Niederlande: 150.000 bei Protesten gegen den Gaza-Genozid und den Iran-Krieg

Anti-Kriegs-Demonstranten in Den Haag, 15. Juni 2025 [Photo: WSWS]

Zeitgleich mit den Demonstrationen gegen die Diktatur in den USA jenseits des Atlantiks fand am Sonntag die massive „Red-Line“-Demonstration in Den Haag statt, an der landesweit über 150.000 Menschen teilnahmen. Es war bereits die zweite Großkundgebung dieser Art binnen eines Monats und Ausdruck der wachsenden öffentlichen Opposition gegen den Völkermord in Gaza und die Komplizenschaft der niederländischen sowie der europäischen herrschenden Klasse.

Seit der ersten Demonstration dieser Form im vergangenen Monat ist die niederländische Regierung zurückgetreten. Eine Übergangsregierung unter der Leitung des ehemaligen Geheimdienstchefs und nicht gewählten Premierministers Dick Schoof hat angekündigt, den Militärhaushalt auf bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen – im Vorfeld des anstehenden Nato-Gipfels und vor dem Hintergrund des sich verschärfenden imperialistischen Kriegs gegen den Iran.

Zwei Demonstrierende mit Plakaten „Holocaust ist keine Rechtfertigung für Genozid“, Den Haag, 15. Juni 2025 [Photo: WSWS]

Trotz der Militanz und der wachsenden Massenbeteiligung wurde der Protest durch die bankrotten moralischen Appelle seiner Organisatoren – darunter Oxfam Novib, Amnesty International, PAX und Save the Children – untergraben. Diese richteten sich ausgerechnet an eben jene imperialistischen Mächte und ihre Regierungsvertreter, die für die Ermöglichung und direkte Mitschuld an den israelischen Gräueltaten verantwortlich sind.

Die Organisatoren beschränkten ihre Forderungen auf Sanktionen, Waffenembargos und eine Überprüfung der EU-Israel-Abkommen. Damit bedienten sie die Illusion, Völkermord und Krieg könnten durch genau dieselben Institutionen gestoppt werden, die sich selbst mit einer kontinuierlichen Geschichte imperialistischer Kriegsziele gemein gemacht haben: die EU und ihre nationalen Regierungen – darunter einige ehemalige Kolonialmächte.

Indem die Organisatoren es ablehnten, das kapitalistische System als treibende Kraft hinter den endlosen Kriegen im Ausland und der aggressiven Militarisierung im Inland zu benennen, bekräftigten sie die Legitimität des politischen Establishments in Den Haag und rechtfertigten damit ihre Rolle als Sprachrohr des liberalen Reformismus.

Demonstrant mit selbstgemachtem Plakat: Anne Frank und Hind Rajab, ein fünfjähriges palästinensisches Mädchen aus Gaza, das am 29. Januar 2024 vom israelischen Militär getötet wurde [Photo: WSWS]

Die Beteiligung in Den Haag sowie eine ähnliche Demonstration mit 100.000 Teilnehmenden in Brüssel sind Teil eines internationalen Wiedererwachens des Widerstands der Arbeiter gegen den imperialistischen Krieg. Diese Bewegung muss sich jedoch von der aussichtslosen Politik des Druckausübens lösen.

Teilnehmerinnen mit den Namen getöteter Kinder im Alter von 4 und 1 Jahren auf ihren Plakaten [Photo: WSWS]

Im Folgenden veröffentlichen wir Interviews, die WSWS-Reporter während der Demonstration in Den Haag geführt haben. Sie verteilten Flugblätter und führten zahlreiche ausführliche Gespräche mit Demonstrierenden. Mit ihrem Einsatz machen sie sich für eine politisch unabhängige, international geeinte, sozialistische Bewegung der Arbeiter gegen Krieg, Austeritätspolitik und Völkermord stark.

Petko

Petko, einer von Tausenden migrantischen Arbeitern bei der Demonstration [Photo: WSWS]

Dies ist mein erster Protest gegen den Genozid in Gaza. Ich habe über den vorherigen am 18. Mai in Den Haag gelesen und sagte mir, diesmal bin ich dabei. Es ist wirklich ermutigend zu sehen, wie viele Menschen sich gegen den Genozid wenden. Ich habe ein paar Leute aus meiner Stadt organisiert und den Zug genommen, um hierher zu kommen. Das ist einfach das Richtige.

Auf die Frage des WSWS-Reporters nach dem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft sagte Petko:

Ich stamme aus Bulgarien. Aufgrund des Verrats des Stalinismus wird das Wort ‚Sozialismus‘ in Bulgarien als Schimpfwort angesehen. Aber, wie ich es verstehe, geht es im Sozialismus um die Einheit aller Arbeiter und um Freiheit für alle Arbeiter. Ein befreites Palästina bedeutet ein befreiter Naher Osten – und das stellt eine gewaltige Bedrohung für den Kapitalismus dar. Das werden sie nicht zulassen.

Wenn ich die Nachrichten online sehe, fällt es mir sehr schwer, optimistisch zu bleiben, aber genau solche Momente wie hier geben mir Mut – und sie inspirieren auch andere Menschen. Wenn wir hoffnungslos und zynisch werden, wird sich nichts ändern.

Auf die Frage, ob die niederländische herrschende Klasse ihre Politik gegenüber Israel aufgrund des Protests ändern könnte, fuhr er fort:

Ich bin diesbezüglich ziemlich pessimistisch. Den Regierungen ist das eigentlich egal – denn wir alle leben im Kapitalismus, und die Regierungen kümmern sich nur um ihr Kapital, ihr Geld.

Niels

Niels [Photo: WSWS]

Ich empfinde ein tiefes Gefühl der Scham, dass die niederländische Regierung eine Teilschuld am anhaltenden Genozid in Gaza trägt. Es ist unerlässlich, dass ich meine Stimme aus Protest gegen diesen Völkermord erhebe.

Die Bilder, die wir gesehen haben, sind erschütternd, und es ist entscheidend zu erkennen, dass die Situation über die Handlungen Israels hinausgeht. Zahlreiche andere Länder – insbesondere die Vereinigten Staaten und die Europäische Union – sind mitschuldig an dieser Tragödie.

Dies ist kein isoliertes Ereignis, sondern Teil einer größeren globalen Bewegung gegen den Völkermord in Gaza.

Ronald

Ronald [Photo: WSWS]

„Im Januar dieses Jahres besuchte ich das Westjordanland, und das während einer besonders angespannten Zeit“, berichtete Ronald.

Ich wurde Zeuge der verheerenden Bilder der Zerstörung in Gaza und des tragischen Verlusts palästinensischer Leben. Heute stehe ich hier, um gegen die Politik der niederländischen Regierung gegenüber Israel zu protestieren. Die Netanjahu-Regierung hat ganz offen ihre genozidalen Absichten gegenüber dem palästinensischen Volk bekundet, und diese Realität lässt sich nicht leugnen.

Es ist unerlässlich, dass wir uns diesen Handlungen entgegenstellen und sie beenden. Wir dürfen solche Gräueltaten nicht ungehindert geschehen lassen. Wenn wir den laufenden Völkermord in Gaza unbeachtet fortschreiten lassen, setzen wir damit einen gefährlichen Präzedenzfall, der weitere Aggressionen, etwa gegen andere Länder wie den Iran oder Jordanien, begünstigen könnte. Wir müssen uns fragen: Wo hört das auf?

WSWS-Reporter führten auch zahlreiche Diskussionen mit Flüchtlingen aus Ländern, die seit 1991 von imperialistischen Kriegen unter Führung der USA verwüstet wurden. Sie stammen aus dem Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien und dem Sudan, haben das Mittelmeer überquert und leben derzeit mit legalem Status in den Niederlanden.

Angesichts der bösartigen, fremden- und flüchtlingsfeindlichen Kampagnen der herrschenden Eliten und Medien im Dienste neofaschistischer Regime in ganz Europa und weltweit waren sie jedoch zögerlich, ihre Identitäten für die Berichterstattung preiszugeben. Ein afghanischer Flüchtling, der eine iranische Flagge hielt, erklärte in Bezug auf den Krieg im Iran: „Wenn Amerika einen Krieg beginnt, wissen wir, wie er enden wird!”

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