Am vergangenen Dienstag tötete ein Amokläufer an einer Schule im österreichischen Graz zehn Menschen und verletzte elf weitere zum Teil schwer. Die Tat selbst dauerte nur wenige Minuten. Unmittelbar nachdem die Polizei eintraf, beging der Täter auf einer Schultoilette Selbstmord.
Bei den Getöteten handelt es sich um neun Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren und eine Lehrkraft. Der Amokläufer Arthur A. war ein ehemaliger Schüler des Borg-Gymnasiums in Graz. Der 21-Jährige hatte seinen Schulbesuch dort nach der sechsten Klasse abgebrochen. Zu seinen Opfern hatte der Täter keine Beziehung, nur die getötete Lehrerin war im persönlich bekannt.
Am Donnerstagmorgen fand eine landesweite Trauerminute statt. Alle öffentlichen Gebäude wurden auf Halbmast geflaggt und Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Neben Stocker reisten auch die Innen- und Bildungsminister der Wiener Regierung nach Graz.
Schüler und Lehrer der Schule stehen noch immer unter Schock. Der Schulbetrieb wurde zunächst bis auf weiteres eingestellt. Die Anteilnahme für die Getöteten und Verletzten war groß und ging weit über die Landeshauptstadt der Steiermark hinaus.
Während nach wie vor zahlreiche Fragen um den Amoklauf ungeklärt sind, steht außer Frage, dass es sich um den schlimmsten Mordanschlag in Österreich seit Jahrzehnten handelt. In den vergangenen Tagen gab die Polizei einiges zum bisher bekannten Tathergang sowie zum Täter selbst bekannt.
Offensichtlich hatte der 21-Jährige, der etwas außerhalb von Graz gemeinsam mit seiner Mutter wohnte, die Tat bis ins Detail geplant. Den Ermittlungen zufolge war er bei der Tat mit einer abgesägten Schrotflinte, einer halbautomatischen Glock-Pistole sowie einem Jagdmesser bewaffnet. In seiner Wohnung wurde bei einer anschließenden Hausdurchsuchung eine Rohrbombe sichergestellt. Diese war jedoch nicht funktionstüchtig. Die Ermittler gehen davon aus, dass ihm dafür die notwendige Zeit oder das Wissen fehlte.
Offenbar wahllos schoss Arthur A. auf Schüler und Lehrer. Als er nach seinem Selbstmord auf der Schultoilette aufgefunden wurde, trug er ein Headset. Ob er vor oder während der Tat mit jemandem in Kontakt stand, ist noch nicht abschließend geklärt.
Die Tat war über einen längeren Zeitraum vorbereitet worden. Der Attentäter absolvierte seit März Schießübungen und beschaffte sich im April und Mai auf legalem Weg Waffen.
Auch fast eine Woche nach der schrecklichen Tat ist das Motiv noch unklar. Vieles deutet darauf hin, dass der Täter psychische Probleme hatte. 2021 wurde er als psychisch untauglich für den Wehrdienst befunden. Offenbar war er aber nie in psychiatrischer oder psychologischer Behandlung.
Er wird als unauffälliger Einzelgänger beschrieben, der extrem zurückgezogen lebte. Fotos und frühere Postings in Sozialen Medien deuteten darauf hin, dass sich der 21-jährige Täter das Schulmassaker an der Columbine Highschool im US-Bundesstaat Colorado im April 1999 zum Vorbild genommen haben könnte.
Stocker und seine Regierungskoalition aus konservativer Volkspartei, Sozialdemokraten (SPÖ) und den rechts-liberalen Neos kündigte als Konsequenz aus der Tat an, das eher liberale Waffenrecht in Österreich verschärfen zu wollen. So sind ein höheres Mindestalter und ein Eignungstest für den Waffenbesitz in Diskussion.
Darüber hinaus soll die psychologische Betreuung an den österreichischen Schulen massiv aufgestockt werden. Wie dies mit dem von der Regierung beschlossenen, umfassenden Sparpaket, das auch drastische Einschnitte im Bildungswesen beinhaltet, vereinbart werden soll, erklärten die Regierungsvertreter nicht.
Vielmehr werden nun Stimmen aus allen Parteien laut, die den Amoklauf instrumentalisieren wollen, um Soziale Medien zu zensieren und die Befugnisse von Polizei und anderen Sicherheitsbehörden auszuweiten. Geplant sind beispielsweise das verstärkte Ausspähen privater Computer mittels Trojaner oder elektronische Fußfesseln für Gefährder.
Aus den bisherigen Erkenntnissen zu den Motiven des Täters lässt sich die Tat ebenso wenig erklären, wie die geplanten Maßnahmen dazu geeignet sind, ähnliche Gewalttaten zu verhindern.
Die wahrscheinlichen psychischen Probleme erklären diesen brutalen Gewaltausbruch nur oberflächlich. Taten wie diese, die immer häufiger vorkommen, liegen tiefere gesellschaftliche Ursachen zugrunde, die von Politik und Medien bewusst ausgeblendet werden.
In den USA gab es seit Anfang 2013 6719 Massenmorde, bei denen jeweils mindestens vier Personen erschossen wurden. Aber auch überall in Europa kam es in den letzten Jahren zu Amokläufen mit Dutzenden Toten. Auch Österreich blieb davon nicht verschont.
1997 und 2018 kam es in Niederösterreich zu Gewaltausbrüchen in Schulen. In wenigen Tagen jährt sich die sogenannte Amokfahrt von Graz zum zehnten Mal. Am 20. Juni 2015 fuhr ein 26-Jähriger mit einem SUV durch die Innenstadt, tötete dabei drei Menschen und verletzte 36 weitere. Der Täter wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und beging 2023 in Haft Selbstmord.
Hintergrund ist die enorme Brutalisierung der Gesellschaft. Während die Landes- und Bundespolitiker die Opfer des Amoklaufs beklagen, stehen sie uneingeschränkt hinter dem Krieg der Nato gegen Russland, der zu einem Atomkrieg eskalieren könnte, und dem Genozid Israels an der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen.
Die seit diesem Jahr in Wien amtierende Koalition der konservativen ÖVP, der sozialdemokratischen SPÖ und der liberalen Neos fordert nicht nur ein härteres Vorgehen gegen Russland. Mit den Neos tritt erstmalig eine Regierungspartei offen die Aufhebung der Neutralität Österreichs und den Einsatz von österreichischen Soldaten in Kampfeinsätzen ein. Während die Koalition harte Sparmaßnahmen in nahezu allen Bereichen beschlossen hat, wird die Aufrüstung des Bundesheeres mit 16,6 Milliarden Euro bis 2032 intensiviert. Es handelt sich um den größten Investitionsplan in der Geschichte des Bundesheers.
Noch deutlicher zeigt sich die Verachtung menschlichen Lebens in der Haltung der Regierung zum Völkermord in Gaza und dem Angriff Israels auf den Iran.
Nachdem Altbundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) jüngst die Regierung zu einer kritischen Stellungnahme Österreichs gegen Israels Vorgehen im Gazastreifen aufrief, reagierten Regierungschef Stocker, Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos) darauf ablehnend und erklärten, dass Israel jedes Recht habe, auf den Aufstand der Hamas von 2023 „militärisch zu reagieren“. Auch nachdem Israel nun unprovoziert den Iran angreift, fordert die Regierung lediglich „Besonnenheit“ von beiden Seiten.
Die rechte Politik aller etablierten Parteien hat auch dazu geführt, dass die Steiermark seit Ende letzten Jahres von einer Landesregierung unter Führung der rechtsextremen FPÖ regiert wird. Diese hat unter Landeshauptmann Mario Kunasek bereits weitreichende Angriffe auf Migranten und sozial schwache Schichten initiiert. Die Partei pflegt auch enge Verbindungen zur gewaltbereiten Neo-Nazi-Szene in Österreich und Europa.