80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg kehrt Deutschland wieder zur Großmachtpolitik zurück und rüstet für einen Krieg gegen Russland. Der Jahrestag am 8. Mai stand im Zeichen dieser Kriegsvorbereitungen – der materiellen wie der ideologischen.
Die Herrschenden bemühen sich, die gesamte Gesellschaft auf Kriegskurs zu bringen. Sie richten den Haushalt vollständig auf die Finanzierung der Kriegskredite von über einer Billion Euro aus und kürzen in Bildung und Sozialem. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nutzte seine Gedenkrede im Bundestag für die Forderung nach einer verstärkten Militarisierung.
Die Aufrüstung geht Hand in Hand mit einer Offensive zur Revision der Geschichte. Je nach Ort und Zeit deuten die deutschen Imperialisten die Geschichte so um, wie es ihren Interessen am besten passt. In Gaza berufen sich Politiker und Journalisten ausgerechnet auf den Holocaust, um Israels grausamen Völkermord an den Palästinensern zu rechtfertigen. Geht es dagegen darum, den Krieg gegen Russland zu begründen, werden die NS-Verbrechen im Zweiten Weltkrieg relativiert und die Bedeutung der Sowjetunion im Kampf gegen den Faschismus heruntergespielt.
Das zeigte sich auch auf Veranstaltungen rund um den 80. Jahrestag. Russische und belarussische Regierungsvertreter waren vom offiziellen Gedenken am 8. Mai ausgeschlossen. Der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew hingegen wurde als Gast hofiert. Wie im Vorjahr waren russische und sowjetische Flaggen und Symbole verboten – ebenso russische Kriegslieder.
Allein in Berlin waren mehr als 60 Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen angemeldet. Die Polizei überwachte die Auflagen und Verbote mit einem Großeinsatz. Am Bebelplatz schikanierten Polizisten die Kundgebung der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) und untersagten dem Roten Antiquariat, Bücher von Autoren zu verkaufen, die 1933 auf demselben Platz von den Nazis verbrannt worden waren.
Ganz anders war der Umgang mit Demonstranten, die für die Bewaffnung der Ukraine im Stellvertreterkrieg gegen Russland warben. Sie konnten am Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten problemlos die Ukraine-, Nato- und EU-Flagge hissen.
Die Umorientierung des Museums Berlin-Karlshorst
Eine riesige Polizeikolonne säumte auch die Straße hin zum Museum Berlin-Karlshorst, die Besucher schon auf dem Hinweg einschüchtern sollte. An diesem Ort im Osten der Hauptstadt hatte die deutsche Wehrmachtsführung in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation unterschrieben.
Traditionell legen viele Menschen vor den sowjetischen Panzern im Museumsgarten Blumen ab, um der Befreiung Berlins durch die Rote Armee zu gedenken. Die Museumsleitung hatte in diesem Jahr aber extra die Hausordnung ergänzt, um Fahnen, Transparente, Uniformen sowie jegliche politischen Symbole und Kundgebungen zu untersagen.
Mit seiner Dauerausstellung über den NS-Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion nahm das Museum lange Zeit eine Sonderstellung in der deutschen Museumslandschaft ein. Es ist das einzige deutsche Museum, das in Kooperation mit russischen Partnern die historischen Hintergründe und das Ausmaß der Nazi-Verbrechen im Osten umfassend schildert. Damit ist es selbst eine mächtige Warnung, wohin es führt, wenn Deutschland nach der Weltmacht greift.
Am Jahrestag besuchten über 7000 Menschen die Ausstellungen und Veranstaltungen des Museums, was das ernsthafte Interesse der Bevölkerung an dem Thema beweist. Eine eindrucksvolle Sonderausstellung präsentierte mehr als 50 Aufnahmen sowjetischer Fotografen im letzten Kriegsjahr, die den Vormarsch der Roten Armee an unterschiedlichen Frontabschnitten dokumentieren.
Ein Foto zeigt einen Berg von Schuhen, den die Rotarmisten im Sommer 1944 vorfanden, als sie in Polen das erste Konzentrationslager Majdanek befreiten. Rund 80.000 Menschen hatten die Nazis hier ermordet. Neben Leichenbergen fanden die Truppen noch 1000 kranke sowjetische Kriegsgefangene.
Die Nazis hatten ihren Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion im Juni 1941 begonnen. Sie zahlte mit mehr als 27 Millionen Opfern den höchsten Blutzoll. Von der Leningrader Blockade und dem Massaker von Babyn Jar bis zum Holocaust an den Juden – die größten Nazi-Verbrechen fanden im Rahmen dieses Vernichtungskriegs in Osteuropa statt. Ohne den mutigen und aufopfernden Kampf der Roten Armee wäre das Hitler-Regime nicht besiegt und beseitigt worden.
Diese historischen Tatsachen, die entscheidende Rolle der Sowjetunion bei der Befreiung Europas und die Erinnerung an die ungeheuerlichen NS-Verbrechen, sind den deutschen Eliten heute ein Dorn im Auge, da sie erneut einen Krieg gegen Russland vorbereiten.
Deutschland nutzt dabei die östlichen Nato-Frontstaaten als Vortrupp für seine Großmachtinteressen. Ausgerechnet in Litauen, wo die Nazis zusammen mit lokalen Kollaborateuren fast die gesamte jüdische Bevölkerung ausgemerzt haben, stationiert die Bundeswehr jetzt permanent eine 5000 Mann starke deutsche Kampfbrigade.
Um diese Politik ideologisch zu legitimieren, erhalten die rechten Geschichtsnarrative über den Zweiten Weltkrieg, die in den meisten osteuropäischen und baltischen Staaten seit den 1990er Jahren offizieller Kanon sind, Einzug in deutsche Museen. Diese Narrative laufen letztlich darauf hinaus, Deutschland von der Verantwortung für seine Kriegsverbrechen freizusprechen, indem das Augenmerk auf die Gewalt und angebliche Aggression der Sowjetunion gelenkt wird. In dieser Lesart ist der größte Aggressor des 20. Jahrhunderts nicht mehr das Nazi-Regime, sondern die Sowjetunion.
Nicht die Politik der verbrannten Erde, die industrielle Vernichtung der Juden und der Massenmord an Rotarmisten, Partisanen und Zivilisten durch die Nazis und ihre Gefolgsleute, sondern die „sowjetische Besatzung“ und die „verlorene Souveränität“ der baltischen und osteuropäischen Länder rücken in den Mittelpunkt. Dabei werden auch die lokalen NS-Kollaborateure rehabilitiert.
Diese Umorientierung im Interesse der deutschen Kriegspolitik findet auch im Museum Berlin-Karlshorst statt.
Als sogenanntes Kapitulationsmuseum 1967 in der damaligen DDR eröffnet, wurde das Museum nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1995 unter der Leitung eines deutsch-russischen Vereins neu ausgerichtet. Schließlich kamen auch die beiden Weltkriegsmuseen der Ukraine und von Belarus hinzu. 17 staatliche Institutionen gehören zum Trägerverein, darunter auch die Außen- und Kulturministerien Russlands und Deutschlands.
Unter dem Historiker Jörg Morré, der 2009 die Leitung des Museums übernahm, setzte das Museum die Zusammenarbeit mit Russland zunächst über Jahre fort. Jedes Jahr feierten Vertreter beider Länder den 8. Mai mit einem „Friedenstoast“. Die Dauerausstellung, die 2013 grundlegend erneuert wurde, ist in enger Abstimmung der Vereinspartner entstanden. Viele wichtige Exponate sind Leihgaben aus Moskau, auch wenn das Museum ausschließlich vom deutschen Staat finanziert wird.
Inhaltliche Konflikte zwischen den deutschen und russischen Vertretern wurden mit Kompromissen beigelegt. Trotz wachsender Spannungen lehnte Morré noch Anfang Februar 2022 eine Namensänderung des Museums explizit ab, wie sie von mehreren Kriegspropagandisten gefordert wurde – etwa dem damaligen ukrainischen Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk, einem offenen Verehrer des ukrainischen Faschisten Stepan Bandera, oder der Grünenpolitikerin Marieluise Beck, Mitgründerin des staatlich finanzierten proukrainischen Thinktanks „Zentrum Liberale Moderne“.
Nun ist die Zukunft dieses einzigartigen Museums in Gefahr. Seit dem von den Nato-Mächten regelrecht provozierten, aber deshalb nicht minder reaktionären Einmarsch des Putin-Regimes in die Ukraine im Februar 2022, begann Schritt für Schritt eine Umorientierung. Sowohl die institutionelle Grundlage als auch die inhaltliche Orientierung sollen an die Kriegslinie der deutschen Regierung angepasst werden.
Wo zuvor vier Flaggen – Russland, Deutschland, Belarus und Ukraine – als Symbol der internationalen Kooperation vor dem Museumseingang wehten, wird nur noch die ukrainische Flagge gehisst. Statt bisher „Deutsch-Russisches Museum“ heißt es nur noch „Museum Berlin-Karlshorst“.
Die Zusammenarbeit mit Russland und Belarus liegt vollständig auf Eis, abgesehen von formaler E-Mail-Kommunikation. Der Trägerverein, der die deutsche und russische Seite weiterhin formal zusammenhält, hängt am seidenen Faden. In Politik und Medien wurde mehrfach seine Auflösung gefordert. Die außenpolitische Scharfmacherin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) attackierte letztes Jahr die Regierung, weil noch immer russische Mitglieder im Museumsverein sitzen.
Sollte Deutschland die russischen Partner aus dem Verein werfen, würde es völkerrechtliche Verträge brechen, die in den 1990er Jahren eine Beteiligung Russlands an dem Museum zusicherten. Auch könnte Moskau dann zahlreiche Exponate der Ausstellung abziehen. Es droht der Zusammenbruch des Museums in seiner jetzigen Form.
WSWS erhält Unterstützung für ihre Antikriegshaltung
Während der Konflikt über den Trägerverein weiterschwelt, setzt das Museum den Umbau auf der inhaltlichen Ebene fort: Seit 2022 hat es zu mehreren Veranstaltungen eingeladen, die das Umschreiben der Geschichte im Sinne der „Zeitenwende“ vorantreiben.
Zum 80. Jahrestag der deutschen Kapitulation führte das Museum dann eine Veranstaltung unter dem Titel „Das Gedenken zum 8. Mai. Die Rolle des Museums Berlin-Karlshorst im Wandel“ durch. Der historische Kapitulationssaal war restlos überfüllt, es herrschte eine angespannte Stimmung. Dass der verkündete „Wandel“ des Museums politischen Sprengstoff birgt, war mit Händen zu greifen.
Museumsleiter Jörg Morré kündigte eine Überarbeitung der Dauerausstellung an. Die bisherige Darstellung des NS-Vernichtungskriegs solle um die „Perspektiven“ und „Erinnerungskulturen“ der anderen postsowjetischen Staaten ergänzt werden, etwa der baltischen Länder, Ukraine und Moldau.
Das erläuterte Morré auf Nachfrage der WSWS-Autorin. Sie war in der Publikumsdiskussion auf die gefährliche Tendenz des Geschichtsrevisionismus vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs und die verbreitete Opposition gegen die Kriegsaufrüstung eingegangen:
Wir begehen heute den 80. Jahrestag nach Kriegsende unter Bedingungen der größten militärischen Aufrüstung Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg, der Militarisierung und Präsenz der Bundeswehr an Schulen und Universitäten, der Einführung der Wehrpflicht, der ungeheuren Rückkehr der Kriegspropaganda mit der Kampagne für „Kriegstüchtigkeit“. Das ist der Kontext, und dieser ist verbunden mit einem Umschreiben der Geschichte in Deutschland.
Sie verwies auf die Wanderausstellung zum Hitler-Stalin-Pakt 1939, die im vergangenen Jahr gezeigt worden war und die den sogenannten Europäischen Gedenktag für die Opfer totalitärer Regime am 23. August – dem Datum der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts – positiv darstellt.
Dieser Gedenktag ermögliche eine Gleichsetzung der Opfer des NS- und des Stalin-Regimes, eine Relativierung des Holocaust und der Nazi-Verbrechen und die Darstellung der Sowjetunion als Aggressor und Kriegsverursacher. In den baltischen und osteuropäischen Staaten schürten die Regierungen Nationalismus. Stepan Bandera und andere Nationalisten, Faschisten und Nazi-Kollaborateure würden gefeiert und als Freiheitskämpfer geehrt.
Die Autorin warnte, es sei eine große Gefahr, wenn dieser Gedenktag auch hier in Deutschland gefördert werde.
Der Beifall nach dem Beitrag zeigte, dass die Mehrheit des Publikums die Kriegspolitik ablehnt. Auch andere Teilnehmer hatten zuvor die Militarisierung kritisiert. Eine Besucherin forderte mehr öffentliche Gelder für die Bildung und erklärte unter großem Applaus:
Ich habe ganz große Angst vor einem neuen Weltkrieg, der uns alle vernichten wird, alle. Wir rüsten auf wie die Blöden, weil wir Angst vor den Russen haben. Da mag ja was dran sein – aber wir sind nicht viel besser.
Das Museum hat entschieden, diese Antikriegsstimmung nicht öffentlich zu dokumentieren. Erst mit einer Verzögerung von knapp drei Wochen stellte die Museumsleitung die Video-Aufnahme der Veranstaltung auf ihrem YouTube-Kanal bereit. Im Unterschied zu allen vorherigen Veranstaltungsvideos hat sie zum ersten Mal die Diskussion zensiert. Die Fragen und Beiträge aus dem Publikum wurden unter dem Vorwand des Datenschutzes herausgeschnitten und durch schriftliche Folien ersetzt. So findet sich auf der Folie zum Redebeitrag der Autorin kein Hinweis mehr auf die Kritik an der militärischen Aufrüstung.
Im Gegensatz zur Stimmung im Publikum rechtfertigten die Spitzen der Museumsleitung die Kursänderung. Zu Gast waren hochrangige Vertreter des Auswärtigen Amts und des Deutschen Historischen Museums, die dem Trägerverein des Karlshorst-Museum angehören. Auch ein russischer Botschaftsrat durfte kurz aus dem Publikum sprechen, allerdings nicht als offizieller Gast.
Den Ton setzte als erste Rednerin die Regierungsvertreterin Maria Bering (CDU), Abteilungsleiterin für „Erinnerungskultur“ bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Sie schlug den Bogen von 1945 zu heute: Wieder herrsche Krieg in Europa, begleitet von einem „Kampf der Narrative“. Geschichte sei zu einem Teil der „Kriegsführung“ im Ukrainekrieg geworden, erklärte Bering und lobte, wie die Museumsleitung der „politischen Instrumentalisierung“ der Geschichte durch Russland entgegentrete. Ihre Worte waren eine kaum verhüllte Aufforderung an das Museum, die Geschichte ebenfalls als Waffe einzusetzen, um im „Kampf der Narrative“ gegen Russland zu bestehen.
Es stimmt zwar, dass das Putin-Regime Nationalismus verbreitet und Geschichtsklitterung betreibt. Aber die Vorwürfe gegen Russlands Geschichtspolitik dienen Politikern hierzulande als Vorwand, um die eigene Kriegspropaganda zu legitimieren. Deutschland müsse aufrüsten, damit Russland nicht ganz Europa erobere, so ihr Mantra. In Wirklichkeit verhält es sich umgekehrt: Deutschland rüstet auf, damit es wieder einen Eroberungskrieg gegen Russland und andere Länder führen kann.
Aus dem Publikum wandte sich noch ein weiterer CDU-Politiker mit inhaltlichen Vorgaben an das Museum, die er hinter drei „Fragen“ versteckte. Johannes Volkermann, gerade frisch in den Bundestag eingezogen, wollte erstens wissen, ob die Geschichtswissenschaft denn genug tue, um „DDR-Geschichtsnarrative zum 8. Mai“ aufzuarbeiten – gemeint war hier die Einschätzung des Kriegsendes als Befreiung vom Faschismus. Zweitens fragte er, was man in diesem Zusammenhang von den baltischen Staaten „lernen“ könne, und drittens, was sich das Museum von der Politik wünsche.
Mehr Finanzmittel, antwortete der Museumsleiter. Das Museum, das vollständig vom deutschen Staat finanziert wird, ist nämlich von schweren Haushaltsproblemen geplagt. Angesichts dessen kann die Regierung die enormen Einsparungen im Bildungs- und Kulturbereich als Hebel nutzen, um den politischen Druck auf Wissenschaftler und Kultureinrichtungen zu erhöhen. Wer sich nicht in die ideologische Agenda für „Kriegstüchtigkeit“ einspannen lässt, erhält schlichtweg keine Gelder mehr.
Podiumsdiskussion zum „Wandel“ des Museums
Auf dem Podium diskutierten auf der Veranstaltung der Museumsdirektor Jörg Morré, der Geschichtsprofessor Thomas Sandkühler von der Berliner Humboldt-Universität (HU) sowie die Holocaustforscherin Gintarė Malinauskaitė vom Litauischen Institut für Geschichte.
Morré war als wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Gedenkstätten der ehemaligen sowjetischen Speziallager in Sachsenhausen und Bautzen tätig, bevor er 2009 die Leitung des Museums übernahm.
Er spielt beim Umbau des Museums eine zentrale Rolle. Er vermittelt einerseits zwischen den jeweiligen nationalen Partnern und der deutschen Politik, andererseits zwischen dem Museum, der Wissenschaft und dem Publikum. Über Veranstaltungen und Dialog lässt er kritische Stimmen von Besuchern zu Wort kommen, während er gleichzeitig geschichtsrevisionistischen Tendenzen immer mehr Raum gibt.
Die Sonderausstellung zum Hitler-Stalin-Pakt war hier ein wichtiges Testfeld. Morré selbst bezeichnete sie auf der Veranstaltung als „Spielball“; ihre Inhalte sollen in die Überarbeitung der Dauerausstellung einfließen. Das bedeutet konkret, dass künftig die rechten Geschichtsnarrative der baltischen und osteuropäischen Länder, die in der Tradition der Nazi-Kollaborateure stehen, im Museum integriert werden.
Thomas Sandkühler ist seit mehreren Jahren Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats. Als Inhaber des Lehrstuhls für Geschichtsdidaktik an der HU hatte er sich schon 2016 hinter seinen rechtsradikalen Kollegen Jörg Baberowski gestellt, als dieser Hitler verharmloste und gegen Geflüchtete hetzte. Die Kampagne der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) gegen diese rechte Geschichtsfälschung hatte Sandkühler als „widerwärtig“ und „unverschämt“ attackiert.
Der Didaktiker, der auf die Geschichte des Nationalsozialismus spezialisiert ist, wusste damals genau, mit welchen politischen Kräften er sich solidarisierte. Dass das kein Zufall war, beweist seine Rolle im Museum Berlin-Karlshorst.
Unter seinem Vorsitz wurde im Februar 2025 der elfköpfige wissenschaftliche Beirat neu konstituiert. Alle sechs Historiker aus Russland und Belarus, die bisher im Beirat vertreten waren, wurden entfernt. Neu hinzu kamen u. a. Vertreter aus Litauen, Lettland und Moldau. Die neu aufgenommen Mitglieder sind zwar keine rechten Hardliner, sondern mehrheitlich anerkannte Historikerinnen und Historiker zum Nationalsozialismus. Dennoch ist die Neuaufstellung des Beirats ein weitgehender Schritt, weil nun Wissenschaftler russischer Institutionen nicht mehr in die Beratung des Museums eingebunden sind.
Gintarė Malinauskaitė, die ebenfalls am 8. Mai auf dem Podium saß, ist eines dieser neuen Beiratsmitglieder. Die litauische Historikerin hat an der HU über die Erinnerung an den Holocaust in Litauen nach 1991 promoviert – ein heikles Thema, weil gerade dort lokale Kräfte am Massenmord an den Juden beteiligt waren. Nach der Auflösung der Sowjetunion wurden NS-Kollaborateure, Faschisten und antisowjetische „Partisanen“ in Litauen rehabilitiert und heroisiert.
Auf dem Podium in Karlshorst äußerte Malinauskaitė verhaltene Kritik am offiziellen litauischen Geschichtsnarrativ. Die lokale Täterschaft bei NS-Verbrechen werde zu wenig berücksichtigt und Veteranen der Roten Armee und sowjetische Kriegsgefangene aus der Erinnerungskultur ausgeschlossen. Als Holocaustforscherin sieht sie sich unter großem Druck. Da sich Litauen bereits im „Kriegsmodus“ befinde, müsse man vorsichtig sein, was man sage.
Trotzdem befürwortete sie ausdrücklich die militärische Aufrüstung des Baltikums gegen Russland. Als staatliche Mitarbeiterin Litauens habe sie erst kürzlich an einem verpflichtenden Kurs zur Kriegsvorbereitung teilgenommen.
Malinauskaitė war bereits an der Wanderausstellung zum Hitler-Stalin-Pakt beteiligt gewesen. Ihr Aufsatz zu Litauen im Begleitband ist von Nationalismus durchdrungen. Sie benennt zwar die Judenverfolgung durch lokale Kollaborateure, beklagt aber hauptsächlich den „Verlust der litauischen Staatlichkeit“ durch die sowjetische Besatzung 1940–1941 im Zuge des Pakts und die folgende „Sowjetisierung“ Litauens. Die Litauische Sozialistische Sowjetrepublik von 1944 bis 1991, die der UdSSR angehörte, bezeichnet sie als „zweite sowjetische Besatzung“, wobei sie die Regime der Stalinisten und der Nationalsozialisten faktisch auf eine Stufe stellt.
Im Laufe der Diskussion wurde klar, dass keiner auf dem Podium die Kriegsaufrüstung kritisiert. Morré merkte vielmehr kritisch an, dass die Debatte über Kriegstüchtigkeit in Deutschland zu „abstrakt“ ablaufe. Dabei seien militärische Schulungskurse, wie sie Malinauskaitė in Litauen absolviert hat, doch in der BRD in den 1980er Jahren normal gewesen.
Sandkühlers Antwort auf die Frage, wie er zur Militarisierung stehe, war ein völliges Armutszeugnis für einen Historiker: Er werde sich hier zu militärischen Fragen nicht äußern, da dies nicht das Thema sei. Die Gräuel des Zweiten Weltkriegs, die 1945 in den befreiten KZs, verwüsteten Dörfern und zerbombten Städten für die ganze Welt sichtbar wurden, scheinen für den Herrn Professor also kein Anlass zu sein, über die Gefahr eines dritten Weltkriegs zu reden, geschweige denn ihr entgegenzutreten.
Der „Perspektivenwechsel“ zeichnet sich seit längerem ab
Der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des Kriegsendes waren mehrere andere vorangegangen, die der Neuausrichtung des Museums gewidmet waren. Besonders stach dabei der Vortrag „Ein neuer Perspektivenwechsel: Der Krieg von 1941–1945 im Blick von 2022“ hervor, den Dieter Pohl, Professor an der Universität Klagenfurt, am 8. Mai 2023 in Karlshorst hielt.
Schon damals saßen Morré und Sandkühler mit auf dem Podium. Letzterer lobte den Vortrag als „Blaupause für ein modernes Museum über den deutschen Krieg gegen die Sowjetunion“. Was ist der Inhalt dieser Blaupause?
Pohl fordert eine Abkehr vom sogenannten „postsowjetischen Narrativ“ über den Krieg, das in Russland und zum Teil auch in Deutschland dominiere. In diesem Narrativ werde vor allem die entscheidende Bedeutung der Roten Armee und der sowjetischen Partisanenbewegung im Sieg gegen Nazi-Deutschland hervorgehoben. Es herrsche eine „Russlandfixierung“, während die „neuen nationalen Identitäten und Erinnerungskulturen“ der Balten und Ukrainer nach 1991 in der deutschen Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen würden.
Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs sei es wichtig, so Pohl, „das klassische bundesdeutsche wie auch das postsowjetische Narrativ zu modifizieren oder ganz zu verlassen, um die Erinnerung den gegenwärtigen Gegebenheiten anzupassen“. Die „Diskurse“ in der Ukraine, im Baltikum und in Polen müssten „auf Aspekte geprüft werden, die auch für unsere Erinnerung wichtig sein könnten. Vordringlich bleibt heute jedoch die Zurückweisung der russischen Kriegspropaganda – und natürlich die Wiederherstellung der vollen Souveränität der Ukraine.“
Er kritisierte ein zu positives Bild der Sowjetunion in der deutschen Bevölkerung. Die UdSSR sei eine „radikale Diktatur“ mit einem „riesigen Lagersystem“ gewesen, die gemeinsam mit Hitler 1939 zwei Angriffskriege gegen Polen und Finnland geführt habe.
Pohl unterscheidet in seiner Ablehnung der Sowjetunion überhaupt nicht zwischen der frühen Phase nach der Oktoberrevolution, die ihren Erfolg dem Umstand verdankte, dass sie den Krieg beendete, das Land unter den Bauern verteilte, den Nationalitäten das Selbstbestimmungsrecht gewährte und die von ausländischem Kapital dominierte Industrie verstaatlichte, und dem konterrevolutionären Stalin-Regime, das viele dieser Errungenschaften, vor allem in der Nationalitätenfrage, wieder rückgängig machte und im Großen Terror eine ganze Generation von Revolutionären ermordete. Pohl behauptet:
Die Sowjetunion war ein Imperium, das 1918 bis 1921 mit äußerster Gewalt etabliert worden war und alle Unabhängigkeitsbestrebungen maximal bekämpfte. Insofern hatte diese Sowjetunion nur wenig Legitimität und ist meines Erachtens 1991 zu Recht aus der Geschichte verschwunden. Dieses Bewusstsein wird man jedoch in der deutschen Kriegserinnerung kaum finden. Stattdessen dominierte hier oftmals die Kritik an der antisowjetischen Kriegserinnerung im Baltikum oder in der Ukraine.
Wie man dieser „Kritik“ in der deutschen Bevölkerung begegnet, liegt auf der Hand: Man muss öffentliche Orte wie das Museum Berlin-Karlshorst nutzen, um die antisowjetischen „Narrative“ aus den Nachbarländern zu propagieren.
Pohl anerkennt zwar die Verantwortung Deutschlands für den Krieg und die Verbrechen, ebenso die der Achsenmächte und der einheimischen Hilfskräfte. Aber er schlägt vor, sich kritischer mit der Roten Armee und der sowjetischen Partisanenbewegung auseinanderzusetzen und den Begriff „Kollaboration“ zu hinterfragen. Als Beispiel nimmt er Litauen: Ein litauischer Nationalist, der mit den Deutschen zusammengearbeitet habe, sei von den Sowjetbehörden wegen Vaterlandsverrat verurteilt worden – dabei habe seine Loyalität doch seinem Heimatland Litauen gegolten.
Das ist ein ziemlich durchsichtiger Versuch, die rechten Kräfte, die sich aus nationalistischen Gründen den Nazis andienten, vom Vorwurf der Kollaboration freizusprechen. Sollen im Museum jetzt auch die „Perspektiven“ litauischer Nazi-Kollaborateure gehört werden, schließlich handelten sie ja nur aus Liebe zum Heimatland?
Pohl – wie auch Sandkühler – wissen genau, wovon sie sprechen. Beide haben zur Beteiligung der ukrainischen und litauischen Nationalisten an der Judenermordung geforscht und publiziert.
Beide sind sich aber auch einig, dass die Gewalt des Stalinismus und des Gulag-Systems heute verstärkt betont werden müssten. Nicht etwa, um die stalinistischen Verbrechen wirklich aufzuarbeiten, sondern um anti-russische Propaganda im Einklang mit der Nato-Kriegspolitik zu befördern. Sandkühler benannte Ausstellungen und Museen als „ganz wichtiges Instrument, um auch solche neuen Erkenntnisse und Perspektiven in die Öffentlichkeit zu bringen – sei es in Wechselausstellungen oder in der Überarbeitung von Dauerausstellungen“.
Hier lägen große Aufgaben vor den Kuratoren. „Wir reden über Perspektivwechsel, im Grunde auch über Veränderungen von Paradigmen unseres eigenen Kriegsbildes.“ Notwendig sei eine „Dekolonialisierung der russischen Geschichte“. Die Wahrnehmung der Sowjetunion und Russlands als „Imperium“ werde jetzt unter den „aktuellen politischen Prozessen“ – also dem Ukrainekrieg – wichtig.
Das sagte er wohlgemerkt vor zwei Jahren, am 8. Mai 2023. Eineinhalb Jahre später eröffnete die bereits erwähnte Wanderausstellung zum Hitler-Stalin-Pakt, die genau diese Aufgabe erfüllen sollte. Mit Schlagworten wie „Dekolonialisierung“ und „Perspektivwechsel“ verdreht sie die Geschichte, um die Sowjetunion als imperiale und ebenso aggressive Großmacht wie NS-Deutschland darzustellen.
Der Vergleich zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus wird in erster Linie dafür eingesetzt, die Sowjetunion zu verteufeln und das NS-Regime zu relativieren. Das war schon die Agenda des rechten Historikers Ernst Nolte, der in den 1980er Jahren den deutschen Historikerstreit auslöste. Nolte behauptete damals, dass Auschwitz eine verständliche Reaktion auf den Gulag gewesen sei.
Wie bereits sein HU-Kollege Jörg Baberowski will offenbar nun auch Sandkühler die Standpunkte von Nolte rehabilitieren. 2023 sagte er: „Wir hatten ja vom Historikerstreit 1986 ausgehend so ein fast schon kanonisiertes Vergleichsverbot – mit zum Teil absurden Begründungen: ‚Das darf man nicht tun, das ist apologetisch.‘“
Noch deutlicher hätte Sandkühler kaum sagen können, dass mit der Aufrüstung gegen Russland auch die Kriegspropaganda der Nazis und ihrer Apologeten, wie Ernst Nolte, neu belebt wird.
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