Am Donnerstagnachmittag stürzte eine Boeing 787-8 Dreamliner der Fluggesellschaft Air India ab und riss dabei 241 Passagiere und Besatzungsmitglieder in den Tod. Das Flugzeug befand sich auf dem Weg von Ahmedabad, der Hauptstadt des westindischen Bundesstaats Gujarat, nach London. Wie Reuters berichtet, wurden außerdem 24 weitere Menschen am Boden getötet, als das Flugzeug kurz nach dem Start in einem dicht besiedelten Gebiet abstürzte. Direkt getroffen wurde ein Wohnheim, in dem sich Studierende der medizinischen Hochschule zum Essen eingefunden hatten.
Der einzige bekannte Überlebende aus dem Flugzeug, Ramesh Viswahkumar, konnte aus dem Flugzeug springen, da er in der Nähe des Notausgangs saß. Er befindet sich derzeit wegen eines Traumas in psychiatrischer Betreuung im Civil Hospital in Ahmedabad. Unter den Toten waren 168 indische Staatsbürger, 53 britische, sieben portugiesische und ein kanadischer Staatsangehöriger sowie der Flugkapitän, sein Copilot und zehn Angehörige des Kabinenpersonals.
Das Langstreckenflugzeug hatte mehr als 100.000 Liter Treibstoff an Bord, sodass die Trümmer beim Absturz in Flammen aufgingen und dichter schwarzer Rauch in den Himmel aufstieg. Teile des Flugzeugrumpfs waren über das schwelende Gebäude verteilt, in das die Maschine gestürzt war. Das Heck des Flugzeugs steckte im Dach des Gebäudes fest. Bild- und Videoaufnahmen zeigen, wie Opfer zu Krankenwagen getragen und abtransportiert werden. Handyvideos zeigen verkohlte Leichen, die teilweise bis zur Unkenntlichkeit verbrannt sind. Die Bilder erinnern an solche aus einem Kriegsgebiet nach einer schweren Explosion.
Der 63-jährige Nitin Joshi, der seit mehr als 50 Jahren in der Gegend lebt, schilderte gegenüber Reuters: „Wir waren zu Hause, als wir ein enorm lautes Geräusch hörten. Es war wie eine große Explosion. Dann sahen wir, dass die ganze Gegend in sehr dunklen Rauch gehüllt war.“
Die Berichte zeigten auch Familien von Opfern, die vor dem städtischen Krankenhaus von Ahmedabad ausharrten, nachdem sie DNA-Proben abgegeben hatten, um ihre Angehörigen zu identifizieren.
Während die Öffentlichkeit über die Tragödie nach wie vor aufrichtig erschüttert ist, reagierten führende Politiker, darunter Premierminister Narendra Modi und andere, mit hohlen Bekundungen von Sorge und Anteilnahme und besuchten die Absturzstelle und die Krankenhäuser. Um nicht vollkommen das Gesicht zu verlieren, kündigte die Tata Group, der Eigentümer von Air India, für die Familien jedes Absturzopfers eine Entschädigung von zehn Millionen Rupien (etwa 116.106 US-Dollar) an, versprach die Übernahme der Behandlungskosten für die Verletzten, und bot Unterstützung beim Wiederaufbau des B.J. Medical Hostel an, das beim Absturz beschädigt wurde.
Laut dem Minister für Zivilluftfahrt, Ram Mohan Naidu Kinjarapu, hat die indische Flugunfallbehörde AAIB eine Untersuchung eingeleitet. Die Behörde berichtete außerdem, dass Ermittler aus den USA und dem Vereinigten Königreich geschickt wurden, um die Untersuchung zu unterstützen.
Es handelt sich um den folgenschwersten Absturz einer Boeing seit den beiden Abstürzen in den Jahren 2018 und 2019, bei denen in beiden Fällen Flugzeuge vom Typ 737 MAX 8 betroffen waren und insgesamt 346 Passagiere und Besatzungsmitglieder ums Leben kamen. Seither gab es zur Produktion dieser Flugzeuge bei Boeing zahlreiche Untersuchungen, die zu dem Ergebnis kamen, dass die Boeing-Vorstände von den gefährlichen Mängeln der Flugzeuge wussten und dennoch deren Produktion und Auslieferung vorantrieben.
Boeing hat sich vor kurzem mit dem US-Justizministerium auf eine Vereinbarung geeinigt, laut der es keine strafrechtliche Verfolgung im Zusammenhang mit den MAX-8-Abstürzen geben wird und Boeing lediglich 1,3 Millionen Dollar für jedes Todesopfer zahlen muss. Dieses ist nur eines von vielen Beispielen für Absprachen zwischen Konzernen und dem kapitalistischen Staat, der sie schützt.
Die genaue Ursache des Absturzes in Ahmedabad ist noch unklar. In ersten Kommentaren wurden die Landeklappen, das Fahrwerk, die Triebwerke und andere Faktoren als mögliche Gründe benannt, weshalb das Flugzeug nicht den nötigen Auftrieb erzeugen konnte. Auf Videoaufnahmen und Fotos ist das Flugzeug mit nach vorne ansteigendem Neigungswinkel zu sehen – der Pilot versuchte vermutlich, die Höhe zu halten – bevor die Maschine in der Nähe des Flughafens abstürzte und in einem Feuerball explodierte.
Zu den wenigen bekannten Fakten gehört, dass die Piloten Berichten zufolge wenige Momente nach dem Start einen „Mayday“-Funkspruch abgesetzt haben, was auf einen lebensbedrohlichen Notfall hindeutet. Sie reagierten nicht mehr auf weitere Funksprüche der Flugsicherung. Am Freitag bestätigten die örtlichen Behörden, dass beide Flugschreiber des abgestürzten Flugzeugs geborgen wurden.
Ein Bericht der BBC verwies auf Überlegungen von Experten hinsichtlich der Möglichkeit eines „extrem seltenen doppelten Triebwerksausfalls“. Im Bericht hieß es weiter, dass die Frage aufgeworfen wurde, ob die Ram-Air-Turbine (RAT) des Flugzeugs – ein Notfallsystem, das bei Ausfall der Haupttriebwerke aktiviert wird – ausgefahren war. Die BBC erklärte unter Berufung auf einen langjährigen Piloten, dass ein solcher Zwischenfall auf „verunreinigten Treibstoff oder verstopfte Leitungen“ zurückgehen könnte. Weiter hieß es, Flugzeugtriebwerke erforderten ein präzises System zur Regelung der Treibstoffzufuhr und jegliche Verstopfung könnte zu Treibstoffmangel und einer Abschaltung des Triebwerks führen.
Flugsicherheitsexperten haben vor voreiligen Schlüssen gewarnt. John M. Cox, ein ehemaliger Pilot und Geschäftsführer des Beraterunternehmens Safety Operating Systems, erklärte gegenüber Business Today: „Zu diesem Zeitpunkt ist es noch viel, viel zu früh. Wir wissen noch nicht sehr viel, aber die 787 verfügt über sehr umfangreiches System zur Überwachung ihrer Flugdaten.“ Beide Flugschreiber wurden geborgen.
In der New York Times hieß es: „Flugzeuge und Luftfahrtsysteme verfügen über zahlreiche redundante [mehrfach vorhandene] Systeme, die verhindern sollen, dass ein einziges Problem zur Katastrophe führt.“ Daher sind Abstürze in der Regel das Ergebnis mehrerer Fehlfunktionen, wodurch zumeist eine langwierige Untersuchung der Ursachen erforderlich ist.
Schon jetzt gibt es jedoch keinen Zweifel, dass Air India, die Modi-Regierung und Boeing versuchen werden, die Verantwortung für die Tragödie von sich zu weisen.
Air India, die größte staatliche Fluggesellschaft des Landes hatte mit einer enormen Schuldenlast von 580 Mrd. Rupien (acht Milliarden Dollar) zu kämpfen, als sie noch in Staatsbesitz war. Die Modi-Regierung hat die Fluggesellschaft im Jahr 2022 als Teil ihrer Agenda, praktisch sämtliche indischen Staatsunternehmen zu privatisieren, für einen Spottpreis an die Tata Group verkauft, Indiens größten Mischkonzern. Letztes Jahr brachte Tata die Fusion von Air India mit Vistara, seinem Joint-Venture-Unternehmen mit Singapore Airlines, zum Abschluss.
Laut Associated Press hat es bei der Fluggesellschaft in der Zeit, als sie sich noch im Staatsbesitz befand, zwei tödliche Abstürze gegeben. Im Jahr 2010 rollte die Maschine eines Air-India-Flugs aus Dubai bei der Ankunft im südindischen Mangalore über das Ende der Landebahn hinaus und stürzte über eine Klippe, wobei 158 der 166 Insassen getötet wurden. Im Jahr 2020 kam ein Flugzeug der Air India Express, der Billigflugtochter von Air India, bei heftigen Regenfällen am Calicut International Airport in Südindien von der Landebahn ab und brach auseinander; dabei wurden 21 Personen getötet und mehr als 120 verletzt. Bei beiden Vorfällen waren ältere Flugzeuge vom Typ Boeing 737-800 betroffen.
Der tragische Absturz vom Donnerstag hat vor allem angesichts der Tatsache, dass es in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Vorfälle mit Boeing-Flugzeugen gegeben hat, erhebliche Bedenken hinsichtlich der Einhaltung von Sicherheitsvorschriften und der Fertigungsqualität aufgeworfen. Dazu gehört der plötzliche Sturzflug einer Boeing 787-9 Dreamliner der LATAM Airlines auf einem Flug von Australien nach Neuseeland im März letzten Jahres, wobei 50 Menschen verletzt wurden.
Der jüngste Absturz ist zwar der erste tödliche bei einer Boeing 787, doch eine Prüfung des Boeing-Werks in der Stadt Renton im US-Bundesstaat Washington und seines wichtigsten Zulieferunternehmens Spirit AeroSystems durch die Federal Aviation Administration (FAA) brachte „Dutzende von Problemen“ und „zahlreiche Fälle“ zutage, in denen die Vorgaben der Qualitätskontrolle nicht eingehalten wurden. Boeing fiel bei 33 von 89 Produkttests mit 97 mutmaßlichen Verstößen durch, während Spirit AeroSystems bei sieben von 13 Prüfungen durchfiel. Unter anderem hatten Mechaniker „eine Hotel-Schlüsselkarte benutzt, um eine Türdichtung zu prüfen“, sowie „Spülseife als Schmiermittel für ein Türdichtung“.
Bei den meisten Fehlern ging es darum, dass „genehmigte Fertigungsprozesse, -verfahren oder -anweisungen“ nicht eingehalten wurden, sowie um Probleme bei der Dokumentation der Qualitätskontrolle. Diese Probleme wurden von der FAA als Mängel bei der „Betriebshygiene“ und der Werkzeugverwaltung bezeichnet.
Die Untersuchungsergebnisse der FAA unterstreichen die Warnungen des ehemaligen Qualitätsmanagers John Barnett vor „katastrophalen“ Sicherheitsmängeln und einer „Kultur der Vertuschung“. Boeing seien „Profite wichtiger als Sicherheit“. Barnett, der von 1985 bis 2017 bei Boeing arbeitete, hatte davon berichtet, dass er Metallsplitter gefunden habe, die die Kabel der Flugsteuerung beschädigen könnten, und bei 25 Prozent der 787 Dreamliner die Notfall-Sauerstoffsysteme nicht ordnungsgemäß funktionierten. Er erklärte außerdem, der Vorstand habe die Beschäftigten unter Druck gesetzt, „Mängel nicht zu dokumentieren“ und fehlerhaftes Material zu verbauen.
Barnett ist einer der beiden Whistleblower bei Boeing, die letztes Jahr entweder vor oder im Verlauf ihrer Aussagen gegen den Rüstungskonzern tot aufgefunden wurden.
Bei seinen Bemühungen, Boeing zu zusätzlichen Investitionen zu motivieren, hat Modi den Luftfahrtkonzern wiederholt gelobt. Der Senior Vice President von Boeing, Brendan Nelson, erklärte am 18. März während eines Besuchs in Indien gegenüber der Times of India, die jüngsten Reformen hätten das Land zu einem äußerst „attraktiven Ort“ für Unternehmen wie Boeing gemacht. Er verkündete Pläne, die Aktivitäten des Unternehmens in Indien „beträchtlich auszuweiten“. Dazu gehöre auch eine Ausweitung seiner bisherigen Einkäufe im Wert von 100 Milliarden Rupien (1,3 Milliarden US-Dollar) bei 320 Zulieferern. Gleichzeitig rechnet Boeing damit, den indischen Fluggesellschaften in den nächsten zwei Jahren zwei Flugzeuge pro Monat zu liefern.
Unabhängig davon, was als offizielle Ursache des tödlichen Absturzes in Ahmedabad festgestellt wird, steht bereits fest, dass es der Modi-Regierung und Boeing mehr um den Schutz wirtschaftlicher Interessen als um die Sicherheit der Passagiere geht. Dieser jüngste Absturz verdeutlicht einmal mehr, dass – im Rahmen der allgemeineren sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft – eine komplette Umstrukturierung der Luftfahrtbranche notwendig ist, damit Menschenleben Vorrang haben, nicht die Profitinteressen der Reichen.