Polen: Rechtsextremer Oppositionskandidat gewinnt Präsidentschaftswahlen

Karol Nawrocki [AP Photo/Czarek Sokolowski]

Laut den Ergebnissen der nationalen Wahlkommission hat Karol Nawrocki am Sonntag die Stichwahl um das Präsidentenamt mit 50,89 Prozent der Stimmen gewonnen. Sein Kontrahent Rafał Trzaskowski erhielt 49,11 Prozent. Der von der extrem rechten oppositionellen PiS-Partei unterstützte Nawrocki bekam 10.606.628 Stimmen, während der Kandidat der Regierungspartei PO auf 10.237.177 Stimmen kam.

Wie bereits in der ersten Runde erreichte die Wahlbeteiligung mit 71,63 Prozent erneut einen Rekordwert. Die darin zum Ausdruck kommende enorme Politisierung macht die Niederlage für die Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk umso schwerer.

Es ist dabei vollkommen klar: Das Votum für Nawrocki ist in erster Linie ein Votum gegen die Regierung Tusk. Das bestätigen nicht nur die Zahlen, sondern auch Medienkommentatoren und Mitglieder der Regierungskoalition selbst.

Trzaskowski ist spätestens seit 2013, als er von Tusk in dessen Regierung berufen wurde, ein enger politischer Weggefährte des heutigen Regierungschefs. Seit 2018 ist er Oberbürgermeister von Warschau und unterlag bereits bei der Wahl 2020 knapp dem damaligen Amtsinhaber Andrzej Duda. Trzaskowski, der Mann aus der Hauptstadt, steht exemplarisch für die politische Spaltung des Landes: Während Regierung und PO im Westen und in den Städten stark sind, dominiert die PiS auf dem Land und im Osten.

Auch soziale Unterschiede spiegeln sich im Wahlverhalten wider: Während besser gestellte Angestellte und Manager mehrheitlich Trzaskowski wählten, fand Nawrocki vor allem bei Landwirten und ärmeren Arbeiterschichten Zustimmung.

Gerade im urbanen Milieu hat das Regierungslager seit dem Wahlsieg 2023 an Rückhalt verloren. Setzt man die Stimmen der Anti-PiS-Koalition bei den Sejm-Wahlen vor zwei Jahren in Relation zur aktuellen Wahlbeteiligung, hätte Trzaskowski auf über 11 Millionen Stimmen kommen müssen. Unterstützung hatte er reichlich: Offiziell wurde er von allen Parteien des Regierungslagers getragen, dazu von drei ausgeschiedenen Kandidaten der Vorrunde, fünf ehemaligen Staats- oder Regierungschefs (Wałęsa, Bielecki, Miller, Kwaśniewski, Komorowski) sowie zahlreichen Intellektuellen und Prominenten.

Doch von der damaligen Aufbruchsstimmung ist nichts geblieben. Auch wenn sie stets vage war und mit Begriffen wie „Demokratie“ oder „Rechtsstaatlichkeit“ gefüllt wurde, verbanden viele damit konkrete Hoffnungen – auf mehr Gleichberechtigung, Schutz für Minderheiten, humane Migrationspolitik. Doch stattdessen setzte die Tusk-Regierung die Politik der PiS nicht nur fort, sondern verschärfte sie in einigen Bereichen, etwa bei der Flüchtlingsabwehr, sogar massiv.

Trzaskowskis Wahlkampf „konzentrierte sich zudem darauf, das Etikett ‚links‘ abzustreifen, und viele seiner Aussagen ähnelten eher der Darstellung der PiS als der der Bürgerkoalition – sowohl in Bezug auf die Weltanschauung als auch auf wirtschaftliche und soziale Fragen“, wie Mateusz Baczyński für das Portal Onet kommentierte.

So wurde Nawrockis rechtsextreme Agenda kaum angegriffen. Stattdessen zielte der Wahlkampf auf dessen Vergangenheit als Boxer und Türsteher – was ihn vielen als „Underdog“ und „Anti-Establishment-Figur“ vermutlich sogar noch attraktiver machte.

Vor allem bei jungen Menschen ist die Ablehnung gegenüber dem politischen Establishment deutlich. Bereits im ersten Wahlgang kamen die rechts- und in der offiziellen Darstellung linksaußen Kandidaten Menzen und Zandberg in der Altersgruppe unter 30 zusammen auf rund 56 Prozent der Stimmen.

Im Rahmen der Kampagne „Junge Leute, wählt!“ wurden Wahlverhalten und Motive junger Menschen untersucht. Laut Paweł Mrozek, einem Mitglied der Initiative, hätten viele junge Wähler Nawrocki nicht aus Überzeugung gewählt, sondern aus Ablehnung gegenüber Trzaskowski und dem Regierungslager.

Die Themen, die jungen Menschen wichtig sind – wie Bildung, psychische Gesundheit, Wohnen, Arbeit und Lebensqualität – spielen im Regierungshandeln kaum eine Rolle, so Mrozek weiter.

Auch innerhalb der Regierungskoalition wächst die Kritik. Szymon Hołownia von Polska 2050 sprach von einer „gelben, teils roten Karte für die Regierung“. Vor der anberaumten Krisensitzung der Koalition forderte er einen neuen Koalitionsvertrag, um „den Bürgern klar zu sagen, was wir in den kommenden zwei Jahren vorhaben“. Gleichzeitig äußerte er Kritik an Tusks Vorhaben, die Vertrauensfrage zu stellen. Er deutete auch eine Enthaltung seiner Partei an, womit Tusk die Mehrheit fehlen würde. Nach öffentlicher Kritik relativierte er diese Aussage jedoch wieder.

Deutlich schärfer fiel die Kritik von der rechtskonservativen PSL aus, die gemeinsam mit Polska 2050 das Bündnis Trzecia Droga bildet. Marek Sawicki, ehemaliger Minister unter Tusk, warf diesem „Faulheit“ und „Desinteresse an der Regierungsarbeit“ vor und forderte ein konstruktives Misstrauensvotum zur Neubenennung des Regierungschefs.

Auch Włodzimierz Czarzasty von der sozialdemokratischen Nowa Lewica erklärte: „Ich denke, dass wir als Regierung einfach vieles vermasselt haben.“ Er drängte gleichzeitig auf eine Vertrauensfrage, um die Koalition zu stabilisieren.

Ob und wie stark die Tusk-Regierung durch diese Wahl in eine Krise gerät, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. In einer mit Spannung erwarteten Rede am Montagabend kündigte Tusk an, „keinen Moment nachzulassen“ und die Vertrauensfrage zu stellen – als Zeichen gegenüber dem In- und Ausland. Mit anderen Worten: er will an seinem rechten und militaristischen Kurs festhalten. Als „Prioritäten“ seiner Regierung nannte er u.a. den „Aufbau einer schlagkräftigen Armee“, eine „starke Wirtschaft“, die „Repolonisierung der Industrie“ und „Kriminalitätsbekämpfung“.

Während Nawrockis Wahlsieg zweifellos auch auf die unsoziale und enttäuschende Politik der Regierung zurückzuführen ist, sollte die Rolle der Kriegsfrage nicht unterschätzt werden. Polen ist der zentrale NATO-Staat an der Grenze zu Russland und hat – mit breiter Unterstützung aller Parteien – ein massives Aufrüstungs- und Militarisierungsprogramm beschlossen. Sawickis Vorwurf des „Desinteresses“ an Tusk bezieht sich wohl auch auf dessen außenpolitische Reisen, etwa zur Werbung für eine gemeinsame europäische Rüstungsoffensive. Wenige Wochen vor der Wahl unterzeichnete Tusk in Nancy ein Freundschaftsabkommen mit Frankreich zur sicherheitspolitischen Kooperation.

Doch auch die Opposition ist nicht weniger kriegstreibend. Bereits im März 2022 forderte PiS-Chef Jarosław Kaczyński eine „NATO-Friedensmission“ für die Ukraine. Polen ist seit Kriegsbeginn logistisches Drehkreuz für Waffen- und Geheimdiensthilfe. Kurz vor ihrer Abwahl distanzierte sich die PiS allerdings zunehmend von der Ukraine – eine Reaktion auf wachsende Spannungen innerhalb von NATO und EU über die Kriegseskalation. Diese Differenzen haben sich mit Trumps zweiter Amtszeit dramatisch verschärft. Nicht zufällig rief US-Heimatschutzministerin Kristi Noem auf der rechtsextremen CPAC-Konferenz in Warschau offen zur Wahl Nawrockis auf. Dieser erklärte im Wahlkampf wiederholt seine Ablehnung einer EU- oder NATO-Mitgliedschaft der Ukraine.

Wie stark die PiS von wachsender Kriegsablehnung profitiert, zeigen Umfragen: Die Zustimmung zu Waffenlieferungen ist seit Kriegsbeginn um rund 20 Prozent gefallen. Gleichzeitig wird verstärkt Stimmung gegen ukrainische Geflüchtete gemacht – obwohl die meisten von ihnen in Polen arbeiten und keine staatlichen Leistungen erhalten.

Auch die permanente russophobe Bedrohungserzählung stößt zunehmend auf Ablehnung. Nur rund ein Fünftel der Bevölkerung würde im Kriegsfall freiwillig das Land verteidigen – über ein Drittel würde lieber ins Ausland fliehen.

Die Wahlen in Polen werfen ein Schlaglicht auf die tatsächliche Lage eines Landes, das von westlichen Wirtschaftskommentatoren oft wegen seiner Wachstumsraten gefeiert wird. Doch trotz aller äußeren Modernisierung hat sich die soziale Lage seit der Restauration des Kapitalismus verschärft und untergräbt zunehmend die Grundlagen demokratischer Herrschaft.

Gerade die hohen Zustimmungswerte für nationalistische und teils offen faschistische Kräfte zeigen, wie stark die nicht aufgearbeitete Geschichte auf dem gesellschaftlichen Bewusstsein lastet.

Polnische Arbeiter und Jugendliche müssen mit den nationalistischen Mythen und antikommunistischen Geschichtsbildern brechen, die sich über zentrale historische Erfahrungen legen – von Solidarność und der Periode des Stalinismus, der Armia Krajowa (Heimatarmee) und dem Sanacja-Regime bis hin zu den ersten sozialistischen Parteien SDKPiL und PPS. Eine bewusste Aufarbeitung dieser Geschichte erfordert eine Hinwendung zum Trotzkismus und den Kampf für den Aufbau einer polnischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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