VW-Abgasbetrug: Manager und Ingenieure zu Gefängnisstrafen verurteilt, nicht aber Ex-Konzernchef Winterkorn

Zehn Jahre nach dem Bekanntwerden des Dieselskandals wurden vorige Woche Urteile gegen vier ehemalige Manager von Volkswagen gefällt. Zwei wurden wegen ihrer Rolle in der Affäre zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, zwei erhielten Bewährungsstrafen.

VW-Chef Martin Winterkorn im März 2015 [Photo by Volkswagen AG / undefined]

Der Mammut-Prozess dauerte 170 Verhandlungstage, 150 Zeugen wurden befragt. Die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig verurteilte einen ehemaligen Leiter der Dieselmotoren-Entwicklung zu viereinhalb Jahren Gefängnis. Der frühere Leiter Antriebselektronik bekam zwei Jahre und sieben Monate Haft. Der ranghöchste Angeklagte, ein ehemaliger Entwicklungsvorstand der Marke Volkswagen, erhielt dagegen nur ein Jahr und drei Monate auf Bewährung. Und ein Ex-Abteilungsleiter kam mit einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung davon.

Nach dem ersten Prozess stehen noch weitere Strafverfahren gegen insgesamt 31 Angeklagte offen. Allerdings befinden sich darunter keine höheren Angestellten und schon gar keine Vorstandsmitglieder.

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete, die Ex-Führungskräften hätten wissentlich eine Betrugssoftware entwickelt und sie in Millionen Dieselfahrzeugen eingesetzt. Damit kamen die Fahrzeuge auf dem Prüfstand sauber daher, auf der Straße pusteten sie dagegen ein Vielfaches an giftigen Stickoxiden in die Luft. VW umging durch diesen Betrug die strengen Grenzwerte in den USA und auch in der Europäischen Union. Oberstes Ziel war, den amerikanischen Markt mit Dieselautos zu erobern.

Das Verfahren gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn war von dem der anderen Angeklagten abgetrennt und vorerst ausgesetzt worden. Winterkorn hatte mit ärztlichen Attesten und gesundheitlichen Gutachten eine Prozessverschiebung bis September 2024 erreicht. Als der Prozess dann endlich weitergehen sollte, erlitt Winterkorn plötzlich einen häuslichen Unfall. Er soll in seiner Dusche ausgerutscht sein und sich dabei das Knie verletzt haben. Das Gericht hob daraufhin sämtliche 89 Verhandlungstermine auf, die bis 2026 anberaumt waren. Wann und ob Winterkorn jemals der Prozess gemacht wird, ist völlig ungewiss.

Die Anschuldigungen gegen den Ex-Volkswagen-Chef sind weitreichend. Im Zusammenhang mit dem Abgasbetrug werden ihm gewerbs- und bandenmäßiger Betrug, uneidliche Falschaussage sowie Marktmanipulation vorgeworfen. Winterkorn musste als Folge des Skandals zurücktreten, bestreitet aber bis heute jede Mitschuld.

Dass der promovierte Naturwissenschaftler, der den Konzern von 2007 bis 2015 leitete, nichts von den kriminellen Machenschaften wusste, ist so gut wie ausgeschlossen. Die WSWS schrieb dazu bereits im November 2015:

Es ist offensichtlich, dass diese seit sechs bis sieben Jahren währenden Manipulationen in bislang 130 identifizierten Modellen nicht auf eine kleine Gruppe von Führungskräften und Entwicklern zurückzuführen sind. Es handelt sich um Betrug im großen Stil, für den es eine hohe kriminelle Energie und zahlreiche Mitwisser in den Führungsetagen bedurfte. Dass der Betriebsrat, der bei jeder Gelegenheit betont, wie eng er mit dem Vorstand zusammenarbeitet, nicht eingeweiht war, ist völlig unglaubwürdig. In Wahrheit entpuppt sich hier die Sozialpartnerschaft als eine regelrechte Verschwörung gegen die Arbeiter – Autobauer wie Autokäufer. Nun soll der Abgasskandal genutzt werden, um den seit langem geplanten Umbau des VW-Konzerns zu Lasten der weltweit rund 600.000 Beschäftigten durchzusetzen.

Auch die nun Verurteilten beteuern ihre Unschuld. Sie sehen sich als Bauernopfer und verweisen auf ihre verantwortlichen Vorgesetzten. So heißt es in Medienberichten zum Prozess: „Es steht Aussage gegen Aussage. Ingenieure, die die Abschalteinrichtung vorgeschlagen haben sollen, sagen sinngemäß: Wir haben Bedenken geäußert und vor Konsequenzen gewarnt. Die Vorgesetzten entgegnen: Es sei über Probleme gesprochen worden, nie aber über ungesetzliches Handeln.“

Das erinnert stark an Mafia-Prozesse, bei denen Mafiabosse auch gerne einräumen, „über Probleme“ gesprochen, aber nie „selbst gehandelt“ zu haben. In den Knast lassen sie die unteren Ränge einfahren, die für das Grobe zuständig sind und denen sie schulterklopfend versichern: Für eure Familie wird natürlich gesorgt.

Winterkorn und die anderen wirklich Verantwortlichen an der Spitze des Weltkonzerns befinden sich dagegen auf freiem Fuß. Die Braunschweiger Wirtschaftsstrafkammer ist selbst der Überzeugung, dass es weitere Involvierte mit Schlüsselrollen gebe, die teils gar nicht angeklagt worden seien.

Dasselbe gilt für die Verantwortlichen in der Politik. Der Abgasskandal offenbarte nicht nur massive Manipulationen bei der Abgasreinigung durch VW und andere Automobilhersteller, sondern auch eine enge Kumpanei von Politik und Autokonzernen.

Die damalige Bundesregierung unter Angela Merkel spielte eine aktive Rolle bei der Abschwächung von Umweltvorschriften und dem Schutz der Autoindustrie vor Sanktionen. So hatte der damalige Verkehrs- und heutige Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) nach Bekanntwerden des Skandals einen Bericht des Kraftwerk-Bundesamtes (KBA) über das Ausmaß des Betrugs ein halbes Jahr lang zurückgehalten.

Auf EU-Ebene setzte sich die Bundesregierung für einen sogenannten „Konformitätsfaktor“ ein, der die Überschreitung der Grenzwerte im realen Fahrbetrieb legalisierte. Eine 2007 beschlossene EU-Verordnung, die nationale Sanktionen gegen den Einsatz verbotener Abschalteinrichtungen vorschrieb, wurde in Deutschland nie umgesetzt.

Diese politische Einflussnahme wurde durch enge personelle Verflechtungen zwischen Regierung und Autoindustrie begünstigt. Ehemalige Regierungsmitglieder wechselten in Spitzenpositionen der Automobilkonzerne, und Lobbyisten der Industrie hatten direkten Zugang zu politischen Entscheidungsträgern.

Der jahrelange systematische Betrug im Interesse der Profitsteigerung hat den VW-Konzern nach eigenen Angaben bisher 33 Milliarden Euro gekostet. Das beinhaltet eine zweistellige Milliardenstrafe an die US-Behörden sowie Entschädigungen für betroffene Kunden.

Doch dem nicht genug, es könnten weitere Milliarden dazukommen. So haben in einem zivilrechtlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig Investoren mehrere Milliarden Schadensersatz eingefordert.

Das schlägt dem Fass den Boden aus. Dieselben Investoren und Kapitaleigner, die mit dem Dieselbetrug Milliarden verdienten – der Kurs der VW-Aktie war von 37 Euro Ende 2008 auf 248 Euro im März 2015, kurz vor dem Platzen des Skandals, gestiegen –, argumentieren jetzt, sie seien zu spät über den Dieselbetrug informiert worden und hätten deshalb viel Geld mit VW-Aktien verloren.

Während die Gehälter und Bonis der Manager nach dem Skandal weiterwuchsen und die Aktionäre noch 2024 4,5 Milliarden Euro Dividende kassierten, musste die Belegschaft für den entstandenen Schaden von 33 Milliarden Euro bezahlen. Dafür sorgten vor allem die IG Metall und ihr Betriebsrat unter Daniela Cavallo. Sie vereinbarten mehrmals miserable Tarifabschlüsse und den Abbau Tausender Arbeitsplätze. Ende letzten Jahres stimmten sie dann dem Abbau von 35.000 Arbeitsplätzen und dauerhaften Lohnsenkungen um bis zu 20 Prozent zu.

Der Abgasbetrug bei Volkswagen und die sogenannte Transformation zur Elektromobilität werfen für die VW-Beschäftigen grundlegende Fragen auf.

Die Entwicklung beschränkt sich nicht auf VW, sondern findet so oder ähnlich in der gesamten globalen Autoindustrie und darüber hinaus statt. Die global operierenden Konzerne, die erbittert um Marktanteile kämpfen, nutzen den technischen Fortschritt nicht, um die Arbeit zu erleichtern und die Löhne zu erhöhen, sondern um die Profite zu steigern und die kapitalistische Ausbeutung zu verschärfen.

Die Arbeiter können dem Protektionismus im Dienste der „eigenen“ Kapitalisten, wie ihn die IG Metall und alle anderen Gewerkschaften vertreten, nur entkommen, indem sie sich international gegen den gemeinsamen Feind vereinen und von den Gewerkschaften unabhängige Aktionskomitees aufbauen. Die Krise kann nur auf fortschrittliche Weise gelöst werden, wenn die Arbeiterklasse sich international zusammenschließt und den Kampf aufnimmt, die Konzerne zu enteignen und unter ihre demokratische Kontrolle zu bringen.

Die Konzerne können ihre Angriffe nur durchführen, weil sie sich – wie bei VW – auf die IG Metall und ihren Betriebsrat verlassen können, die die Angriffe auf die Belegschaft organisieren und Widerstand dagegen unterdrücken. Das Ganze geschah überdies in enger Absprache mit der jeweiligen Landes- und der Bundesregierung, die den Konzernen den Rücken freihalten. Der Dieselskandal ist Ausdruck einer systematischen Kumpanei zwischen Staat und Großindustrie, die auf Kosten von Beschäftigten, Umwelt und Verbrauchern geht.

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