In Polen fand am Mittwoch die mit Spannung erwartete Abstimmung über den amtierenden Regierungschef Donald Tusk statt. Nach der Niederlage seines Kandidaten für das Präsidentenamt hatte Tusk die Vertrauensfrage im Sejm, dem polnischen Parlament gestellt.
Trotz aller möglichen Spekulationen und Kritik innerhalb des Regierungslagers wurde ein Erfolg für Tusk erwartet, und so kam es auch. Mit 243 Stimmen bekam er sogar eine Stimme mehr, als die Regierungsparteien gemeinsam haben.
Bevor es jedoch zur Abstimmung kam, nutzten Opposition wie Regierung das Parlament als Bühne.
Die oppositionelle, rechtsnationalistische PiS-Partei, die mit Karol Nawrocki nach Andrzej Duda auch den neuen Präsidenten stellt, blieb während der Rede von Tusk dem Sitzungssaal fern. Dann nutzte sie ausgiebig das Recht, dem Regierungschef Fragen zu stellen. An die 270 der 460 Parlamentsabgeordneten machten davon Gebrauch.
Die eigentlich für 12 Uhr vorgesehene Abstimmung verschob sich mehrfach und fand schließlich erst nach 16 Uhr statt. Auch bei der Abstimmung blieb PiS-Chef Jarosław Kaczyński zusammen mit sechs weiteren Abgeordneten der Sitzung fern.
Tusk wiederum nutze seine über einstündige Rede, um die Erfolge seiner rechten Agenda zu preisen und die PiS von rechts anzugreifen. Ein kritisches Wort zu den sozialen Problemen im Land suchte man in seiner Rede vergeblich. Hauptmakel sei, dass die Erfolge nicht gut kommuniziert würden, so Tusk. Um das zu beheben, werde das Amt eines Regierungssprechers eingeführt. Ab Juli kämen dann „neue Gesichter“ in die Regierung.
Tusk erklärte zu Beginn seiner Rede, dass der Sieg von Nawrocki zwar „kein Erdbeben“ sei, dass aber „zweieinhalb Jahre sehr harter und ernsthafter Arbeit“ auf seine Regierung warteten.
Tusks Hauptthema war „Sicherheit“ – also seine Kriegspolitik und seine Angriffe auf Migranten. So brüstete er sich damit, dass die Verteidigungsausgaben im ersten Jahr seiner Regierung im Vergleich zur PiS-Vorgängerin um 67 Prozent gestiegen seien und nun bei 5 Prozent des BIP lägen: „Dank unserer Entscheidungen fördern wir nicht nur polnische Investitionen und polnische Werke, sondern retten auch polnische Unternehmen. Wir werden Polen innerhalb von drei Jahren bei den wichtigsten Munitionsarten autark machen“, lobte Tusk sein Rüstungsprogramm.
Auch beim Thema Migration ist er stolz darauf, die PiS rechts überholt zu haben. So hat er in seiner Regierungszeit die massiven Grenzanlagen zu Belarus ausgebaut und das Recht auf Asyl nicht nur de facto, sondern auch de jure abgeschafft. „Wir verhindern in 98 Prozent der Fälle den Übertritt über diese Sperranlage. Zu Ihrer Zeit waren es nur 30 Prozent,“ warf er der PiS vor.
Der Angriff auf Flüchtlinge und Migranten soll weiter ausgedehnt werden. So verkündete Tusk, dass „heute in den Ländern, die unserer Ansicht nach das höchste Risiko für illegale Migration aufweisen, eine Abschreckungskampagne begonnen“ habe. Werbeanzeigen im Internet und anderorts sollen die Menschen davon abhalten, überhaupt erst die Reise nach Europa anzutreten.
Er brüstete sich auch damit, die Auszahlungsregeln für das Kindergeld 800+ verschärft zu haben. Die PiS habe die Leistung verantwortungslos für jedes Kind in Polen eingeführt. Er habe es auf diejenigen beschränkt, die ihren ständigen Wohnsitz und ihre berufliche Tätigkeit in Polen nachweisen können, so Tusk.
Hetze gegen ukrainische Flüchtlinge, die staatlichen Leistungen wie Kindergeld beziehen, ist seit Monaten ein Dauerthema in Polen. Tusk kündigte zudem an, dass voraussichtlich noch in diesem Sommer Teilkontrollen an der Grenze zu Deutschland eingeführt werden.
Was die wirtschaftliche und soziale Lage angeht, zeichnete Tusk ein rosiges Bild. „Wir haben das höchste Wachstum in Europa, die niedrigste Arbeitslosenquote, ein steigendes Investitionsniveau und einen Anstieg der Reallöhne. Das ist der Aufbau eines ehrlichen, kompetenten Staates,“ so Tusk.
Damit bot er der rechtsextremen PiS eine Steilvorlage. Sie verwies immer wieder auf die Haushaltskrise. Mit dem von der PiS begonnen und von Tusk ausgeweiteten Aufrüstungsprogramm, das allein 1000 moderne K2-Panzer umfasst, stellen selbst internationale Kommentatoren immer wieder die Frage: „Wie will Polen das bezahlen?“
Laut offiziellen Zahlen ist die Staatsverschuldung von 49,7 Prozent 2023 auf rund 60 Prozent gestiegen und verstößt damit gegen die verfassungsgemäße Schuldengrenze. 2024 belief sich das Haushaltsdefizit auf 6,6 Prozent des BIP, nach Rumänien das zweithöchste in Europa. Ein Bericht der EU Kommission warnte vor einer „Explosion“ der Staatsverschuldung auf fast 80 Prozent bis 2033 und verwies auf die enorm hohen Kosten für den Schuldendienst, die Polen im letzten Jahr mit Zinszahlungen von 80,2 Milliarden Złoty hatte.
Da Tusk sich über die Haushaltskrise ausschweigt, kann sich die PiS als soziale Opposition aufspielen. Mitte dieses Jahres werden fast 80 Prozent der Mittel des Nationalen Gesundheitsfonds, der die Krankenversicherungsbeiträge verwaltet, aufgebraucht sein.
„Welche Belastungen kommen auf die Patienten zu durch die von der Regierung angekündigte Gesundheitsreform, und führt sie zur Privatisierung des Gesundheitswesens?“, fragte beispielsweise die ehemalige PiS-Gesundheitsministerin Katarzyna Sójka.
Die Kritik der PiS an den Zuständen im Gesundheitswesen ist dreist, hat sie in ihrer Regierungszeit doch wiederholt Massenproteste der Beschäftigten gemeinsam mit den Gewerkschaften abgewürgt und in der Corona-Pandemie eine tödliche Durchseuchungspolitik verfolgt.
Die katastrophale Lage im polnischen Gesundheitswesen wird auch durch eine aktuelle Studie des Verbands polnischer Landkreise (ZPP) untermauert. Laut der Analyse der Daten von 219 Kreiskrankenhäusern ist jedes vierte Krankenhaus verschuldet. 82 Prozent der Bezirkskrankenhäuser verzeichneten Verluste in ihrem Kerngeschäft, d. h. Behandlungen sind nicht kostendeckend finanziert.
Auch Marcelina Zawisza von der pseudolinken Razem kritisierte Tusk für die Zustände im Gesundheitswesen. Die Menschen schrieben dramatische Nachrichten, wie schwer es sei, einen Arzttermin zu bekommen, die Wartezeiten in den Krankenhäusern würden immer länger, erklärte sie, und Tusk rede lediglich darüber, dass die PiS böse sei.
Doch den Zusammenhang mit der Kriegspolitik verschleiert auch Razem. Auch sie unterstützt die Ukraine im Krieg gegen Russland, hat wie alle Parteien der Aufrüstung zugestimmt und Tusk zum Regierungschef gewählt, obwohl sie nicht Teil der Regierung ist.
Dabei haben die rund eine Millionen Stimmen für den Razem-Kandidaten Adrian Zandberg in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl gezeigt, welcher Bedarf nach einer linken Opposition gerade unter jungen Polen besteht. Doch statt dieser Stimmung im Sejm Ausdruck zu verleihen, polemisierte Zandberg, dass Tusk nach wie vor keine „professionelle Staatsverwaltung“ etabliert habe und im Staatsapparat und staatlichen Betrieben weiterhin parteipolitische Vetternwirtschaft existiere. Als wäre es für Menschen, die sich keine Mietwohnung leisten können oder monatelang auf einen Arzttermin warten, entscheidend, welcher Bürokrat an der Spitze eines Staatskonzerns sitzt.