verdoppelte sich und der Gewinn nach Steuern stieg um das Vierfache auf 1,2 Milliarden Euro.

Es wird erwartet, dass die neuen Kriegskredite über eine Billion Euro die Profite von Rheinmetall und anderer Rüstungsunternehmen noch stärker explodieren lassen. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil plant, in den nächsten eineinhalb Jahren gleich viel für Rüstung auszugeben wie in den letzten fünf Jahren.

Laut Bundesagentur für Arbeit produzieren in Deutschland mittlerweile rund 17.000 Menschen Waffen, Munition und Kampffahrzeuge, 50 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Die BA berücksichtigt aber nur sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, die Rüstungsbranche gibt wesentlich höhere Zahlen von bis zu 100.000 an.

Die Vernichtung von Arbeitsplätzen, von denen die Existenz hunderttausender Familien und ganzer Regionen abhängt, und die Widmung wertvoller gesellschaftlicher Ressourcen für Krieg und Vernichtung sind Symptome eines zutiefst kranken Gesellschaftssystems. Die Verteidigung der Arbeitsplätze fällt unter diesen Bedingungen untrennbar mit dem Kampf gegen Krieg und Kapitalismus zusammen.

Das erfordert einen Bruch mit den Gewerkschaften, die sich in Handlanger der Konzerne verwandelt haben und die Kriegs- und Aufrüstungspolitik der Regierung uneingeschränkt unterstützen. Unabhängige Aktionskomitees, die von den Arbeitern selbst kontrolliert werden, müssen die Arbeitsplätze verteidigen und sich mit Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt vernetzen.

Das erfordert eine sozialistische Perspektive und den Aufbau einer Partei, die die internationale Arbeiterklasse vereint, statt sie in neuen Kriegen aufeinanderzuhetzen – der Sozialistischen Gleichheitspartei und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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