Rechtsextreme niederländische Regierung gescheitert

Geert Wilders, Parteichef der rechtsextremen Partij voor de Vrijheid (PVV), bei einer Pressekonferenz zwei Tage nach seinem Wahlerfolg bei den Parlamentswahlen, Den Haag, 24. November 2023 [AP Photo/Peter Dejong]

Der Zusammenbruch der rechtsextremen Regierungskoalition in den Niederlanden am 3. Juni markiert ein neues Stadium in der politischen Krise des niederländischen und europäischen Kapitalismus.

Nach nur elf Monaten im Amt ist Geert Wilders, der neofaschistische Führer der Partij voor de Vrijheid (PVV), mit seiner Partei aus der Regierung ausgeschieden und hat damit die Regierungskoalition, die aus vier Parteien besteht, zu Fall gebracht. Die Koalition war erst acht Monate nach der Wahl vom November 2023 gebildet worden, bei der die PVV stärkste Kraft im Parlament geworden war. Damit bricht die rechteste niederländische Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg zusammen. Neuwahlen sind für Oktober 2025 angesetzt.

Wilders, der erfahrenste und mit 27 Jahren Zugehörigkeit zum Parlament der dienstälteste Abgeordnete, spielte als führender rechtsextremer Ideologe der niederländischen Bourgeoisie eine wichtige Rolle dabei, die Politik immer weiter nach rechts zu treiben. Mehr als 20 Jahre lang hat er die Zuwanderungspolitik geprägt, den repressiven Polizei- und Überwachungsstaat immer weiter ausgebaut und Anti-Terror-Gesetze ausgeweitet.

Wilders gibt gibt damit den Ton für jede nachfolgende Regierung an, unabhängig von der formalen Zusammensetzung der Koalition. Dass er in der aktuellen Krise eine zentrale Rolle spielt, ist keine Abweichung, sondern der Höhepunkt einer anhaltenden autoritären Tendenz der niederländischen herrschenden Klasse. Das Aufleben von internationalen Klassenkonflikten verstärkt noch diesen Trend.

Laut den internationalen und niederländischen Medien ist der unmittelbare Anlass für den Zusammenbruch der Regierung die angebliche „Weigerung“ von Wilders Koalitionspartnern, seinen drakonischen „10-Punkte-Asylplan“ zu unterstützen. Seine Koalitionspartner sind: die rechte Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD), die Nieuw Sociaal Contract (NSC) und die BoerBurgerBeweging (Bauer-Bürger-Bewegung, BBB). Seinen Asylplan hat Wilders am 26. Mai in Den Haag vorgestellt.

Diese Erklärung ist jedoch eine politische Lüge. Zwar haben Wilders‘ autoritäre und fremdenfeindliche Vorschläge den formellen Zusammenbruch ausgelöst, doch bei den Meinungsverschiedenheiten innerhalb der herrschenden Elite, einschließlich der nominellen Linken, geht es nicht um die Unterdrückung von Immigranten, über die sich alle Fraktionen weitgehend einig sind. Es geht vielmehr um taktische Fragen der Form und des Timings dieser drakonischen und undemokratischen Maßnahmen.

Tatsächlich wurde bereits im Koalitionsvertrag vom Mai 2024 das Ziel festgelegt, das „strengste Zulassungsregime für Asylsuchende“ in der EU zu schaffen. Alle drei Parteien waren maßgeblich an der Verabschiedung von Gesetzen wie dem Asyl-Notstandsgesetz, durch das der Familiennachzug eingeschränkt wird, der Einführung eines zweistufigen Flüchtlingssystems und der Wiedereinführung von Grenzkontrollen beteiligt.

Die Koalitionspartner sind nicht prinzipiell gegen Wilders‘ Plan, sondern fürchten nur, dass eine aggressive Umsetzung weiteren Widerstand der Massen provozieren könnte. Der Zusammenbruch der Regierung und die damit einhergehende Rhetorik ist nicht Ausdruck von Unterschieden in politischen, sondern in strategischen Fragen: Der Konflikt geht um die Frage, wie der zutiefst unpopuläre Kurs auf imperialistischen Krieg, Austerität und staatliche Unterdrückung durchgesetzt werden kann, ohne eine breitere politische Krise zu entfachen. Diese Krise hat in der Tat als Teil einer internationalen Entwicklung bereits begonnen.

Nicolien van Vroonhoven von der Partei NSC räumte ein, dass sich die Asylpolitik der Regierung bereits „am Rande der Legalität“ bewege. Er kritisierte Wilders nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der „Präsentation“.

Andererseits unterstützen auch die nominell linken und oppositionellen Parteien GroenLinks-PvdA und Sozialistische Partei (SP) die Regierungsparteien, indem sie die Erhöhung der Militärausgaben und den Nato-Kriegskurs gegen Russland mittragen.

Angesichts des Zusammenbruchs der Regierung haben Vertreter des gesamten politischen Establishments ihre große Besorgnis über jede Verzögerungen bei der Durchsetzung ihres rechten Programms im In- und Ausland zum Ausdruck gebracht. Die stellvertretende Vorsitzende der VVD, Marieke de Jong, warnte: „Dieser Zusammenbruch bedroht die Stabilität, die notwendig ist, um unsere Verpflichtungen für die nationale Sicherheit und das Wirtschaftswachstum zu erfüllen.“ Sie betonte die „dringende Notwendigkeit schneller Neuwahlen, um die Ordnung wiederherzustellen“.

Der Vorsitzende der BBB, Pieter van Loon, äußerte sich enttäuscht: „Unsere Bemühungen um die Unterstützung der ländlichen Gemeinden und die Aufrechterhaltung einer ausgeglichenen Politik, wurden durch interne Konflikte untergraben, und diese Instabilität wird denen schaden, die von uns abhängig sind.“ Der SP-Vorsitzende Jimmy Dijk hatte sich bereits am 26. Mai auf X zu Wilders‘ Plan geäußert: „Was für ein Aufschrei. Sie selbst haben dieses Kabinett gebildet, und Sie selbst haben diesem gescheiterten Minister die Verantwortung für die Zuwanderung gegeben. Sie haben nichts erreicht.“

Während die Minister von Wilders PVV die Regierung verlassen haben, soll der nicht gewählte Ministerpräsident und ehemalige Geheimdienstler, Dick Schoof, als „geschäftsführender Ministerpräsident“ im Amt bleiben. Er wird am 24. Juni am Nato-Gipfel teilnehmen, um den Verteidigungshaushalt der Niederlande in Höhe von 19 Milliarden Euro sowie das Versprechen zu bekräftigen, der Ukraine F-16-Kampfflugzeuge zu liefern und Israel bei seinem Völkermord im Gazastreifen politisch und logistisch zu unterstützen.

Die niederländische Finanz- und herrschende Elite erwägt, mit welchem Kurs sie ihre Klasseninteressen am besten durchsetzen kann. Derweil erlebt die niederländische Arbeiterklasse, ebenso wie ihre Pendants im Rest der Welt, eine ausufernde soziale Krise und einen starken Anstieg der Lebenshaltungskosten. Die Inflation ist mit 3,2 Prozent weiterhin hoch und liegt deutlich über dem Durchschnitt der Eurozone. Die Löhne konnten damit nicht Schritt halten, da die Gewerkschaften Tarifabkommen mit winzigen Lohnerhöhungen durchgesetzt haben, die nicht ausreichten, um den jahrelangen Rückgang der Reallöhne auszugleichen.

Lebenswichtige Leistungen sind zunehmend unerreichbar: Fast 45 Prozent der Niederländer erklären, die steigenden Kosten seien ihre größte Sorge. Die durchschnittlichen Wartezeiten für Sozialwohnungen liegen zwischen 7 und 19 Jahren, was auf systematische Kürzungen und steigende Mietpreise zurückzuführen ist. Das privatisierte Gesundheitssystem belastet die Arbeiter weiterhin mit einem ständigen Anstieg der Versicherungsbeiträge. Fast 60 Prozent der älteren Arbeiter haben Schwierigkeiten, über das 55. Lebensjahr hinaus erwerbstätig zu bleiben, da sie oft zu Zeit- oder Teilzeitverträgen gezwungen werden, und ihre sinkenden Renten decken kaum die grundlegenden Ausgaben.

Angesichts dieser sozialen Krise hat das politische Establishment in enger Zusammenarbeit mit seinen Komplizen in den Medien die Rhetorik gegen Einwanderer verschärft. Die berechtigten Sorgen um Wohnungen, Arbeitsplätze, angemessene Bezahlung und den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen werden ausgenutzt, um die Arbeiter gegeneinander auszuspielen, die Klasseneinheit zu spalten und die wahre Ursache der Krise zu vertuschen: das Versagen des Kapitalismus, auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen.

Wilders‘ neuester Asylplan, der offen gegen bürgerliches Recht wie die Genfer Konventionen, niederländisches Recht und die EU-Verordnungen verstößt, fordert die Aussetzung aller Asyl- und Familienzusammenführungs-Verfahren, Massenabschiebungen (vor allem von Syrern), die Schließung von Aufnahmezentren für Flüchtlinge und ein Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft. Ferner fordert er die militärische Kontrolle der Grenzen und ein verstärktes polizeiliches Vorgehen gegen pro-palästinensische Proteste.

In den letzten Monaten gab es in den Niederlanden eine Welle von Protesten und Streiks in allen Bereichen. Am 18. Mai demonstrierten in Den Haag mehr als 100.000 Menschen gegen den israelischen Angriff auf Gaza – der größte Antikriegsprotest seit 20 Jahren. Er fand weitgehend außerhalb der Kontrolle der offiziellen Parteien und der mit ihnen verbundenen Gewerkschaften statt. Eine Woche später demonstrierten in Amsterdam Zehntausende gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, nachdem Wilders seinen 10-Punkte-Plan vorgestellt hatte.

Seit dem 6. Juni streiken landesweit die Eisenbahner für Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen. Universitätspersonal und Studierende wollen in Amsterdam ab dem 10. Juni gegen geplante Kürzungen im Bildungswesen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro streiken. Mit diesen Einsparungen soll die Erhöhung der Militärausgaben finanziert werden. Eine weitere Massendemonstration gegen den Völkermord ist am 15. Juni in Den Haag geplant, gefolgt von einer Großdemonstration gegen den Nato-Kriegsgipfel am 22. Juni.

Wilders‘ kalkulierter Austritt wurde auch durch drastisch sinkende Umfragewerte aller Koalitionsparteien beeinflusst. Nach den jüngsten Umfragen wird für die PVV ein Rückgang von 37 auf 29 Sitze prognostiziert, die BBB käme auf drei Sitze, die NSC auf 1 Sitz und würde 19 ihrer 20 Sitze verlieren. Diese Zahlen sind Ausdruck der zunehmenden Ablehnung – nicht nur von Wilders und seiner Partei, sondern auch des gesamten politischen Establishments. Wilders hofft auf ein Comeback mit einer stärkeren PVV, die sich auf eine bösartig fremden- und islamfeindliche Wahlkampagne stützt, um im Oktober an die Macht zu kommen.

Es ist politisch fatal, Hoffnungen in pseudolinke Anhängsel und Parteien wie die GroenLinks-PvdA oder die Gewerkschaftsbürokratie zu setzen. Dick Koerselman, der vorläufige Vorsitzende der FNV, einer der zwei größten Gewerkschaftsverbände der Niederlande, die für die Unterdrückung von Streiks und die Aufrechterhaltung der „Sozialpartnerschaft“ mit dem Staatsapparat berüchtigt ist, bezeichnete den Sturz des Kabinetts als „gute Nachricht für die Niederlande“.

Vor 85 Jahren schrieb Leo Trotzki: „Die Bourgeoisie hat es fertiggebracht, unseren Planeten zu einem ekelerregenden Gefängnis zu machen.“ Dieses Gefängnis ist nach wie vor intakt und wird von einer Oligarchie beherrscht, die sich durch Krieg, Austerität und Völkermord bereichert.

Die niederländische Bourgeoisie befindet sich in einer politischen Sackgasse. Nach jahrzehntelanger Sparpolitik ist die Arbeiterklasse mit rasant steigender sozialer Ungleichheit, dem Niedergang des öffentlichen Dienstes, allgemeiner Militarisierung und der Verfolgung von Einwanderern in einem Land konfrontiert, in dem es mehr Millionäre als Flüchtlinge gibt. Das Ende des von Wilders geführten Kabinetts bedeutet nicht das Ende der rechtsextremen Politik in den Niederlanden. Die Bourgeoisie richtet vielmehr ihre Methoden zur Durchsetzung autoritärer Herrschaftsformen neu aus.

Die niederländische Arbeiterklasse muss alle Versuche zurückweisen, sie auf der Grundlage von Nationalität, Religion oder Ethnie zu spalten, und an vorderster Front bei der Verteidigung von Einwanderern und Flüchtlingen stehen, die der schwächste Teil der Arbeiterklasse sind. Sie muss sich mit Arbeitern in ganz Europa und der Welt gegen Faschismus, Krieg, Austerität und Völkermord vereinen. Nur durch den Aufbau einer niederländischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) können die Arbeiter für ein sozialistisches Programm kämpfen: für die Enteignung der Finanzelite, die Umgestaltung der Produktion zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse und die Errichtung der Arbeitermacht.

Loading