Frankfurt/Main: Eine erschütternde Rede über den Völkermord im Gaza

Den Krieg gegen den Iran nutzt Israel auch, um von seinem anhaltenden Völkermord im Gaza abzulenken und diesen gleichzeitig weiter zu eskalieren. Am Dienstag berichtete die Gesundheitsbehörde im Gazastreifen von zahlreichen Todesopfern infolge eines israelischen Angriffs in der Nähe eines Verteilzentrums für humanitäre Hilfe. Ihren Angaben zufolge wurden mindestens 45 Menschen getötet, die auf Lastwagen mit Hilfsgütern warteten. Zudem sollen Hunderte weitere verletzt worden sein.

Laut Augenzeugen, die mit der Nachrichtenagentur dpa sprachen, befanden sich viele Menschen zu Fuß oder mit Fahrzeugen auf dem Weg zu einer Ausgabestelle, als sie in einem Gebiet zwischen den Städten Rafah und Chan Junis von israelischem Artilleriebeschuss getroffen wurden.

Seit über 100 Tagen ist der Gazastreifen schon abgeriegelt, und nun hat die israelische Regierung auch die letzte Glasfaserverbindung gekappt. Damit seien „die Lebensadern zu den Rettungsdiensten, zur humanitären Koordination und zu wichtigen Informationen für die Zivilbevölkerung alle unterbrochen“, heißt es in einem Kommuniqué der UNO in New York.

Was das für die Menschen konkret bedeutet, das machte am Samstag eine erschütternde Rede in Frankfurt/Main deutlich. Aladin Attala, ein Marburger Software–Entwickler mit palästinensischen Wurzeln, sprach auf der Kundgebung der Geflüchteten-Hilfsorganisation Seebrücke am 14. Juni auf der Hauptwache. Er sagte: „Während die Welt auf Iran blickt, nutzt Israel die Funkstille, um Gaza ungestört weiter zu bombardieren: ein Informations-Blackout, um Kriegsverbrechen im Verborgenen zu begehen.“

Aladin Attala an der Kundgebung der Seebrücke, Frankfurter Hauptwache, 14. Juni 2025 [Photo: WSWS]

Attala schilderte die Auswirkungen des jüngsten Schrittes: „Israel hat die Kommunikation gekappt: kein Internet, kein Telefon. Ich habe meine eigene Familie bisher nicht erreicht, kein Lebenszeichen, keine Nachricht, nur die Hoffnung, dass sie noch am Leben sind.“

„Die Blockade geht weiter, und die Vernichtung auch“ fuhr er fort. Und dann schilderte er, was für grauenhafte Folgen diese Politik für seine Familie und Verwandtschaft hat, deren Lage er zu Recht als „unbeschreiblich und unvorstellbar“ bezeichnete. Sie sei aber „doch bittere Realität“. Denn er zum Beispiel habe in weniger als zwei Jahren über 70 Verwandte verloren. Dann zählte Attala diese Opfer auf:

Die im Rollstuhl sitzende, über 94-jährige Tante meines Vaters wurde gemeinsam mit ihrer Tochter getötet. Der Cousin meines Vaters – getötet mit seiner gesamten Familie, mit allen Kindern und Enkeln. Mein eigener Cousin mit Frau und Kindern – nur ein Kind hat überlebt. Meine Cousine, ihr Mann, ihre drei Kinder und ihre Stiefkinder – alle ausgelöscht. Die Tante meiner Mutter, ihr Mann, sechs ihrer Kinder, deren Partner und Kinder – alle ausgelöscht. Ein weiterer Cousin – getötet mit seinen zwei Kindern; seine schwangere Frau überlebte. Der 60-jährige Onkel meines Vaters mit seinen drei Töchtern, ihren Partnern und all den Kindern – nur seine Frau überlebte, weil sie wegen ihrer Verletzungen durch eine vorherige Bombardierung im Krankenhaus war.

Der 86-jährige Onkel meiner Mutter, der auf Krücken lief, flehte seine Familie an, ihn bei der Flucht zurückzulassen, um ihnen keine Last zu sein. Er wurde durch einen gezielten Kopfschuss getötet. Mein Cousin – ermordet während einer medizinischen Behandlung infolge eines Luftschlags auf ein Krankenhaus. Meine Großmutter, bei der ich mehrere Jahre lebte, und die wie meine zweite Mutter ist – sie starb an Medikamentenmangel.

Dieser Schmerz, diese Trauer, immer wenn jemand aus der eigenen Familie getötet wird. Man kann weinen, man kann Abschied nehmen. Aber dieses Gefühl, dass die Überlebenden nun langsam ersticken, langsam verhungern, langsam gebrochen werden – das Gefühl ist grausam und verfolgt mich Tag und Nacht. Es ist ein Gefühl, das ich niemandem auf der Welt wünsche, nicht einmal denen, die uns das antun.

Zu seiner engsten Familie im Gaza sagte Attala: „Meine Familie lebt – aber wie! Ohne Wasser, ohne Brot, ohne Medikamente, ohne Dach überm Kopf, ohne Schule, ohne Krankenhaus, ohne Hoffnung.“

Daraufhin wandte sich Attala der Frage zu, wer verantwortlich sei für ein solch grauenhaftes Inferno, und er sagte: „Das Land des ‚Nie wieder!‘ [Israel] steht heute in Den Haag vor Gericht, nicht als Zeuge, sondern als Angeklagter für die Unterstützung eines Völkermords.“

Und Deutschland? Hier herrscht „eine sogenannte Staatsraison, die sich per Definition über Moral und Recht und Gesetz und Menschlichkeit erhebt, um Kriegsverbrechen zu legitimieren. Kriegsverbrechen an meiner eigenen Familie“.

Kundgebung der Seebrücke „Grenzen auf – zu Land, zu Wasser und im Kopf“ am 14. Juni in Frankfurt [Photo: WSWS]

Attalas Rede war eine bittere und berechtigte Anklage. Er hielt sie im Rahmen der Seebrücke–Kundgebung, die sich unter dem Motto „Grenzen auf – zu Land, zu Wasser und im Kopf“ gegen die brutale Abschiebepolitik unter Merz, Dobrindt und SPD wandte.

Es gab auch weitere Berichte, die den Finger in die Wunde legten. So sprach dort auch ein Schüler der Johanna-Tesch-Schule in Frankfurt–Bockenheim über die Abschiebung zweier Mitschüler: Die beiden Jungs Angat (12) und Gunit (12) wurden mit der ganzen Familie Kapoor in den Osterferien abgeschoben. Als afghanische Sikhs wurden sie kurzerhand nach Indien deportiert, wo sie jedoch niemanden kennen. Seither kämpfen ihre Mitschüler mit Kundgebungen, Demonstrationen und einer Lobby im Römer für ihre Rückführung.

Die Kundgebung des Seebrücke-Bündnisses bot selbst jedoch keinerlei Perspektive, um diese menschenverachtende Politik zurückzuschlagen. Sie war ein Aufschrei und ein moralischer Apell und gab damit der weit verbreiteten Empörung Ausdruck, aber sie zeigte keinen Weg vorwärts. Eher hatte sie den Charakter eines weiteren nutzlosen Appells an die regierenden Politiker und Herrschenden, von denen schon niemand mehr ein Einsehen erwartet.

In ihrer Ankündigung zur Kundgebung hatte die Seebrücke ausdrücklich dazu aufgerufen, „Parteifahnen und Organisationsfahnen“ zu Hause zu lassen. Damit verschließt sich die Seebrücke aber bewusst der Klassenfrage in einer Situation, in der sich – siehe Trump-Regierung – die Oligarchen und Superreiche mehr und mehr der Regierungsgewalt bemächtigen, während eine Rekordzahl von 120 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind.

Um Krieg, Völkermord, Faschismus und Abschottung zu überwinden, reichen aber weder flammende Appelle, noch der Märtyrerkampf einzelner mutiger Individuen. Dafür ist es notwendig, die Arbeiterklasse auf sozialistischer und internationaler Grundlage zusammenzuschließen, und dazu braucht es eine marxistische Weltpartei – die Vierte Internationale.

Weltweit haben Millionen Arbeiter und junge Menschen Proteste gegen den Krieg in Gaza auf die Straße getragen. Die zentrale Aufgabe besteht nun darin, diese wachsende Massenbewegung mit den sich zuspitzenden Klassenkämpfen der internationalen Arbeiterklasse zu verbinden – und den Widerstand gegen den imperialistischen Krieg in den umfassenderen Kampf für eine sozialistische Weltrevolution einzubetten.

Dass die Bedingungen dazu reif sind, das haben zuletzt die Millionen Demonstrierenden bewiesen, die am selben Tag, dem 14. Juni 2025, überall in den Vereinigten Staaten mit dem Slogan „No-King“ auf die Straße gingen.

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