Gestern begannen die vorgezogenen Betriebsratswahlen im größten Thyssenkrupp-Stahlwerk im Duisburger Norden mit 13.000 Beschäftigten. Die IG-Metall-Fraktion, die bisher 28 von 39 Betriebsräten stellt, hatte im April die Neuwahlen initiiert, die noch bis zum 20. Juni dauern.
Um es von Anfang an klarzustellen: Die Wahlen dienen einzig und allein der Durchsetzung des Arbeitsplatzmassakers, das der Konzern angekündigt hat.
Am Mittwoch letzter Woche begannen die Treffen von Management und IG Metall, um den Abbau von 11.000 der 27.000 Arbeitsplätze in der Stahlsparte von Thyssenkrupp auszuarbeiten. Beide Seiten sitzen also aktuell zusammen und beraten über die Details des angestrebten Sozialplans mit Regelungen zu Abfindungen, Altersteilzeit und Transfergesellschaften.
Die einzige Bedingung der IG Metall ist wie in den Jahren zuvor, dass der Konzern bitte auf betriebsbedingte Kündigungen und sofortige Werksschließungen verzichten möge, um der weitverbreiteten Opposition die Spitze zu brechen.
- Es darf nicht zugelassen werden, dass die Gewerkschaftsfunktionäre den Abbau jedes vierten Arbeitsplatzes organisieren und im Auftrag der Aktionäre die Stahlindustrie – und damit einhergehend andere Industriezweige – abwickeln!
- Arbeitsplätze und Werke müssen bedingungslos verteidigt werden. Das Leben und die Interessen der Beschäftigten, also derjenigen, die seit jeher allen gesellschaftlichen Reichtum schaffen, müssen höher stehen, als die Interessen der Aktionäre, die sich diesen Reichtum aneignen.
Die vorgezogene Betriebsratswahl soll genau das verhindern. Ali Güzel, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Thyssenkrupp-Stahl und des Duisburger Werks, hat behauptet, der reguläre Termin der Wahl im Frühjahr 2026 sei „ein denkbar schlechter Zeitpunkt“. Dann „stecken wir inmitten von Umsetzungsprozessen, die unsere volle Aufmerksamkeit erfordern werden“.
Das ist eine dreiste Lüge. Die IGM-Bürokraten wie Güzel organisieren die „Umsetzungsprozesse“ jetzt. Und diese erfordern alle Aufmerksamkeit der Belegschaft. Sie sitzen mit dem Thyssenkrupp-Stahl-Personalvorstand Dirk Schulte zusammen und arbeiten den Kahlschlag aus. Schon in wenigen Wochen sollen die Details feststehen, der Aufsichtsrat soll den Sozialplan, der den Kahlschlag regelt, schon im September absegnen.
Der von der IGM berufene Arbeitsdirektor Schulte, Sohn des ehemaligen Thyssen-Stahl-Betriebsrats-Chefs und späteren DGB-Vorsitzenden Dieter Schulte, hat erklärt, die Stahlproduktion bei Thyssenkrupp sei zu teuer und deshalb gebe es keine Verhandlungen über das Ausmaß der Arbeitsplatzvernichtung: „Die Zahl 11.000 steht.“ Sprechen könne man nur über die Details der Umsetzung mithilfe eines Sozialplans.
Güzel und Co. haben dazu kein Wort verloren, denn sie stimmen damit vollkommen überein. Deshalb wollten sie die jetzige Betriebsratswahl. Der IGM-Vertrauenskörperleiter und Betriebsrat Dirk Riedel hat argumentiert, die IG Metall solle in der Betriebsratswahl „mit der Beteiligung der Basis neue Rückendeckung“ erhalten. Deshalb seien vorgezogene Neuwahlen die richtige Entscheidung. „Wir brauchen jetzt ein gestärktes Gremium für die nächsten fünf Jahre.“
Was Riedel wirklich meint ist: „Wir wollen den Abbau von 11.000 Stellen nicht unter dem Druck einer ausstehenden Betriebsratswahl durchführen. Um diesen größten Kahlschlag in der Geschichte des Werks im Duisburger Norden durchzusetzen, brauchen wir Ruhe – für die nächsten fünf Jahre.“
Jedem, der gegen den im Sommer vorgestellten Sozialplan aufbegehrt, wird Riedel das Ergebnis der Betriebsratswahl unter die Nase reiben und vom „Mandat, das die IG Metall in der Wahl erhalten hat“, fabulieren. Die Betriebsratswahl soll so alle oppositionellen Bestrebungen im Keim ersticken.
Die acht Listen, die sich aktuell gegen die offizielle IGM-Liste zur Wahl stellen, sind offensichtlich keine prinzipielle Opposition. Nur zwei der elf Betriebsratsmitglieder anderer Listen haben gegen die vorgezogene Betriebsratswahl gestimmt. Keine der acht anderen Listen hat sich die Verteidigung aller Arbeitsplätze auf die Fahne geschrieben. Ihre Forderungen gleichen sich: „Mitbestimmung auf Augenhöhe“, „Keine betriebsbedingten Kündigungen“, „Teamarbeit“, „Gemeinsam sind wir stark“, „Zukunft braucht Zusammenhalt“, „Zusammenhalt“ usw. usf. Die Listen 4 und 6 liefern sich gar eine bizarre Auseinandersetzung darüber, wer das „Original“ sei.
Die meisten Versprechen auf den Wahlplakaten beschränken sich auf die unmittelbaren betrieblichen Probleme. Mehrere oppositionelle Listen nutzen den Umstand aus, dass viele IGM-Betriebsräte sich in der Regel nur alle fünf Jahre im Rahmen des Wahlkampfs vor Ort blicken lassen. Sie versprechen daher, für die Belegschaft „immer da“, „immer erreichbar“ zu sein, alles für sie zu geben.
Niemand spricht das Offensichtliche an: Dass die Zerschlagung des Gesamtkonzerns, der Verkauf der Stahlsparte, die Schließung von Stahlwerken und die Vernichtung von jedem vierten Arbeitsplatz nur in einem prinzipiellen Kampf gegen den Apparat der IG Metall zu verhindern ist.
Ganz zu schweigen von den politischen Fragen, deren Ausdruck und Folge der drohende Kahlschlag in der Stahlindustrie ist: der eskalierende Handelskrieg, die drohende Umstellung der Stahlindustrie auf Kriegsproduktion im Dienst der Kriegspolitik der Bundesregierung. Die IGM-Bürokraten unterstützten diese Kriegspolitik. Die Kriegskredite von einer Billion Euro begrüßte der IG-Metall-Vorstand in einem Pressestatement als „gutes Signal“.
Als der damalige Kanzler Scholz auf dem so genannten Stahlgipfel Ende letzten Jahres die Stahlindustrie als „unverzichtbar“ für Deutschland bezeichnete, schwärmte Thyssenkrupp-Gesamtbetriebsratschef Tekin Nasikkol, Scholz habe „die Zeichen der Zeit erkannt“ und „konkrete Maßnahmen versprochen, um die system- und sicherheitsrelevante Stahlindustrie zu stärken“.
Die IG Metall und zahlreiche Bundespolitiker befürworten daher auch den Einstieg des Staates bei Thyssenkrupp und in die gesamte Stahlindustrie. Doch anders als es IGM- und Betriebsratsfunktionäre wie Nasikkol und Güzel darstellen, würde ein Staatseinstieg der Remilitarisierung Deutschlands dienen und nicht der Rettung der Arbeitsplätze bei TKSE.
Arbeitsplätze können nicht durch Umstellung auf Rüstungsproduktion verteidigt werden, die der Vorbereitung von Kriegen dient, die das Leben von Millionen Arbeitern und ihrer Familien bedrohen. Die Verteidigung der Arbeitsplätze ist im Gegenteil unmittelbar mit dem Kampf gegen Aufrüstung und Militarisierung verbunden.
Diese Fragen werden von keiner Liste angesprochen. Das Ergebnis ist ein Wahlkampf, der ganz auf dem untersten betrieblichen Niveau bleibt und daher der IG Metall in die Karten spielt.
Dabei wächst in der Belegschaft die Opposition. Anfang Juni hat der Stahlarbeiter Cihan Akyazi über Facebook einen „Offenen Brief an die Belegschaft von ThyssenKrupp, die Betriebsräte und die Gewerkschaftsvertreter“ geschrieben. „Mit großem Erstaunen und wachsender Sorge“ hätten „viele von uns Arbeiterinnen und Arbeiter zur Kenntnis“ genommen, „dass die Betriebsratswahlen bei ThyssenKrupp vorgezogen wurden – und das in einer Phase, in der öffentlich über eine mögliche Zerschlagung des Konzerns diskutiert wird.“
Wäre die Wahl im März 2026 regulär durchgeführt worden, hätten viele dieser Vertreter womöglich gar keine realistische Chance mehr gehabt, wiedergewählt zu werden, so der „besorgte Arbeiter“. „Wer kämpft wirklich für unsere Interessen?“ fragt er und berichtet: „Leider haben viele von uns den Eindruck, dass weder die gewählten Vertreter noch unsere Gewerkschaft mit ganzer Kraft hinter uns stehen.“ Er und seine Kolleginnen und Kollegen würden „in schwierigen Zeiten wie diesen […] keine politischen Spielchen“ erwarten, „sondern echte Solidarität“.
Er schließt mit den Worten: „Wir sagen klar: Nicht die Funktionäre sollen sich absichern – sondern die Menschen, die seit Jahrzehnten hart arbeiten und diesen Konzern überhaupt erst möglich machen.“
Doch um Arbeiterinnen und Arbeiter abzusichern, das heißt, die Arbeitsplätze und die Werke zu verteidigen, ist es notwendig, sich unabhängig vom IG-Metall-Apparat zu organisieren. Freigestellte Betriebsratsfürsten wie Güzel und seine Clique vertreten nicht die Interessen der Beschäftigten, auch nicht der vielen IGM-Mitglieder. Sie vertreten die Interessen des Konzerns und seiner Aktionäre, setzen in deren Auftrag die Kürzungen und Angriffe durch und werden dafür fürstlich entlohnt.
Von ihnen Solidarität zu fordern, ist zum Scheitern verurteilt. „Echte Solidarität“ kann nur aus der Belegschaft kommen. Um diese Solidarität zu organisieren, müssen an allen Standorten Thyssenkrupps Aktionskomitees aufgebaut werden, die alle Beschäftigten vereinen und die Spaltung nach Standorten, Konzernen und Nationen überwinden.
Wir rufen die Thyssenkrupp-Stahlarbeiter – nicht nur im Duisburger Norden – auf, am Aufbau von Aktionskomitees mitzuwirken. Brecht aus den von der IG Metall vorgegebenen engen bornierten Bahnen der betrieblichen Auseinandersetzung aus. Schaut über den eigenen Tellerrand hinaus und kontaktiert uns! Es ist jetzt die Zeit, aktiv zu werden, sonst droht die schrittweise Abwicklung der Stahlindustrie bis auf einen kleinen kriegswichtigen Rest. Schreibt eine Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +491633378340 und registriert euch gleich über das folgende Formular.