John McDonnell hat im Guardian einen Aufruf an die Mitglieder der Labour Party veröffentlicht, die „Kontrolle über die Partei zurückzugewinnen“.
Der wütende, energische und drängende Aufruf des derzeit aus der Parlamentsfraktion der Labour Party suspendierten Abgeordneten trägt den Titel „Starmer und Konsorten zerstören das Vermächtnis von Labour. Wir müssen die Kontrolle über unsere Partei zurückgewinnen –bevor es zu spät ist.“ Damit soll jedoch der politisch verkommene Charakter von McDonnells Erklärung verschleiert werden.
Der Aufruf stammt von einem Mann, der zusammen mit seinem langjährigen Verbündeten Jeremy Corbyn maßgeblich dazu beigetragen hat, Keir Starmer an die Macht zu bringen. Heute, Jahre später, stellt er ihn als jemand dar, der Labour in einem Maße „zerstört“ hat, dass in der „heutigen Regierung die Partei, der ich als junger Mann beigetreten bin, nicht wiederzuerkennen ist. Wenn wir nicht jetzt handeln, könnte sie für immer verloren sein.“
McDonnell verweist auf seine 50-jährige Mitgliedschaft in der Labour Party, der er um 1975 beigetreten ist. Er war „stolz darauf, Teil einer Bewegung zu sein, die von den höchsten Idealen motiviert ist... [und] einer Gruppe von Gleichgesinnten beizutreten, die die Welt zum Besseren verändern wollte [und die] auf der richtigen Seite der Geschichte stand“.
Von da an hat McDonnell „[sein] Leben dem Ziel gewidmet, die Wahl von Labour-Regierungen sicherzustellen, die unsere Gesellschaft umgestalten würden“. Selbst während „der schlimmsten Zeit der Thatcher-Periode und besonders in den harten Jahren des Sparkurses der Tory-Regierung brannte in mir noch immer das Licht der Hoffnung, dass Labour schließlich an die Macht zurückkehren würde und wir dann auf den gerechten Pfad des sozialen Fortschritts für alle zurückkehren würden“.
Drei Jahrzehnte später „brannte“ für McDonnell „noch immer das Licht der Hoffnung“, als Keir Starmer zum Parteichef gewählt wurde, da er „auf dem politischen Programm stand, das Jeremy Corbyn und ich entwickelt hatten“. Doch dann „ließ er prompt fast alle seine politischen Versprechen fallen“.
Dennoch tröstete sich McDonnell damit, dass eine „unaufrichtige“ Starmer-Regierung einen „zaghaften Schritt nach vorne machen würde“, bevor „die verzweifelte Natur des Tory-Erbes ihn zum Kurswechsel zwingen würde“, indem sie das „Argument für eine alternative Strategie“ überwältigend machte.
Dann würde McDonnell antreten, um die Partei als Teil der „breiten Kirche der linken und progressiven Kräfte in der Bewegung“ zu retten.
Stattdessen trieb Starmer „ein Messer in das Herz von allem, wofür Labour meiner Meinung nach steht“, u.a. durch Angriffe auf Sozialleistungen. Das führte dazu, dass McDonnell und sechs weiteren Abgeordneten der Fraktionsvorsitz entzogen wurde, weil sie für die Abschaffung der von den Tories eingeführten Begrenzung des Kindergelds auf zwei Kinder gestimmt hatten.
Labours Rechtsruck, wie ihn McDonnell selektiv darstellt, „hat dem spaltenden und zerstörerischen Opportunismus“ von Nigel Farage und Reform UK „Tür und Tor geöffnet“. Daher sei es endlich an der Zeit, dass „Parteimitglieder, die parteinahen Gewerkschaften und die Abgeordneten aufstehen und sich durchsetzen“, da „wir sonst nicht nur eine Regierung, sondern auch eine Partei verlieren könnten“.
Ein Leben in einer Labour Party auf Rechtskurs
McDonnell versucht, seine Leser mit einer geschönten Darstellung der tatsächlichen Geschichte der Labour Party und seiner eigenen Rolle in ihr zu täuschen. Er trat der Partei mit Mitte 20 bei. Danach, oder kurze Zeit später, wurde er Anhänger der pseudolinken Militant Tendency, die in den 1980ern beträchtlichen Zulauf erhalten sollte, weil sie sich als sozialistische und sogar trotzkistische Opposition zur rechten Führung der Partei inszenierte. Sie forderte öffentlich die Verstaatlichung der wichtigsten Monopole und die Umwandlung der Labour Party durch militanten gewerkschaftlichen Druck sowie eine Übernahme durch die Parteilinke unter Führung ihres „marxistischen Flügels“.
Als junger Mann erlebte McDonnell, wie die Labour-Regierung von 1974 bis 1979 mit ihren Sparmaßnahmen gegen die Arbeiterklasse den Weg für die Machtübernahme von Margaret Thatcher ebnete, wie der kurze Aufstieg der „Labour-Linken“ unter Tony Benn in den 1980ern mit einem politischen Fiasko endete. Die Kombination aus der Unterstützung des Parteichefs Michael Foot für den Falkland-/Malwinen-Krieg und der Abspaltung des rechten Flügels, um die Social Democratic Party zu gründen, hielt Thatcher an der Macht. Er erlebte, wie Labour unter Neil Kinnock und dem Trades Union Congress Thatcher ermöglichte, den Bergarbeiterstreik von 1984/85 zu zerschlagen, und wie der Traum der Militant Tendency von einer Umgestaltung der Labour Party in einer Hexenjagd und deren Ausschluss endete.
McDonnell surfte auf dieser politischen Welle als Führer der stets loyalen Labour-„Linken“. Nachdem er bereits stillschweigend mit der Militant Tendency gebrochen hatte, erlebte er, wie Tony Blair 1995 Klausel IV des Labour-Parteiprogramms abschaffte und damit formell das Ziel des parlamentarischen Wegs zum Sozialismus aufgab. Danach wurde er 1997 Abgeordneter für Hayes und Harlington als Teil der New-Labour-Regierung, zuerst unter Blair, dann unter Gordon Brown. Er erlebte auch, wie Blair im Jahr 2003 zum meistgehassten Mann Großbritanniens wurde, weil er gemeinsam mit George W. Bush zum Mitverursacher des völkerrechtswidrigen Irakkriegs wurde.
Das ist die Partei, die McDonnell als „Gruppe von Gleichgesinnten“ bezeichnet, die „die die Welt zum Besseren verändern wollten“.
Im Jahr 2007 kandidierte McDonnell als Hinterbänkler für den Parteivorsitz, erhielt jedoch nicht genug Nominierungen und räumte seinen Platz im Jahr 2010 für die Abgeordnete Diane Abbott, die wie er Mitglied der Socialist Campaign Group war. Im Jahr 2015 verzichtete er auf eine Kandidatur, da er eine linke Herausforderung für aussichtlos hielt, sodass Jeremy Corbyn aufgrund des weit verbreiteten Hasses auf die rechten Blairisten nach drei Jahrzehnten des politischen Verrats Labour-Parteichef wurde.
„Jeremy Corbyn und ich sind die Stabilisatoren des Kapitalismus“
Corbyn, McDonnell, Abbott und Konsorten hatten endlich die Kontrolle über die Partei erlangt und konnten sie jetzt angeblich in ein Instrument zur Verwirklichung ihrer sozialistischen Bestrebungen verwandeln. Das behaupteten die britischen pseudolinken Gruppen wie die rivalisierenden Erben der Militant Tendency, die Socialist Party und Socialist Appeal (heute Revolutionary Communist Party).
Im Gegensatz dazu vertrat die Socialist Equality Party in ihrer ersten Erklärung nach Corbyns Wahlsieg zum Parteichef im Jahr 2015 eine historisch begründete Position und erklärt:
Diese Partei gleicht in ihrer Politik, ihrer Organisation und der sozialen Zusammensetzung ihres Apparats den Tories, nur im Namen unterscheidet sie sich. Niemand kann ernsthaft glauben, man könne Labour in ein Kampfinstrument der Arbeiterklasse verwandeln. Die Geschichte der britischen Labour Party begann nicht mit Blair. Sie ist seit mehr als einem Jahrhundert eine bürgerliche Partei und erwiesenermaßen ein Instrument des britischen Imperialismus und seines Staatsapparats. Ob unter Clement Attlee, James Callaghan oder Jeremy Corbyn: ihr wesentlicher Charakter hat sich nicht geändert. [Corbyns Wahl zum Vorsitzenden der britischen Labour Party wirft politische Fragen auf, 15. September 2015]
Die SEP wies die Erklärung zurück, Labours Rechtsruck gehe nur auf ein paar schlechte Führungspersönlichkeiten zurück und könnte durch deren Ablösung korrigiert werden. Vielmehr haben tiefgreifende Veränderungen im Zusammenhang mit der transnationalen Produktion und der globalen Integration des Finanz- und Produktionssektors die Lebensfähigkeit der alten Arbeiterorganisationen, die in das Nationalstaatensystem eingebettet sind und ein nationalreformistisches Programm vertreten, dramatisch geschwächt.
In der UdSSR entschied sich die stalinistische Bürokratie angesichts des Scheiterns der autarken Wirtschaftspolitik, die sie statt des Sozialismus verfolgte, im Jahr 1991 für die Wiedereinführung des Kapitalismus, die konterrevolutionäre Auflösung der Sowjetunion und ihre Wiedereingliederung in die Strukturen des Weltkapitalismus. Auch die Führungen der sozialdemokratischen Parteien in ganz Europa gaben ihre alten reformistischen Programme auf und bekannten sich, wie Blair, offen zum freien Markt.
Nur die Annahme einer revolutionären antikapitalistischen, sozialistischen und internationalistischen Perspektive bot der Arbeiterklasse einen Weg nach vorn.
Corbyns Führung der Labour Party hat das bestätigt. Am außergewöhnlichsten, aber eindeutig politisch notwendig in McDonnells verspäteter Abrechnung mit Starmer ist, dass er nicht erwähnt, dass Corbyn und er selbst als Schattenkanzler die Partei von 2015 bis 2020 fünf Jahre lang kontrolliert haben. Zudem hatten sie die Unterstützung von Hunderttausenden, die in die Partei strömten, um den Versuch der Parteirechten abzuwehren, Corbyn abzusetzen.
Statt gegen die Parteirechten zu kämpfen und sie auszuschließen, versprach Corbyn jedoch, Labour als „breite Kirche“ zu erhalten. Er und seine Unterstützer in den Gewerkschaften hielten ihre Anhänger im Zaum, sogar als die Rechten sie mit der Lüge verfolgten, ihr Widerstand gegen den Zionismus und Israels Unterdrückung der Palästinenser sei eine neue Form von „linkem Antisemitismus“.
Corbyn gab eine Position nach der anderen auf, erklärte seine Unterstützung für die Nato und das Trident-Atomwaffenprogramm und wies, gemeinsam mit McDonnell, die Labour-geführten Kommunalverwaltungen an, die Kürzungen der Tories umzusetzen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Der selbst ernannte „marxistische Kanzler“ war damit beschäftigt, sich die Unterstützung der City of London und der britischen Banken und Vorstandsetagen zu sichern. Bei einem Treffen der People's Assembly im Oktober 2017 erklärte er: „Ich habe mich in den letzten zwei Jahren mit Vermögensverwaltern in der City of London zusammengesetzt... Sie kommen zu uns, um sich von uns Sicherheit zu holen, gegen eine Regierung, die auseinanderfällt. Deshalb sind ich und Jeremy Corbyn die Stabilisatoren des Kapitalismus.“
Dass Corbyn die Parlamentswahl 2019 und kurze Zeit später, im April 2020, den Parteivorsitz verlor, ging nicht auf die völlig vorhersehbare Sabotage des rechten Flügels oder die Feindschaft der Medien zurück, sondern ist ihrem eigenen Verrat zu verdanken.
McDonnell verbreitet weiterhin das Märchen einer „linken Transformation“
McDonnell schreibt, er sei relativ zuversichtlich gewesen, als Starmer Corbyn ablöste, weil er die im Wahlprogramm für die Parlamentswahlen 2019 enthaltene Politik formell unterstützt habe. Allerdings handelte es sich dabei um ein Konzept zur Rettung des Kapitalismus, das McDonnell dem Großkapital anpries. Es enthielt nur einen einzigen Verweis auf den Sozialismus und versprach die weitere Begrenzung der Körperschaftssteuer auf 26 Prozent – einer der europaweit niedrigsten Sätze – und eine Verteidigungs- und Sicherheitsstrategie, die „die Erneuerung der nuklearen Abschreckung durch Trident-Raketen“ beinhaltet.
Vor allem aber war sich McDonnell vollauf bewusst, dass Starmer vom Staat sorgfältig geprüft worden war. Er war früher Generalstaatsanwalt und hat nur sechs Monate nach seiner Wahl zum Parteichef Corbyn aus der Parlamentsfraktion geworfen.
Auf dem Labour-Parteitag 2023, der die Partei auf die Parlamentswahlen vorbereiten sollte, prahlte Starmer damit, dass die Partei unter seiner Führung „der Nato zur Seite gestanden hat – eine historische Leistung für diese Partei – der Wirtschaft die Hand gereicht hat, Antisemitismus an der Wurzel ausgerissen und die Ukraine unterstützt hat. Das Land zuerst, die Partei an zweiter Stelle.“
Als Reaktion bereitete sich McDonnell darauf vor, erneut für die Labour-Partei zu kandidieren, obwohl sich Millionen von Menschen angewidert von Starmers Partei abwandten, weil sie den Völkermord in Gaza unterstützte. Ein wichtiges Element, das seine Loyalität sicherte, war seine begeisterte Unterstützung für Labours Verpflichtung, einen Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine zu führen.
Heute, ein halbes Jahrhundert nach dem Beginn seiner politischen Karriere und nachdem er und Corbyn die Perspektive einer „linken Umgestaltung“ ausprobiert und ihr Scheitern erlebt haben, präsentiert McDonnell die gleiche abgehalfterte Schimäre mit dem einzigen Ziel, den politischen Bruch mit Labour zu verhindern, obwohl dieser bereits im Gange ist.
Gleichzeitig wird Corbyn dies als Beweis dafür anführen, dass noch immer um die Seele von Labour gekämpft wird. Dies wiederum wird er nutzen, um aus seiner eigenen Position des erzwungenen Exils heraus die Forderungen nach einer neuen und wirklich sozialistischen, Partei, die es mit der Starmer-Regierung aufnehmen soll, im Zaum zu halten.
Um einen solchen politischen Bruch vorzubereiten, muss eine Bilanz der Erfahrungen mit Corbyn und McDonnell gezogen werden und man muss zu dem notwendigen Schluss gelangen, dass man keinem von beiden zutrauen kann, für die Arbeiterklasse zu kämpfen.
Es muss eine neue Partei aufgebaut werden, die die nationalreformistischen Beruhigungspillen zurückweist, welche die Labour-„Linke“ propagiert, und die revolutionäre sozialistische und internationalistische Perspektive vertritt, die notwendig ist, um Starmers autoritären Kurs von Austerität, Angriffen auf Migranten und Unterstützung für Völkermord, Militarismus und Krieg zu Fall zu bringen.